Negative Zinsen

„Negative Zinsen“ sind ein Begriff, der ein Widerspruch in sich selbst ist. So ähnlich wie „Nullwachstum“ oder „Minuswachstum“. Zinsen sind der Aufwand, den der Schuldner dem Gläubiger für die Überlassung eines Geldbetrages auf Zeit schuldet. Es heißt nicht positive Zinsen, sondern schlicht Zinsen. So war das seit mindestens 150 Jahren. So hat es auch seinen Niederschlag im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 488 BGB) gefunden. Die jüngste Entwicklung spricht nach einer Senkung der Zinshöhe auf Null nun von „negativen Zinsen“, also von einer Entwicklung, bei der der Zahlenstrahl des Zinses über Null hinaus ins Negative verlängert wird. Das ist die mathematische Beschreibung, aber was bedeutet das konkret?

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Zum Verständnis beginnen wir unseren Erklärungsversuch mit den (positiven) Zinsen, die wir seit Jahrzehnten kennen. Der Schuldner muss für die Gewährung eines Darlehens dem Gläubiger über die Laufzeit einen Zinsbetrag zahlen. In dem Zins ist ein Marktzinsanteil verrechnet, ein Risikozuschlag und eventuell ratierliche Gebühren. Der Zins kann periodisch fällig sein oder wird bei kurzfristiger Gewährung als Einmalbetrag mit der Auszahlung verrechnet und heißt dann Diskont.  Reduziert sich  der Marktzinssatz auf Null, so fallen eben nur noch der Risikozuschlag und die Gebühren an, d.h. der zu zahlende Betrag des Schuldners ist immer noch positiv.

Was beutet jetzt „negativer Zins“? Der Gläubiger zahlt den Darlehens- oder Kreditbetrag aus zuzüglich einer regelmäßigen (periodischen) Zahlung zugunsten des „Schuldners“ in Höhe des „negativen Zinses“. (Klingt verrückt, weil die Begrifflichkeit aus den Fugen gerät.) Bis dato schuldete der Schuldner eine regelmäßige Zinszahlung zuzüglich der erwarteten Rückzahlung des Grundbetrages. Es wäre denkbar, dass der Gläubiger im Falle „negativer Zinsen“ statt eine regelmäßige Auszahlung vorzunehmen, den negativen Zinsbetrag gegen das Darlehen oder den Kredit bucht, also die Rückzahlungssumme ständig reduziert. Das gilt natürlich nur für den Anteil des Marktzinses und nur bedingt für den Risikozuschlag und die Gebührenanteile, die nach wie vor – solange die Gesamtsumme von negativem Marktzins, positivem Risikozuschlag und den Gebührenanteilen nicht negativ wird, zu Zahlungen des Schuldners an den Gläubiger führen werden. Fällt der „negative Zinssatz“ (er wird also absolut höher und damit noch negativer), dann wird der Saldo aus Zinssatz(-), Risikozuschlag(+) und Gebührenanteilen(+) insgesamt negativ und führt zu Auszahlungen des Gläubigers an den Schuldner. Der Schuldner wird ihm aber am Ende der vereinbarten Laufzeit nur den ursprünglichen Auszahlungsbetrag zurückzahlen. Wenn der Marktzins negativ ist und vereinbarungsgemäß gegen den Auszahlungsbetrag läuft, wird nur der reduzierte (quasi abgeschriebene) Auszahlungsbetrag gegenüber dem Gläubiger fällig.

Unter der Voraussetzung, dass die Vorgänge richtig erfasst wurden, d.h. die bisherige Zinspraxis richtig im Nullpunkt des Zinszahlenstrahles gespiegelt wurde, so stellt sich eine Reihe von einfachen Fragen:

