Schuld und Haftung – ein wirtschaftlicher Grundsatz

Schuld und Haftung befasst sich mit den Grundlagen unseres Wirtschaftens im Allgemeinen. Die Mehrzahl der Wirtschaftsteilnehmer versteht darunter, dass bei einer ausgewogenen wirtschaftlichen Transaktion das Handeln und die damit verbundene Haftung für das Handeln bei der gleichen natürlichen bzw. juristischen Person liegen müssen. Mit der Freiheit des Handelns soll die Verantwortlichkeit für die Haftung unauflöslich verbunden sein.

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Manche modernen Geschäftsmodelle zielen darauf ab, diese enge und unbequeme Verknüpfung zu sprengen. Für die Mehrzahl der Handelnden gilt die Verknüpfung aber noch immer als selbstverständlich. Viele Geschäftsmodelle, insbesondere in der Finanzwirtschaft, sind Versuche, dieser Selbstverständlichkeit zu entkommen. Dier letzte Crash war eine Folge dieses Verhaltens. Seit 2008 hat sich auf diesem Felde nahezu nichts grundsätzlich geändert.

Dieses heilsame Prinzip gilt nicht nur in der Wirtschaft. Auch die Politik darf davon nicht freigesprochen werden. Wir müssen aber feststellen, dass durch die Nullzinspolitik der Druck auf die öffentlichen Haushalte stark zurückgenommen wurde. Der ‚alte Fuchs‘ Schäuble hat erkannt, wo das politische Schiff hintreibt, wenn die Zinslast und deren periodischen Fälligkeiten im Rahmen einer Nullzinspolitik entfallen. Die „Schwarze Null“ hinsichtlich der Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist im Grunde ohne die Nullzinspolitik nicht verständlich und wäre m.E. auch völlig sinnlos.

Schulden, auch öffentliche Schulden, tragen gewöhnlich Zinsen und regulieren auf diese Weise die Schuldenaufnahme. Sie sind der „Pin in the Ass“, an dem deutlich wird, wer sich die Verschuldung wirtschaftliche leisten kann und wer nicht. Entfällt dieses Instrument, wird es weniger Insolvenzen geben, aber nicht automatisch gesündere Unternehmen oder Staaten.

Wenn unsere Politiker morgen am Tag die Nullzinspolitik in moderaten Schritten wieder aufgeben wollten, müssten wir feststellen, wir können es defacto nicht, ohne ganze Volkswirtschaften in die „Pleite“ zu führen bzw. durch den dann notwendigen Zinsaufwand viele haushaltstechnischen Maßnahmen zu blockieren. Unsere Corona-Milliarden, von denen wir hoffen wollen, dass sie ihre Wirkung entfalten mögen, wären unter dem „Diktat“ von Zinsen gar nicht denkbar gewesen, weil die darauf entfallenden Zinsen die Handlungsfähigkeit der Politik haushaltstechnisch sofort an seine Grenzen führt. Vor diesem Hintergrund ist die „Schwarze Null“ als eine nationale, haushaltstechnische Grätsche gegen zu hohe Schulden zu verstehen, um die üblichen Spendierhosen der Politik und der regierenden Parteien, insbesondere vor Wahlen, einzubremsen.

Die Nullzinspolitik hat für die öffentlichen Haushalte noch einen Nebeneffekt. Ältere öffentliche Schulden müsste von dem gleichen politischen Funktionskreis zur Rückzahlung fällig gestellt werden, der auch über die neuen Schulden zu befindet hat. Das wird absehbar nicht geschehen, weil Altschulden, sofern sie keine Zinslast tragen, leider ganz schnell aus der Wahrnehmung der Politik verschwinden. Für die öffentlichen Hände gilt nicht der gleiche Grundsatz, den jeder Normalbürger verinnerlicht  hat: Schulden sind Geldüberlassungen auf Zeit und gegen Zinsen. Der Normalbürger fragt sich mit Recht, wann wird die Schuld beglichen? Wahrscheinlich nie! Oder erst dann, wenn die „große Bereinigung“ stattfindet. Freiwillig passiert die Bereinigung nicht. Aber was heißt das?

