Diese Überschrift findet man mehrfach auf Youtube. Die Forderung wird wenig Widerspruch hervorrufen. Aber ist unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem in der Lage, dieser Aufforderung nachzukommen? Die Aufforderung zur Reparatur statt zum Wegwerfen setzt voraus, dass diese erste Grundlage zur Erzielung von Nachhaltigkeit auch die Zustimmung des Wirtschaftssystems erhält bzw. finden kann.
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Unsere Wirtschaft ist in den letzten Jahren m. E. durch eine deflatorische Lücke gekennzeichnet. Was heißt das? Grob gesprochen übersteigt das Angebot an Waren und Dienstleistungen tendenziell die Nachfrage, mit der Folge, dass ein ständig spürbarer Preisdruck auf dem Markt liegt. Alle Massenguthersteller versuchen diesem Druck durch Kostensenkung nachgeben zu können.
Kostensenkungen lassen sich auf die eine oder andere innovative Weise realisieren, aber am Ende gehen sie immer zu Lasten der Qualität. Und Qualität ist ein Begriff, den die moderne Ökonomie noch nie in ihrem Repertoire hatte. Unter dem Regime der deflatorischen Lücke ist das besonders zu spüren. Denken Sie nur an den geplanten Verschleiß, der von zahlreichen Ökonomen beschrieben, aber von der Wirtschaft immer noch vehement bestritten wird. Wenn die Marge zu klein wird, um vom Einzelgeschäft leben zu können, muss es eben der Durchsatz (die Masse) bringen – also darf das Produkt um Gottes willen nicht unverwüstlich sein. Also wird ständig an der Lebensdauer der Produkte (als einer wesentlichen Ausprägung von Qualität) „gespielt“ – gerade so, dass der Kunde die Verkürzung der Lebensdauer im Sinne von Verlust an Qualität nicht ernsthaft bemerkt und insbesondere nicht nachweisen kann.
Kennen Sie auch den Spruch: „Hoffentlich macht es meine alte Wasch- oder Spülmaschine noch möglichst lange, die neuen (in dem korrespondieren Preissegment) sind nur noch Schrott!“ Haben Sie auch alte Küchenmaschinen, die seit Jahrzehnten unverzagt ihren Dienst tun und Sie hoffen noch auf viele weitere Jahre, weil Sie den neuen Geräten eine solche Qualität nicht mehr zutrauen? Das ist die Erfahrung des Kunden hinsichtlich der Wahrnehmung der gesamtwirtschaftlichen Folgen der deflatorischen Lücke. Das ist der vorprogrammierte, schrittweise Verlust an Qualität.
Das Reparieren von Geräten tritt bei der verkaufsorientierten Strategie völlig in den Hintergrund. Viele Waschmaschinen haben früher mit Getrieben aus Metall gearbeitet, heute sind diese Zahnräder aus Plastik. Wenn sie zerbröseln, wird die Reparatur teuer, möglicherweise teurer als das „zufällig“ bereitstehende Neugerät. Noch schlimmer ist es, dass ab einem gewissen Alter genau diese Ersatzteile auch nicht mehr zur Verfügung stehen. Reparatur ist dann Fehlanzeige – unabhängig von den möglicherweise auftretenden hohen Reparaturkosten.
Oder betrachten wir Schuhe: Die billig gemachten, aber schön bunten ‚Treter‘ aus Plastik und Mesch, also sogenannte Sneakers, sind nicht zur Reparatur geeignet. Sie sind dann, wenn gewöhnlich eine Reparatur ansteht, „ausgelatscht“ und gelten als Müll. Als Folge ist der Beruf des Schuhmachers bis auf wenige spezialisierte Exemplare ausgestorben. Man könnte auch sagen, sie stehen auf der roten Liste.
Da die Preise für Neuwaren tendenziell im Keller sind, die Neuware gemessen an den Altprodukten billiger hergestellt und massenhaft verkauft werden muss, fällt gezielt eine ganze Reparatur-Industrie aus. Die Produzenten der Neuware können diese Reparatur-Industrie gar nicht zulassen, weil sie die Lebenszeit der Produkte ständig verkürzen müssen, um die Umschlagsgeschwindigkeit der Neuware ständig erhöhen zu können. Eine Reparaturfähigkeit der Neuprodukte würde sich unmittelbar auf eine Verlängerung der Lebensdauer und damit negativ auf die Umschlagshäufigkeit der Produkte auswirken. Letztere würde sinken. Das führt zu Einbußen beim Neuwarenverkaufsgeschäft. Eine weitere Folge der Erhöhung der Umschlagsgeschwindigkeit sind die wachsenden Müllberge und der Verfall einer Reparatur-Kultur. Das ist mit Nachhaltigkeit nicht zu vereinbaren.
