Die Gülleverordnung sorgt für Emotionen. Nicht deshalb, weil Gülle kein Problem wäre. Sondern weil die Ordnungspolitik im Bereich der Landwirtschaft seit Jahrzehnten sehenden Auges Zustände hat entstehen lassen, die bei einem Nicht-Landwirt nur ein Kopfschütteln auslösen kann. Viehwirtschaft erzeugt unvermeidlich Gülle – wir werden es den Nutztieren auch künftig nicht abgewöhnen können, Gülle zu produzieren.
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Das ist nach meiner laienhaften Verbraucher-Meinung auch kein Problem, solange der Landwirt zwischen der Zahl seiner Nutztiere und seinen bewirtschafteten Flächen hinsichtlich der Gülleausbringung eine Art sinnvollen Kreislauf herstellen kann. Es ist aber in meinen Augen unverantwortlich, wenn der Viehbestand ausgebaut werden darf, ohne für die dabei zwangsläufig entstehende Güllemehrung eine umweltverträgliche Lösung bieten zu können.
Aber das angesprochene irrwitzige Verhalten haben wir überall in unserem Wirtschaftssystem. Die Vertreter unseres Wirtschaftssystems werden nicht müde, die Effizienz unseres kapitalistischen Ansatzes zu preisen. Das stimmt vielleicht im Kleinen bei der einzelnen Unternehmung, aber das System als solches kann doch bei der vorhandenen Mülllawine keinesfalls als effizient bezeichnet werden. Oder sollten wir es so sagen: kein anderes denkbares Wirtschaftssystem produziert so effizient solche Mengen an vermeidbarem Müll. Und was machen wir? Wir machen daraus erst mal ein Geschäft – aber der „Dreck“ löst sich deshalb nicht in Luft auf. Wir betreiben intensiven Müllexport. Die Bevölkerung soll möglichst nicht merken: Der Müll droht uns zu ersticken.
Zurück zur Gülle: Deutschland ist vom EUGH verurteilt worden und wird, wenn es keine EU-konforme Gülleordnung präsentiert, bald täglich eine Strafe von über 800.000 Euro zahlen müssen. Und schon beginnt die landwirtschaftliche Lobbyarbeit der unterschiedlichen Beteiligten. Jeder versucht dem anderen wenigstens einen schwarzen Peter zuschieben zu können. Es werden Ausnahmen diskutiert, Umgehungen dargestellt und wieder verworfen. Es geht nicht um die Sache und darum, ein wichtiges Problem in der Landwirtschaft grundsätzlich und sinnvoll zu lösen. Man hat den Eindruck, die Politik ist bereit, sich auf eine Schmierenkommödie einzulassen. Es geht ja um das klassische Wählerpotenzial derer, die diese Gülleverordnung jetzt auf den Weg bringen müssen.
Es gibt in öffentlichen Raum immer mindestens zwei Lösungsarten: eine Lösung, die dem realen Problem gerecht wird und eine sogenannte politische Lösung. Sie ist eine Lösung, die den Druck aus dem politischen „Kessel“ nimmt, aber oftmals mit der Lösung des Sachproblems wenig zu tun hat. Meist wird die Problemlösung nur in die Zukunft verschoben. Wir haben lange Jahre mit der Lüge recht gut leben können, dass die politische Lösung in der Regel reicht. Aber diese komplizierten politischen Lösungen sind keine Lösungen, die ein Problem wirklich auflösen, sondern stellen eine Scheinlösung dar und schaffen (meist für die Zukunft) fünf neue, aber reale Probleme. Sie machen unser Leben komplexer und komplizierter und die politischen Antworten werden dabei immer unglaubwürdiger. Die Zeit der politischen Lösungen ist m.E. zu Ende. Wir müssen uns endlich der Realität stellen und die wirklichen Problemlösungen im Sinne des Ganzen anpacken. Dass diese Erkenntnis Geld kostet und manchem auch wehtun wird, muss uns dabei klar sein.
Wir sollten uns auch fragen, was denn geschehen wäre, wenn die EU – Kommission keinen Druck gemacht hätte: auf absehbare Zeit wohl gar nichts! Nun stimmen mir sicherlich viele zu, dass die EU-Kommission bezüglich ihrer demokratischen Legitimation nicht unbedingt als gutes Beispiel gelten kann, aber wie es scheint, wird dort hin und wieder unmissverständlich zur Handlung aufgefordert. Trotz klarer Aufforderung an unsere Regierung hat das seit Jahren zu keinerlei Maßnahme geführt. Erst wenn täglich 800.000 Euro Strafe auf dem Spiel stehen, bewegt man sich träge aus der politischen Komfortzone und ist dabei offen für jede taktische Sinnlosigkeit der Lobbyisten. Man könnte vom demokratischen Glauben abfallen. Ich kann mir gut vorstellen, dass angesichts dieser „Herum-Eierei“ ein beachtlicher Teil der Bevölkerung beginnt, die markigen (aber meist leeren) Worte der Rechtsausleger sympathisch zu finden. Gleichzeitig platzt der jungen Generation der Kragen über so viel Unvermögen. Wen wundert‘s?
Je komplizierter und differenzierter die Gülleverordnung ausgestaltet wird, desto mehr Umgehungen und Ausnahmen werden möglich sein. Man kann nicht ausschließen, dass das Legen von Schleich- und Umgehungswegen letztlich auch ein Ziel der Politik ist. Aber, meine Damen und Herren Politiker, wir haben neben vielen anderen Problemen ein Problem mit dem Nitrat im Grundwasser – nicht überall, aber viel zu oft. Lösen Sie es, aber nicht nur bis zur nächsten Wahl, sondern nachhaltig! Und wenn sie tatsächlich durch sinnvolle Maßnahmen aus der Regierung verdrängt werden sollten, – was ich nicht glauben kann – dann war es wenigsten für etwas gut gewesen, auf das sie stolz sein können. Der Wähler ist begriffsstutzig, aber sie kennen doch ihre Klientel und all die schmutzigen Tricks, wie man Propaganda macht, wenn es um viel Banaleres und Nebensächlicheres geht. Sonst holen sie sich bitte Anregungen bei Edward Bernays.
Die Lösung des Problems muss einfach und radikal sein. Und sie ist m.E. seit Jahrhunderten allgemein bekannt und nur angesichts der fragwürdigen Versprechungen der Technologie in Vergessenheit geraten. Einige Landwirte haben wider besseres Wissen, aber mit Aussicht auf ein höheres Einkommen ihre Viehbestände rasant erhöht ohne sich gründlich Rechenschaft abzulegen, was mit dem unvermeidlichen Kuppelprodukt Gülle passieren soll. Gülletourismus darf nicht zu den Lösungen gezählt werden. Das ist genauso kurzsichtig wie Mülltourismus.
Meine unmaßgebliche Meinung zur Lösung ist der Ansatz einer Art Kreislaufwirtschaft mit einer wissenschaftlich gestützten Vorgabe von Fläche (ha) pro Vieheinheit, die sicherstellen kann, dass bei vernünftiger Ausbringung der Gülle kein Nitrat im Grundwasser landet. Für einen fixierten Zeitraum muss die Politik dafür sorgen, dass jene Landwirte, die sich nicht nachhaltig aufgestellt haben, hier einen Übergang finden können. Der Übergang ist auch deshalb verpflichtend, weil das nicht-nachhaltige Verhalten in den Vorjahren politisch toleriert bzw. sogar subventioniert war.
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