Ökonomie und Resilienz

Man kann der gegenwärtig praktizierten Wirtschaftswissenschaft nur schwer die Kompetenz absprechen. Dazu tritt sie zu dominant auf und ist im täglichen Leben allgegenwärtig. Aber man kann der Orthodoxie die Fähigkeit absprechen, sinnvoll einer grundlegend neuen Situation mit neuen Methoden bzw. mit wirtschaftlich neuen Strategien zu begegnen bzw. sie zu unterstützen.

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Unsere Wirtschaftswissenschaften sind auf das Gedankenmodell des Kapitalismus ideologisch fixiert. Sie hat die Tatsache, dass das Hauptziel des menschlichen Wirtschaftens in der Versorgung der Bevölkerung liegen könnte, komplett an den Rand geschoben. Stattdessen wurde der „Raubzug“ (die individuelle Bereicherung) zum globalen Ziel. Und es ist dafür gesorgt, dass dieses Ziel nur eine Minderheit der Teilnehmer auf Kosten der Mehrheit und insbesondere auf Kosten unserer Lebensgrundlage (der Biosphäre) auch wirklich erreicht.

Zu meiner Jugendzeit gab es noch den real existierenden Sozialismus oder auch Kommunismus. Der Kapitalismus hatte sich verständlicherweise dagegen klar abzugrenzen. Der ideologische Druck auf den Kapitalismus war groß und die Antwort des Kapitalismus war, wie nicht anders zu erwarten, hochgradig ideologisch. Nachdem die sozialistischen und kommunistischen Ansätze als nicht realisierbar aufgegeben werden mussten, hat der Kapitalismus seine ideologische Haltung aber konsequent beibehalten. Es ließ sich recht gut damit leben und im Zweifelsfall standen einfache und schlichte Argumente zur Verfügung, um die kapitalistische Position zu verteidigen. Und die wirklichen Gewinner in diesem Spiel sind nicht notwendig viele, aber sie sind einflussreich und sorgen dafür, dass unter dem Gesichtspunkt der Bestandssicherung Änderungen nur in geringem Umfang eintreten.

Inzwischen verfügen wir über breitere Erkenntnisse. Die kapitalistische Wirtschaftsweise wird als effizient verstanden, aber sie produziert dabei laufend sogenannte externe Effekte oder auch „Externalitäten“, die im Einzelfall vernachlässigbar erscheinen, aber über die Jahrzehnte und in Summe „Kollateralschäden“ verursacht haben, die uns heute summarisch als „Klimakrise“ beglücken. Wir stehen vor der Frage, wie wir in Zukunft wirtschaften sollen, um die angesprochenen Kollateralschäden zu vermeiden oder doch in Summe drastisch zu verringern?

Das ist aber eine Frage, die man einer stark ideologisch geprägten Wirtschaftslehre nicht stellen kann. Die Ideologie ist der Auffassung, dass Wirtschaften nur im Rahmen der von ihr vertretenen Perspektive möglich ist. Etwas anderes zu denken ist „des Teufels“. Sie können dem Papst auch nicht den Vorwurf machen, dass er die Welt ausschließlich durch die katholische Brille sieht.

Das Problem dieser ideologischen Haltung liegt darin, dass bis auf ein kleines Häuflein von Ökonomen die orthodoxe Lehre sich überhaupt keine Gedanken macht oder gemacht hat, wie man denn auf den Fall reagieren könnte und müsste, wenn sich die herrschende Auffassung als unzureichend, falsch, oder gar schädlich erweisen könnte.

Unser gegenwärtiges Wirtschaftsdenken ist auf die kurzfristige Unmittelbarkeit beschränkt. Manche indigenen Völker (und auch in unserer eigenen Geschichte) beziehen bei Entscheidungen die absehbaren Handlungskonsequenzen für mehrere Generationen ein. Wir meinen, mit dem schmalen Bild von Angebot und Nachfrage seien regelmäßig alle wichtigen handlungsleitenden Parameter erfasst. Alles andere gilt als vernachlässigbare Externalität.