Um einen Ausweg aus dieser deflatorischen Falle zu schaffen, ist die Politik gefordert. Es hat wenig Sinn, hier auf die nationale Politik zu hoffen. Nach meinen Informationen hat das Europa-Parlament einen ersten Vorstoß auf diesem Gebiet gemacht. Wenn ich die Äußerungen richtig interpretiere, wird angestrebt, dass alle oder nahezu alle Neuwaren künftig grundsätzlich reparaturfähig sein müssen. Wenn eine Reparaturfähigkeit gefordert wird, müssen vom Produzenten auch die notwendigen Ersatzteile für eine Anzahl von Jahren vorgehalten oder zur Verfügung gestellt werden. Dieser formulierte Anspruch könnte ein Umdenken auslösen:
Die Konstruktion von Neuwaren wird gegenwärtig so vorgenommen, dass man eine Reparatur entweder gar nicht (wie bei gewissen Smartphones), oder nur durch einen autorisierten Personenkreis mit einem spezialisierten auf dem Markt nicht verfügbaren Werkzeug durchführen kann. Das ist heute nicht verboten, würde aber künftig ggfs. unter das Kartellrecht fallen. Auf dem Reparatursektor müssten künftig gleiche und einheitliche Marktzugangsrechte gelten. Der Aufbau von Reparatur-Kartellen wäre kontraproduktiv. Sie würden den freien Zugang zum Markt untergraben.
Auf den Produzenten kämen zusätzliche Kosten für geänderte Konstruktionen, eine Ersatzteileverwaltung u.ä. zu, die er in den heute niedrigen Verkaufspreis einrechnen muss. Der Zwang zur Reparaturfähigkeit könnte den verhängnisvollen Trend, „Schrott“ (billig) zu produzieren, brechen. Der Zwang zur Reparaturfähigkeit gibt zudem dem Produzenten das neue Argument, dass die Qualität so hoch ist, dass eine Reparatur, abgesehen vom regelmäßigen Service, entfallen kann. Dann muss er aber auch Qualität liefern und das wird sich zwangsläufig in höheren Anschaffungskosten niederschlagen. Und das wäre dann wohl so etwas wie ein Schritt zu mehr Nachhaltigkeit.
Eine Subsistenzwirtschaft wird häufig mit Selbstversorgung gleichgesetzt. Das ist nicht falsch, trifft aber im Rahmen einer industriellen Betrachtung nur eine schmale Seite der Wirklichkeit. Subsistenzwirtschaft ist im größeren Rahmen ein Wirtschaftssystem, in dem nicht nur „Neuware“ geschaffen und idealerweise „Altware“ zu Müll erklärt wird, sondern in dem existente Gebrauchsgüter systematisch durch pflegliche, konservierende Behandlung in Funktion gehalten werden. Eine Subsistenzwirtschaft ist also keine Wirtschaftsform, die neben der Neuproduktion nur die Deklaration von Müll toleriert, sondern in der die von Natur oder Menschen geschaffenen Dinge prioritär einer Beurteilung zu einer Reparatur/Sanierung unterworfen werden, ehe man sie dem Müll oder dem Abriss preisgibt.
Diese Entscheidung wird gegenwärtig ausschließlich auf der Basis der vergangenen Kosten getroffen. Das ist kein nachhaltiger Maßstab. Das zu bewertende Gebrauchsprodukt wurde ja nicht zu dem Zweck geschaffen, um es dem Müll zuführen zu können. Mit der Produktion waren eine Funktion und eine erwartete Lebensdauer verbunden. Wenn die Entscheidung ansteht, Müll oder nicht Müll, so wird zurückgeschaut, ob das Produkt seine Abschreibungen und laufenden Kosten bis dato eingespielt hat. Wenn diese Frage bejaht wird, rutscht das Produkt gefährlich in die Nähe des Mülls, obwohl erst ein Drittel oder die Hälfte seiner für das Produkt vorgesehenen Lebensdauer erreicht ist.
