Progressiv oder Konservativ? – eine Abgrenzung

Der Begriff „Progressiv“ soll in diesem Zusammenhang das Gegenteil von „Konservativ“ sein. „Fortschrittlich“ wäre auch ein Gegensatz zu ‚Konservativ‘. Es geht im Folgenden darum, die gängigen Gegensätze in ihren groben Verzweigungen darzustellen und zu diskutieren.

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Vielfach gehen die Verwender dieses Gegensatzes davon aus, dass das eine das andere ausschließt. Da melden sich, ohne dass die Begriffe weiter definiert sind, erste Zweifel an. Im Kreis konservativ denkender Menschen fühle ich mich i.d.R. nicht wohl. Ich fühle mich eingeengt. Deren Haltung ist mir nicht nachvollziehbar und sie können mich nicht inspirieren. Im Kreise von progressiven, insbesondere jungen Menschen stelle ich fest, dass ich, wenn ich ehrlich bin, oft recht konservative Haltungen an den Tag lege. Das beunruhigt mich zwar nicht, es führt mich aber zu dem Schluss, dass die angeblich gegensätzlichen Haltungen von Progressiv und Konservativ sehr wohl in einem Menschen zur gleichen Zeit vorhanden sein können. Wir sind offensichtlich so vielschichtig angelegt, dass wir auf bestimmten Feldern eine progressive Haltung einnehmen können und gleichzeitig auf anderen Felder möglicherweise stockkonservativ argumentieren. Um diese Erkenntnis etwas formaler zu fassen: Progressiv und Konservativ sind im Menschen keine sich ausschließenden Zustände, sie müssen gedacht werden als die Enden eines Kontinuums und der Übergang erfolgt fließend.

Progressive Einstellungen werden gerne mit dem Begriff „Links“ gebrandmarkt und an der konservativen Haltung klebt meist der Begriff „Rechts“. Zum Verständnis müssen wir m.E. in die Zeit vor und während der Aufklärung (oder der französischen Revolution) zurückgehen. In Frankreich hat der im Niedergang befindliche Absolutismus versucht, das Volk dadurch einfangen zu können, dass man Bürgerversammlungen, Regionalparlamente und Ähnliches einsetzte. Diese Versammlungen fanden unter dem Vorsitz eines Präsidenten statt und die Anspruchsträger wurden dann, wenn sie bestehende Rechte wahren wollten (wie Eigentum, Absolutismus, Kirche, strukturelle Macht, bestehenden Einfluss, u.ä.) auf der rechten Seite platziert. Es gab keine Parteien, sondern nur Bürger. Jene Bürger, die Ansprüche an die Veränderung der bestehenden Lebensumstände der Menschen stellten, wurden auf der linken Seite des Versammlungsraumes platziert. Das ist der ursprüngliche Ausgangspunkt für unsere Debatten über „Links“ und „Rechts“. Man kann also progressive, fortschrittliche, ja revolutionäre Ansprüche an die Gesellschaft als Ansprüche der linken „Seite“ verstehen. Diejenigen, die schon über Besitz, Macht und Einfluss verfügten, sahen ihre bestehenden Rechte in Gefahr und argumentierten „rechts“, indem sie auf ihre Rechte pochten und das bestehende System möglichst unverändert erhalten wollten. An diesen Basisstandpunkten hat sich im Prinzip bis heute wenig geändert.

Das soeben Beschriebene sind im Wesentlichen machtpolitische Gesichtspunkte. Parallel hatte sich auch die Geisteshaltung in der damaligen Welt gedreht: Mit Spinoza wurde die geistige Säkularisierung eingeleitet. Etwa ein Jahrhundert später hat Kant dann dem Individuum zugerufen: „Wage Dich Deines Verstandes zu bedienen!“ Der Untertan mutierte zum Bürger. Folglich soll „jeder Bürger (…) einen angemessenen Teil an allen Entscheidungen haben, die das eigene gesellschaftliche Leben betreffen“(Mausfeld). In seinen Ausführungen „Zum ewigen Frieden“ entwickelt Kant in einem kurzen Gedankengang, dass die Demokratie die einzige Herrschaftsform sei, die in der Lage ist, Frieden zu schaffen und zu erhalten. Die Leitidee der Aufklärung lässt sich am besten mit dem Ziel eines universellen Humanismus umschreiben. Konkret geht es dabei um die Vorstellung, dass alle Menschen frei und nicht gleich, aber gleichberechtigt sind. Die geforderte Brüderlichkeit in den Thesen der französischen Revolution war eine Vorstufe zur Forderung nach einer unveräußerlichen Menschenwürde. Die Leitidee enthält auch „eine (optimistische) Einschätzung der Fähigkeit der Menschheit, zu einer besseren Existenzform zu finden.“ (Wikipedia) Mit anderen Worten: Die Linke hatte auf der Grundlage der Aufklärung eine neue Lebensperspektive für die Menschheit entworfen und hatte damit einen riesigen Erfolg, wie wir gleich sehen werden.

