Jörg Häntzschel hat in der Süddeutschen Zeitung vom 16.8.2016 einen lesenswerten Artikel zur Mobilität veröffentlicht. Danach könnte hinsichtlich des künftigen Verständnisses der Mobilität ein Systemwechsel anstehen. Die deutsche Automobilindustrie jedoch pflegt immer noch unverändert die alten, im Grunde überholten Leitbilder von der großen Freiheit und vom schnellen Fahren. Die Wirklichkeit zeigt, dass die öffentlichen Verkehrsmittel heute nicht nur auf langer Strecke dem Automobil überlegen sind, sondern auch im Kurzstreckenverkehr der Großstadt. Dabei wird nicht nur das Fahren zum Problem, sondern der ruhende Verkehr (das Parken) nimmt zunehmend dem fahrenden Verkehr den Raum weg.
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Das Paradoxe dabei ist, dass das Automobil als langjähriges Mittel zur Mobilität die Funktion der Mobilität zunehmend einschränkt. Häntzschel macht plausibel, dass u.a. die bisher strikte Trennung von öffentlichem und privatem Verkehr als überholt anzusehen ist. Wir stehen vor der Herausforderung, ein neues Verständnis von Mobilität entwickeln zu müssen.
Das Verhalten der ‘Jumbos‘ in der Automobilindustrie scheint ein Stück weit mit der Situation der Energie-‚Jumbos‘ vergleichbar zu sein. In dem Energie-Markt hatte sich (mit Unterstützung der Politik) ein Oligopol breit gemacht. Die unheilvolle Allianz der großen und punkuellen, aber auch energetisch oft ineffizienten Großanlagen der alten Energiewirtschaft wurde durch eine Technologie überrascht, die eine dezentrale Energiegewinnung möglich macht und so viel Strom bereitstellt, dass der Strompreis (dank der Einrichtung der Strombörse) soweit sinkt, dass die Großanlagen ihre Wirtschaftlichkeit einbüßen. Die Entscheidung der Politik, angeblich ausgelöst durch Fukoshima, die Kernkraft aufzugeben, muss heute als Vorwand dafür herhalten, dass die Energiewirtschaft trotz vieler Warnungen bedauerlicherweise die Entwicklung in ihrem Markt verschlafen hat.
Droht durch die Neuformulierung unserer Mobilitätsvorstellungen dieses energiewirtschaftliche Debakel auch den ‚Jumbos‘ der Automobilindustrie? Die hohe Zahl der Automobile auf unseren Straßen lässt die Fahrgeschwindigkeit sinken, die Zahl der Staus kostet uns Millionen produktiver Stunden und der ruhende Verkehr verstopft abends die Wohn- und tagsüber die Gewerbeviertel. Zunehmend mehr Großstädter lehnen es ab, sich ein Auto anzuschaffen, weil der Parkraum nicht zu vertretbaren Kosten zur Verfügung gestellt werden kann und die Alternative, der ÖPNV, in vielen Großstädten so komfortabel geworden ist, dass ein Wechsel problemlos funktioniert.
Die Technologie des Automobils marschiert stramm in Richtung Autopilot und selbstfahrenden Einheiten. Wer glaubt denn, dass die Algorithmen dieser Systeme noch einen Begriff von „Freiheit“ entwickeln oder „die Sau“ rauslassen – nein, sie werden mit ihrer intelligenten Vernunft uns sicher und entspannt durch einen Verkehr manövrieren, der hochverdichtet ist. Heute braucht ein Fahrzeug eines Beschäftigten mindestens zwei Parkplätze (einen zu Hause und einen in der Arbeitsstelle). Ein intelligentes Fahrzeug, das einen Beschäftigten künftig zur Arbeit bringen kann, ist auch intelligent genug, das Automobil wieder zuhause abzustellen. Das spart einen Parkplatz, und wenn dann die Ehefrau damit Einkaufen fahren könnte, eventuell auch den Zweitwagen. Wenn der Autopilot fährt, hat der Fahrer keinen Einfluss mehr auf seine Geschwindigkeit – was sollen dann all die überflüssigen Pferdestärken, über die heute noch PKWs verkauft und nachgefragt werden?
