Wer sich mit der Klimakrise beschäftigt, kommt an der Frage nicht vorbei: Wie kann es gelingen, eine saturierte, alternde und relativ vermögende Gesellschaft im Rahmen einer demokratischen Verfassung zu überzeugen, einen grundsätzlich notwendigen Paradigmenwechsel zu akzeptieren? Maja Göpel hat sich dieser Aufgabe gestellt und hat nach begründbaren Antworten gesucht und ich finde, ihr Buch „The Great Mindshift“ (2016) stellt hierzu eine beachtliche Reihe von bemerkenswerten Gedanken zur Verfügung.
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Nun bin ich kein Wissenschaftler und muss feststellen, dass dieser Vorgang in seinen Details ungeheuer komplex oder besser kompliziert erscheint, weil ich in die Vernunft in unserer Weltgesellschaft wenig Vertrauen habe. Und es braucht nicht nur Vernunft, es braucht auch ein hohes Maß an Einsichtsfähigkeit in die Zusammenhänge.
Als pragmatisch denkender Mensch habe ich mich nach Beispielen aus der unmittelbaren Vergangenheit umgeschaut. Die Klimakrise fällt ja auch nicht vom Himmel. Dabei fielen mir Aussagen über unseren wohl größten Gegenspieler, den 1992 verstorbenen Neoliberalen F. A. von Hayek ein, die aus den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts stammen. Von Hayek war m.E. die treibende Kraft, die hinter den bescheidenen Anfängen der Mont Pelérin-Gesellschaft stand. Von Hayek soll seinen damaligen ausgemachten Gegner, die sozialistische Bewegung, detailliert strategisch (weniger inhaltlich) analysiert haben, um sicher zu stellen, dass der Mont-Pelérin – Gesellschaft bei dem geplanten kick-off eines Gedankenkomplexes zur politischen Ökonomie (der unter dem Namen des Neoliberalismus firmiert) nicht die gleichen politischen Fehler unterlaufen.
Auch von Hayek hatte das Problem, wie er es schaffen könnte, dass die neoliberale Idee Eingang in die Köpfe der Handelnden findet. Auch ihm war klar, dass es ihm und seinen Mitstreitern gelingen musste, die Eliten in den westlichen Ländern für seine Ideen zu begeistern. Neben einer regen Vortragstätigkeit hat die Mont-Pelérin Gesellschaft versucht, in den Ländern der westlichen Welt wissenschaftliche Institute für ihre Idee von Wirtschaftspolitik zu gewinnen. Der Institutsbegriff ist dabei etwas unter die Räder gekommen, viele der Institute waren letztlich Propaganda-Einrichtungen, sogenannte „Think-tanks“, die von finanzstarken Anhängern der Idee finanziert wurden. Mir ist erinnerlich, dass am Ende weltweit über fünfhundert solcher Institute existierten. Das ist ein geballter intellektueller Machtapparat!
Der Durchbruch gelang für mein Verständnis als Ronald Reagan in USA und Margret Thatcher in UK dieser politisch-ökonomische Ideologie ihren Segen erteilten. Spätestens ab diesem Zeitpunkt galt der Neoliberalismus als etabliert. Das war m.E. in der 1970iger Jahren, also vor rund 50 Jahren.
Diese Entwicklung erklärt aber nicht, warum die viele Politiker und Wirtschaftslenker dieser Ideologie wie dem Rattenfänger von Hameln hinterherliefen. Der Neoliberalismus hat es offensichtlich verstanden, die Ökonomie aus ihrem selbstverschuldeten Elfenbeinturm zu befreien. Der Neoliberalismus pflegt sein Narrativ mit einfachen und einprägsamen Bildern, die so geschaffen sind, dass sie dem uninformierten, aber staunenden Publikum eine ‚schöne, neue Welt‘ des unendlichen Wachstums, der Nutzen – bzw. Gewinnmaximierung für einige wenige und den Wettbewerb als angeblichen Innovator vermitteln konnten. Nun, die Idee des unendlichen Wachstums ist „gestorben“, die Mär, dass die Gewinnmaximierung über ‚Trickle-down‘ allen Wohlstand bringt, glaubt niemand mehr und der Wettbewerb wirkt eher als ein Mittel zur Arbeitsdisziplinierung der Massen, denn als Motor der Innovation.
