Neuland des Denkens – wo liegt dieses Land?

Der Titel des Hauptwerkes von Frederic Vester aus dem Jahr 1984 war mir Anlass, zu fragen, was aus den Ideen rund um die Systemtheorie geworden ist. Vester hat damals zahllose Sachbücher zu diesem Thema geschrieben und viele Herausforderungen schon vor Jahrzehnten auf der Grundlage der Systemtheorie zur Diskussion gestellt, denen wir uns heute mehr denn je konfrontiert sehen.

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Aber im Zusammenhang mit der Klimakrise habe ich nicht den Eindruck, dass diese m.E. interessanten Überlegungen heute eine Rolle spielen. Ich habe keinen namhaften Wissenschaftler der gegenwärtigen Generation gefunden, dessen Argumentation dieses Paradigma der Systemtheorie im Blick hätte. Helmut Willke[1] (Jg. 1945) erlaube ich mir meiner Generation zuzurechnen.


Niklas Luhmann war m.E. der letzte mir bekannte Vertreter einer soziologisch geprägten Systemtheorie in Deutschland. Er verstarb Ende 1998. Mein persönlicher Kontakt zur Systemtheorie entstand gegen Ende meiner Studien- und Postgraduiertenzeit (1970 – 1975) unterstützt durch Prof. Dr. Lindemann an der Universität Mannheim. Der Lehrstuhl Prof. Dr. Werner Kirsch, dem Prof. Lindemann angegliedert war, war wohl zu dieser Zeit führend in der Anwendung der Systemtheorie in der sozialwissenschaftlichen Wirtschafts- und Organisationslehre. Was war bzw. ist aus meiner heutigen Sicht unverändert das Besondere an der Systemtheorie? Ich will versuchen holzschnittartig ein paar Hinweise zu geben: Ein System ist eine Menge von Elementen, die durch „Relationen“ (Verbindungen) mit einander verknüpft sind. Luhmann nennt die Verknüpfung später Kommunikation. Entscheidend für das System ist nicht die Art der Elemente, (deren Substanz, deren Beschaffenheit oder Zustand,) sondern die Art, wie diese Elemente miteinander kommunizieren (verknüpft sind). Ein System grenzt sich i.d.R. durch die besondere Form bzw. die erhöhte Zahl seiner internen Verknüpfung ab. Ein System zeigt also deutlich mehr interne Verknüpfungen als das (offene) System Verknüpfungen zur Umwelt aufweist. Der Ansatz ist hochgradig verknüpfungs- bzw. prozessorientiert.

Da weder die Elemente noch die Verknüpfungen inhaltlich vorfixiert sind, kann man von einer Metatheorie sprechen, die insbesondere dann zum Einsatz kommt, wenn interdisziplinär zusammen gearbeitet werden soll. Wenn die Systemtheorie allen Beteiligten hinreichend vertraut ist, lassen sich schnell und relativ einfach Problemstellungen beschreiben und ggfs. auch diskutieren ohne gleich in fachlichen Details zu versinken. Eine Metatheorie enthebt die Beteiligten keinesfalls von der Arbeit im „Fachspezifischen“, bietet aber die Möglichkeit, unabhängig von den Details, die eigentlichen, oft interdisziplinären Zusammenhänge und Perspektiven zu beschreiben und damit die überlappenden Verbindungen zwischen den beteiligten Fachbereichen aufzuzeigen.

Systeme unterliegen einem Prinzip der Hierarchie. In erster Linie differenziert die Systemtheorie zwischen System und Umwelt (=Nicht-System). Dabei gibt es Subsysteme, geschlossene Systeme, offene Systeme, dynamische, stabile und instabile Systeme. Sogenannte ‚lebende‘ Systeme sind i.d.R. offene, dynamische Systeme. Ein stabiles und/oder dynamisches System liegt insbesondere dann vor, wenn es in der Lage ist, durch verschiedene regulative Maßnahmen sein Überleben für einen längeren Zeitraum sicher zu stellen.

