In der Wochenendausgabe der SZ vom 8./9.Dezember 2018 wurde im Wirtschaftsteil ein Samstagessay von Werner Bartens mit der Überschrift „Gier ist menschlich“ veröffentlicht. Im ersten Schritt hatte ich den Essay überblättert. Am Donnerstag, den 20.12.2018 wurden dann in der SZ einige Leserzuschriften vorgestellt, die sich gegen die Aussage von Bartens heftig zur Wehr setzten. Ich habe die Ausgabe wieder herausgesucht. Bartens will die Gier hoffähig machen, verharmlosen, aber so wie Bartens Gier darstellt, ist sie Krankheit oder Sucht. Das gilt es klar darzustellen.
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Unser Wirtschaftssystem lebt von der Gier. Wenn also im Wirtschaftsteil Gier als harmlos, als menschlich oder gar wertvoll dargestellt wird, fragt man sich schon, welche Absicht dahinter steht. Und damit bekommt der Essay Gewicht.
Die Leserbriefe haben sich zum Teil auf Erich Fromm bezogen, der die Forderung aufgestellt hat, weniger Haben als mehr Sein ins Leben zu bringen. Fromm ist mir nur oberflächlich vertraut. Ich möchte deshalb einen anderen Argumentationsweg einschlagen.
Es ist auf den ersten Blick richtig: Gier ist menschlich, solange wir uns auf dem Feld der Biologie befinden. Die Gier ist Teil unseres Selbsterhaltungstriebs. Die biologische Gier zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie nicht grenzenlos ist. Hunger als Gier nach Nahrung endet, wenn der Hunger gestillt ist. Mehr geht dann nicht mehr oder führt zur Übelkeit. Bei Durst als Gier nach Flüssigkeit gilt das Gleiche. Selbst im Rahmen der Fortpflanzung oder der Sexualität gilt die Tatsache: mit der Befriedigung ist die Gier erstmal vorbei.
Nun gibt es Ausnahmen. Es gibt Menschen, die essen und trinken ständig zu viel und/oder das Falsche. Das ist eine Frage des Informiert seins oder das Verhalten ist mehr oder weniger krankhaft. Wer das biologische Maß nicht halten kann, bei dem die Befriedigung der Gier nicht zur Sättigung seines Verlangens führt, hat i.d.R. ein gesundheitliches Problem, das man mit dem Wort Sucht i.w.S. umschreiben muss.
Der Autor Bartens, der uns leichtfüßig klar machen will, dass Gier menschlich ist, spricht in seinen Beispielen, die er ins Rennen führt, nicht von biologischer Gier. Er spricht von monetärer Gier und diese Gier ist die einzig denkbare, bei der eine Sättigung nicht eintritt und bei der eine Sättigung auch systemisch nicht vorgesehen ist. Bei allen anderen Formen von Gier hat uns die Natur einen Riegel vorgeschoben, damit die Gier uns nur zeitweilig treibt bis Befriedigung wieder eingetreten ist. Auch die monetäre Gier hat im Grunde bei den meisten Menschen eine rationale Grenze: man kann nicht gleichzeitig in zwei Autos sitzen, man kann sich nur einmal satt essen, man kann zur gleichen Zeit nur in einem Haus wohnen. M.a.W.: Die Mehrzahl der Menschen hat auch bei der monetären Gier eine einfache Balance: Wieviel mehr muss ich mich einbringen oder von meiner Freizeit oder Freiheit aufgeben, um eine höhere monetäre Befriedigung zu erzielen. Diese Betrachtung der Work-Life-Balance wird mit steigendem Einkommen und wachsendem Arbeitsdruck immer wichtiger und begrenzt normalerweise die monetäre Gier des Menschen. Das hier beschriebene Vorgehen trifft auf die Masse der Bevölkerung zu.
Und es geht um Geld gegen Leistung, es geht um das, was man Verdienst nennt. Monetäre Gier setzt aber erst dort ein, wo die Frage, ob die Person überhaupt noch (über Leistungseinsatz) verdient, fragwürdig wird. Eher erlöst die Person ein Einkommen, das nicht mit seiner unmittelbaren Leistungsfähigkeit verknüpft werden kann.
Die Beispiele, die Bartens heranzieht, sind absolute Ausnahmesituationen. Wer von uns Normalbürgern verdient oder besser erlöst schon zweistellige Millionenbeträge im Jahr? Das entspricht mehr als dem Lebenseinkommen eines statistischen Durchschnittsverdieners. Da ist doch die beschriebene Gier eine absolute Ausnahmesituation, in die 99 Prozent der Bevölkerung gar nicht kommt. Und nun erzählt Herr Bartens, dass wir doch davon ausgehen sollen, dass diese monetäre Form der Gier menschlich sein soll. Die beschriebene Gier ist eindeutig nicht mehr menschlich, sie ist krankhaft und ich wäre Herrn Bartens sehr verbunden, wenn er diese Krankheit nicht als das Normale verkauft, sondern als das, was es ist: eine heftige Suchterkrankung, die wir leider in unserer Gesellschaft in der Kategorie „Hero“ darstellen und nicht erkennen wollen, dass er eine ganz arme psychopathische Kreatur repräsentiert. Und da wäre ich dann sicherlich wieder bei Erich Fromm.
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