Ist Wirtschaften unter „steady state“ möglich?

Die Frage wurde im „Real-World Economics Review Nr. 95“ aufgeworfen und der Autor Theodore P. Lianos, Athen, hat versucht, die Frage unter sehr eingeschränkten Modell-Bedingungen für ein kapitalistisches System zu beantworten. Die Modelle, mit denen er in dem Artikel arbeitet, sind hoch abstrakt und haben mit der „real world“ m.E. nichts mehr zu tun.

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Daraus eine Antwort auf die oben angeführte wichtige Frage ableiten zu wollen, erscheint mir aufgrund des fehlenden Realitätsbezugs und der Verwendung weniger hochaggregierter Variablen sehr vermessen. Es bleibt die Frage, ob diese Aggregationen überhaupt in der Lage sind, eine differenzierte Aussage zu treffen, bei der nicht nur die „schönen“ Modelle verifiziert werden, sondern harte Fakten und reale Zusammenhänge erkennbar werden.

Das gleiche Problem trifft auch die Mainstream-Ökonomie, die nicht müde wird, zu behaupten, dass das bestehende Wirtschaftssystem angeblich ohne Wachstum nicht funktionieren kann. Auch hier werden Begründungen aufgrund von Modellen ‚gebastelt‘, die bei näherer Betrachtung so nicht stimmen können. Die Lösung, auf die der Mainstream bei allem Modell-Gerassel insgeheim hofft, ist die Abkopplung des Wachstums vom Ressourcenverbrauch.

Das ‚Märchen vom Abkoppeln‘ wird schon seit dreißig oder vierzig Jahren erzählt. Die Hoffnung ist aber unbegründet, weil physikalisch nicht darstellbar. Eine leichtfertig positive Beantwortung wäre zudem fahrlässig, weil die richtige Einschätzung mittelfristig für die künftigen Generationen existenziell wird.

Seit mindestens 40 Jahren bemüht sich die Ökonomie die vermeintlichen Fesseln der Politik erfolgreich abzustreifen. Das Bemühen lief und läuft unter der Fahne der „Freiheit vom politischen Imperativ“. Die Ökonomie glaubt sich zusätzlich in der Lage, die Aussage treffen zu können, dass ewiges Wachstum möglich ist. Und nun wird dieses „Königreich“ mit der banalen Frage konfrontiert, ob es sich auf „steady state“ reduzieren könne. Das muss den Hohepriestern der Ökonomie wie Blasphemie in den Ohren klingen. Eine Lösung dieser Frage stellt so viele Dogmen der Ökonomie in Frage, dass man nicht erwarten darf, dass ein sinnvoller Lösungsvorschlag von Seiten der Ökonomie möglich ist.

Unter „steady state“ versteht man allgemein ein Fließgleichgewicht eines definierten Systems. Zuflüsse und Abflüsse saldieren sich mit geringer Schwankungsbreite. Konkret würde das in einem kapitalistisch wirtschaftenden System bedeuten, dass das System tendenziell über den Zeitverlauf kein Wachstum aufweist. Die von Theodore Lianos aufgeworfene Frage ist angesichts der ökologischen Begrenzungen des Wachstums eine sehr berechtigte Frage, von deren richtiger Beantwortung unsere weitere wirtschaftliche und existenzielle Entwicklung abhängt.

Ich halte es für überflüssig die Frage ausschließlich durch die Brille des real bestehenden Kapitalismus zu betrachten. Die Herausforderung liegt doch nicht darin, eine kapitalistische oder eine sozialistische Lösung zu finden. Bei der allgemeinen Ratlosigkeit wäre es zielführend, primär überhaupt eine Lösung zu entwickeln, die den Namen verdient. Da ein existenzielles Problem gelöst werden soll, kann doch die Frage, ob die Lösung eher kapitalistisch, sozialistisch oder sonst wie gefärbt ist, nur Nebensache sein.

