Manipulation im Kleinen

Der Mensch glaubt sich im Vollbesitz seiner intellektuellen Fähigkeiten und die Ökonomie unterstützt diesen Glauben durch die Anwendung von Entscheidungsmodellen, die angeblich auf ‚rationalen‘ Grundlagen aufbauen. Parallel entwickelt die gleiche Ökonomie Strategien zur Manipulation von Kaufentscheidungen, die so gestrickt sind, dass das Hirn einen möglichst kleinen Anteil an der Kaufentscheidung hat.

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Also ist es offensichtlich mit der ‚Rationalität‘ nicht so weit her. In Wirklichkeit spielt die ‚Rationalität‘ oft erst dann eine Rolle, wenn es darum geht, eine Entscheidung postum zu rechtfertigen.

Rationales Verhalten setzt einen freien Willen voraus und dieser Wille muss dann auch noch durch den Intellekt geführt werden können. Schopenhauer hat dieses Wunschdenken ad absurdum geführt und die neuere Hirnforschung liegt auf der gleichen Linie. Nach Schopenhauer ist der Mensch im Allgemeinen triebgesteuert, d.h. die Emotionen oder das Nicht-Intellektuelle schlagen immer wieder durch. Das Ergebnis dieser eher emotionalen Entscheidungsform muss dann der Intellekt wieder gegenüber dem eigenen Selbstverständnis rechtfertigen bzw. zumindest erklären. Rationales Verhalten ist nicht unbedingt unsere Alltags-Stärke. Trotzdem pflegen und hätscheln wir diese Täuschung (dieses Missverständnis) und bieten damit ein Einfallstor für die sogenannten Manipulationen im Kleinen.

Wir folgen diesem falschen, aber weit verbreiteten Bild des Menschen ein wenig länger und akzeptieren vorerst seinen Wunsch als rationales, kopfgesteuertes Wesen verstanden zu werden. Dann müssen wir uns logischerweise mit dem Denken beschäftigen und uns fragen, wie das Denken in einer konkreten Umgebung vonstattengehen könnte.

Die intellektuellen Fähigkeiten sind unterschiedlich verteilt. Hier zu differenzieren, führt aber in die falsche Richtung. Wir unterstellen hier eine wie immer geartete durchschnittliche intellektuelle Ausstattung des Menschen. Denn die Vorstellung des Menschen als ein kopfgesteuertes Wesen gibt auch nicht mehr her.

Wie oder wann denken wir denn? Immer dann, wenn etwas unsere Aufmerksamkeit fesselt. Können wir mehrere Dinge gleichzeitig „denken“? Eher nicht – das sogenannte Multitasking erfolgt auf einer anderen Ebene. Können wir dann, wenn unsere Aufmerksamkeit gefesselt wird, unterstellen, dass der Rest der Welt (der gegenwärtig nicht unsere Aufmerksamkeit an sich zieht) stehen bleibt? Wohl nicht – das Denken hat also offensichtlich mehrere Ebenen. Einmal ist der Mensch dort im eigentlichen Denkmodus, wo seine Aufmerksamkeit zu diesem Zeitpunkt liegt. Es muss aber aufgrund der Tatsache, dass gewissermaßen im Hintergrund weitere Aktivitäten erfolgen, so etwas wie ‚Denkroutinen‘ geben. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit wenig konzentriert haben, dann nehmen wir viele Sachverhalte wahr, die in unserem Gesichtsfeld geschehen, ohne dass dadurch die Aufmerksamkeit herausgefordert wird und damit unser eigentlicher Denkmodus angeworfen wird. Unser Gehirn verarbeitet die Eindrücke wohl unbewusst und weitgehend routinemäßig.

Wie können Routinen entstehen? Es ist denkbar, dass der Mensch im Laufe seines Lebens eigene Routinen aufgrund seiner Lebenserfahrung aufbaut (ggfs. durch Nachdenken) oder – m.E. der vermutlich häufigere Weg – es werden Routinen im Rahmen von Kommunikation und gemeinsamen Handlungen einfach von anderen Menschen übernommen.

Routinen, die neu übernommen oder geschaffen wurden, haben häufig die Eigenschaft der Vorläufigkeit. Man kann sie deshalb als offene Routinen bezeichnen. Je älter der Mensch und seine vielen Denkroutinen werden, desto mehr neigt die Routine zur Geschlossenheit, d.h. konkret, der Mensch wird weniger bereit, die vorhandene Routine einer neuerlichen Überprüfung zu unterziehen. Er hat sie in sein Weltbild eingebaut und folgt ihr mehr oder weniger blind.

