Die Feststellung, dass wir erhebliche Preissteigerungen zu verzeichnen haben, ist Tatsache. Ob es sich dabei um ein Phänomen der Inflation oder nur um Kostenüberwälzungen handelt, ist nicht immer eindeutig zu erkennen. Prinzipiell wäre die Unterscheidung nicht so wichtig, wenn nicht mit dem Begriff der Inflation Konnotationen verbunden wären, die bei einer Reihe von Menschen Zukunftsängste auslösen. Da sollte man sich dann fragen, was bezweckt ggfs. der Verwender des Inflations-Begriffs damit?
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Die beobachteten Preissteigerungen haben unterschiedliche Gründe, die nur teilweise mit dem Sachverhalt, den wir mit Inflation bezeichnen, übereinstimmen. Inflation liegt dann vor, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Das ist z.B. auf dem Wohnungsmarkt der Fall, auch auf dem Obst- und Gemüsemarkt. Im Fall der Energiekosten (fossiler Brennstoffe wie Kraftstoff, Öl, Gas) ist das schon komplizierter. Was ist fehlendes Angebot und was ist Überwälzung von Kosten? Wir haben es bei den Energiekosten mit oligopolistischen Strukturen zu tun. Da ist das simple Modell einer Inflation auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage im Rahmen eines Marktes fragwürdig.
Unser Land verfügt nur in geringem Maße (mit Ausnahme der Kohle) über fossile Energieträger. Wir müssen zu einen hohen Prozentsatz die Basis unseres gegenwärtigen Energieverbrauchs aus dem Ausland importieren. Gleichzeitig unternehmen wir erhebliche Anstrengungen, von der Abhängigkeit von Importen freizukommen, indem wir uns verstärkt auf die Produktion von erneuerbaren Energien konzentrieren. Dabei müssen wir uns von der einseitig nationalen Sicht der Zusammenhänge lösen: Als Land versuchen wir uns von den fossilen Energieträgern unabhängig zu machen. Wir sind dabei aus der Sicht der Erdöl- und Erdgasproduzenten höchst fragwürdige Kunden, die mittelfristig, wenn die eingeleiteten Schritte zur erneuerbaren Energie erfolgreich sind, gegen die wirtschaftlichen Interessen dieser Produzenten arbeiten. Wir können nicht erwarten, dass die Produzenten diesen (aus unserer Sicht zweifelsohne sinnvollen) Schritt klaglos hinnehmen. Sie werden auf jede Maßnahme unsererseits mit einer Maßnahme reagieren, die zu mindestens temporär dafür sorgt, dass ihre Interessen gewahrt bleiben. Im Grunde arbeiten wir am ‚Untergang‘ ihres in der Vergangenheit sehr erfolgreichen Geschäftsmodells und wir können nicht erwarten, dass sie das erfreut zur Kenntnis nehmen. Zumal sie oftmals wenig wirtschaftliche Alternativen haben. (Doch das ist ein Kapitel für sich.)
Eine engere Zusammenarbeit der EU-Länder in Fragen der Energiepolitik, so die neuesten Nachrichten, wird von vielen Stellen und manchen Staaten in der EU abgelehnt. Als Begründung wird ein ziemlich ausgeleiertes neoliberales Argument verwendet, man (die Politik) dürfe nicht in den Markt eingreifen! Wo, bitte schön, ist in diesem System der Oligopole so etwas wie ein Markt im klassischen Sinne. Klar, es erfolgt ein Austausch von Energieträgergütern, aber nicht jeder Austausch ist dann gleich ein Markt. Hier herrschen Monopole, Oligopole und Staatswirtschaften, deren Einfluss sich entscheidend nach der Macht der einzelnen Teilsysteme richtet. Wenn man nicht sinnvollere Argumente einzuwenden hat, sollte man sich erst gar nicht zu Wort melden.
Eine Reihe von veröffentlichten Äußerungen versuchen, bei den Preissteigerungen den schwarzen Peter den CO2-Zertifikaten zu zuschieben. Sie seien wesentlich verantwortlich für die Preiserhöhung auf dem Energiesektor. Da dieses System noch mit sehr moderaten Preisen arbeitet und der geplante CO2-Verbrauchsdeckel m.W. noch gar nicht zur Anwendung kommt, ist das ein Versuch, den Zorn der Massen auf dieses von allen Seiten der Wissenschaft unterstützte System zu lenken. Es ist doch nachvollziehbar, dass wir (ohne Verbote) eine Reduzierung der Verwendung von fossiler Energie nur dann erreichen, wenn der diesbezügliche Kostendruck für die Unternehmen steigt. Und es ist absehbar, dass die Unternehmen diesen Kostendruck auf ihre Abnehmer überwälzen. D. h. es muss Preissteigerungen geben, damit das Klimaziel nicht aus den Augen verloren wird.
