Viele Menschen werde der Auffassung zustimmen können, dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben. Man kann aus heutiger Sicht den Beginn des politischen Umbruchs schwerpunktartig auf das Jahr 1989 legen. Der Sozialismus hat sich als Regierungsform aufgelöst. Der Kapitalismus, der als Gegenspieler des Sozialismus viel Kraft und insbesondere Einigkeit aus dem Gegensatz schöpfte, droht an Überzeugungskraft zu verlieren. Politik erschöpft sich wesentlich in wirtschaftlichen Fragen.
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Parallel ist sich die Mehrheit der Menschen bewusst, dass wir über unsere Verhältnisse leben, dass wir heute die Ressourcen unserer Enkel verbrauchen. Alles Handeln der Politik deutet darauf hin, dass dort die Lösungen des Problems von der Technologie erwartet werden. Aber es ist gar nicht klar, ob diese Art von Erwartungen an die Technologie nicht einen wesentlichen Teil des Problems darstellt.
Manche Menschen, die ein Gespür für Veränderungen besitzen, stellen fest, dass eine Reihe bisher gültiger Wirtschaftsstrategien ihre Sinnhaftigkeit verloren haben. Mobilität ist so ein Beispiel. Lange Zeit waren wir so von ‚Automobilität‘ fasziniert, dass wir die gesellschaftliche Funktion von „Mobilität“ in ihrer Breite aus den Augen verloren haben. Die Einseitigkeit führte zu Entwicklungsfehlern, die die Politik jetzt mit viel Geld zu reparieren versucht:
- Die Deutsche Bundesbahn wurde im politischen Auftrag kaputt saniert. Die Nachfolgeorganisation (Die Bahn AG) kämpft jetzt mit öffentlichen Geldern über die kommenden 20 Jahre mit den organisatorischen und personellen Defiziten, um das Manko dieser Sanierung wieder ausgleichen zu können. Da es schon bei den Grundlagen hapert, ist hier an Zukunftsfähigkeit kaum zu denken.
- Die Autobahnen werden privatisiert, aber man hat dabei nicht bedacht, dass damit auch Konkurse einhergehen können, weil eben nicht alle Autobahnen mit einer entsprechend gewinnbringenden Frequenz aufwarten können. Investoren picken sich unter der Überschrift „Private Public Partnership (PPP)“ die Filetstücke heraus, den „schäbigen“ Rest überlassen sie regelmäßig der öffentlichen Hand. Autobahnen sind Teile der Infrastruktur und haben in privater Hand nichts verloren!
- Dank einer inzwischen über 60jährigen Friedensphase kommt unsere Infrastruktur insgesamt in die Jahre. Erhaltung muss vor Neubau rangieren. Schon lange sucht man dafür nach einem politisch zündenden Konzept und unsere Infrastruktur nähert sich einem Zustand der Verrottung. Reparieren oder Renovieren kann teuer sein, aber eine funktionierende Infrastruktur ist in Deutschland wichtiger als mancher Großkonzern: Ohne Infrastruktur sind die sogenannte ‚Leistungen‘ der Großkonzerne gar nicht realisierbar.
- Man kann sogar der Auffassung sein, dass auf manchen steuervermeidenden Großkonzern verzichtet werden könnte, aber keinesfalls auf eine intakte Infrastruktur. Für jeden Großkonzern, der sich verabschieden würde, stehen zehn andere internationale Unternehmen auf der Matte, um die Chance zu haben, unsere Infrastruktur nutzen zu dürfen.
In jüngster Zeit sehen wir das Heil in einer neuen Strategie: Sie heißt E-Mobilität und sie wiederholt möglicherweise den gleichen Fehler, den wir vormals mit der Automobilität erlebt haben. Alles wird zu eng und zu kleinkariert gesehen. „E-Mobilität“ mag ein (kleiner) Beitrag zur Lösung sein, aber nicht mehr. Sie wird uns aber politisch als die ganz große Lösung verkauft.