Insbesondere Teile der regulativen Maßnahmen stammen aus Ideen von Norbert Wiener. Der Ansatz hat unter der Bezeichnung ‚Kybernetik‘ Eingang in die Wissenschaft gefunden. Dabei ergab sich die Möglichkeit, Systemstrukturen kybernetisch abzubilden, die eine hohe Systemkomplexität erfassen in der Lage sind. Ross Ashby[1] hat dabei den Satz geprägt: „Only complexity can destroy complexity.“ Konkret ist damit gemeint, dass man komplexe Zusammenhänge nur durch entsprechend komplex gebaute Methoden erfassen und beurteilen kann. Dabei ist Komplexität nicht zu verwechseln mit Kompliziertheit: Komplexität beschreibt die Eigenschaft eines Gefüges, ein ‚System‘ von Prozessen, während Kompliziertheit sich i.d.R. auf das jeweilige Systemelement bezieht.

Auf der anderen Seite schafft die Kybernetik die Voraussetzungen, Systeme unter bestimmten Bedingungen und komplexer Anwendung der negativen Rückkopplung als selbststeuernd (autopoietisch) zu gestalten. Diese Möglichkeit eröffnet neue Zugänge zu Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen in den Systemen.

Hier möchte ich mit der Darstellung der Systemtheorie auch schon wieder enden[2]. Weitere Ausführungen benötigen viel Raum und würden den hier gegebenen Rahmen sprengen.

In unserer üblichen Sichtweise bringen leistungsfähige Objekte meist ‚Produkte‘ hervor. Das ‚Produkt‘ eines Systems wird durch seine jeweilige Funktion definiert. Als Beispiel diene das Verkehrssystem, das die Funktion hat, Möglichkeiten bereitzustellen, Personen und Sachen von A nach B zu schaffen. Das Produkt ‚Automobil‘ ist (systemisch gesehen) eine mögliche funktionelle Antwort, Mobilität bereitzustellen. Gelingt es nicht oder nicht mehr, diese Funktion zu erfüllen, wäre das Produkt „dysfunktional‘ und es gäbe gute Gründe, darüber nachzudenken, wie das Produkt verändert oder (symbiotisch) ergänzt werden müsste (z.B. durch ÖPNV, Car-Sharing, Taxi, Fahrrad, Fußgänger), um die Funktionalität zu erhalten oder wieder sinnvoll herzustellen. In letzter Konsequenz kann ein Produkt als dauerhaft dysfunktional erkannt werden und verliert dadurch seine Attraktivität und Sinnhaftigkeit. Ökonomisch gesehen fällt es dann aus dem Markt.

Die Systemtheorie wurde von Niklas Luhmann als eine Gesellschaftstheorie verstanden. Wenn es vordem Gesellschaftstheorien gegeben hat, bauten sie meist auf einer Vorstellung des Menschen, einer Gruppe (z.B. Elite) oder dem Staat auf. Gesellschaft war dabei das Produkt der involvierten Individuen. Es wird aber schwierig, auf dieser Grundlage vom jeweils menschlichen Verhalten zu abstrahieren und sich einer gesellschaftlichen Organisationstruktur ‚sui generis‘ zu nähern. Die Erwartung scheint die Systemtheorie erfüllen zu können, ohne den konkreten Menschen aus dem Auge zu verlieren. Die Systemtheorie behauptet, dass es Regeln, Heuristiken und Steuerungsimpulse gibt, die sicherstellen können, dass Systeme überlebensfähig bleiben. Diese Regeln gelten ohne primären Rückgriff auf menschliche Verhaltensweisen, sondern lassen sich als systemische Prozess- und Organisationsgrundsätze ableiten und realisieren.

Viele unserer Erkenntnisse über jüngste Fehlentwicklungen stammen m.E. aus der Systemtheorie, die sich in den 1940iger Jahren aus der Biologie entwickelt hat. Wenn wir die mangelnde Artenvielfalt beklagen, die uns mit neuen, nie gekannten Problemen überzieht, so ist der Begriff der Diversität (Vielfalt) eines Systems gefragt. Je größer die Diversität eines Systems ist oder erhalten werden kann, desto größer ist die Überlebenswahrscheinlichkeit des Systems. Wenn das Überleben eines Systems auf Grund künstlich reduzierter Diversität in Frage steht, greifen wir üblicherweise linear mit drastischen Mitteln ein, indem wir uns nicht die systemischen Überlebensgrundsätze zu Nutze machen, sondern indem der Mensch glaubt, durch massiv aggressive Eingriffe erfolgreich sein zu können. Wir erkennen nicht, dass das Vorgehen systemisch unsinnig ist, weil das Vorgehen hochgradig dysfunktional auf die Verknüpfungen des Systems wirkt. Ähnlich wie in der Medizin, in der oftmals die Zahl der Nebenwirkungen mit der Zahl der Medikamente wächst, die man dann wieder mit neuen Medikamenten „bekämpft“, statt sich zu fragen, ob das Problem nicht einfach eine notwendige Folge einer dysfunktionalen Erstmedikation ist. Massentierhaltung ist ein weiteres Beispiel. Die Diversität eines Tierbestandes wird auf eine Monostruktur, überzüchtete Leistungserwartungen und zusätzlich durch den dichten Besatz reduziert. Die damit einher gehende Anfälligkeit der Tiere wird durch Medikamente bzw. Chemie unterdrückt. Am Ende führt eine hohe Verfügbarkeit von minderwertigem Fleisch beim Landwirt zu einem oft verheerenden Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Vester hat mit Bezug auf J. De Rosnay[3] tabellarisch zwei Ansätze zur Erfassung der Wirklichkeit gegenübergestellt, um die jeweiligen Vor- und Nachteile deutlicher werden zu lassen: es wird dabei der klassische analytische Ansatz mit dem systemischen Ansatz verglichen[4].