Die Ökonomie spricht gerne von ihren Erkenntnissen als quasi „physikalische Gesetze“, und geht bevorzugt davon aus, dass sie ewig gelten werden. Die Ökonomie macht dabei aber den Kardinalfehler, dass sie sich auf ein mechanistisches Weltbild aus der Zeit Newtons (1642 – 1726) beruft. Dieser mechanistische Ansatz eignet sich nicht oder nur sehr eingeschränkt, um die komplexen sozialen Prozesse des gegenwärtigen Wirtschaftens hinreichend zu beschreiben oder gar zu verstehen.

Man könnte nun meinen, es wäre doch ein einfaches, die externen Effekte beim wirtschaftlichen Handeln künftig zu berücksichtigen. Der Begriff der externen Effekte ist ein Sammelbegriff für alles, was die Wirtschaftswissenschaften in ihren Betrachtungen bevorzugt als irrelevant ausschließen. Dazu zählen teilweise auch die Erkenntnisse anderer Wissenschaftszweige wie Psychologie, Soziologie, Physik und politische Wissenschaften. Dahinter verbirgt sich ein ganzer Kosmos der verschiedensten Aktivitäten und Zusammenhängen. Man könnte auch sagen, die Wahrnehmung der Externalitäten könnte einen Untersuchungsfeld eröffnen, das die Wirtschaftswissenschaft gegenwärtig weder kennt noch beschreiben kann, schweige denn Vorschläge entwickeln könnte, wie künftig damit umgegangen werden soll.

In lockeren Gesprächen wird oft der Vorschlag gemacht: gebt den Externalitäten einfach Preise, dann gewinnen sie im ökonomischen Sinne Entscheidungsrelevanz. So einfach ist das nicht. Der als Externalität erfasste Sachverhalt taucht ja in dem Begriffsapparat der Wirtschaftswissenschaften nicht mehr auf. Der Begriff der Externalität ist wie ein großer Papierkorb zu verstehen, in den „Überflüssiges“ entsorgt wird. Man kann im Rahmen der Ökonomie einen Preis nur festlegen, wenn der bezeichnete Gegenstand ein Wirtschaftsgut darstellt, das nach herrschender Meinung auf einem Markt Abnehmer findet. Das ist durch die Klassifizierung als Externalität aber ausgeschlossen.

Ob die Externalitäten Wirtschaftsgüter sein können, entscheidet sich auch an der Frage der Eigenständigkeit. Externalitäten sind oft Eigenschaften eines Wirtschaftsgutes oder eine Prozesses, die im Einzelfall als vernachlässigbar angesehen, aber in der Masse dann relevant werden kann. Für die Masse ist aber nach herrschender Auffassung niemand mehr verantwortlich zu machen, weil jeder Einzelfall (möglicherweise zu Recht) als irrelevant angesehen wurde. Hieraus kann man in etwa erkennen, dass eine Veränderung der relevanten Wirtschaftssituation nicht oder nur schwer durch Reparaturen am Begriffsapparat der orthodoxen Wirtschaftslehre erfasst werden kann.

Noch schwieriger wird es, wenn man davon ausgeht, dass die strikte Wachstumsorientierung unseres Wirtschaftssystems künftig mit ziemlicher Sicherheit ein Auslaufmodell sein wird. Oft wird lapidar vorgetragen, dass Wohlstand die neue Orientierung sei. Wachstum ist ein einfacher Quotient, der aus dem Bruttoinlandsprodukt gewonnen wird. Wohlstand ist ein deutlich komplexerer Sachverhalt, dessen Bestimmung je nach Verfahren i.d.R. eine ganze Reihe von unterschiedlichen Sachverhalten kombiniert, die sowohl quantitative als auch qualitative Kenngrößen umfassen.

Die Aufhebung des simplen und direkten Zusammenhangs von Wirtschaften und Wachstum könnte auch damit beginnen, dass man das mit dem Wachstum eng verbundene Kurzfristigkeitsdenken durch neue Regeln aufzubrechen versucht. Dieser Vorgänge lösen aber zwangsläufig eine Entwicklung aus, die die Verteilung von Gewinnern und Verlieren des Prozesses neu mischt.

