Feinstaub und seine Folgen (2)

Heute soll das Bundesverwaltungsgericht über die Konsequenzen aus den Feinstaubrichtlinien des Bundes und der Länder entscheiden. Ohne den konkreten Bescheid abzuwarten, kann jetzt schon festgestellt werden, dass eine Art Zeitenwende eingetreten ist. Seit vielen Jahren werden wir als Käufer von der Automobilindustrie an der Nase herumgeführt. Die Abgas- und Verbrauchsdaten unserer Automobile entsprachen noch nie der Wirklichkeit. Sie waren ständig und systematisch zu niedrig ausgewiesen und sind im täglichen Gebrauch der Fahrzeuge oft doppelt so hoch.

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Es ist bedauerlich, dass diesen Missstand ausgerechnet die US-amerikanischen Behörden zu Anlass nahmen, das deutsche Flaggschiff VW anzugreifen und offensichtlich nachwiesen, dass der Käufer im amerikanischen Markt betrogen wurde. VW hat sich bereiterklärt, in USA über 20 Mrd. Euro als eine Art Schadenersatz zu leisten. Die europäischen Käufer hat VW einfach übergangen und glaubt, mit einem blauen Auge davon zu kommen. Diese Vorgehensweise hat Methode. Die Politik ist der Automobilindustrie noch nie an die „Karre“ gefahren. Man gewinnt eher den Eindruck, dass die Exekutive im Auftrag der Politik beide Augen zugedrückt hat, wenn es darum ging, das gängige Betrugsverfahren der falschen Verbrauchs- und Abgaswerte fortzuführen. Und die Gesundheit der Bürger und Wähler weiter aufs Gröbste zu gefährden. Dieses ganze Geflecht mafiöser Lobby-Beziehungen zwischen nationaler Politik, der EU, der Exekutive und der europäischen Automobilindustrie wurde nun von dritter Seite her „leichtfüßig“ aufgerollt: Die Umwelt-Hilfe hat ganz schlicht Klage erhoben und fand verständige und unabhängige Richter. Die Lobbyisten glaubten alle am Betrug Beteiligten im Boot und unter Kontrolle, nur die einfache Flanke der Klage musste offen bleiben. Dabei hoffte man, dass die Bürger zu träge sein werden, hier zu zuschlagen. Mit der Umwelt-Hilfe hat man scheinbar gar nicht gerechnet.

Praktisch werden aber die möglichen Fahrverbote nicht die Einschnitte herbeiführen, die das Gesetz strikt verlangen würde: Die Umstellung des Fahrzeugparks der Handwerker und der Zulieferer wird  letztlich Jahre dauern. Die in der Praxis wahrzunehmenden Ausnahmen vom Fahrverbot, um die Versorgung der Städte aufrecht zu erhalten, werden das hoffentlich scharfe „Schwert“ des Gesetzes abmildern und wenn wir nicht aufpassen, werden die vielen Einwendungen und Unbequemlichkeiten die Menschen dazu veranlassen, ihre Gesundheit weiter auf Spiel zu setzen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert ergänzende Maßnahmen, und da traue ich der Politik nicht über den Weg. Dazu sind zu viele Automobilseilschaften im politischen Umfeld unterwegs, die den richtigen Ansatz des Rechts in einen falschen drehen können. Es müssen in Folge des Entscheides des Bundesverwaltungsgerichts enge Termine durch die Politik fixiert werden, bis zu denen die Umstellungen erfolgt sein müssen. Das kann nicht der Sankt Nimmerleinstag sein.