  • Der klassische Ansatz konzentriert sich auf einzelne Elemente des Systems (auf die Objekte) und isoliert diese, während der Systemansatz sich auf die Wechselwirkungen (Verknüpfungen) zwischen den Elementen konzentriert (prozessorientiert) und die Verbindung beurteilt.
  • Der Art der Wechselwirkung des analytischen Ansatz stehen alternativ die Ergebnisse der Wechselwirkung im Fokus. Die Analyse ist detailgenau. Das System stützt sich auf die Wahrnehmung des funktionalen Ganzen.
  • Der Systemansatz kann Gruppen von Variablen gleichzeitig verändern, die Analyse beschränkt sich immer nur auf die Veränderung einer Variablen.
  • Die Analyse unterstellt implizit die ‚Ewigkeit‘ und die jederzeitige Reversibilität (unbegrenzte Wiederholbarkeit) und kennt keine Entwicklung. Der Systemansatz geht prinzipiell von zeitlicher Begrenzung und von Irreversibilität aus, weil hier auch eine Form der Weiterentwicklung (Evolution) mitgedacht wird. (klassische Formulierung: Alles fließt!)
  • In der Analyse erfolgt die Bewertung der Tatsachen durch experimentellen Beweis, während die Systemtheorie ihre Tatsachen durch Vergleich der Funktion des Modells mit der Realität bestimmt.
  • Die Analytik formt detaillierte und genaue Modelle, die jedoch kaum in Handlungen umsetzbar sind. Der Systemansatz bietet Modelle, die nicht stichhaltig genug sind, um als Wissensbasis zu dienen, sie sind jedoch als heuristische Grundlage für Entscheidungen hilfreich und brauchbar.
  • Der analytische Ansatz zeigt nützliche Ergebnisse, solange es sich um lineare bzw. schwache Wechselwirkungen handelt, während der alternative Ansatz m.E. besonders nützlich ist, wenn es sich um nichtlineare und umfangreiche heftige Wechselwirkungen handelt.
  • Insbesondere dieser Punkt ist von großer Bedeutung, weil er die Möglichkeit eröffnet, über die jeweilig üblichen Fachgrenzen hinaus interdisziplinär zusammenzuarbeiten.

Diesen Gegensatz in der Vorgehensweise kann man auch anhand eines Netzwerkes demonstrieren. In einem Netzwerk gibt es ‚Knoten‘ (z.B. Bestände, Substanzen, Objekte) und ‚Kanten‘ (das sind die Verbindungen oder Prozesse, die für die Veränderung der Bestände sorgen). Herkömmlich befassen wir uns primär mit den Knoten und analysieren ihre Zusammensetzung oft detailliert. Die Verbindungen werden dabei meist nicht hinterfragt. Verbindungen schaffen schlicht nur die Bestandsveränderungen.

 Die Systemtheorie (und nicht nur sie) konzentriert sich auf die Verbindungen (Prozesse) und analysiert sie detailliert und die Bestände sind dann einfach daraus resultierende Zwischenstadien ohne besondere Bedeutung. Man kann sich leicht vorstellen, dass die daraus gezogenen Erkenntnisse keine neue Wahrheit darstellen, aber der Vorgehensweise eine völlig neue Perspektive vermittelt. Wie wir weiter unten darstellen, geht die Perspektive u.U. soweit, dass sie sich wirtschaftlich von der angeblichen unverzichtbaren Wachstumsideologie befreit. Und neue Perspektiven braucht das Land! Und die benötigen wir im Rahmen der „Transformation“ dringend, weil uns die Zeit davon läuft.

