Lobbyismus – einem Krebsgeschwür unserer Zeit

Der Lobbyismus ist kein neues Phänomen. Es gibt ihn von alters her unter dem Namen von Höflingen und Günstlingen an den absolutistischen Höfen. Sie repräsentieren die Satelliten unterschiedlichster Machtzentren und ihr Ziel ist es,  auf die Entscheidungen dieser Zentren informell Einfluss zu nehmen. Die Einflussnahme erfolgt selten im Eigeninteresse, sondern meist für die Interessen Dritter. Letztere bezahlen für diese Dienstleistung u.U. fürstliche ‚Apanagen‘.

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Wie läuft dieser Vorgang in einer Demokratie? Die Machtzentren der Demokratie sind die Parlamente und ihre Ausschüsse. Die dort tätigen Politiker haben ein erhebliches Arbeitspensum, das sich zwischen Wahlkreis und dem jeweiligen Versammlungsort  des Parlaments abspielt. Sie werden zudem mit unterschiedlichsten Informationen ‚zugeschüttet‘. Je mehr desto größer die Belastung und umso besser für den Lobbyisten. Wer sich mit dieser Nachrichtenflut nicht auf die eine oder andere Art arrangieren kann, ‚ertrinkt‘ in Informationen und droht als Folge den Überblick zu verlieren.

Das ist die Stunde des Lobbyismus der ‚ersten Klasse‘. Um als Lobbyist erfolgreich sein zu können, muss man den überlasteten Mitgliedern des jeweiligen Machtzentrums etwas bieten können, was ihnen unmittelbar nutzt. Und was ist i.d.R. das größte Defizit, bei dem sich ein Politiker ständig im Hintertreffen sieht: ihm bleibt keine Zeit sich eine eigene Meinung zu bilden. Nach zwölf Stunden Arbeit in unterschiedlichen Netzwerken und Gremien soll er noch die Kraft besitzen, sich jetzt mit der eigenen Meinungsbildung zu befassen. Das gelingt selten. Also ist der einzelne Politiker darauf angewiesen, sich Meinungen zu beschaffen. Und das ist die Chance des Lobbyisten: er liefert Meinung samt scheinbarer Fakten in einer Form, die es dem Politiker leicht macht, damit im Kreise der Kollegen und in der Öffentlichkeit Eindruck zu hinterlassen. Seriöser Lobbyismus arbeitet auch mit Fakten, aber eben sehr selektiv. Der Lobbyist hat ja das Ziel der Einflussnahme und seine Art, die Dinge darzustellen, ist von diesem Ziel in hohem Maße beeinflusst. Der Politiker, der sich darauf einlässt, bildet sich natürlich ein, Herr der Lage zu sein, aber der ‚Brain wash‘ ist so subtil, dass mit dem Zeitlauf die übermittelten Informationen und Meinungsangebote oft so wahrgenommen werden, wie sie der Absicht des Lobbyisten und seines Auftraggebers entsprechen. Da auf diesem Felde Millionen Euro ausgegeben werden, darf man darauf vertrauen, dass sie sich auch „rentieren“.

Effizienter Lobbyismus zielt auf Abhängigkeit. Der Politiker übernimmt eine Meinung, und macht sie öffentlich. Damit ist die Meinung mit der Person des Politikers verknüpft und manifest. Erkennt er nach weiteren übernommenen Meinungsschritten, dass die Reise in eine Richtung läuft, die er nicht erwartet hat, dann ist er durch die manifest vertretene und veröffentlichte Meinung ein Stück weit ‚gefangen‘ und kommt ohne Gesichtsverlust nur schwer aus der Sache heraus. Möglicherweise muss er sich dazu eines anderen Lobbyisten bedienen und begibt sich damit wieder in neue Abhängigkeit. Es kann zum Teufelskreis werden. Und dieser Teufelskreis ist von den hehren Zielen, denen Abgeordnete nach den Vorstellungen des Grundgesetzes folgen sollen, meilenweit entfernt.

Es gibt dann noch einen Ansatz, den man den Lobbyismus der ‚zweiten Klasse‘ nennen kann. Es gab Zeiten, da wurden politisch wichtige Fakten von der Exekutive und von der Legislative beauftragten externen Instituten neutral aufbereitet. Eine solche Unterstützung kostet Geld und das neoliberale Credo versucht glaubhaft zu machen, dass man darauf verzichten kann, indem man sich diese Fakten auf privatwirtschaftlichem Wege durch temporäre Aufträge besorgt. Die regelmäßige neutrale Aufarbeitung einer Faktenlage wurde deshalb vor Jahren aufgegeben, weil man glaubt, diese „Dienstleistung“ von Fall zu Fall einkaufen zu können.

