Angeregt von einem Artikel zum Grundeinkommen von Heinrich Alt, (ehemaliges Vorstandsmitglied der Bundesanstalt für Arbeit), den er mit dem Begriff „Horrorvision“ überschrieben hat, will man wissen, was ihn zu dieser Einschätzung bewog (SZ, 11.1.2017).
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Man kann erkennen, dass ihm die gegenwärtigen politischen Herausforderungen vertraut sind. Aber seine Argumente lösen keines der anstehenden Probleme. Eher gewinnt man den Eindruck, er stellt Forderungen auf, die einen sinnvollen Lösungsbeitrag eher schwieriger machen.
Sein erster Vorwurf ist, dass wir zwar sehen, was wegfällt, ohne zu erkennen, was Neues entsteht. Er bezieht sich dabei auf die Transformation in der Digitalisierung (Industrie 4.0) mit dem damit verbundenen Verlust von zahllosen Arbeitsplätzen. Er meint, dass in keiner Weise erkennbar ist, wieviel Arbeitsplätze dann z.B. im Gegenzug im Bereich der Cybersicherheit neu entstehen. Das mag mittelfristig nicht verkehrt sein. Aber diejenigen, die in naher Zukunft durch die Geschwindigkeit der Transformation ihre Arbeit verlieren, werden wohl nicht wieder am darauf folgenden Montag in der Cybersicherheit auftauchen können. Für sie bricht erst einmal eine Welt und eine Lebensperspektive zusammen.
Alt spricht dann von einem Allzeithoch der Erwerbstätigkeit. Dieses Argument hat zwei Seiten: erstens wirkt sich die Transformation in Deutschland noch nicht aus – manche sagen, das Land habe diesen Trend verschlafen und es wird deshalb verzögert um den Schlaf gebracht. Die andere Seite des Arguments ist die Tatsache, dass wir zur Erwerbstätigkeit auch einen riesigen Niedriglohnsektor zählen, in dem niemand von seiner Arbeit wirklich leben, geschweige denn eine Altersvorsorge aufbauen kann. Letzteres Problem wird den Niedriglohnbereich stracks in die Altersarmut führen. Hier müssen Lösungen her und das Grundeinkommen wäre eine solche Alternative.
Wenn die Transformation so kommt, wie sie an die Wand gemalt wird, haben wir kein Demographieproblem mehr. Die Herausforderung, die sich durch die Demographie ergeben soll, liegt ja darin, dass immer weniger Menschen in Arbeit für immer mehr Menschen sorgen müssen, die das Arbeitsleben hinter sich gelassen haben. Wenn aber vereinfacht ausgerückt immer mehr „Maschinen“ die Arbeit des Menschen übernehmen, so werden letztlich die Maschinen mit ihrer Wertschöpfung den Beitrag erwirtschaften müssen, den unter anderen Bedingungen die Menschen erwirtschaftet haben. Wir dürfen jedoch davon ausgehen, dass die „Maschinen“ in der Mehrzahl ihres Einsatzes wesentlich effizienter sind. Dieser Produktivitätsvorteil sollte ja wohl zum Teil darauf verwendet werden, die Menschen ohne Arbeit oder im Ruhestand zu unterstützen und zu finanzieren. Es kann ja nicht sein, dass diese Transformation ausschließlich das Vermögen der Aktionäre steigert und dann für die Verlierer achselzuckend festgestellt wird: selbst schuld! – Das würde dem neoliberal verordneten Selbstbild der abhängig Beschäftigten durchaus entsprechen. Darüber spricht aber Herr Alt nicht.
Worüber Herr Alt auch nicht spricht: Alle die Menschen, die „freigesetzt“ werden, fallen bei minimaler Versorgung ganz allgemein als künftige Konsumenten aus. Da die Digitalisierung aber nicht nur in Deutschland ihre Wirkungen ausleben wird, sondern auch in den Ländern, in die wir ‚weltmeisterlich‘ exportieren, bricht durch die Transformation möglicherweise im großen Stil der Absatz unserer Industrie 4.0 weg. Da nützt es dann wenig, hoch digitalisiert zu sein – irgendjemand muss die Produkte letztlich auch kaufen wollen und muss dazu finanziell in der Lage sein können. Wenn das nicht mehr gewährleistet werden kann, ist unser Wirtschaftssystem am Ende – egal, ob mit oder ohne Transformation.