Wenn sich konkret herausstellen sollte, dass ein Nullwachstum mit einer kapitalistischen Vorgehensweise nicht vereinbar ist, dann ist es so. Es geht nicht um die Erhaltung eines unreflektierten Systemanspruchs, es geht um die Menschen. Dieser Anspruch scheint in den wirtschaftspolitischen Diskussionen völlig verloren zu gehen. Wir machen vielfach den Fehler und setzen „Begriffe an die Stelle der Wirklichkeiten, Gedanken an die Stelle der Erfahrung, das System an die Stelle des Lebens.“ (D. T. Suzuki, Leben aus Zen, S.38)

Wirtschaften ist ein sozialer Prozess und kann auf vielerlei Weise erfolgen. Der soziale Prozess war und ist immer durch Menschen gestaltet. Das mögen jene, für die das gegenwärtige System des Wirtschaftens große Vorteile bringt, nicht gerne hören. Sie versuchen der staunenden Zuhörerschaft zu vermitteln, dass das bestehende System eine „Schöpfung der Natur“ sei und die Prozesse in dem System deshalb nicht verändert werden dürfen.

Wenn im Stadium eines „Steady State“ auf nationaler Ebene (oder globaler Ebene) kein Wachstum stattfinden soll, so heißt das nicht, dass in dem gedeckelten System jegliche Dynamik des Wirtschaftens „erlahmt“. Es gibt unterhalb der nationalen (globalen) Ebene Branchen, die „brummen“ und es gibt Branchen, die harte Zeiten erfahren. All das zusammen ist dann die statistische Aggregation Bruttoinlandsprodukt und Grundlage zur Messung von Wachstum. Wachstum ist im Kern eine schlichte Formel, die (i.d.R.) positive Veränderung des Bruttoinlandsproduktes (BiP) des laufenden Jahres gegenüber dem BiP des Vorjahres in Prozent ausgedrückt, mehr nicht.

Wenn wir Wachstum begrenzen wollen oder müssen, um einen nachvollziehbares Fließgleichgewicht (Steady State) herbei zu führen, müssen wir dem Begriff des Wachstums näher rücken und stellen fest, dass der Begriffsinhalt sich in einer simplen Formel erschöpft. Wachstum ist also kein Begriff, der zur Definition eines Fließgleichgewichts taugt. Wir müssten inhaltlich auf das Bruttoinlandsprodukt zurückgreifen und stellen auch da fest, dass es sich nur um einen kategorialen Sammelbegriff handelt, der bei seiner Analyse in so viele Einzelhandlungen zerfällt, dass eine gezielte Reduktion auf ein Fließgleichgewicht zu gewaltigen Durchführungs- oder Umsetzungsproblemen führen wird. Damit ist die Ökonomie m. E. am Ende mit ihren Beiträgen.

Ein entlastender Beitrag könnte aus der naturwissenschaftlichen Ecke kommen. Die Ökonomie denkt (leider) immer nur in ihren selbstgeschaffenen ‚Denkschachteln‘. Let‘s think out of the box: Was gilt als ein wirklich kritischer Wert hinsichtlich unserer ökologischen Entwicklung? Das ist nach heutiger Erkenntnis z.B. die CO2-Freisetzung, die wir aus guten Gründen glauben, drastisch einschränken zu müssen. Und die absehbare Lösung sieht die Plafondierung und die einvernehmlich planvolle Absenkung des CO2 Kontingents für die Wirtschaft vor.

Dabei könnte eine marktwirtschaftlich orientierte Methode helfen: Über den Zertifikatehandel, als Markt konzipiert, verbunden mit einer strikt sinkenden Plafondierung des national zulässigen Maximalausstoßes von CO2, wird das klassische Wachstum laufend teurer gemacht. Dabei laufen zwei Entwicklungen zusammen: Die planmäßige Reduktion des absoluten Ausstoßes von CO2 durch die Politik lässt bei zunehmender Knappheit der Zertifikate den Preis der CO2-Zertifikate stark, schnell und nachhaltig steigen.