Da man hinsichtlich der Lobbyisten in der Politik keine offiziellen Aufzeichnungen (Listen) führt noch Zulassungskriterien aufgebaut hat, werden Gesetzesvorlagen und andere gutachterliche Stellungnahmen an private Einrichtungen wie Think Tanks, sogenannte Experten oder ‚Lawfirms‘ gegen Honorar vergeben. Teilweise arbeiten diese Auftragnehmer wie nachrichtendienstliche  „U-Boote“ im gleichen Ministerium, indem das anstehende Gesetz oder die Gesetzesänderung formuliert werden soll und die Bezahlung des Auftragnehmers übernehmen die Lobbyisten.  Letzteres ist wohl die schlimmste Form der Beeinflussung – vor wenigen Jahren im Rahmen von Kapitalmarktgesetzesänderungen (Stichwort: Cum-EX) geschehen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss versucht jetzt hier Klarheit zu schaffen.

Hinsichtlich der Frage der Befangenheit dieser Einrichtungen ergeben sich Einschränkungen aus zweierlei Richtungen: einmal haben sich z.B.  Lawfirms schwerpunktmäßig dahin orientiert, nur Aufträge von der Arbeitgeberseite anzunehmen, um eine mögliche Befangenheit aus Arbeitgebersicht im Voraus auszuschließen. Sie essen also ausschließlich deren ‚Brot‘. (Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing‘). Zum anderen gibt es national oft nur ganz wenig „Große“, von denen man sich verspricht, dass sie der anstehenden Aufgabe der Entwicklung eines Gesetzentwurfes „gewachsen“ sind. Keine dieser großen Lawfirms könnte von sich behaupten, ihren Umsatz ausschließlich mit öffentlichen Aufträgen zu verdienen. Also müssen sie bei ihrer Arbeit auch ihren Auftraggebern zum Tagesgeschäft, der Arbeitgeberseite, Aufmerksamkeit widmen, und das sind mehrheitlich jene Auftraggeber, die auch die Lobbyisten beauftragen. (Honi soit qui mal y pense.)

Think Tanks arbeiten verdeckter, weil sie sich einen quasi wissenschaftlichen Anstrich geben, aber einem wissenschaftlichen Anspruch in keiner Weise genügen wollen. Das ist nicht ihr Ziel. Ihre Ausarbeitungen sind für einen kleinen exklusiven Politiker-Kreis bestimmt, werden von Stiftungen bezahlt und sehen selten als Licht der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit. Sie arbeiten meist sehr effektiv unter der politischen Oberfläche.

Die jüngste Form des Lobbyismus der ‚dritten Klasse‘ ist der direkte Draht zum Wähler über ganzseitige Anzeigen in der Tagespresse. Think Tanks, die in aller Regel ihre Finanzierungsquellen nicht offenlegen, wenden sich nicht mehr an die Institutionen, sondern versuchen mit falschen oder zumindest nicht nachvollziehbaren Fakten Argumente unter das Wählervolk zu streuen, um Stimmung zu machen. Die Tendenzen der verschiedenen Medien sind uns inzwischen bekannt und schrecken uns nicht mehr, aber wenn sich ein Think Tank den Schafpelz einer ‚Neuen Sozialen Marktwirtschaft‘ überstreift und dann hammerhart und populistisch an der Wirklichkeit vorbei argumentiert, ist die Verwirrung groß und die Wirkungen der Gehirnwäsche sind nicht mehr absehbar.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

  1. Lobbyismus zu verbieten, ist keine Lösung, weil das Verbot nicht kontrollierbar ist.
  2. Lobbyisten können aber akkreditiert werden, zumindest jene, die diese Aufgabe gewerbsmäßig übernehmen. Sie müssen mit Akkreditierung ihre Auftraggeber offenlegen. Wenn sie das nicht wollen, müssen sie sich ein anderes Geschäftsfeld oder -modell suchen.
  3. Die ‚Amateure‘ in diesem Fach (die nicht akkreditierten) müssen bei Aufdeckung ihrer Aktivitäten mit erheblichen Sanktionen rechnen, die dieses Geschäft für sie unattraktiv werden lässt.
  4. Die Abgeordneten, die Fraktionen oder die Exekutive haben das Recht und die Pflicht, von der Wissenschaft zu wichtigen politischen Fragestellungen neutrale Studien anzufordern, die dann auch der Allgemeinheit und der wissenschaftlichen Öffentlichkeit ohne jede Einschränkung zur Verfügung stehen müssen. Da diese Studien dann im laufenden Wissenschaftsbetrieb der öffentlichen Kritik unterliegen, wird es nicht so einfach, einseitige Faktenlagen zu propagieren und aufrecht zu erhalten. Diese wissenschaftlich neutralen Ausarbeitungen werden auch dazu beitragen, die Meinungshoheit der Lobbyisten nachhaltig zu brechen.
  5. Der Staat kann seine ureigene Gesetzgebungskompetenz nicht an Einrichtungen abgeben, die keine neutralen Ergebnisse erwarten lassen. Das grenzt an Selbstzerstörung. Hier müssen innerhalb der Staatsapparates Kapazitäten (wieder-)aufgebaut werden, die dem Gebot der Neutralität und dem Gebot des Gemeinwohls verpflichtet sind und nicht irgendeinem Partikularinteresse.

Das wären kleine Schritte in die richtige Richtung. Man muss sie aber gehen wollen.

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