Kommen wir zurück zur sogenannten Klimakrise, die dadurch verstärkt wurde, dass unser Denken durch den Neoliberalismus und seine Ideologie viel zu eindimensional und strikt linear ausgerichtet war und unverändert ist, obwohl seit den 1950iger Jahren beginnend mit Ludwig von Bertalanffy systemtheoretische Ansätze diskutiert werden. Wir müssen im Grunde die Bedürfnisse des Systems, das wir als ‚Natur‘ bezeichnen und das letztlich unsere absolute Lebensgrundlage darstellt, besser verstehen und es unterlassen, die Welt übergriffig linear nach unseren einseitig egoistischen Wünschen zu formen. Dazu hat Vester[5] schon 1988 acht Prinzipien der Natur zusammengetragen, von denen er im Rahmen der Systemtheorie erwartet, dass diese Prinzipien ein „Überleben von natürlichen Systemen“ sicherstellen können:

  • Das Prinzip der negativen Rückkopplung. – Negative Rückkopplung muss über positive Rückkopplung (= Akzeleration) dominieren.
  • Das Prinzip der Unabhängigkeit vom Wachstum – Ein permanentes Wachstum ist für alle Systeme eine Illusion.
  • Das Prinzip der Unabhängigkeit vom Produkt – Überlebensfähige Systeme müssen funktions- und nicht produktbezogen arbeiten.
  • Das Prinzip der Umwandlung aggressiver Kräfte zum eigenen Nutzen – offensive Kraftanwendung wird durch flexible ausweichende Reaktionen für die eigenen Zwecke genutzt. (Vester nennt es auch Jujutsu-Prinzip.)
  • Das Prinzip der Mehrfachnutzung – Es führt durch Verbundlösungen zu Multistabilität und bedeutet  eine Absage an Hundertprozentlösungen (die es wahrscheinlich in praxi gar nicht gibt).
  • Das Prinzip des Recycling – Nutzung von Kreislaufprozessen. Es vermeidet sowohl Knappheit als auch Überschüsse.
  • Das Prinzip der Symbiose – gegenseitige Nutzung von Verschiedenartigkeit durch Kopplung und Austausch. Das verlangt kleinräumigen Verbund und widerspricht dem Globalisierungsgedankens. Monostrukturen können nicht von den Vorteilen der Symbiose profitieren.
  • Das Prinzip des biologischen Designs – Es bedeutet Feedbackplanung mit der Umwelt, Vereinbarkeit und Resonanz mit biologischen Strukturen, insbesondere auch mit denjenigen des Menschen.

Es bleibt für mich die Frage, warum dieser systemtheoretische Ansatz nicht auf breiter Basis weiterverfolgt wurde? Meine Erklärung hierfür ist sehr subjektiv: Als die relativ komplexe Systemtheorie breitere Bevölkerungskreise beschäftigte, wurde parallel eine weit schlichtere, auf einfachste Zusammenhänge reduzierte Wirtschaftsideologie forciert, die dazu einen mächtigen Kontrapunkt setzte. Systemtheorie ist Gesellschaftstheorie und ganzheitlich orientiert und der Neoliberalismus ist durch die Lande gezogen und hat verkünden lassen, es gäbe keine Gesellschaft, es gäbe nur egoistische Individuen (vgl. Äußerungen dieser Art von Margret Thatcher und Ronald Reagan). Und mit Systemtheorie ist auch keine Aussicht verbunden, reich werden. Die neue Ideologie des Neoliberalismus hat Reichtum zumindest in Aussicht gestellt (trickle-down) und hat ihn für eine kleine Elite letztlich auch möglich gemacht. Die Mehrheit hat davon nur wenig gesehen.

Nach einer Generation realisiertem Neoliberalismus haben die wirtschaftlichen Maßnahmen dieser Ideologie ein solches Ausmaß an Kollateralschäden verursacht, dass wir seit wenigen Jahren offiziell von einer Klimakrise sprechen müssen. Wir suchen dringend nach Lösungsansätzen und was ich bisher dazu gefunden habe, ist von einem methodischen Standpunkt aus gesehen, nichts anderes, als „die bestehenden Ansätze nochmals zu quirlen“. Der Fehler liegt m.E. in der Erwartung, dass die Handlungsgrundsätze, die uns das Problem eingebrockt haben, auch die Lösungen bereitstellen könnten. Das widerspricht der menschlichen Erfahrung.

