Mein erster Eindruck hat mich nicht in die Irre geführt. Nach einer kurzen Nachricht des Verlags ist das Buch „Ihr habt keinen Plan (darum machen wir einen)“ ein sogenannter Bestseller. Diese Auszeichnung sagt gewöhnlich nichts über die Qualität des Buches, aber es lässt die Verbreitung des Buches erahnen.
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Meine größte Sorge beim Lesen dieser ‚Probleminventur‘ war, dass die sogenannten Leitmedien die Sache schlicht ignorieren werden (wie sie es schon häufig getan haben). Das wird bei einem Bestseller einfach schwierig. Wenn zu viele dem Buch ihre Beachtung schenken, (und es auch lesen) werden es auch die Mainstream-Medien tun (müssen) – schweren Herzens!
Damit sind meine ersten Bedenken ausgeräumt. Das Buch wird also seine notwendige Beachtung finden. Jetzt kommt es auf die Reaktionen an. Das Buch fordert heraus und ich bin auf den Tenor der Reaktionen gespannt. Da die Forderungen einen hohen Anspruch verkörpern, ist mit einigem Gegenwind zu rechnen. Deshalb wäre es ein sinnvolle Strategie der Generationen Stiftung, sich zur Umsetzung der Forderungen über ein paar wesentliche Punkte klar zu werden: Die hundert Forderungen, die das Buch aufzählt und zu begründen versucht, sind nicht alle in gleicher Weise von Bedeutung hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit und hinsichtlich des Zeithorizontes.
Was ist langfristiges Ziel und was ist unumgänglich jetzt umzusetzen? Das langfristige Ziel hat eine Zeitachse, mit der man relativ flexibel umgehen kann. Die unumgänglichen Sachverhalte müssen in nächster Zukunft umgesetzt werden. Hier besteht keine Flexibilität. Diese Unterscheidung sollte man aber getroffen haben, bevor man ggfs. in eine Verhandlung eintritt (oder auch in Interviews seine(n) Mann/Frau stehen muss), um auch dem Verhandlungspartner gleich klare Grenzen setzen zu können – was ist verhandelbar (diskutierbar) und was nicht.
Wenn ich die hundert Forderungen Revue passieren lasse, so drängt sich mir der Eindruck auf, dass die Realisierung bestimmter (Kern-)Forderungen schon eine Situation schaffen kann, in der möglicherweise einige der (Rand-)Forderungen keine oder nur noch eine geringe Bedeutung behalten. Diese Kernforderungen sind in den künftigen Diskussionen besonders herauszustellen und, soweit möglich, pragmatisch nachvollziehbar zu begründen.
Hierzu ein Beispiel, das in dem Buch m.E. nicht erfasst ist: Die Forderung, die kommerzielle Werbung auf die Beschreibung der Produkte (Werbung über Fakten) zu beschränken. Das Ziel wäre eine Aufhebung der psychologisch orientierten Status-Werbung und die Einschränkung des „Treibers“ für Überfluss und Konsum sowie die sich daraus ergebende Produktion von Müll. Mit anderen Worten: Eine sinnvolle Maßnahme schafft möglicherweise viele unerwartete Nebenwirkungen, die in erster Line gar nicht im Fokus gestanden haben. Oder denken wir an eine Einschränkung des Alkoholkonsums durch kräftige Preiserhöhungen, Verbot des Verkaufs an Minderjährige, Verbot des Verkaufs nach 22:00 Uhr: alles Maßnahmen, die den übermäßigen Alkoholkonsum in Deutschland sehr rasch auf das Niveau eines Genussmittels zurückführen. „Saufen“ muss etwas für arme, bemitleidenswerte Abhängige sein, so wie Raucher inzwischen keine in den Sonnenuntergang reitenden Helden mehr sind, sondern sich für ihre Abhängigkeit quasi entschuldigen und vor die Tür treten müssen.
Einige Forderungen münden zwangsläufig in ein Verbot. Hier tut sich unsere Politik besonders schwer, weil ein Verbot eine eindeutige und abschließende Haltung zum Ausdruck bringt. Und das ist nicht die Stärke unserer gegenwärtigen Politik und ihrer Unterstützer. Bei Verboten, so scheint mir, müssen sich die Massen durch den Verbots-Sachverhalt mobilisieren lassen, ähnlich dem Rauchverbot in Bayern oder dem Volksbegehren zum Bienensterben. Der Sinn eines Verbotes muss in ganz einfachen Worten emotional vermittelbar sein, um ein Erfolg zu werden. Verbote haben den Nachteil, dass wir nicht davon ausgehen können, dass sich die Bürger automatisch daran halten. Also muss das Verbot den unausgesprochenen Wunsch der Bürger treffen. Oder es muss eine Kontrollinstanz ins Leben rufen werden, die dann die nächsten Generationen nicht mehr aufgelöst wird, obwohl der Grund für die Kontrollen inzwischen weggefallen sein kann.
Die ersten Gegenargumente, die ich insbesondere von meiner Altersklasse gehört habe, waren Empörung, dass sich „die Jungen“ eine Anklage in so klaren Worten aufzustellen trauen. Das ist weitgehend unbeachtlich. Der zweite Vorwurf, den ich zu hören bekam, ist die Tatsache, dass hier nicht nur die Klimaproblematik (der Klimanotstand), sondern auch die soziale Frage angesprochen wird. „Das ginge doch gar nicht“ und das rücke das Vorhaben in die politisch ‚linke‘ Ecke. Dieses Argument vergisst, dass alle substantiellen Forderungen im Rahmen gesellschaftlicher Systeme spätestens seit der Aufklärung immer links angesiedelt sind, weil auf der rechten Seite regelmäßig jene sitzen, gegen die die Forderungen gerichtet werden müssen. Die Kategorie ‚links‘ ist immer mit den Forderungen und den Anliegen der Menschen (des Sozialen) verknüpft und die Kategorie ‚rechts‘ beschreibt regelmäßig die Seite, die (schnöde) ihre Privilegien (das Vermögen, die Macht, den Einfluss) verteidigen. Die rechte Seite neigt dazu, den Mitmenschen nicht als eigenständigen Wert zu betrachten, sondern durch ihre Brille primär als Mittel zur Mehrung von Vermögen, Macht und Einfluss zu verstehen.
Dabei hat „links“ nichts mit Sozialismus i.w.S. zu tun, sondern beschreibt lediglich die alte Sitzordnung, die bei den Verhandlungen während und nach der französischen Revolution zwischen den Fordernden (den „Revolutionären“), die auf der linken Seite und den Privilegierten und Etablierten (Inhaber von Eigentum und Macht), die auf der rechten Seite Platz zu nehmen hatten. Als Folge sind „Rechts“ und Links“ zwei Seiten der gleichen Medaille und repräsentieren immer nur die Perspektive des Betrachters und seiner eigenen Position. Jede Erfüllung einer Forderung der „Linken“ macht den (linken) Vertreter der Forderung zum Inhaber von (kleinen) Privilegien. Das ist die Strategie der „Rechten“: mit großen Worten unbedeutende Privilegien zu schaffen und damit in die „linke“ Seite den Spaltpilz einzuführen, um die Macht der Forderungen für die Zukunft zu schwächen. Das Buch stellt den Menschen in den Mittelpunkt und argumentiert vom Menschen her und damit ist klar, wo die Gegner dieser Gedanken wohl zu finden sein werden.
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