Für die Produkte werden künftig z. B. gesetzlich Mindestlebenserwartungen definiert, wird Reparaturfähigkeit gefordert und eine Produkteigenschaft erwartet, die das einfaches Recyceln der eingesetzten Materialien sicherstellt. Bei Investitionen ist zu bestimmen, dass Erhaltung und Sanierung Priorität vor Neuanschaffung erhält. Dem Neubau wird auferlegt, so zu bauen, dass das Produkt eine lange Lebensdauer aufweist und mit einfachen Mitteln erhalten, an neue Verwendungen angepasst bzw. saniert werden kann. Zur Durchsetzung muss das Gesetz den Nutzern bzw. der Aufsicht die Möglichkeit bieten, die Beachtung die neue Regeln auf dem Rechtsweg durchzusetzen.

Durch die konkrete Unterbindung einer ständigen Kurzfristorientierung unserer gegenwärtigen Wirtschaftsaktivitäten werden wir feststellen können, dass unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem ein riesiges System systematischer Verschwendung darstellt. Wir sind zwar effizient im Kleinen, aber durch unsere Orientierung an der Kurzfristigkeit dürfen die Güter, die wir produzieren, nicht zu lange halten, weil jeder dadurch veranlasste Neuverkauf die „Kiste am Brummen“ hält – zu Lasten unserer Lebensgrundlagen und unserer Mitwelt.

Die Wirtschaftswissenschaften gehen von einem ewigen Wachstum aus. Die Formel, die das Wachstum beschreibt, ist dabei so gestaltet, dass das Wachstum nicht nur in der Erwartung des Ewigen steht, sondern auch aufgrund der formalen Erfassung als Exponentialgleichung irgendwann mathematisch „explodiert“. Das hat aber bisher offensichtlich noch die wenigsten Wirtschaftswissenschaftler so richtig interessiert. Ähnlich geht es mit dem Ressourcenverbrauch, der natürlich für einzelne Ressourcen als begrenzt erkannt wird. Als Entlastung kommt dann schnell der Begriff der Substituierbarkeit ins Spiel . d.h. die knappe (und damit eventuell teure) Ressource wird dann durch eine andere ersetzt. Von der grundsätzlichen Möglichkeit der Endlichkeit der Ressourcen spricht die Ökonomie gewöhnlich nicht.

Die Thermodynamik der modernen Physik kann darstellen, dass alle Prozesse in der Natur irreversibel ablaufen, d.h. wenn ein Gleichgewichtszustand (und der spielt in den Wirtschaftswissenschaften eine beachtliche Rolle) durch laufende Prozesse verlassen wird, ist der alte Gleichgewichtszustand nicht mehr wiederherzustellen. Eventuell ist ein neues Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau darstellbar. Wenn wir Steinkohle verheizen, entsteht im Wesentlichen Energie, Staub und CO2. Der Prozess ist aber nur in dieser Richtung durchführbar (also irreversibel). Wir kennen das von den sogenannten Kipp-Punkten, deren Überschreitung ein Zurück zum Ausgangspunkt verbauen.

Aus Energie, Staub und CO2 sind wir nicht in der Lage, wieder Kohle herzustellen. Das klingt lächerlich, aber die auf der Mechanik aufbauende Theorie der Wirtschaftswissenschaften kann so etwas postulieren. Sie werden aber hoffentlich keinen ernstzunehmenden Vertreter finden, der diese Vorstellungen für die Praxis behauptet.

Die Irreversibilität der natürlichen Prozesse führt dazu, dass jeder dieser Prozesse einen Beitrag zur Entropie leistet. Dabei beschreibt Entropie ein Maß für die Umwandlung von Ressourcen in Energie. Die Energie ist nicht mehr auflösbar oder rückführbar. Je mehr wir Ressourcen extrahieren, desto mehr Energie setzen wir frei. Die „Entropiezeche“1 zahlen wir dadurch, dass die Energie nach unserem Gebrauch zwar in der Welt ist, aber für uns künftig nicht mehr nutzbar ist. Diese hier grob umrissenen Gedanken aus der Physik nimmt die Wirtschaftswissenschaft i.d.R. gar nicht zur Kenntnis.

