Gesundheitswesen: Geld spielt keine Rolle?

In der SZ vom 24.4.2020 hat Nikolaus Piper unter der nahezu gleichen Überschrift einige Überlegungen und Ausführungen zum Gesundheitswesen gemacht. Einige Ausführungen sind unstrittig, bei anderen schwillt der Kamm, weil ganz subtil eine sogenannte ökonomische Sichtweise vertreten wird, die sich den Anschein gibt, sinnvoll und unverzichtbar zu sein, aber versteckt einem gnadenlos privatwirtschaftlichen Ansatz das Wort redet. Durch den ökonomisch geprägten Wortschatz werden Ideologien transportiert, die zu denken geben sollten.

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„Die Logik der Ökonomie verdrängt den Ethos der Heilkunst“: so lautet ein Aufruf von mehr als 200 Mediziner und 19 Organisationen (vgl. Piper), der kurz vor der Zeit der Corona-Pandemie verbreitet wurde. Piper sieht darin den Vorwurf, dass das Gesundheitssystem angeblich „kaputtgespart“ wurde als nicht gerechtfertigt an. Er verweist auf die große Leistung des Gesundheitssystems während der Corona-Welle und meint damit begründen zu können, dass dieser Vorwurf nicht zu rechtfertigen sei. Das sind aber zwei Dinge, die nicht mit einander verbunden sind. Die große Leistung des Gesundheitssystems wurde von den Menschen im Rahmen einer notwendigen Versorgung erbracht trotz der Unzulänglichkeiten und partiellen Überforderung des Systems.

Die Ökonomisierung schlägt insbesondere bei der finanziellen Wertschätzung der Arbeitskraft der Beschäftigten zu Buche. Es wurde ja in Zeiten der Corona-Krise deutlich, dass das Überstehen dieser Krise nicht durch die „Manager“ mit den großen Gehältern gesichert wurde, sondern durch die Vielzahl derer, die – ohne die Frage nach dem Entgelt zu stellen – angepackt haben. Das ist unter ökonomisch rationalen Nutzengesichtspunkten ein Verkauf der eigenen Leistung unter Wert! Das gilt als ökonomische Dummheit. Aber ist das in der gegebenen Situation die richtige Frage? Hier stoßen wir doch an die Grenzen der ökonomisch utilitaristischen Betrachtungsweise. Es wurde uns ein Stück Solidarität geboten; man kann auch hochtrabend von einem Ethos sprechen, den die Ökonomie nie in der Lage sein wird, sinnvoll darzustellen. Boni in einer Größenordnung von tausend oder fünfzehnhundert Euro (pro Person) ändern daran auch nichts.

Wir sollten darauf hinweisen, dass die sogenannte Ökonomisierung vielfach als „Privatisierung“ daherkommt. Auch das sind ganz klar zwei Paar Stiefel, die die großen Verfechter des Marktes und des Wettbewerbs nicht so gerne anerkennen. Angemessene ökonomische Praxis ist kein Monopol privater Organisationen. Staatliche Einrichtungen wie Krankenhäuser sind heute ökonomisch genauso gut oder schlecht geführt, wie privatisierte Einrichtungen. Der Kostendruck ist doch nicht nur bei den Privaten vorhanden. Die staatliche Einrichtung braucht ein Kostenmanagement, um mittelfristig eine schwarze Null sichern zu können. Die private Einrichtung macht kein Kostenmanagement, sondern Profitmanagement. Es reicht der privaten Einrichtung nicht, Aufwand und Ertrag mittelfristig in der Balance zu halten – sie muss zusätzlich für eine kleine Schar von Investoren Gewinne erwirtschaften, damit diese nicht das Interesse an dem privaten Investitionsobjekt verliert. Mit anderen Worten: neben der Balance von Aufwand und Ertrag muss die private Einrichtung zusätzlich einen Gewinn bereitstellen. Dieser Gewinn fällt nicht vom Himmel. Irgendwer muss ihn bezahlen – die Kranken, die Pflegekräfte und die Ärzte.