Was machten die Rechten? Sie wurden von der damals noch basisdemokratischen Demokratie-Bewegung schlicht überrannt, weil die Idee so zündete, dass sich die Idee zu einer Bewegung entwickelte. Die Rechte versuchte angesichts des politischen Drucks eine ‚Haltet die Gäule‘-Strategie zu entwickeln. Der demokratische Schwung war offensichtlich nicht zu stoppen. Die Rechte sah nur zwei Möglichkeiten, den ‚Karren‘ in eine andere Richtung zu lenken: man entwickelte einerseits den Gedanken einer „liberalen“ Demokratie, indem man jetzt die Freiheitsforderung des Menschen mit Eigentum verband (Eigentum macht frei). Und andererseits schuf man mit der amerikanischen Verfassung das erste repräsentative Demokratiemodell, indem man der ursprünglich basis-demokratischen Herrschaftsform wesentliche Korsettstangen einzog und der besitzenden und gebildeten Klasse über die Eigentumsgarantie die Möglichkeit eines besonderen Herrschaftsrechts schuf. Heute wird die repräsentative Demokratie als alternativlos dargestellt und viele Demokraten, die der Linken zugerechnet werden können, haben nicht einmal bemerkt, dass sie hier einer geschickten Strategie der „Rechten“ aufgesessen sind.

Soviel zur Geschichte der Demokratie. Wir haben jetzt vier Begriffe: einerseits links und rechts, andererseits progressiv und konservativ. Ich sehe keine großen Probleme, wenn man Links und Progressiv als weitgehend aus einer Quelle gespeist versteht. Hier gehen die Wurzeln auf die Zeit der Aufklärung zurück und das Wohl des Menschen steht im Fokus der politischen Diskussion. Bei den Begriffen konservativ und rechts wird es aber schwieriger. Es ist keine Frage, dass die letzten beiden Begriffe einen gemeinsamen Kern aufweisen, aber Besitzstandserhaltung, Eigentum und Statuswahrung, die die Rechten politisch zum Ausdruck bringen, sind keine zwangsläufig konservativen Aspekte. Auffällig ist, dass die rechte Seite immer nur das Vermögen (Eigentum und Macht) in den Mittelpunkt ihrer Argumentation stellt.

Konservativ könnte man wörtlich mit ‚bewahren‘ und/oder ‚erhalten‘ übersetzen. Diese Übersetzung verkennt aber, dass auch der Konservatismus anerkennt, dass sich die Erde dreht, m.a.W.: das Verharren im Status quo kann damit nicht gemeint sein. Eine vorsichtige Entwicklung erscheint dem Konservatismus vermittelbar zu sein. Konservativ und Rechts treffen sich dort, wo es um Vorteilserhaltung, um die Erhaltung von strukturellen Regelungen wie Eigentum und Macht geht. Rechts ist dabei der deutlich politischere Begriff als konservativ. Letzterer ist m.E. eine Denkhaltung, während Rechts aus meiner Sicht nur eine Form der Erhaltung struktureller Machtausübung ist.

Prof. Werner J. Pazelt hat (Quatour Coronati Nr. 55) ein paar ergänzende Gesichtspunkte konservativen Denkens zusammengetragen: konservatives Denken versteht sich danach als „Akzeptieren eines größeren Ordnungszusammenhangs, dem Festhalten am Wert von Hierarchien (und) dem Lernen eher aus Erfahrung denn aus Ideen“ (S.33). Als Ordnungszusammenhang wird dabei auf den „göttlichen Heilsplan“ des Christentums als auch auf die Ordnung der Natur selbst verwiesen. Bei der Hierarchie wird auf die Vergangenheit verwiesen und deren ordnungssichernde Komponenten bemüht. Das Lernen aus der Erfahrung könnte sich auch am universellen Algorithmus der Evolution orientieren. Gemeint ist schlicht die Orientierung am Bewährten.