Eigentlich beginnt jetzt erst die Phase, in der mit dem Produktionsmittel aufgrund erfolgter Abschreibung richtig Geld verdient werden kann, selbst dann, wenn eine gründliche Überholung stattfinden müsste. Diese Idee spiegelt sich in dem Begriff Subsistenzwirtschaft wieder. Wir sollten uns von dem Glanz des Neuen nicht weiter blenden lassen. Das neue Produkt mag Produktivitätsvorteile versprechen, aber ehrlich – das ist in den meisten Fällen ein ‚Krieg‘ um wenige Prozent. Dafür wiegen die neuen und meist deutlich höheren Abschreibungen der Neuanschaffung als unvermeidliche Fixkosten viel schwerer. Der Aufbau von Fixkosten führt Unternehmen regelmäßig in Schwierigkeiten, insbesondere, wenn der professionell verbreitete Optimismus zur konjunkturellen Entwicklung sich mal wieder geirrt hat.
Wir neigen dazu, nur die Leistungen von Unternehmen zu verherrlichen, die Neues schaffen. Intellektuell mindestens genauso herausfordernd ist die Realisierung einer komplexen Reparatur: Ein Gerät hat eine ernsthafte Störung. Reparieren bedeutet im ersten Schritt Analyse:
- Finde die Ursache, finde den Fehler! Wenn der Fehler gefunden ist:
- Finde im gegebenen Rahmen eine kreative Reparaturlösung! Und letztlich:
- Setze die gefundene Lösung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten um.
Es gibt eine große Zahl von Menschen, die an einer solchen Aufgabe scheitern, weil ihnen die Eigenschaften eines typischen „Tüfftlers“ abhandengekommen sind. Es ist hier ähnlich wie bei den Sprüchen über erfolgreiche Unternehmer – nicht jeder hat die Voraussetzungen für diese Aufgabe: Ich behaupte, das gleiche gilt für die gute Durchführung einer Reparatur. Nur: Reparaturen berühren unsere Lebenspraxis viel öfter als neue Unternehmen. Sie sind das größere und oft nachhaltigere Geschäft.
Und unser Wirtschaftssystem honoriert diese Sichtweise nicht, weil nur das „Neue“, die oft fragwürdige „Innovation“ im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Wir brauchen aber den „Tüfftler-Typ“ ganz dringend für den Aufbau einer Reparatur(Erhaltungs-)-Industrie! Nur dann werden wir in der Lage sein, das erste Gesetz der Nachhaltigkeit zu respektieren und in die Tat umzusetzen. Die einen schaffen Neues und die anderen erhalten es, solange es funktional sinnvoll und zweckmäßig ist.
Jetzt kommt noch ein dritter Schritt ist Spiel: Wenn dann endlich ausgemustert wird, braucht es ein funktionierendes Recycling. Daran fehlt es. Eine Recycling-Quote von 18% ist erbärmlich und beschämend, wenn ich an all den Aufwand mit der Mülltrennung denke. Wir ‚ersaufen‘ im Müll und verwalten ihn teuer. Und es ist nicht einmal eine sinnvolle Lösung in der Diskussion.
An diesem Punkt schließt sich der Kreis. Wenn wir am Ende der Kette ein Chaos verursachen, müssen wir sinnvollerweise wieder an den Anfang der Kette zurück und uns fragen, ob und wie wir das Chaos vermeiden können, indem wir die wahren Kosten des Chaos (die externen Effekte) schrittweise gleich bei der Produktion antizipieren (hinzurechnen). Diese Vorgehensweise führte vor Jahren zum Ende der Atomkraft, denn man hatte diese Technologie als „Deus ex machina“ eingeführt ohne zu wissen, was man mit dem atomaren Abfall machen sollte – die Folgen dieser in Geld ertränkten Verantwortungslosigkeit werden uns noch lange beschäftigen!
Die Kreislaufbetrachtung geht an die Substanz unseres gegenwärtigen Systems und damit sind wir mitten in der Problematik der „großen Transformation“ und seinen Folgen. Die „große Transformation“ beschäftigt die Wissenschaft schon seit geraumer Zeit (mindestens 20 Jahre, eher 50 Jahre). Es gibt auch Fortschritte, aber es ist wohl noch zu früh für die schlichten Botschaften der Mainstream-Medien. Es ist noch keine Katastrophe, es sind nur eher schlechte Nachrichten. Dabei ist die Klimakrise nur der allgemein bekannte Teil, über den heute jedermann redet.
(Erstveröffentlichung in 2020)
Hinweis: Google mal C2C
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