Die klaren Entscheidungen der Verwaltungsgerichte verwirren die Politik. So klare Entscheidungen sind sie nicht gewohnt. Dort wird mit Vorliebe aufgerechnet, was nicht aufgerechnet werden kann: man kann nicht Lebensqualität mit Arbeitsplätzen verrechnen, nur deshalb, weil bei einem Verlust von Arbeitsplätzen die eigene politische Position wackelt.
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Man kann sich nicht dem Verdacht erwehren, dass Teile der Politiker, die schon zum Ausdruck gebracht haben, dass es unverhältnismäßig sei, eine Innenstadt einer Großstadt wegen der massiven Überschreitung eines Grenzwertes für den Individualverkehr still zu legen, nun die Lungenfachärzte aus dem Hut zaubern. Diese Damen und Herren sind bereit, festzustellen, dass die Grenzwerte hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Grundlage fragwürdig seien, weil es hierzu nur sehr wenige „belastbare“ Studien gäbe. Die wenigsten Menschen, die das zur Kenntnis nehmen, sind in der Lage, diese Aussage zu bewerten. Das ist auch gar nicht wichtig. Es geht nicht um die Wissenschaft, es geht darum, „seriöse“ Damen und Herren zu finden, die einfach kraft ihrer Kompetenz zu Ausdruck bringen, dass die Grenzwerte, die gegenwärtig in der EU gelten, einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Ich denke, die Fachleute haben Recht. In Zeiten einer von Drittmittel dominierten Forschung kann man doch für Alles und Jedes eine ‚wissenschaftliche‘ Meinung kaufen.
Um den Meinungsführern der Lungenfachärzte den Wind aus den Segeln zu nehmen, hätten die diversen Moderatoren doch mal die praktische Frage stellen sollen, ob die Herren damit einverstanden wären, wenn als Experiment ihre Enkel an eine der Straßenkreuzungen dem Gestank und der Belastung eines zwei- bis dreifach überhöhten Grenzwertes nur für eine Stunde lang ausgesetzt würden? Zugegeben, es wäre ein menschenverachtendes Experiment, aber es macht den Unterschied deutlich, ob wir über wissenschaftliche Nachweisbarkeit oder über eine konkrete Belastung sprechen (egal, welcher Stoff die größere Belastung verursacht). Und diesen Unterschied verwischen die Argumente der Lungenfachärzte. Sie haben der Politik und der Automobilindustrie mit ihrer quasi wissenschaftlichen Aussage einen riesigen Dienst erwiesen, weil die Mehrzahl der Bevölkerung diese Unterschiede gar nicht versteht und verstehen will. Da bleibt nur hängen: Die Grenzwerte (und im Bausch und Bogen: alle Grenzwerte) sind fragwürdig oder gar falsch.
Bei diesem Gerangel auf den billigen Plätzen wird völlig vergessen, dass unsere Innenstädte zumindest zeitweise hochgradig lebensfeindliche Räume sind und es auch unabhängig von einer Grenzwertdiskussion bleiben werden. Das Problem wird durch Verkehr i.w.S. ausgelöst, also ist der Ansatz, den Innenstadtverkehr drastisch zu reduzieren, absolut richtig. Das wird kein verantwortungsbewusster Politiker abstreiten können! Wenn da nicht die Lobbyisten wären, die jeden Tag auf die Politiker einhämmern und insbesondere mit Arbeitsplatzverlusten argumentieren: Das ist eine unzulässige Aufrechnung von konkreter Gesundheitsbeeinträchtigung einer Mehrheit von Menschen gegen die möglichen, aber hochgradig ungewissen Arbeitsplatzverluste einer Minderheit. Denken Sie bitte nur an das „Theater“ mit dem Katalysator vor etwa zwanzig Jahren. Und um diesen Konflikt wissen die Medien und schweigen im Voraus eilenden Gehorsam.
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