Es fehlt mir die kritische Haltung zur Position von W. Pazelt. Je öfter man den Artikel liest, desto mehr kommt man zu der Erkenntnis, dass Kritik an der dargestellten konservativen Haltung gar nicht Diskussionsgegenstand sein soll. Deshalb nur wenige Anmerkungen: Ob der Bezug auf einen ‚göttlichen Heilsplan‘ angesichts steigender Kirchenaustritte so glücklich gewählt ist, ist zu bezweifeln. Auch der Bezug auf die Ordnung der Natur erscheint fragwürdig. Die Ordnung der Natur ist doch etwas, was der Mensch in die Natur hineinprojiziert. Die Ordnung der Natur gibt es doch nur in unserem Denken. Das ist also kein Fels in der Brandung. Der Hinweis auf die ordnungssichernde Hierarchie erscheint mir als Ideologie, weil nicht klar ist, warum Hierarchie ordnungssichernd sein soll. Hierarchie ist ein Machtinstrument und keine natürliche Ordnung, sie ist über Jahrtausende ein von Menschen geschaffenes Instrument und dient in erster Linie dazu, Unfreiheit zu stiften. Dabei wird aber so getan, als ob Hierarchie etwas Naturnotwendiges, Unausweichliches sei. Dabei lassen wir es bewenden, denn Pazelt versucht hier im Grunde nur das konservative Element zu beschreiben. (Ganz zufrieden bin ich damit nicht, kann aber nichts Besseres bieten.)

Pazelt ergänzt dann das Bild des Konservativen (S. 35). Er wird gewissermaßen offensiv, parteilich und fordert, die Konservativen sollten ihre Haltung ihren Mitstreitern über ein Dreieck vermitteln. „An der linken Spitze dieses Dreiecks steht „gerechte Ordnung“. (…) An der Spitze jenes Dreiecks (…) steht „Nachhaltigkeit“ oder, in leicht anderer Betrachtungsweise, „aufrechterhaltbare Entwicklung“. An der rechten Spitze jenes Begriffsdreiecks steht „Patriotismus“.“ Der Begriff ist recht abstrakt und soll mit so etwas wie Heimatbezug übersetzt werden. Die Forderungen, die mit den ersten beiden Ecken des Dreiecks verbunden werden, sind schlicht vernünftig – statt „gerechte Ordnung“ könnte da auch einfach nur „Gerechtigkeit“ als Ziel anführen. Dieser Begriff ist keinesfalls exklusiv konservativ, schon die alten Griechen sahen in ihm eine Kardinaltugend eines funktionierenden Staates. Die Nachhaltigkeit ist auch kein exklusiver Begriff mehr. Die Grünen reiten mit diesen Begriff schon seit Jahren durchs Land und können ihn weder durch- noch umsetzen. Allein der „Patriotismus“ bleibt demnach den Konservativen als politisches Ziel exklusiv. Das ist aber kein wirklich attraktives Feld. Insbesondere als es immer noch eine beachtliche Zahl von Menschen gibt, die den Gedanken an Europa oder größere Zusammenhänge noch nicht aufgegeben haben. Das schließt aber zugegebener Maßen ein Heimatgefühl des Bürgers nicht aus, ist aber m.E. als politische Aussage keinesfalls zielführend.

Gleichzeitig ist der Versuch, das konservative Element kämpferisch zu formulieren zweischneidig. Es gibt keinen Parade-Konservativen. Wie schon am Anfang beschrieben, hat das Konservative in jeder politischen Richtung eine andere Ausprägung. Wenn wir der Auffassung zustimmen können, dass die Intensität der konservativen Haltung auch vom Lebensalter abhängt, so wird diese Dreieckskonstruktion ziemlich dubios. Gerechtigkeit als solche ist m.E. kein ausschließlich konservativer Wert, er zieht sich auch und gerade bei den sogenannten Progressiven durch ihr Denken und Handeln. Das gleiche gilt für Nachhaltigkeit – das ist doch keine Erfindung einer konservativen Haltung, sondern wurde von der Landwirtschaft seit Jahrhunderten praktiziert und wurde dann erstmals vor rd. 200 Jahren in der Forstwirtschaft ausformuliert und ist heute in aller Munde. Nur wird die Forderung nach Nachhaltigkeit politisch nicht umgesetzt. Das liegt vielleicht gerade am konservativen Denken, das einen „Fortschritt“ in Bezug auf die Nachhaltigkeit nur in sehr kleinen Schritten akzeptieren kann und insbesondere die politische Rechte ist sich der Tatsache bewusst, dass Nachhaltigkeit nur mit Vermögenseinbußen zu realisieren ist.