Herr Alt bringt dann noch eine Reihe von Argumenten, die zwar nicht verkehrt sind, aber eben aus der „alten“ Kiste vor der Transformation stammen. Und die Transformation droht sich in einer Weise durchzusetzen, bei der diese „Werte“ möglicherweise überrannt werden. Herr Alt meint dabei, dass das Grundeinkommen die Wirtschaft gegenüber den Erwerbsfähigen von jeder Verantwortung freikauft. Ist das nicht schon heute ohne Grundeinkommen eine gerne verschwiegene Tatsache? Die „Industrie 4.0“ hat doch das Ziel, den Menschen soweit als möglich überflüssig zu machen. Wo soll denn da eine Verantwortung bestehen oder sich entwickeln. Je mehr wir auf die Verantwortung pochen, umso schneller wird die Transformation voranschreiten. Und das Argument hat absolut nichts mit dem noch einzuführenden Grundeinkommen zu tun. Hier wird das Grundeinkommen für Sachverhalte verantwortlich gemacht, die aus komplett anderen Gründen entstehen werden.
„Jeder hat einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung.“ Beteiligungsgerechtigkeit sei angeblich ein konstitutives Element unserer Wirtschaftsordnung. Herr Alt, wo leben Sie? Das sind politische Sprüche aus der Zeit meiner Jugend, die seit 30 Jahren auf dem Rückzug sind. „Jeder wird gebraucht.“ Das würde ich gerne unterschreiben, aber unsere Wirtschaftsordnung ist gerade dabei, diesen Satz ad absurdum zu führen. Wir werden jeden brauchen, aber nicht in der Wirtschaft. Diese Aussage kann auch die Wirtschaft nicht erfüllen, hier ist die Gesellschaft gefragt, die jene Werte hervorbringen und stützen muss, die unsere Wirtschaft rücksichtslos aufgrund ihrer Effizienz-Logik Tag täglich verheizt.
Und erst jetzt kommen wir zum Grundeinkommen. Denn die Tatsache, dass sich auch hohe Wirtschaftsfunktionäre mit dem Grundeinkommen beschäftigen, ist keine Folge übertrieben sozialer Anwandlungen. Es ist schlicht die Erkenntnis, dass man die Massen, die durch die Transformation aus der Arbeit gedrängt werden, auffangen muss. Man hat hier vielleicht die Verhältnisse der zweiten Transformation in England vor Augen, als die unbeschäftigten Massen vom Land in die Städte strömten auf der Suche nach einer realen Überlebenschance. Man kann jetzt unterstellen, dass wir heute kultivierter seien als 1830 in England, aber das ist nicht das auslösende Moment: es geht den Wirtschaftsfunktionären ausschließlich darum, die kapitalistische „Kiste“ am Fliegen zu halten. Und hierzu braucht es die Kaufkraft dieser Massen. Sie muss erhalten werden und dafür sucht die Wirtschaft Verbündete, um die sich daraus ergebenden Lasten Dritten, bevorzugt dem Staat, auf zu bürden. Es ist bisher nicht zu erkennen, ob die Wirtschaft selber Beiträge zu leisten bereit ist.
Ein andere Argument für das bedingungslose Grundeinkommen ist in ‚gehobenen Kreisen‘ auch schlicht die um sich greifende Angst vor heftigen Umwälzungen. Man ist sich der wachsenden Staatsverschuldung, die primär den ‚kleinen Mann‘ trifft und der teilweise obszönen Einkommens- und Vermögensverteilung sehr wohl bewusst und fürchtet schlicht um seinen Besitz. Man ist aus dieser Sorge heraus bereit, einen ‚kleinen‘ Teil seines Vermögens eventuell zu opfern, damit der Status quo möglichst lange erhalten bleibt. Die Freiheit, die Vermögende in Europa genießen können, wird von ihnen angesichts der ‚gated areas‘ in USA, der hohen Unsicherheit in Russland, in Brasilien und anderen Ländern, wo man sich nur noch in gepanzerten Limousinen bewegt, sehr geschätzt. Und als Geschäftsleute ist ihnen sicher auch klar, dieses Privileg wird á la longue auch etwas kosten müssen. Und in diesem Sinne muss man die Haltung dieser Klientel zum Ansatz des Grundeinkommens verstehen – und letzten Endes bei der geplanten Umsetzung dieses Eingeständnis dann auch nutzen.
Es muss auch jedem klar sein: Denjenigen, die das bedingungslose Grundeinkommen ins Leben gerufen haben, waren diese Gedankengänge vermutlich fremd. Sie haben ein Problem erkannt und wollten hierfür eine Lösung anbieten. Wie so oft, kommt dann dieser wohltätige Ansatz in das Räderwerk des wirtschaftlichen Denkens und man könnte verzweifeln – aus dem netten Baby wird möglicherweise ein ‚Monster‘, dafür werden sich aber die Umsetzungschancen der Idee dramatisch erhöhen. Jetzt geht es darum, die Ausgestaltung primär sozialverträglich voran zu treiben. In etwa 10 Jahren könnte es dann soweit sein. Vielleicht ist es das, was Herr Alt als Horrorvision erkennt.
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