Wenn wir also viele dieser angesprochenen Gesichtspunkte (es gibt noch viel mehr) realisieren, werden wir – oft automatisch, weil die Zusammenhänge sich dann ändern, eine ganz beachtliche Veränderung unseres Wirtschaftssystems auslösen.

Rifkin2 identifiziert die handlungsleitende Effizienz als kritischen „Dreh- und Angelpunkt“ unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Aus meiner Sicht muss zur Effizienz noch die Gewinnmaximierung als Ausdruck der inhärenten Gier hinzugefügt werden, um den Gedanken einer effizienten Handlungsweise ins Schädliche zu übertreiben und damit unser System hinsichtlich seiner Anpassungsfähigkeit (Resilienz) nachhaltig zu schwächen.

„Der Übergang von der Effizienz zur Anpassungsfähigkeit geht mit umfassenden Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft einher,

  • etwa der Verschiebung von Produktivität zu Erneuerbarkeit, (als nachhaltiges Kriterium)
  • von Wachstum zu Wohlstand, (von einem engen Konzept zu einer Form der Vielfalt)
  • von Eigentum zu Zugang, (nicht der Besitz zählt, sondern die Nutzungsmöglichkeit)
  • von Märkten mit Käufern und Verkäufern zu Netzwerken mit Anbietern und Nutzern, (das schlichte Denken in Angebot und Nachfrage weicht einer komplexeren Kommunikation)
  • von linearen Prozessen zu kybernetischen Prozessen, (von simplen zu komplexen Systemen)
  • von vertikaler zu lateraler Integration, von zentralisierten zu dezentralen Wertschöpfungsketten, (von der Hierarchie zum Netzwerk)
  • von Unternehmenskonglomeraten zu agilen hoch technisierten kleinen und mittelgroßen Genossenschaften, verlinkt in variablen Gemeingütern,
  • vom geistigen Eigentum zu Open Source (kostenfreie Gemeingüter)
  • von Nullsummenspielen zu Netzwerkeffekten, (von Gewinnern u. Verlierern zu breiterer Teilhabe)
  • von der Globalisierung zur Glokalisierung, (von der Anonymität zur Regionalität mit deutlich begrenzten globalen Bezügen)
  • vom Konsumismus zu Ökosystemdienstleistungen, (‚Shoppen‘ ist dann keine Freizeitbeschäftigung mehr)
  • vom Bruttoinlandsprodukt zu Indikatoren der Lebensqualität, (siehe Wachstum vs. Wohlstand)
  • von negativen externen Effekten zur Kreislaufwirtschaft, (Müll ist keine Lösung)
  • von der Geopolitik zur Biosphärenpolitik.“3 (Erhaltung der Biosphäre als Lebensgrundlage)

Es geht nicht darum, Verhaltensweisen zu diskreditieren, es geht darum, festzustellen, dass bestehende und verbreitete Verhaltensweisen keinen Beitrag zur Problemlösung mehr darstellen. Insofern werden wir an einer Transformation unseres Gesellschafts- und Wirtschaftsleben nicht vorbeikommen. Je früher wir das verstehen, desto erträglicher werden die Konsequenzen sein.

„Früher dachte ich, die größten Umweltprobleme seien der Verlust der biologischen Vielfalt, der Zusammenbruch der Ökosysteme und der Klimawandel. Ich dachte, mit 30 Jahren guter Wissenschaft wären wir in der Lage, diese Probleme zu adressieren. Aber ich habe mich geirrt. Die größten Umweltprobleme sind Egoismus, Gier und Apathie … und um diese Probleme zu lösen, brauchen wir einen geistigen und kulturellen Wandel.“4

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1Diesen Begriff habe ich bei J. Rifkin (Das Zeitalter der Resilienz, 2022) erstmals gefunden.

2Rifkin, Jeremy, Das Zeitalter der Resilienz, 2022

3Jeremy Rifkin, 2022, S. 12 (In Klammern habe ich versucht, minimale Erläuterungen zu geben)4

4Gus Speth, in: Duncan Austin, “The Towering Problem of Externality-Denying Capitalism”, real-world economics review, issue no. 102, 18. December 2022, pp. 30-54, (eigene Übersetzung)

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