Es gibt unabhängig vom eigentlichen Konservatismus noch eine weitere Form der rechten Politik, also einer Politik, die auf Eigentum, Besitz und Statuserhaltung (oder gezielt auch deren Mehrung) ausgerichtet ist. Das Denken von rechter als auch von konservativer Politik baut – so wird es oben beschrieben – immer auf einem systematischen Unterschied unter den Menschen auf (siehe das ausgeprägte Hierarchiedenken). Es fehlt ihm an Friedfertigkeit nach innen und nach außen. Diese Haltung favorisiert gezielt den Unterschied (den Chauvinismus), der bei jeder Gelegenheit herausgekehrt wird (wir sind die Besseren, die Erfolgreichen, die Eliten). Diese Tendenz im Denken der politischen Rechten findet dann in den 70iger Jahren in dem Durchbruch der Ideologie des Neoliberalismus seine vorläufige Erfüllung.

Was hat diese Ideologie des Neoliberalismus ausgelöst? Einerseits haben die Eliten schnell erkannt, dass sich damit noch besser Geld verdienen lässt. Es hat aber darüber hinaus noch einen Effekt, den Prof. Mausfeld wie folgt beschreibt: „Sie (die Ideologie des Neoliberalismus) gibt der Klasse der Reichen ein neues (nie da gewesenes) Klassenbewusstsein und führt zu einer massiven Verschmelzung und ideologischen Homogenisierung ökonomischer und politischer Eliten (sowie deren Medien).“ Wichtig erscheint, dass es sich hier nicht zwangsläufig um einen konservativen Ansatz handelt. Der neoliberale Ansatz ist aber eindeutig der politischen Rechten zu zurechnen.

Versuchen wir ein Fazit zu ziehen:

Die erste Feststellung war, dass es offensichtlich Menschen gibt, die sich bevorzugt mit dem Menschen und einem „guten Leben“ – wie das die alten Griechen ausgedrückt haben –befassen. Ihre Haltung wird durch die intellektuellen Errungenschaften der Aufklärung unterstützt: Alle Menschen sind gleichberechtigt (aber nicht unbedingt gleich in ihrer Art) und frei. Alle Menschen sind vernunftbegabt. Und jeder sollte über seine Angelegenheiten selbst und unabhängig bestimmen. Damit war die Demokratie in den Köpfen der Menschen seit der Zeit der Aufklärung verankert. Was dann daraus wurde, ist ein anderes Thema.

Diesem Anspruch steht die Haltung der vom Konservatismus geprägten Menschen gegenüber: Er denkt auch über den Menschen und sein Heil nach, hängt aber an einer überkommenen Gesamtschau, die man mit einem „göttlichen Heilsplan“ umschreiben kann. Diesen Heilsplan gibt es schon mind. seit 2.000 Jahren. Ich denke, dass dieser monotheistische „Heilsplan“ ein wesentlicher Grund ist, dass die konservative Haltung sich bevorzugt auf das gesellschaftliche Steuerungsinstrument der Hierarchie stützt. (Gott nutzt es, warum nicht auch der Mensch?) Ob sich der konservative Mensch darüber im Klaren ist, dass die Verherrlichung der Hierarchie Implikationen umfasst, die es erst mal zu erkennen gilt? Hierarchie steht im Gegensatz zur Gleichheit. In einer Hierarchie wird es schwer alle Menschen als gleichberechtigt zu betrachten. Wenn die Idee der Hierarchie gilt, wird es auch mit der Menschenwürde fraglich. Aus welchem Grunde sollte die Hierarchiespitze den Nachgeordneten eine uneingeschränkte Menschenwürde zubilligen? Das ist nur auf Augenhöhe denkbar. Das sind alles Ideen, die nur dann realisiert werden können, wenn Hierarchie nicht das Mittel der Wahl ist. Unfrieden wird besonders dann gestiftet, wenn Konflikte über Hierarchie ausgehandelt werden. Das soll hierzu genügen. Das Lernen aus der Erfahrung ist als konservative Tugend schwer identifizierbar. So wie die Nachteile der Hierarchie einem im Konservativen verharrenden Menschen schwer vermittelbar sind, so ist es m.E. auch mit dem Lernen aus der Erfahrung. Theoretisch ist das richtig, aber viele kennen das Popper’sche Falsifizierungskriterium. Das stellt letztlich auch Lernen aus Erfahrung dar. Und wie schwer ist es, dieses Kriterium richtig anzuwenden? Zudem: Bevor man etwas falsifizieren kann, muss man „Netze ausgeworfen haben“(Popper), um Ideen zu „fischen“.