Wer unter den neu geschaffenen Bedingungen „wachsen“ will, muss am besten kein CO2 ausstoßen oder muss sein Wachstum zu ständig steigenden CO2-Preis finanzieren. Wachstum als Maßstab des wirtschaftlichen Erfolgs könnte sich auch als überflüssig erweisen, weil die Wirtschaft in Anpassung an die neu entstehende Situation andere, eventuell sogar sinnvollere Parameter entwickeln wird, um künftig ökonomischen und ggfs. sogar ökologischen Erfolg allgemein messbar und beschreibbar zu machen.

Die Gewinnmaximierung wird dann eine Strategie sein, die bei den beschriebenen Randbedingungen (der Plafonierung) viel zu hohe Kosten und ein zu hohe Risiko auslösen wird, um dieses Ziel weiter zu verfolgen. Ohne das ausdrückliche Gewinnmaximierungsziel wird auch der überzogene Wettbewerbsgedanke auf ein „menschliches“ Maß zurückgehen. Das menschliche Maß pflegt neben dem Wettbewerb insbesondere die Kooperation, (die wir bisher gar nicht messen können oder wollen, weil sie nicht ins Konzept des gegenwärtigen Wettbewerbsverständnisses passt).

Die allgemeinen Renditeerwartungen werden drastisch sinken, weil die Maßnahmen zur Vermeidung von CO2 zusätzlich hohe Kosten auslösen werden. Die Lebensdauer von Investitionen wird sich im Gegenzug wegen der steigenden Kosten deutlich verlängern. Reparaturen werden wieder attraktiv und lassen sich zu einem Geschäftsmodell ausbauen. Damit schält sich so etwas heraus, was einer Vorstellung von ökologischer Nachhaltigkeit nahekommt. Lediglich bei der Effizienz scheinen unverändert hohe Ansprüche bestehen zu bleiben, weil durch die veränderte Kostenstruktur nur dann ein Überschuss erzielbar scheint, wenn effizient, d.h. kostengünstig, gearbeitet wird.

Wir haben oben damit begonnen, einen „Steady State“ Zustand als Ziel ins Auge zu fassen. Wir haben weiter festgestellt, dass die Ökonomie sich aufgrund der Art ihrer meist statistischen Variablen schwertut, eine sinnvolle Lösung aus ihrem Werkzeugkasten heraus zu entwickeln. Ein sinnvoll erscheinender Lösungsbeitrag stammt letztlich aus der Physik und ist konkret genug, das Problem in seien Auswirkungen zu beschreiben. Die Umsetzung des Lösungsbeitrages im Rahmen des bestehenden Systems erscheint dann wieder in der wirtschaftlich effektiven Form der Zertifikate möglich.

Es sollte aber niemand glauben, dass bei diesem Umbau mittelfristig alles beim Alten bleiben wird. So wie ich es versucht habe, darzustellen, dass die Ideologie der Gewinnmaximierung fallen wird, werden auch andere „heilige Kühe“ des Kapitalismus geschlachtet werden müssen. Ob das im Ergebnis noch der Kapitalismus ist, den wir seit Jahrzehnten so ’folgenreich‘(!) betreiben, erscheint mir fraglich.

Durch die Plafondierung des Zertifikatvolumens als Maßnahme der Politik (wer sollte es sonst tun können) wird künftig von dort das Ziel des Wirtschaftens neu bestimmt. Die heutige Annahme der Wirtschaft, dass ewiges Wachstum möglich und sinnvoll ist, wird mit der Plafondierung offiziell aus dem Verkehr gezogen. Und die Politik bekommt die einmalige Chance, das verlorene politische Terrain in der Ökonomie wieder erfolgreich zu besetzen. Ob sie den Machtzuwachs im Sinne des Gemeinwohls sinnvoll zu nutzen weiß, bleibt abzuwarten.

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