Eine politische Zeitenwende?

Vermutlich ist das zu hoch gegriffen. Und dabei meine ich nicht das temporäre Aufflackern der rechten AfD. Was ich meine, dass durch eine Vielzahl von Fehlentwicklungen Sachzwänge entstanden sind, die die Menschen bewegen, sie aufschrecken und die Heftigkeit zumindest in Teilen so weit geht, dass das rechte Gedankengut der AfD nur noch ein „Vogelschiss“ in der jüngeren Geschichte dieser Republik darstellen wird.

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Der Höhepunkt der Schaffung von Sachzwängen wurde m.E. durch die Agenda 2010 ausgelöst. Auch davor wütete das Menschenbild des Neoliberalismus aus dem 19. Jahrhundert (der Homo oeconomicus) in den Reihen unserer Politiker und unserer Gesellschaft. Untersuchungen der Universität Osnabrück haben im Rahmen der Vorbereitungen des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung gezeigt, dass in den letzten 30 und mehr Jahren die Wünsche der kleinen Leute systematisch ignoriert wurden und jene Wünsche der sogenannten Geldeliten regelmäßig ihre Erfüllung in den erlassenen Gesetzen gefunden haben. (Diese Untersuchungsergebnisse tauchen in dem endgültigen Bericht nicht mehr auf – sie waren offensichtlich zu brisant). Diesen Effekt haben wir nicht nur in Deutschland, diesen Effekt weist auch die amerikanische Politik auf. Die horrende Einseitigkeit, die Blindheit für die Bedürfnisse einer breiteren Gesellschaftsschicht haben die Politik in eine Sackgasse aus Sachzwängen geführt, die mit den alten abgenutzten Mitteln der Politik wohl kaum mehr beherrschbar sein wird.

Was wird wirtschaftlich deutlich? Der Betrug vieler deutscher Automobilhersteller haben den Ruf dieser Branche in einem Tempo zusammenbrechen lassen, dass einem schwindelt. Die Verkaufszahlen für SUV in Deutschland sind seit kurzem, so meine (ungeprüften) Informationen, stark rückläufig. Die Mobilitätsfrage, nicht die Automobilitätfrage, beschäftigt die Menschen nach wie vor intensiv. Das Automobil in seiner herkömmlichen Form und Ausprägung führt sich aufgrund des schwindenden Raums in den Metropolen selbst ad absurdum. Was kann die allgemeine Mobilität wieder herstellen? Die Politik hat sich einseitig auf die Seite des Elektroantriebs gestellt ohne einmal durchzurechnen, ob das in der kurzen Zeit und bei dem vorhandenen Energieangebot überhaupt möglich ist. Wenn wir wieder eine Technologie oben draufpacken, und dafür nicht andere energiefressende Technologien aus dem Verkehr ziehen, bleibt alles beim Alten. Um diese kumulativen Wirkungen zurückzudrängen, ist eine drastische Verteuerung insbesondere fossiler Energieträge unumgänglich.

Das wird aber nicht gelingen, wenn wir von erdölgetriebenen Autos einseitig auf strombetriebene Antriebe umstellen. Das Problem ist viel zu komplex, um es mit einer relativ „simplen“ Entscheidung aus der Welt zu schaffen. Hier braucht es eine vielseitige Strategie der konsequenten, aber kleinen Schritte an vielen Stellen. Die Stellschrauben sind vielfältig und deren wechselseitigen Einflüsse machen uns das Leben auch nicht leichter. Die Politik glaubte, die letzten 30 Jahre nicht auf die Wissenschaften hören zu müssen, weil der „Markt“ und das Geld scheinbar alles lösen kann. Sie wird sich wieder etwas von der Wissenschaft sagen lassen müssen, ohne immer gleich in die Schockstarre ihrer veralteten und rückwärtsgewandten Ideologien zu verfallen.

Ideologien, die fester Bestandteil der politischen Programme sind, dürfen sich ruhig einmal runderneuern. Insbesondere die Ideologen, die der Auffassung sind, alles dem Markt überlassen zu können, müssen doch allmählich begreifen, dass diese Idee in seinem absoluten Anspruch dummes Geschwätz ist, weil unsere Politik mit der Wirtschaft so stark verquickt ist, dass ein Markt, wie er ideologisch gefordert wird, gar nicht darstellbar ist und auch künftig nie erreicht werden kann.