Kommen wir zur politischen Seite dieses Spiels: Hier finden wir die noch heute geltenden Begriffe von Links und Rechts, die sich aus der Sitzordnung in den Gremien zur Zeit der Aufklärung herleiten lässt. Wichtig ist dabei das Verständnis der Begründung dieser Sitzordnung: Die Teilnehmer, die sich für Selbstbestimmung, für die Stärkung der Vernunft, für Gleichberechtigung und letztlich auch für Demokratie, kurz: für die Rechte der Menschen, einsetzen, wurden auf die linke Seite des Versammlungsraumes verwiesen. Diejenigen Teilnehmer, die die bestehende Struktur, ihr persönliches Vermögen, ihre Macht und Einfluss (kurz: die bestehende Macht) vertraten, wurden auf die rechte Seite des Versammlungsraumes verwiesen.

Damit haben wir auch schon wesentliche Inhalte der politischen Linken und der politischen Rechten umrissen: Die Linke war auf das Schicksal des Menschen fixiert und war davon beseelt, das Los der Menschen zu verbessern (universeller Humanismus). Die Rechte dagegen hatte nicht das ‚Volk‘ oder das ‚Vaterland‘ oder sonstige hehre Ziele im Blick, sondern nur die Aufrechterhaltung ihres jeweiligen Status quo, ihres Einflusses und letztlich ihrer Macht. Im Prinzip will die Linke etwas, was ihnen die Rechte streitig macht. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass dieses Spiel als Nullsummenspiel angesehen werden muss: das was die Linken erreichen wollen, erreichen sie nur auf Kosten der Rechten.

Aus dieser Darstellung heraus, kann man eine These wagen: Die Linke hatte durch ihre Idee eines universellen Humanismus in den letzten zweihundert Jahren eine Vision, die sie versuchte, über den Zeitlauf Schritt für Schritt zu realisieren. Die Rechte hat keine Vision – sie arbeitet sich an der Verhinderung der Realisierung einer linken Vision ab.

Die Linken haben eine Idee. Die Rechten haben primär nur die Verteidigung ihrer Privilegien. Hier kommt jetzt der Konservatismus ins Spiel. Die Rechten vereinnahmen die konservative Haltung als konstitutives Element ihres Handels. Auf diese Weise braucht die Rechte keine Vision, die sie den Linken entgegenstellen kann. Sie giriert sich als konservativ, wobei das erhaltende Moment des Konservatismus wie geschaffen ist, um ihre bestehenden Ansprüche zu untermauern. Der Heilsplan, die Hierarchie und das Lernen aus der Erfahrung (‚keine Experimente‘) passt doch zur rechten Politikauffassung wie der Deckel auf den Topf. Endlich hat man so etwas wie eine Theorie. Dieses Moment hat dann der Neoliberalismus noch verstärkt, als er sich in den 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts durchsetzen konnte. Jetzt war man an einem Punkt, bei dem man auch den Konservatismus nicht mehr als theoretische Grundlage benötigte. Der Neoliberalismus verstand es, den Markt mit allen seinen Verzweigungen als ein Naturereignis darzustellen. Den Heilsplan braucht es nicht mehr, die Natur des Marktes zeigt sich anspruchsloser. Zur Hölle mit der Hierarchie, die Marktideologie regelt das Phänomen scheinbar demokratisch ebenso wie das Lernen – was sie hervor bringt, gilt als gut und richtig und kann angeblich auch durch Erfahrung keinesfalls verbessert werden.

Damit kommen wir zum Schluss. Es war ein weiter Bogen vom Individuum mit seinen unterschiedlichen Haltungen, über das im politischen Sinne linke und rechte Bild des Menschen bis hin zum Neoliberalismus, der meiner Meinung nach das geschafft hat, was zweihundert Jahre rechte Politik nicht geschafft haben: die Verbrüderung oder Homogenisierung der Reichen und Mächtigen. Damit ist der Vision eines universellen Humanismus der Linken ein gefährlicher und gewichtiger Gegner entstanden. Der ist nicht konservativ, wie oft behauptet wird, – der ist nur neoliberal, aber das haben auch die konservativen Kräfte in unserem Lande noch nicht verstanden.

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