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, gibt es u.a. das „geschönte“ Bild (mit Sonnenuntergang) und dem Narrativ: „Wenn die Flut kommt, hebt sie alle Boote“. Klingt begeisternd und sagt nichts über die unterschiedliche Größe der Boote, die je nach Höhe der Flutwelle ggfs. sogar in Schwierigkeiten kommen können. Das Bild suggeriert, dass die Flut „die Fischer aufs Meer“ fahren lässt, aber es unterschlägt schlicht die Tatsache, dass das Meer kaum mehr Fische aufweist. Und um im Bild zu bleiben: das Narrativ erwähnt auch nicht, dass derjenige, der kein Boot besitzt, an der ‚Hebung‘ nicht partizipieren kann.
Es ist im täglichen Leben erkennbar, dass in der Verfolgung dieses Gedankenmodells der politische Einfluss der Wirtschaft überproportional wuchs und der der Politik ständig sank. Der Grund liegt u.a. darin, dass die Ökonomie der liberalen Demokratie strikt auf einem Nutzenkalkül aufbaut (Utilitarismus) und den Eindruck erweckt wird, alle politischen Auseinandersetzungen wären nur eine Frage der Optimierung einer alternativlosen Gesamtsituation.
Der Neoliberalismus hat sich strategisch so positioniert, dass ein klassisches Modell übernommen wurde und dieses Modell wurde hammerartig, ohne auf theoretische Einwendungen zu achten, auf wenige Kernaussagen reduziert. Man hat diese dann politisch geschickt verkauft und ist vor das staunende Publikum getreten, um das goldene Zeitalter, das „Ende der Geschichte“, auszurufen. Der Ansatz lief ein stückweit recht erfolgreich bis die externalisierten Kosten für den Verbrauch unserer Lebensgrundlage und durch den Mangel an sozialem Ausgleich für jeden, der sehen will, den möglichen Ertrag weit überstiegen. Man kann zu dem Schluss kommen, dass die Idee an ihrer Produktion externalisierten Kosten implodiert.
Ein Paradigmenwechsel, d.h. das bewusste und gesteuerte Auswechseln des herrschenden Weltbildes, das weitgehend durch den vom Neoliberalismus geprägten Denk- und Handlungsansatz geformt wurde, hat seine Tücken. Die Ökonomisierung versprach beim „richtigen“ Einsatz von schlechten menschlichen Eigenschaften wie Egoismus, asozialem Verhalten, Ausgrenzung, Gier, Selbstüberschätzung, Begrenzung des Ziels auf den rein materiellen Nutzen und damit auf das Geld, harten Wettbewerb als eine verdeckte Form der Aggressivität, u.a.m. ein goldenes, aber vielleicht auch inhumanes Zeitalter. Keynes hat diese Entwicklung seiner Zeit sinngemäß mit der Frage verknüpft, „warum widerwärtige Menschen, die aus widerwärtigen Motiven handeln, die beste aller Gesellschaften schaffen sollten“?
Nun diskutieren die Menschen seit 1972 den Klimawandel, der sich inzwischen zu einer Klimakrise entwickelt hat und im Zustand des Diskutierens verharren wir noch heute. Maja Göpel hat sich dieser Situation in ihrem Buch „The Great Mindshift“ (2016) der strategischen Frage angenommen, wie dieser Wechsel des Weltbildes eingeleitet werden kann. Auch dieses Buch ist schon wieder 5 Jahre alt und hat an seiner Aktualität nichts eingebüßt. Aber dieses Buch, das wissenschaftlichen Standards gerecht wird, zeigt dem Leser einerseits wie filigran und vielschichtig die Zusammenhänge sind und andererseits wirft das Buch für den praktisch denkenden Leser die Frage auf, wie können wir das umsetzen? Gemessen an dem Vorgehen des Neoliberalismus seit den 1950iger Jahren (Gründung der Mont-Pelérin-Society) fehlt heute der politisch-ökonomische Figurenkreis, der die seit 1972 erkannten und notwendigen Strategien so herunterbricht, dass man damit vor das ‚staunende Publikum‘ mit einer zündenden Zusage zur nachhaltigen Entwicklung treten könnte. Selbst wenn es gelänge, diese Aussage zu formulieren, wäre sie angesichts der durch den Neuliberalismus „gezüchteten“ (R. D. Precht) und oftmals internalisierten Denk- und Verhaltensweisen der Menschen erfolgreich? Wäre es denkbar und machbar, dass diese Strategie genau jene Menschen anspricht, die Aristoteles als jene identifiziert, die nicht den Idealen der „Kaufmannsseele“ folgen. Meine These lautet, dass die ‚Kaufmannsseelen‘ bei genauerer Betrachtung zwar ökonomisch erfolgreich, aber zahlenmäßig in der Minderheit sind. Die durch den Gedanken des Wettbewerbs geprägte, aggressive Denk- und Handlungsweise der Minderheit lässt die Mehrheit der Menschen nur nicht zu Wort kommen.
