Das Umweltinstitut München e.V. hat zusammen mit dem Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft e.V. an einer Studie teilgenommen, bei der in ganz Deutschland Messpunkte aufgestellt wurden, die über Filter Schadstoffe aus der Luft sammelten. Dabei stellte sich heraus, dass sich in den Filtern neben PCB (ein „altes“ Industriegift) eine große Zahl von alten, neuen und nicht zugelassenen Ackergiften als Schadstoffe finden lassen (Bericht vom 06. Oktober 2020). Die ARD hat im Rahmen der Sendung Fakt am Montag, den 23. November 2020, in einem Feature darüber berichtet.
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Die breite Öffentlichkeit und damit vermutlich auch Fakt wurde erst auf diese bahnbrechende Untersuchung aufmerksam, als sich Bayer CropScience Deutschland GmbH, vertreten durch seinen Geschäftsführer Peter R. Müller, in einem Offenen Brief an das Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft e.V. wandte und versuchte, die Ergebnisse klein zu reden (zu relativieren), verbunden mit dem Vorwurf, die Bevölkerung (unbegründet) zu ängstigen:
Sein Ansatz zur Verteidigung ist vom Grunde her falsch und irreführend. Herr Müller vergleicht Grenzwerte, (die nur dann gelten, wenn das Gift mit der Nahrung aufgenommen wird,) mit den in den Filtern gefundenen Giftwerten, die wir über die Atmung (über die Lunge) dem Körper zuführen. Das ist ein riesiger Unterschied. Für die Aufnahme von Giften über die Nahrung hat der Körper mit der Leber ein Organ, das dafür sorgt, dass das Gift in Teilen oder in Gänze den Körper wieder verlassen kann. Bei der Aufnahme des Giftes über die Luft (durch die Lunge) kennt der menschliche (und tierische) Körper keine vergleichbaren Mechanismen.
Ein schwacher Trost ist die Möglichkeit des Abhustens. Dazu müssen die eingeatmeten Partikel ganz schön groß sein und der Betroffene darf kein Raucher sein. Der ist schlimmeres gewöhnt und reagiert vermutlich überhaupt nicht. Da eine systematische Reinigung organisch nicht vorgesehen ist, kann man davon ausgehen, dass sich das Gift über die Zeit in der Lunge anreichert. M. a. W., die festgestellte Filtermenge wird sich in der Lunge möglicherweise kumulieren. Eine Obergrenze für diese Form der Beeinträchtigung existiert nicht, weil das Bundesinstitut für Risikobewertung immer davon ausgegangen ist, dass der Giftstoff lokal fixiert sei. Die Vorstellung, dass das Gift im Rahmen des Feinstaubes über die Luft verbreitet werden könnte, war dem Institut bislang nicht zu vermitteln.
Die Diskussion, die man im Wesentlichen auf der Website des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (https://www.enkeltauglich.bio) nachlesen kann, bewegt sich nur auf der Ebene der betroffenen Menschen und ist hochgradig anthropozentriert.
Wenn wir davon ausgehen, dass die für unsere Landwirtschaft so wichtigen Insekten den gleichen Einflüssen ausgesetzt sind, ebenfalls ein Organ für den Luftaustausch besitzen (man spricht da wohl von Tracheen), dann wird es schon heikel. Die Größe und das Gewicht einzelner Insekten dürften deutlich mehr durch die giftgetränkten Feinstäube beeinflussbar sein als die menschliche Lunge. Wenn wir bei dieser Gelegenheit feststellen, dass unsere Artenvielfalt im Bereich der Insekten dramatisch abgenommen hat, sollten wir im Auge behalten, dass das nicht nur eine Folge der gezielten lokalen Vernichtung von Insekten in der Landwirtschaft, sondern auch eine Folge der Gift-Einbringung im Rahmen der Luftverschmutzung sein könnte.
Die Bienenvölker vieler Regionen gelten durch die Varroamilbe stark im Bestand gefährdet. Viele Erkrankungen sind eine Folge von multifaktoriellen Einflüssen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Varroamilbe deshalb so erfolgreich wütet, weil die Bienenvölker durch die im Feinstaub übertragenen Ackergifte schon vorgeschädigt sind. Wenn wir bei Corona die Vorschädigungen als Grund für die hohe Todesrate ins Feld führen, sollte das nicht auch für Insekten gelten können?
Die Diskussion heizt sich deshalb wieder auf, weil im Rahmen der EU die Weiterverwendung von Glyphosat zur Diskussion steht. Frau Julia Klöckner (Landwirtschaftsministerin, CDU) macht sich die Haltung des Deutschen Bauernverbandes zu Eigen. Der hält Glyphosat für unverzichtbar, ebenfalls wie die Lobbyisten der Agrochemie. Sie beschwören dramatisch den Untergang der (intensiven) Landwirtschaft und das Ende der Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Starke Worte, wenn man sich den Offenen Brief von Herrn Müller anschaut mit dem Vorwurf, mit den Erkenntnissen der neuen Studie ängstige man die Konsumenten.
Maja Göpel hat einmal ausgeführt, dass die durch Glyphosat gefährdeten Insekten jährlich mit einen Beitrag von ca. 150 Milliarden Euro zum Erfolg der Landwirtschaft beitragen, der entfallen würde, wenn die (intensive) Landwirtschaft es schaffen würde, die vielen bestäubenden Insekten auszurotten. Dann müssten wir selber mit Pinseln bewaffnet über die Felder streifen und die Bestäubungsarbeit leisten, die uns die Insekten jedes Jahr von neuem einfach „schenken“ würden (ohne Bezahlung, einfach so und ohne Subvention)!
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