Wann immer der Mensch mit der Anwendung seiner Routinen sich weitgehend „richtig“ oder „situationsgerecht“ verhält, vermittelt ihm die Anwendung eine angenehme Emotion (Erfolg, Anerkennung, Zuwendung). Sie bestätigt auf der einen Seite die Routine und sie wird ein Stück weit geschlossener. Auf der anderen Seite wird die Routine unbewusst mit den Emotionen verknüpft und immer, wenn das Gefühl entsprechend angesprochen wird, tauchen die damit verknüpften Denkroutinen in unseren Hirnen auf. Das ganze Geschehen kann auch im eigentlichen „Denkmodus“ erfolgen. Dann hätte die Denkroutine die Chance, wieder offener, d.h. neugestaltet zu werden und dem neueren Erfahrungsstand des ‚Hirnträgers‘ angepasst zu werden. Über diese relativ enge Verknüpfung von Denken und Fühlen kommen wir wieder in das Fahrwasser von Schopenhauer, der uns eigentlich sagen will, dass wir zumindest im Rahmen unserer Routinen bevorzugt trieb- oder vielleicht besser emotionsgesteuert handeln.

Diese sehr kurze Umschreibung unserer täglichen intellektuellen ‚Arbeit‘ hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder überprüfbare Richtigkeit. Es ist mehr Common Sense und bietet eine holzschnittartige Grundlage, um sich der Manipulation im Kleinen zu nähern.

Manipulationsversuchen sind wir ständig ausgesetzt. Das ist im Grunde nichts kritisches, solange wir den größeren Teil der Versuche wahrnehmen und damit der Manipulation ggfs. Kontra geben können. Aber es gibt viele Einfallstore und trotz überdurchschnittlich intellektueller Ausstattung des Menschen sind manche Manipulationen deshalb so erfolgreich, weil sie eben gar nicht über das gut bewachte Tor des Intellekt einzudringen versuchen, sondern über die Emotion und über die damit verknüpften Routinen unmittelbar Zugang zu unserem Handeln finden.

Es beginnt schon damit, dass uns ständig eingeredet wird, unser Verhalten werde durch Rationalität bestimmt, zumindest in allen Fragen der Ökonomie – und das ist ein großer Teil unserer Lebenswirklichkeit. Denn nur dann, wenn man glaubt, rational unangreifbar zu sein, sind die Tore der Emotionen unbewacht und für jedermann, der den richtigen Trick kennt, ungehindert zugänglich. Das Marketing und die Public Relations spielen recht erfolgreich auf dieser Klaviatur.

Eine andere Form der Manipulation erfolgt dadurch, dass man die Belastung des durchschnittlichen Intellekts durch Stress und immer scheinbar neue Eindrücke so hoch schraubt, dass der Denkmodus als intellektuelle Abwehr gar nicht mehr zur Wirkung kommen kann. Denken erfordert Zeit (und ggfs. Muße). Alternativ übernehmen schwerpunktmäßig die Denkroutinen die Tagesarbeit und die sind wiederum eng mit den Emotionen verknüpft. Letztere sind leichter zu manipulieren als der Intellekt, der dann zur Intervention oft gar keine Chance mehr hat.

Man könnte sich jedoch der Belastung seiner Wahrnehmungen bewusst entziehen. Das hat aber i.d.R. zur Folge, dass die Quantität der sozialen Kontakte drastisch abnimmt und dadurch die davon gespeiste Emotion aus dem Gleichgewicht kommt. Ehe an sich versieht, taucht die Person wieder im Getümmel der verschiedenen Wahrnehmungen unter, um das ‚Feeling‘ einer scheinbaren sozialen Bedeutung wieder genießen zu können. Man müsste die Zeit haben und dann intellektuell die Chance erhalten, diesen Zusammenhang zu durchschauen. Das gelingt oft nur nach Jahren oder bei eintretender informationeller Erschöpfung.

Man könnte den Eindruck gewinnen, es muss Menschen geben, die ständig im Routinemodus leben, sofern man das als Leben bezeichnen will. Vielen Menschen droht offensichtlich die Fähigkeit verloren zu gehen, sich bewusst auszuklinken, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Sie sind nicht mehr in der Lage, einen geordneten Gedanken zu fassen, ihre Emotionen zu überdenken und damit eine gewisse Selbststeuerung jenseits der Routine aufzunehmen. Es verstärkt sich auch der Eindruck, dass die Fähigkeit zum selbstständigen Denken jenseits und außerhalb der Denkroutinen in unserer Gesellschaft abnimmt. Das würde bestätigen, dass die Denkroutinen, die letztlich auch durch einen komplexen Algorithmus beschrieben werden können, unser Leben zunehmend bestimmen. Der Bogen zu den Gedanken, die sich um die Digitalisierung ranken, ist dann schnell gespannt.

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