Der Neoliberalismus hat versucht, soviel wie möglich zu deregulieren, hat aber gleichzeitig Institutionen geschaffen, die es Politik und Wirtschaft möglich machen, Verantwortung oder besser Verantwortlichkeit und politischen Druck auf diese neu geschaffenen Institutionen zu übertragen. Ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt hierbei ist der Markt, der im Grunde nur ein Mechanismus ist, aber den die Politik geschickt einsetzt, um schwierige und gewissermaßen politisch unangenehme Entscheidung nicht treffen zu müssen. Die Entscheidung überlässt man dem anonymen Markt. Und die Politik und die Wirtschaft können sich auf die Regelung herausreden, dass das nicht zu ändern sei, es sei eben alternativlos der „göttliche Markt“. Wenn wir wieder unser Schicksal angesichts der fehlenden Nachhaltigkeit in unsere eigenen Hände nehmen wollen, müssen solche Ausreden, die seit über zwanzig Jahren die Politik beherrschen, als solche erkannt und auch thematisiert werden. Und das muss so thematisiert werden, dass es eine Mehrheit versteht und als richtig und angemessen anerkennt.
Hier liegt ein großer Unterschied zwischen Ökologie und Ökonomie, insbesondere wenn sich letztere als alternativlos darstellt. Die Ökonomie hatte sich in eine Position gebracht, in der sie ungeniert von den „Gesetzen der Ökonomie“ sprechen konnte, ohne dass gewichtige Kreise aufgemuckt und dieses Ansinnen zurückgewiesen hätten. Ökonomie ist ein soziales Konstrukt und es gibt dort keine „Gesetze“, die nicht von Menschen gemacht und deshalb beeinflusst werden können. Der Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ist in dem kapitalistischen Ökonomie-Ansatz nicht vorgesehen. Die Realisierung der Nachhaltigkeit wird uns durch die teilweise selbst geschaffene Krisenentwicklung aufgedrängt und wir stehen vor der Aufgabe, wie im ökonomischen Denken sinnvoll Nachhaltigkeit verankert werden kann. Maja Göpel vermittelt die Erkenntnis, dass das möglich und wünschenswert ist. Das Problem beginnt aber im Kopf – wir müssen das alte, überholte, mittelfristig nicht mehr haltbare Weltbild durch ein anderes, moderneres ersetzen. Der Weg dorthin ist mit einer Vielzahl von neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen gepflastert, was aber m.E. fehlt, ist ein Narrativ, dem es gelingt, diese Erkenntnisse einer Mehrzahl von Menschen als „das Huhn“ zu präsentieren, „das nachhaltige Eier legt“. Und auch noch erstrebenswert ist. „Golden“ müssen die „nachhaltigen Eier“ nicht sein, aber das gilt es zu vermitteln. Das ist die Umwertung aller Werte. Die ‚neuen‘ Werte existieren schon; sie existieren vielfach schon seit Jahrhunderten, aber die falschen und nicht nachhaltigen Werte dominieren immer noch die gegenwärtige Arena. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir die Umwertung realisieren, ich bin mir aber nicht sicher, ob uns die Zeit bleibt, hier geordnet den „Mindshift“ umzusetzen.
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