  1. Man erwartet nun von den Schuldnern, dass sie bei diesem „Schnäppchen“ richtig zugreifen. Wo hatte man jemals die Chance, mit eigenen Schulden so einfach Geld zu verdienen? Die Frage bleibt, ob der „Schuldner“ das Geld überhaupt (nutzt) investiert und nicht einfach liegen lässt, weil es ja laufend für den „Schuldner“ ohne eigene Leistung Erträge erwirtschaftet. Das scheint die wundersame Geldvermehrung zu sein – die gibt es aber nicht.
  2. Wenn das Geld so ‚auf der Straße‘ liegt, wie wird der „Schuldner“ damit umgehen, abgesehen vom Horten. Letzteres ist schwierig – die negativen Zinsen gelten auch für seine angestrebten Guthaben – er ist dann mit seiner Einlage Gläubiger der Bank und unterliegt den gleichen Regeln wie der ursprüngliche Geldgeber. M.a.W. er muss das Geld unter das Kopfkissen legen, um dem negativen Zins zu entfliehen.
  3. Damit wird aber auch klar, warum die Banken das Bargeld abschaffen wollen. Wenn die Menschen gezwungen werden sollen, ihr Geld bei den Banken bei negativem Zins einzulegen, dann wird der Bank als „Schuldner“ die Einlage mit „negativen Zinserträgen“ versüßt. Der negative Zins muss nicht einbezahlt werden, sondern der „negative“ Zinsbetrag wird ggfs. mit der Einlage verrechnet, d.h. der bei der Bank hinterlegte Sparstrumpf wird mit der Zeit in Höhe der „negativen Zinsen“ immer kleiner.
  4. Dieser Gedanke ist nicht neu. Silvio Gesell hat unter völlig anderen Voraussetzungen diesen Grundgedanken ausführt (Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, Berlin 1920). Sein Ziel war für das Tauschmittel Geld das Horten zu unterbinden, um das damals knappe Geld in ständigem Umlauf zu halten.
  5. Es hat den Anschein, dass dieser Gesichtspunkt auch heute wieder eine Rolle spielt. Nach unterschiedlichen Aussagen lagern ungefähr 6 Billionen Euro in Deutschland auf Geldkonten. Mit der Einführung eines „negativen Zinses“ würden diese Bestände ständig quasi automatisch abgebaut, d.h. der Druck, dieses Geld zu investieren oder zu konsumieren, würde drastisch zunehmen.
  6. In einer Wirtschaftssituation, die kaum noch Wachstum aufzuweisen hat, glaubt die ökonomische Orthodoxie unverändert, dass dieses „leichte“ Geld zu einem Impuls für mehr Wachstum führen wird. Sie vergisst dabei, dass die Institutionen schon seit Jahren dieses Mittel propagieren, und durch die Druckerpresse in die Tat und in noch mehr Schulden umsetzen, ohne dass sich ein Erfolg einstellen will. Fehlendes Geld scheint also nicht das Problem zu sein.
  7. Die Zinseszins-Maschine, die unser System für jene bereit hält, die über ‚Ersparnisse‘ verfügen, vermehrt gewöhnlich den eingesetzten Betrag expotenziell und schafft Vermögen unter Inkaufnahme von einem gewissen Risiko ohne weitere eigene Arbeitsleistung. Diese Maschine macht ‚Reiche‘ regelmäßig reicher und ‚Arme‘ haben einfach keinen Zutritt. Das gilt in der Regel für positive Zinsen. Was ist mit „negativen Zinsen“? Gilt hier die Zinseszins-Maschine gleichermaßen, also negativ – das eingezahlte bzw. in Geld gehaltene Vermögen wird expontenziell Jahr für Jahr weniger? So gesehen wäre der „negative Zins“ ein einfaches Mittel, die erhebliche Ungleichverteilung von Vermögen tendenziell auszugleichen. Es bleibt aber die Frage, in wessen Taschen das Geld wieder auftaucht? Geld geht meist nicht kaputt, sondern wechselt nur den Inhaber.
  8. Bisher ging man davon aus, dass überschüssige Liquidität in einem kapitalistischen System zu Inflation führt, diese mit steigenden positiven Zinsen bekämpft wird und wenn das nichts nützt, der radikale Schnitt oder eine allgemeine Vermögensabgabe das Gebot der Stunde sein kann. Nun gibt es scheinbar noch ein zusätzliches Instrument: „negative Zinsen“.  Alles was heute an zu hoher Liquidität vorhanden ist, lässt sich auf Staatsschulden zurückführen, weil jeder gedruckte Euro jemandem als Schuld zugeordnet ist. Wie wir oben gesehen haben, erhält aufgrund der negativen Zinsen der Schuldner eine regelmäßige „negative“ Zinszahlung, die natürlich im Falle der Staatsschulden dann auch beim Staat landen wird.
  9. Wenn das System schlüssig ist, könnte sich der Staat auf diese Weise elegant refinanzieren ohne sich in politische Diskussionen stürzen zu müssen. Statt Inflation, die dazu führt, dass wir immer weniger mit unserem Geld kaufen können, haben wir dann „negative“ Zinsen, die dafür sorgen, dass unser verfügbare Geldsumme mit dem Zeitablauf immer kleiner wird -was ja das Gleiche ist. Je mehr Geldvermögen man vorhält, desto heftiger schlägt der „negative“ Zins zu.
  10. Man stelle sich jetzt eine Bank vor. Sie würde Einnahmen erzielen, wenn sie genügend Einlagen von privten und industriellen Bankkunden verwaltet. Der Gläubiger, also u.a. wir, die wir Geld bei der Bank deponieren, müssen bei der Gültigkeit von negativen Zinsen die Bank mit Erträgen versorgen. Die andere Seite des Bankgeschäftes wäre die Ausgabe von Darlehen und Krediten, für die die Bank je nach Höhe der (negativen) Zinsen den Schuldnern regelmäßige Guthaben zuschreiben müsste. Welche Veranlassung hätte eine Bank, Darlehen auszureichen, wenn sie dafür negative Zinsen berappen müsste? Da scheint nicht nur der Kreditmarkt in Schwierigkeiten zu kommen, da bricht auch so manches klassiche Bank- und Versicherungsgeschäftsmodell in sich zusammen.  Der Effekt der unkontrollierten Geldschöpfung, der von den Banken excessiv genutzt wird, würde mit negtiven Zinsen durch die Hintertür aufgehoben, denn jeder zusätzliche Kredit würde in Höhe der negativen Zinsen für die Bank zusätzliche Ausgaben schaffen.  Es bleibt abzuwarten, ob negative Zinsen angesichts der heftigen Auswirkungen wirklich eingeführt werden und wie deren Ausgestaltung sich entwickelt.

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