Alexander Dobrindt meint: „Wir erleben eine Entwicklung, bei der wir nicht wissen, ob die Top-Hersteller von heute noch die Top-Hersteller in zehn Jahren sein werden.“ Wir werden beobachten können, ob der Autoindustrie die gleiche Falle droht, in der sich die Energie-Jumbos gegenwärtig verfangen haben.
Was könnte man als nüchterne Konsequenz daraus ablesen? Große Unternehmen, und insbesondere Großkonzerne sind kaum in der Lage, auf ihren Markt zu hören, weil sie sich allzu oft gewöhnt haben, ihren Markt durch gezieltes Marketing zu ‚gestalten‘. Großkonzerne sind i.d.R. auch keine Technologieunternehmen mehr. Ihren relevanten ‚Markt‘ sehen sie woanders: Sie sind börsengetriebene Finanzunternehmen, die jede wirtschaftliche Fragwürdigkeit begehen, wenn sie nur (kurzfristig) Ertrag bringt und den Shareholder Value in den Augen der Börsen hebt. Das hat mit (technologischer) Innovation überhaupt nichts zu tun. Deshalb findet dieses Thema auch in den Chefetagen der Automobilindustrie bisher wohl keine Priorität.
Die Technologien rund um das Automobil sind relativ alt. Schauen Sie sich deshalb mal die großen Unternehmen der Internetbranche als Vertreter einer relativ jungen Technologie an. Das waren in den Anfängen des Internets mehrheitlich Technologieunternehmen, die über die Innovationen des Internets groß geworden sind. Google hat sich dann innerhalb von einem knappen Jahrzehnt von einem Technologieunternehmen in ein nach finanzwirtschaftlichen Grundsätzen geführtes, börsendominierten Beteiligungsunternehmen verändert. Es trägt zur technologischen Innovation selber nichts mehr bei, es hat nur noch die Funktion einer ‚Gelddruckmaschine‘ und ist an der Mehrung und Absicherung seines wirtschaftlichen Einflusses interessiert. Die ‚Innovation‘ dieser großen Einheiten beschränkt sich auf neue Finanzprodukte bei Börsentransaktionen, die einseitig den Aktionären monetäres Wachstum versprechen. Wir werden nur warten müssen, bis sich in der Technologie des Netzes irgendwo etwas Entscheidendes verändert, um feststellen zu können, dass dann diese ‚Jumbos‘ wegen fehlender Flexibilität oder mangelnder Innovationsfähigkeit in derselben Falle stecken werden wie die Energie-Jumbos heute.
Großunternehmen sind riesige Bürokratien und verstecken ihre mangelnde Fähigkeit zu Innovation und Flexibilität hinter dem Kauf- und Verkauf von Unternehmen. Die Innovationserwartung werden auf die Neuerwerbe projiziert, die sie aus eigener Kraft nicht realisieren können.
Die Großkonzerne produzieren nur noch Geld, kaum Arbeitsplätze und wenn ihr Investitions-Interesse sich neuen Ufern zuwendet, hinterlassen sie i.d.R. Unternehmen, die in ihrem wirtschaftlichen Potenzial völlig zerstört und ausgelutscht sind. Wo liegt der Nutzen dieser ‚Jumbos‘ für die Gesellschaft? Wie lässt sich ein solches Verhalten politisch rechtfertigen? Würde im Spektrum der wirtschaftlichen Aktivitäten wirklich etwas fehlen, wenn Konzernagglomerationen ab einer gewissen Größe nicht mehr zugelassen und bestehende in kleinere, wendigere und innovativere Einheiten aufgelöst würden? Das würde aber bedeuten, dass dem Primat der Politik wieder Rechnung getragen werden müsste, denn so viel wirtschaftliche Vernunft mit einer längerfristigen Perspektive ist von kapitalistischen Wirtschaftsfunktionären systembedingt nicht zu erwarten.
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