Geld schaffen die Banken. Das gilt auch für den öffentlichen Haushalt. Wenn er Schulden macht, will die Bank das Geld irgendwann zurück, weil der offene Saldo über die Zeit die Bankbilanzen ruiniert. Also verkauft die Bank mit Zustimmung der öffentlichen Hand (also des Schuldners) ihre öffentliche Forderung an eine Zentralbank. Damit hat die Bank wieder bilanzielle Luft und die Zentralbank hält die Forderung an die öffentlichen Haushalte. Und die Zentralbank stellt nichts fällig, solange das Schuldnerland nicht aus dem Ruder zu laufen droht, wie ehemals Griechenland oder Italien. Und das kann Jahrzehnte dauern. Weil es ja kein Wirtschaftssubjekt gibt, das dadurch Nachteile haben könnte, fehlt jeder Druck, Fälligkeiten nicht zu prolongieren.

Aber was ist mit dem geschaffenen Geld aus der Schuld geworden? Es geht doch nicht verloren, es wechselt doch nur den Besitzer. Da die öffentliche Hand keine Rücklagen bilden kann und darf, und auch über keine Sparbüchse verfügt, wird sich das Geld (das Äquivalent der öffentlichen Schulden) letztlich im privaten Sektor sammeln. Wir haben die merkwürdige Situation, dass im gleichen Maße wie die öffentlichen Schuldtitel wachsen, auch die privaten Vermögen zunehmen. Wir alle (die Bürger) müssen, wenn es zum Schwur käme, für die öffentlichen Schulden aufkommen. Besonders hart wird es jene Hälfte der Bürger treffen, die nachweislich der Vermögensstatistik an den  Vermögensmehrungen der letzten Jahrzehnte nicht teilgenommen haben. Da die eine (erste) Hälfte an den Mehrungen nicht teilgenommen hat, hat die andere Hälfte offensichtlich das doppelte Äquivalent der Schuld auf sich vereinigen können (sonst geht das Finanzkarussell nicht auf). Aber zahlen müssten dann im Fall der Fälle alle nur einmal. Das könnte sich für die vermögende Hälfte der Bürger künftig als ein Bombengeschäft herausstellen, es sei denn, die Beitragshöhe wird nicht an die Person, sondern sinnvoller an das vorhandene Vermögen gekoppelt.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, dass sich die Nullzinspolitik absehbar ändern wird. Auch dann nicht, wenn dadurch der Mittelstand regelmäßig Vermögen verliert. Zu einer anderen Zinspolitik könnte man erst dann zurückkehren, wenn die Altschulden „ausgebucht“ oder „neutralisiert“ sind, weil deren Höhe den Zinsaufwand in den öffentlichen Haushalten so gewaltig ansteigen ließe, dass außer Zinsen kaum mehr finanzieller Raum für eine politische „Gestaltung“ bliebe.

Was ist mit dem privaten Sektor, von dem wir wissen, dass 50% der Bevölkerung kaum Vermögen besitzen, also das Äquivalent der öffentlichen Schulden an die vermögenden 50% Prozent der Bevölkerung geflossen ist? Die Erwartungen der Wirtschaftsideologen gehen dahin, dass dieser Vermögenszuwachs wieder in der Wirtschaft investiert wird. Das ist aber nicht (mehr) der Fall, weil die Realwirtschaft schon jetzt unter einer tendenziellen Überproduktion leidet. Weitere Investitionen wären nur sinnvoll in neue Inventionen, Veränderungen der Wirtschaftsstruktur, z.B. zu mehr Nachhaltigkeit oder ähnlichem. Dieses Risiko scheut das kumulierte private Kapital wie der Teufel das Weihwasser und versucht sein Glück im Kasino der Finanzwirtschaft. Strukturell hat das Verhalten für den Wirtschaftsstandort verheerende Folgen. Wir betonieren unsere alten Wirtschaftsstrukturen bis zum buchstäblichen Krachen. Und das könnte dann der ‚Fall der Fälle‘ sein (siehe oben). Da wäre es sinnvoller, wie schon in der Nachkriegszeit, wieder eine dynamische Steuer auf Vermögen und hohe Einkommen (mit einem Freibetrag) einzuführen, damit dann mit den daraus erzeugten Einnahmen Schuldenabbau und Industriepolitik im öffentlichen Diskurs zu betreiben, mit dem langfristigen Ziel, eine moderate Zinspolitik betreiben zu können, bei der die „kleinen Leute“ und der sogenannte Mittelstand nicht die großen Vermögen finanzieren und auch ihren kleinen Anteil an den Mehrungen des Wirtschaftsstandorts in Anspruch nehmen können.

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