Zum Grundeinkommen haben sich jüngst Kardinal R. Marx und der Redakteur der SZ Ulrich Schäfer in der SZ (20. und 21.11.2017) geäußert. Das erfreuliche daran ist, dass das Problem Industrie 4.0 oder die Digitalisierung mal eine Plattform gefunden hat, die nicht nur von Ökonomen beherrscht wird.
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Die Kernaussage von R. Marx lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen: „Wer meint, man könne eine Gesellschaft aufbauen, indem man einen großen Teil mit dem Grundeinkommen versorgt und ansonsten die Unterhaltungsindustrie auf sie loslässt, liegt meiner Ansicht nach falsch. Denn Arbeit ist nicht irgendetwas, sondern die Arbeit gehört auch zur Grundkonstitution des Menschseins.“ In einer weiteren Aussage sieht er durch die angestrebte ‚Ruhigstellung der Betroffenen‘ „das Ende der Demokratie“ eingeleitet. Marx folgt hier der Katholischen Soziallehre und deren Leitbild vom arbeitenden Menschen. Dieses Bild stammt nach meinem Verständnis aus der Bibel (im Schweiße Deines Angesichts … usw.) und ist dadurch über die Jahrhunderte Teil unserer Kultur geworden.
Die alten Griechen (aus der vorchristlichen Zeit) haben sich bzw. den Menschen nicht über Arbeit definiert. Das Bild des arbeitenden Menschen muss deshalb auch nicht für alle Zukunft gelten. Und wenn wir uns über Aspekte der Zukunft unterhalten, sollten wir nicht mit Mustern argumentieren, die sicher die letzten 2000 Jahre die Welt bestimmt haben, aber deshalb nicht automatisch die Zukunft bestimmen können.
Das Grundeinkommen ist in meinen Augen eine Metapher eines Lösungsansatzes auf die absehbaren Herausforderungen, denen die Gesellschaft gegenüberstehen wird. Metapher deshalb, weil es nur einen Lösungsansatz beschreibt, der eine Antwort auf die absehbaren Veränderungen darstellt. Ich bin mir nicht sicher, ob R. Marx sich der Tragweite einerseits und der Wirksamkeit der neoliberalen Ideologie andererseits klar ist. Das Problem ist nicht die Digitalisierung als solche, das Problem ist die erwartete Umsetzung der Digitalisierung in einem neoliberalen Umfeld, dessen Menschenbild aber so gar nichts mit dem Menschenbild der Katholischen Soziallehre gemein hat.
Der Neoliberalismus ist ausschließlich auf die Bedürfnisse von Menschen zugeschnitten, die dem neoliberalen Begriff von ‚Elite‘ entsprechen. Und das ist ein kleiner, aber vermögender, möglicherweise hochvernetzter Kreis. Das Fatale ist, dass viele Mitmenschen, die sich gemeinhin als Mittelstand verstehen, sich in ihrem Selbstbildnis gern als Teil dieser ‚Elite‘ verstehen. Die neoliberale ‚Elite‘ lässt diese Mittelstandsgruppe gerne in ihrem Irrglauben. Aus der Sicht der neoliberalen ‚Elite‘ sind alle anderen Teilnehmer in dem großen Hayekschen Gesellschaftsspiel ‚Ignoranten‘ (ignorants) und sie gelten als ‚irrelevant‘. Die Aufgabe der Ignoranten ist es, den demokratischen Anstrich des Gesellschaftsspieles aufrecht zu erhalten. Sie werden nach der alten römischen Regel „Brot und Spiele“ heute der Unterhaltungsindustrie überlassen.
In dieser menschenunwürdigen Klassifizierung haben die Irrelevanten für den Neoliberalismus eine weitere und wichtige Funktion. Es geht um den Konsum. Die Irrelevanten repräsentieren das Masseneinkommen der Konsumenten, die über Werbung und Marketing Tag ein Tag aus manipuliert werden, damit das, was die Wirtschaft bereitstellt, auch konsumiert wird. Und hier beginnt nun das Grundeinkommen ökonomisch relevant zu werden: Wenn die Digitalisierung im großen Stil Menschen aus ihren Arbeitsverhältnissen entlässt, verliert das kapitalistische System rapide an Kaufkraft und droht zusammenzubrechen. Die Digitalisierung wird international vorangetrieben, also wird der Rückgang der Kaufkraft in allen entwickelten Nationen zu verzeichnen sein. Das kann nicht im Interesse der Eliten sein – also wird es aus der sicht der ‚Eliten‘ eine Lösung dieses Problems geben. Und der Arbeitstitel zur Lösung lautet gegenwärtig „Bedingungsloses Grundeinkommen“ zur Erhaltung der Massenkaufkraft. Die Schöpfer der Idee zum Grundeinkommen hatten natürlich einen deutlich altruistischeren, menschlicheren Ansatz – aber wie so oft in der Politik droht das nette kleine Baby bei der neuen Nährmutter Neoliberalismus dank des reinen Nützlichkeitsgedanken zu einem rabiaten Monster zu verkommen.
Diese Darstellung ist nicht ermutigend, noch passt sie in das optimistische Bild, das uns die Medien regelmäßig vorgaukeln. Die Ausführungen von R. Marx und seine Sorge um die Demokratie sind vor dem hier entwickelten Hintergrund überaus berechtigt. Er hofft, dass das von ihm umrissene Bild einer künftigen Gesellschaft nie Realität werden darf. Aber sind wir nicht auf dem besten Weg in diese Zukunft?
Ulrich Schäfer versucht in seinem Beitrag das dargestellte Bild durch einen überzogenen Optimismus zu ergänzen. Als Anhänger des ‚Marktglaubens‘ hofft er, dass mit der Einführung der Digitalisierung über die Zeit wohl neue Berufe geschaffen werden (wie es in allen Perioden des wirtschaftlichen Wandelns in der Vergangenheit der Fall war) und plädiert für die Gestaltung eines sozialverträglichen Übergang. Leider hat Ulrich Schäfer nicht bemerkt, dass es in den vorherigen Perioden des Wandels nicht das Ziel war, den Menschen aus dem Prozess umfassend zu eliminieren, sondern die jeweils neuen Technologien mit menschlicher Hilfe umzusetzen. Die Digitalisierung ist die erste Technologie, die gezielt gegen die Teilhabe des Menschen arbeitet. Im Zeitalter des Neoliberalismus wird der Mensch zum Kostenfaktor degradiert und muss als solcher minimiert oder sogar eliminiert werden. Einerseits verlieren die Menschen ihre Arbeit durch die Digitalisierung, andererseits wird jede neu einstehende Funktion oder Position wieder der gleichen kritischen Kostenfrage unterworfen: „nehmen wir einen (teuren) Menschen oder digitalisieren wir gleich!“ Das ist die entscheidende Veränderung bei der Einsetzung der neuen Digital-Technologie gegenüber der Vergangenheit. Sein Optimismus erscheint hier also völlig unbegründet und fehl am Platze.
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