Die Automobilindustrie hat viele Probleme, die sie noch nicht in voller Härte spürt:

  • Falsche Abgaswerte (Entschädigung aller Kunden wegen Wertverlust)
  • Falsche Verbrauchswerte (Entschädigung aller Kunden wegen Wertverlust)
  • Parkplatzprobleme in den Innenstädten der Metropolregionen (bewusster Verzicht auf PKW)
  • Stauzeiten zur Rushhours in den Metropolregionen (bewusster Verzicht auf Pkw)
  • Autonomes Fahren (Veränderung der Mobilität, kein Statussymbol mehr, keine Unfälle mehr, bessere Ausnutzung des Automobils (Effizienz in der Nutzung): weniger Pkw, weniger Parkraum, Mieten statt Kaufen )
  • E-Mobilität (weg vom fossilen Brennstoff, Bau einfacherer Automobile,)
  • Digitalisierung (komplett veränderte Produktionsstrategien, deutlich weniger Personal, absehbarer Wegfall von Kaufkraft)

Alle diese Probleme wird die Industrie mit Hilfe ihrer Lobbyisten nutzen, um Einfluss zu behalten und sich als eine ‚gebeutelte‘ Industrie darstellen, die unbedingt Hilfen der Politik benötigt. Viele unserer alten Industrien stehen auf der Kante: Energieversorger, Lebensversicherer, Banken, Zigarettenindustrie, um nur einige zu nennen. Allen ist eigen, dass ihre Zeit abläuft bzw. andere Formen gefunden werden müssen, um Überlebensfähigkeit überhaupt demonstrieren zu können.

Es fällt überaus schwer, Sachverhalte zu finden, die für den Bestand der Automobilindustrie in ihrer jetzigen Form sprechen. Keine Frage, es wird weiterhin Pkw geben, aber nicht mehr in der Zahl, an die die Kapazitäten der Industrie gewohnt sind. Damit steht diese Industrie vor ihrem kompletten Umbau. Die schwerfälligen Konzernstrukturen und die Börsen werden den Konzernen wenig Spielraum für Kreativität lassen: produktive Kreativität (Neuerfindung) und ‚Quarterly Profitreporting‘ schließen sich systemisch aus. Da stehen andere Start-ups in den Startlöchern, die sich schneller (weil kleiner) und besser (weil wendiger) an die neue Situation anzupassen verstehen.

Mit dem Heranrücken der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tauchen plötzlich ‚wilde‘ Vorschläge zur Erweiterung des öffentlichen Nahverkehrs auf. Wild deshalb, weil man sich fragt, wer hat diese Überlegungen lanciert und warum sie erst jetzt in den Medien aufgetaucht. Das Problem war doch ein Problem ersten Ranges: Wenn die Autos aus den Innenstädten ausgesperrt werden, müssen die Menschen trotzdem zu ihren Arbeitsplätzen. Also kann das nur der ÖPN leisten oder das Fahrrad in seinen verschiedenen Ausprägungen. Aber funktioniert dieses Ansinnen? Heute schon sind die Züge des ÖPN zur Rushhours überfüllt. Heute schon ist das System Park & Ride an vielen Stellen überlastet. Unabhängig von der jeweiligen Metropolregion.

Wenn nun – unterstellt – in einer Metropolregion täglich 2 Mio. Pendler per Pkw einpendeln und davon würden 1 Mio. Pendler durch Fahrverbote ausgesperrt, so müssen diese Pendler auf den ÖPNV wechseln. Auf diesen Ansturm ist das ÖPN-System nicht eingerichtet. Wenn dann auch noch davon geträumt wird, dass der ÖPNV für den Nutzer kostenfrei gestaltet wird, explodiert das System. Sinnvoller wäre es, den Preis auf 50% des gegenwärtigen Preisniveaus herabzusetzen. Dann würde wenigstens der Zuwachs an Nutzern die zusätzlich entstehenden Kosten auffangen können und bei 50% Preisreduktion und einem sinnvollen Sozialtarif sollte eine sinnvolle Mischung von günstiger Preisgestaltung und praktikabler Anwendung herauskommen können.

Das Ganze löst aber nicht die Kapazitätsfrage. Es erscheint nicht realistisch, zu erwarten, dass die S-Bahnen über eine so große Zahl von Ersatzwaggons verfügen, um durch Zugverlängerungen einen Teil der Menschenmassen aufnehmen zu können. Hierzu findet man aber leider in den Medien keine vernünftigen Beiträge, bei denen man das Gefühl entwickeln kann, da redet einer über ÖPNV, der weiß, von was er spricht!

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