Die Umwelt-Hilfe hat es als Verein geschafft, die Politik zum Handeln zu zwingen. Die Politik tut sich unendlich schwer, dort ‚zubeißen‘ zu müssen, wo es offensichtlich den Unbelehrbaren wehtun wird. Es ist ein Skandal, dass die Politik ihre eigenen Vorgaben zu Lasten ihrer Wähler vernachlässigt und ignoriert, nur weil die industrielle Gegenseite, die die Politik zwar teilweise finanziert , aber nicht wählt, regelmäßig mit dem Verlust oder der Verlagerung von Arbeitsplätzen droht.
» weiterlesen
Das Traurige daran ist das mangelnde Selbstvertrauen der Politik in die Vorzüglichkeit der in Deutschland geschaffenen Infrastrukturen. Ein Unternehmen wird es sich dreimal und dann nochmal ernsthaft überlegen, ob es Arbeitsplätze in ein Land verlagert, das diesen Standard nicht zu bieten hat.
Was hat die Umwelt-Hilfe besser begriffen als die anderen NGOs? Es ist m. E. das erste Mal, dass es einer NGO gelungen ist, die Vertreter einer bräsigen, eher unwilligen Politik richtig vorzuführen. Sobald der Politik eine Konfrontation mit den sogenannten Geld-Eliten droht, werden ihre eigenen Standards wissentlich ignoriert. Aber das ist nicht der Punkt, auf den ich hinaus will. Das kritisieren schon viele andere mit mehr Sachkenntnis.
Mich interessiert die Vorgehensweise oder nennen wir es die Strategie der Umwelt-Hilfe. Es gibt zahllose NGOs. Die meisten verfügen über eine Portion guten Willens und vertrauen auf ihre Kommunikationsfähigkeit und von Zeit zu Zeit auf die Macht der Straße. Andere Optionen sind nur selten Gegenstand ihres Selbstverständnisses. Foodwatch macht es ähnlich, wie die Umwelt-Hilfe, nur sind die Bestimmungen, die unsere Inhaltsstoffe beim Essen regeln, soviel weicher und schwächer formuliert, dass es meist nicht bis zu einer Klage bzw. Verurteilung reicht. Die Nahrungsmittel-Industrie ist versucht, es nie zu einem Urteil kommen zu lassen, das gegen ihre Interessen laufen könnte. Man ist bestrebt, keine Präzedenzfälle aufkommen zu lassen, auf die sich andere Gerichte beziehen könnten.
Was machen Umwelt-Hilfe und Foodwatch (und sicher auch einige andere NGOs)? Sie machen ein Stück weit den Job der Staatsanwaltschaften, die insbesondere dann, wenn es um ein Fehlverhalten der Exekutive geht, sich schwer tut zu ermittelt. Und unser Rechtssystem ist so aufgebaut, dass die Sachverhalte, bei denen die Staatsanwaltschaft von Amts wegen ermittelt, sehr eingeschränkt sind. Will man in einer Sache Recht gesprochen haben, so braucht es einen Kläger und es braucht eine nachweisbare Beschwer (z.B. einen Schaden) beim Kläger. Und es braucht in aller Regel Geld, insbesondere dann, wenn der Fall ungewöhnlich ist und viel Vorbereitung benötigt, um die Fakten so aufzubereiten, dass das Gericht die Tragweite des Falls (über den Einzelfall hinaus) erkennt und die Klage zulässt.
Die Umwelt-Hilfe hat nun gezielt im Umweltbereich nach Sachverhalten gesucht, zu denen der Gesetzgeber klare Regeln entwickelt hat, bei denen aber Regel und tägliche Lebenswirklichkeit seit Jahren weit auseinanderklaffen. Das geht so lange gut, bis sich jemand findet, der diese Diskrepanz zum Anlass nimmt und eine Klage anstrengt. Würde es diesen „Jemand“ nicht geben, würde die Diskrepanz weiter ungeniert ‚zum Himmel stinken‘. Es würde keine staatliche Stelle beim ‚Kadi‘ vorstellig werden und auf den Missstand hinweisen und damit das „eigene Nest beschmutzen“ – so würde man das wohl in den Kreisen der Verwaltung sehen. Hier kommt der außerparlamentarischen Opposition eine ganz wichtige Rolle zu.
Gewöhnlich ist unsere Verwaltung bemüht, kleinere Ungereimtheiten im Vorfeld zu regeln, aber in diesem speziellen Fall sieht sich die Verwaltung nicht in der Lage, den Verursacher zur Ordnung zu rufen. Der Sachverhalt war von seiner Tragweite her ein Fall für die Politik. Und die duckte sich unverständlicherweise weg. Sie hätte mit einer in unserem Lande mächtigen Autoindustrie ein Machtwort sprechen müssen und das ist seit Jahren überfällig.
Selbst jetzt wurden jämmerliche Geldbeträge ausgelobt, mit denen die betroffenen Städte „etwas machen“ sollen (kein Mensch weiß so recht was). Nicht die Autoindustrie – die Städte sollen etwas machen, da macht man den Bock zum Gärtner! Scheinbar kann man den Städten und ihren Bürgern mehr zumuten als der börsennotierten Autoindustrie – die „Märkte könnten ja beunruhigt werden“: In was für einer idiotischen Welt leben wir eigentlich? Die eine Milliarde, die die Städte zur Verfügung gestellt bekommen, stammen nicht von der Autoindustrie (das wäre eigentlich logisch), nein, sie sind der Beitrag der Steuerzahler zur Unfähigkeit der Autoindustrie, mit den Abgasen ihrer Produkte vernünftig umzugehen. Die nicht erreichten Feinstaubwerte gibt es doch nicht erst seit gestern, sondern sie gelten in vielen Fällen seit zehn und mehr Jahren.
Man kann an die NGOs nur eine Bitte richten: Analysiert den Fall, den die Umwelt-Hilfe für ihren Interessensbereich erfolgreich aufgegriffen hat, versucht die essentiellen Fallstrukturen zu finden und sucht dann in euren ganz eigenen Aufgabenbereichen nach vergleichbaren Strukturelementen, um sie aufzugreifen, von fähigen Juristen prüfen zu lassen und ggfs. vor das jeweils zuständige Gericht zu bringen. Wenn es nicht so spektakulär gelingt wie bei der Umwelt-Hilfe, so denkt euch nichts dabei, man kann nicht immer nur den ersten Platz beanspruchen. Das ist in meinen Augen eine Strategie, mit der man eine unverantwortliche Politik in einer Weise bloßstellen kann, die einmalig ist. Was daraus wird, werden die nächsten Jahre zeigen.
» weniger zeigen