Vergleichbares erfolgt mit der Digitalisierung. Die wenigsten können das Wort richtig buchstabieren, aber alle sind dafür. Schlimm wird es dann, wenn man glaubt, Digitalisierung dadurch forcieren zu können, indem man Milliarden Euro in Schulen investiert. Digitalisierung kann nur ein Hilfsmittel bereitstellen, aber keine Inhalte. Wenn unsere Schulen nicht im Zentrum einer sinnvolle Schulpolitik stehen, dann nützt die Digitalisierung auch nichts.
Zudem gibt es zahllose Länder, die die Digitalisierung der Schulen schon vor Jahren euphorisch eingeführt haben und sie jetzt wieder abschaffen, weil sie sich als grandioser und teurer Flop erwiesen haben. Aber wir wissen das ja besser! Wir machen das Alles ganz anders! Behalten Sie bitte die Sprüche zur Digitalisierung des Schulwesens in Erinnerung, um in wenigen Jahren dann die kleinlauten Ausflüchte zu erkennen, wie ‚Dummheit‘ (fehlende Urteilsfähigkeit) dann zum Erfolg hochstilisiert wird.
Über eine Frage spricht (fast) niemand ernsthaft im politischen Umfeld: Unsere Umweltprobleme sind, vereinfacht ausgedrückt, eine Folge unseres überdimensionierten Energieverbrauchs. Hier taucht dann immer wieder das Bild von den anderthalb bis zwei Welten auf, die wir gegenwärtig verbrauchen, denen aber nur eine reale Welt gegenübersteht. Wenn wir unser Heil angesichts dieser Überbelastung unserer realen Welt z.B. in der E-Mobilität und in der Digitalisierung sehen, dann heißt das doch im Klartext, dass die Einführung des E-Automobils zusätzliche Energie benötigen wird. Der bestehende, mit fossiler Energie betriebene Automobilpark sollte dann natürlich im Wechsel mit der E-Mobilität Zug um Zug reduziert werden. Es wird stattdessen munter oben aufgepackt!
Wenn die Digitalisierung vorangetrieben wird, dann heißt das in erster Linie mehr zusätzlichen Energieverbrauch. Eine Welt, die energetisch schon am Limit fährt, will jetzt noch neue, zusätzlich energiefressende Technologien einsetzen? Wo bleibt da die vernunftgesteuerte Konsequenz? Konsequent wäre es, die eine oder andere Alt-Technologie offiziell aus dem Verkehr zu ziehen (nicht mehr zuzulassen), damit die damit frei werdenden Energiemengen (und nur das ist wichtig!) auf die neue Technologie übertragen werden können. Man kann nicht immer nur aufpacken, wenn man nicht weiß, wie man den Energie-Hunger der neuen Technologie sinnvoll befriedigen soll. Der Glaube an das Perpetuum mobile scheint unverwüstlich zu sein.
Niko Paech verwendet den Begriff des „Energie-Sklaven“, um zum Ausdruck zu bringen, dass jede neu eingesetzte oder forcierte Technologie, die der Mensch nicht eigenhändig betreiben kann, eine Form von Energie-Sklaven hervorbringt, die zusätzliche Energie verbrauchen werden. Wenn wir aber umweltpolitisch offensichtlich am Limit fahren, was tun dann unsere Politiker? Eine moderne Technologie ohne Energieverbrauch ist physikalisch nicht denkbar. Nur die Ökonomen hoffen hier auf ein himmlisches Wunder. Also müssen wir uns entscheiden, welche Technologien wir für unverzichtbar halten und jene Verfahren, die sich überlebt haben, zur Freisetzung von deren Energieverbrauch aufgeben. Ob sich eine solche Idee überhaupt umsetzen lässt, bleibt aber aus technischen Gründen fraglich, weil Technologien ja nicht wie Soldaten nebeneinander stehen, sondern vielfach und komplex verknüpft sind. Wenn es die Technologie offensichtlich nicht richten kann, müssen wir uns dann nicht endlich fragen, ob der Lebensstil, den wir alle pflegen, noch darstellbar und vertretbar ist? Es kommt die Zeit, an der alle optimistischen Erwartungen, alle Bemühungen um Framing, alle Beschönigungen, Greenwashing und andere Lügen nichts mehr nützen werden. Aber sollte man nicht alles tun, um diese absehbaren Einschnitte geplant ablaufen statt sie in einem Desaster enden zu lassen?
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