Die andere Frage ist, was mit dem aus dem Verkauf der Zertifikate eingenommenen Geld geschieht. Es ist m.E. noch immer nicht klar, wo das Geld gesammelt wird. Es ist auch noch nicht klar, für was das angesammelte „Kapital“ Verwendung finden soll und wer bestimmen wird, was mit dem Geld geschieht. Wer kontrolliert das System? Immer dann, wenn sich große Geldmengen kumulieren, sind oft ganz schnell Figuren zur Stelle, die sich an diesen Geldern bereichern oder über die Gelder Einfluss nehmen. Denken sie an die FIFA, denken sie an die Vergabe von millionenschweren Großveranstaltungen, denken sie an die Formel 1 mit Herrn Ecclestone – das Spiel hat schon System. Umso wichtiger ist es, diese Gelder einer strikten Transparenz und Kontrolle zu unterwerfen.
Unser Land steht aufgrund der Veränderungen durch die Klimakrise vor gewaltigen Infrastrukturinvestitionen. Konkret heißt das, das zu dem Rückstau von Infrastrukturmaßnahmen der vergangenen Jahre noch zusätzlich Infrastrukturaufgaben hinzukommen. Und nun denken Sie bitte an die lockere Haltung von Olaf Scholz, dass man aufgrund der klientelpolitischen Zusage der FDP keine Steuererhöhungen machen könne. Angesichts der zunehmenden Zertifikat-Gelder kann ich die entspannte Haltung gut nachvollziehen. Das, was man über Steuern finanzieren wollte (und natürlich auch müsste), wird jetzt über die einlaufenden Gelder aus dem Zertifikatehandel finanziert. Der Topf steht ja zur Verfügung und er wird wachsen, sobald der CO2-Deckel, dessen Anwendung m.E. die EU definiert, gesenkt wird. Es ist sogar zu erwarten, dass dann durch die Verknappung der Zertifikate (insbesondere aufgrund des Deckels) deren Preis deutlich über die gesetzliche Vorgabe hinaus “schwappen“ wird.
Das ist die Finanzierungsseite. Preissteigerungen, wie wir sie gegenwärtig sektorial erleben, treffen auf Menschen, deren Einkommen sich nicht im gleichen Maße erhöhen. Neben der sozialen Unwucht nimmt natürlich auch die Massenkaufkraft durch diese Preissteigerungen ab. Und das wird die Politiker (nach meiner Erfahrung) viel nachhaltiger beschäftigen als die soziale Frage.
Die Lösung könnte darin liegen, dass man einen Teil der Gelder für notwendige Infrastruktur-Investitionen reserviert und den anderen Teil den Bürgern als „Kopfgeld“ oder „Bürgergeld“ in gleichen Beträgen ausbezahlt, damit die Preissteigerungen für die Bürger sozial akzeptabel bleiben und die gegenwärtig verfügbare Massenkaufkraft (vorerst) erhalten bleibt.
Die Vertreterin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, hat die Meinung geäußert, dass die gegenwärtigen Preissteigerungen nur vorübergehend sind. Eine nachvollziehbare Begründung wurde m.W. nicht geliefert. Aus meiner Sicht lässt sich die Auffassung nicht begründen, weil alle klimarelevanten Maßnahmen darauf gerichtet sind, die fossilen Energieträger systematisch zu verteuern, um den notwendigen Druck zu einem Wandel aufzubauen. Diesen Sachverhalt als vorübergehend zu bezeichnen, ist wenig stichhaltig. Man sollte sich aber fragen, warum die EZB eine derartige Aussage macht? Dazu muss man wissen, dass i.d.R. die gängige Maßnahme zur Bekämpfung von Preissteigerungen und insbesondere von Inflation eine Zinserhöhung wäre. Das wird gegenwärtig nicht erwogen, weil nach meinem Verständnis die Verschuldungsgrade der öffentlichen Haushalte in Europa eine Höhe erreicht haben, die bei der Wiedereinführung von Zinsen sofort die Beantragung von Ergänzungshaushalten in den unterschiedlichen Ländern auslösen würde. Die Zinslast müsste aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden und die gegenwärtigen Haushalte sehen nur unbedeutend geringe Zinsaufwendungen vor. Der Handlungsspielraum der öffentlichen Hand in Europa würde durch die Zinserhöhung für die nächsten Jahre stark eingeschränkt werden. Damit wäre der Finanzierungsspielraum für die notwendigen Klimamaßnahmen sehr gering.
Deshalb nochmals zurück zu dem Zertifikatehandel, der bei richtiger Anwendung dem Bund erhebliche Zuflüsse sichern könnte. Der Taschenspieler-Trick dabei ist, dass die Zertikathandelserlöse eben Erlöse sind und keine Steuern, d.h. die klientelbezogene Zusage der FDP kann nach dem Wortlaut von der absehbar neuen Bundesregierung eingehalten werden, weil die Handelserlöse wie eine Verbrauchsteuer wirken, aber definitionsgemäß keine „Steuern“ sind.
Für Steuern wäre es klar, dass sie Gegenstand des Haushalts und damit Gegenstand der parlamentarischen Haushaltskontrolle wären. Da es sich aber um Erlöse handelt, ist mir nicht klar, wo und wie die Gelder letztlich verwaltet werden. Ich kenne kein Gesetz, das den Umgang mit Zertifikatserlöse regelt. Hier braucht es noch viel zusätzlicher Transparenz und ggfs. Kontrolle.
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