Von einer „medizinischen Versorgung“ der Menschen ist diese Sichtweise weit entfernt. Versorgung ist ein Begriff, den die Ökonomie jahrhundertelang gepflegt hat. Ökonomie kommt von „klugem Haushalten“. Mit der Gewinnmaximierungshypothese wurde diese Sichtweise aufgegeben. Haushalten ist keine Kategorie des rational Ökonomischen. Versorgen heißt nicht nur medizinisch-technische „Bearbeitung“, es heißt auch, die psychischen und sozialen Erfordernisse im Rahmen der Versorgung angemessen zu erfüllen. In Deutschland wurden bis heute 1/3 der Krankenhäuser von vor 15 Jahren als unrentabel ausgemustert. Unrentabel ist eine strikt ökonomische Kategorie. Könnte es sein, dass das – hintenherum – eine der wesentlichen Forderungen der Vertreter der Privatisierungswelle war, sicherzustellen, dass die privatisierten Krankenhäuser auch „profitabel“ sind? Mehr Volumen, größere Einheiten sind die notwendigen Garantien, um Profitabilität in den privaten „Krankenhausladen“ zu schaufeln. All diese Gedanken sind mit Sicherheit auch Teil des Begriffs der „Ökonomisierung des Gesundheitswesens“, die in dem oben genannten Aufruf der Mediziner angesprochen wurden.

Die Vorstellung, dass Geld im Gesundheitswesen keine Rolle spiele, ist sicher falsch. Es kommt entscheidend darauf an, welche Erwartungen mit der Bereitstellung des Geldes verbunden werden. Will man Versorgung im Sinne einer humanen Versorgung der Menschen oder wird die Institution schlicht als ein Hebel genutzt, um Geld aus Geld zu machen? Die öffentlichen Stellen sehen die Versorgung als erste Priorität und die Privatwirtschaft orientiert sich zuvörderst an der Profitabilität; Versorgung ist der privatwirtschaftlichen Sichtweise eine Nebenbedingung, die erfüllt werden muss, um den guten Eindruck nicht zu gefährden.

Das Kostenmanagement ist zwischenzeitlich sowohl in öffentlichen wie in privatwirtschaftlichen  Organisationsformen mehr oder weniger identisch und wird durch die Qualität des verfügbaren Personals bestimmt. Der kleine, aber wesentliche Unterschied liegt in der Erwartung von Profit, der nur dadurch gewonnen werden kann, dass man zusätzlichen Druck auf das Kostenmanagement macht. Letztere Vorgehensweise ist als „Profitmanagement“ zu bezeichnen!

Öffentliche Einrichtungen sind meist in größere kommunale Einheiten eingebettet und man täte gut daran, wenn man diese Einrichtungen nicht in den kommunalen, regelmäßig schwerfälligen Haushaltsapparat eingliedert, sondern den Einrichtungen weitgehende unternehmerisch-medizinische Entscheidungsfreiheiten ließe: Es gibt primär einen Versorgungsauftrag, ein klares Ziel der langfristigen Balance zwischen Aufwand und Ertrag. Sie erfordern eine Kapitalausstattung, die der Größe der Aufgabe angepasst ist. An letzterem scheitert es meistens, weil man in den politischen Gremien nicht wahrhaben möchte, dass das Vorhaben eine solch erhebliche Menge an Kapital bindet.

Viele Kommunen weisen zudem eine Finanzausstattung auf, aus der erkennbar ist, dass sie „auf dem Zahnfleisch kauen“. Dann erscheint die Privatisierung für manchen Stadtverordneten als unumgänglich, weil sie kurzfristig Geld in die leeren Kassen der kommunalen Körperschaft spült. Aber eben nur einmal, dann ist das „Tafelsilber verscherbelt“ und die Einflussnahme auf die Krankenversorgung als Teil einer kommunalen Grundversorgung ein für alle Mal verspielt.

Die politische Haltung folgt oft einem faulen Kompromiss in der Bereitstellung unzureichender Mittel, die dann mehrfach über die Jahrzehnte unter „Jammern und Zähneklappern“ in kleinen Teilbeträgen nachgeschossen werden müssen. In Summe bezahlt dann die Kommune ein Mehrfaches der ursprünglich notwendigen Kapital-Erstausstattung. Bei solchen Aktionen setzt sich leicht die Auffassung durch, dass eine Privatisierung für die Kommune einfacher wäre, weil sie dann nicht immer wieder mit dem Sachverhalt befasst werden muss. Das ist auch eine Form der Ökonomisierung. Es ist dann die eigene kommunale Unfähigkeit, die diese Haltung auslöst. Sie wird dann durch die angebliche Professionalisierung durch die Privatisierung überspielt. Die kommunale Bequemlichkeit und Unfähigkeit wird aber von den Kranken, den Pflegekräften und der ärztlichen Versorgung teuer bezahlt.

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