Dieses Urteil ist hart, aber ich suche seit Monaten Ansatzpunkte für einen sogenannten „unbefangenen Blick (a fresh look)“ auf die Situation, der so gestrickt ist, dass wir aus den alten eingefahrenen Denkgewohnheiten herausfinden können, um einen Durchbruch (wenigstens) erahnen zu können. Das will mir nicht gelingen! Deshalb habe ich mich der jugendlichen Euphorie meiner postgraduierten Zeit entsonnen und habe mich gefragt, haben wir damals alle gemeinsam ein Hirngespinst verfolgt? Oder wäre es nicht an der Zeit, diese zumindest interessante Perspektive der Systemtheorie in unserer Zeit des Umbruchs wieder bewusst aufzugreifen?

Frederic Vester hatte über unzählige konkrete Ansätze referiert. Luhmann hatte die Systemtheorie für die Soziologie aufgegriffen und fortentwickelt. Ob dabei alles im Nachhinein so zutreffend war, ist heute nicht mehr wichtig. Dann kam dieser verhängnisvolle Neoliberalismus mit seiner unrealistischen Wachstumsmetapher, der viele immer noch nachrennen wie dem Rattenfänger von Hameln. Wenn sie aufwachen, muss etwas Neues an die Stelle treten können – etwas, was Zukunft hat. Wissenschaft folgt nur zum Teil der Vernunft, sie braucht die Leidenschaft ihrer Vertreter, neue Wege zu wagen. Dabei ist die Systemtheorie im Stillen wohl schon über siebzig Jahre alt geworden und vielleicht wäre es an der Zeit, dieses Systemdenken mehr in den Vordergrund unseres Denkens und Handelns zu rücken.

Nachtrag: Ich lag etwas falsch mit meiner Einschätzung, wo denn das neue Land des Denkens gefunden werden kann. Offensichtlich wurde in den 90iger Jahren die Systemtheorie mit Unterstützung der IT stark und erfolgreich mathematisiert und gleichzeitig haben sich die Sozialwissenschaften daraus zurückgezogen. Die Problemstellung der Systemtheorie hat über die Kybernetik schwerpunktartig in das Fach Mathematik und Statistik gewechselt und ist damit dem „Breitensport“ verlorengegangen, weil diese Mathematik in ihrem Anspruch die vier Grundrechenarten deutlich übersteigt. Viele der jüngsten Pandemiesimulationen lassen sich auf die Anwendung systemtheoretischer Grundlagen zurückführen. Leider sind dadurch die ehemalige Popularität der Systemtheorie und die damit verbundene „Philosophie“ verloren gegangen. Wenn ich die Zusammenhänge richtig einschätzen kann, so nutzen wir die Vorteile dieser Wissenszweiges, werden aber immer größere „Übersetzungsprobleme“ haben, wenn es darum geht, die Ergebnisse dem Publikum nachvollziehbar zu vermitteln. Was die dahinterstehende „Philosophie“ angeht, wäre es von Vorteil, wenn die Soziologe, die Wirtschaftswissenschaften, und die politischen Wissenschaften damit befassen könnten, gemeinsam dem mathematischen Gerüst und den Inhalten ein Narrativ zu vermitteln, das dann besonders nutzt, wenn wir uns mit den Problemen einer „Großen Transformation“ und ihrer Umsetzung befassen müssen.


[1] Willke, Helmut, Systemtheorie I – III, 7.Aufl., 2005

[2] Ross W. Ashby, An introduction to cybernetics, London, 1964

[3] Weiterführende Literatur findet sich bei Frederic Vester, Neuland des Denkens, (1984, dtv 10220) in seinen zahlreichen Fußnoten. Anspruchsvoller ist Niklas Luhmann, Soziale Systeme (2012, 18. Auflage). Karl W. Deutsch, Politische Kybernetik – Modelle und Perspektiven, (1973).

[4] J. De Rosnay, Das Makroskop, 1977 (vgl. F. Vester, Neuland des Denkens, Fußnote 23)

[5] Vgl. F. Vester, Neuland des Denkens (1984), S. 43 (hier nur wenige Aspekte)

[6] Vgl. Vester, Frederic: Leitmotiv vernetztes Denken, 1988, S. 20f.

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