Die Politiker unseres Landes haben die globalen Klimaziele in der Vergangenheit immer fein säuberlich mitunterzeichnet, haben sich feiern lassen, haben aber national keine Reaktionen gezeigt. Durch den Druck der Straße hat man dann einen lauen Ausstieg aus der Braunkohle für 2038 zusammengebastelt, der keinem der Beteiligten wehtut, außer dem Klimawandel; und der saß ja nicht am Verhandlungstisch.

Mit der geplanten Umsetzung des Klimapakets greift die gegenwärtige Politik ungewollt die durchaus sinnvollen Ideen des Keynesianismus auf: 40 Mrd. Euro sind den Braunkohlenrevieren zugesagt, um dem Strukturwandel auf die Beine zu helfen. Das ist ein heftiges Konjunkturprogramm in einer Zeit, in der die Konjunktur abzukippen droht. Die sonstigen technischen Kosten, sowie die Kosten der Renaturierung, die im Braunkohlenrevier durch den Ausstieg entstehen, sind in diesem Betrag gar nicht angesprochen bzw. habe ich diese Kosten in hinreichend seriösen Veröffentlichen nicht finden können.

Das Paket zum Klimawandel wird soeben veröffentlicht. Aber außer den Ausführungen der Parteigranden ist kein Stück Papier zu finden, auf dem ausformuliert wäre, was denn nun Sache sein soll. (Heute, Sonntag, finde ich endlich ein 22 Seiten umfassendes Dossier: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975202/1673502/768b67ba939c098c994b71c0b7d6e636/2019-09-20-klimaschutzprogramm-data.pdf?download=1) Ohne Kenntnisse der Details und nur auf Basis der Aussagen Dritter ist es kaum möglich, eine Aussage über den Mut zu treffen, den die Damen und Herren Politiker in die Waagschale geworfen haben. Man kann aber wohl konstatieren, dass es wieder einmal der kleinste gemeinsame Nenner geworden ist. Von einem großen Wurf zu sprechen, löst bei mir Lachkrämpfe aus. Die Auswirkungen des heißdiskutierten Klimapakets werden von den ganz normalen Veränderungen des Alltagslebens nicht zu unterscheiden sein.

Die CO2-Abgabe ist leider vom Tisch und die Co2-Zertifikate sollen 2021 angeblich mit läppischen 10 Euro pro Tonne beginnen. Und diese Zertifikate haben nur dann einen Nutzen, wenn gleichzeitig jährlich eine maximale nationale Gesamttonnenzahl für den CO2-Ausstoß klar definiert im Raum steht. Und diese Zahl muss ständig, planmäßig festgeschrieben, sinken, sonst ist das die übliche politische Augenwischerei. Die Wirtschaft muss sich auf die Rahmendaten einstellen können und darf keine Gelegenheit haben, an diesem Rahmendaten zu rütteln. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass im Zertifikatehandel grundsätzlich zwei Stellschrauben existieren: einmal der (Einstiegs-) Preis und zum anderen die mengenmäßige Deckelung der CO2-Ausstoßmenge. Man hat dabei grundsätzlich drei Handlungsalternativen: den Preis regelmäßig hochsetzen, die Menge Jahr für Jahr niedriger deckeln und dann auch beides zur gleichen Zeit. Wenn man sich nur für die Veränderung des Preises entscheidet, bleibt die Frage des jährlichen Gesamtausstoßes an CO2 offen (das ist auch kein Markt, weil die Knappheit fehlt und nur am Preis ein wenig gedreht wird). Wenn man sich für die Deckelung entscheidet, steigt der Preis der Zertifikate durch deren jährliche mengenmäßige Verknappung (wird die künstlich herbeigeführte Verknappung hochangesetzt, geht der Preis pro Zertifikat relativ schnell durch die Decke, denn es herrscht dann Knappheit – es gibt mehr Nachfrage als Angebot). Nutzt man beide Instrumente gleichzeitig, kann man m.E. auch viel Unheil anrichten. Die Wirtschaft muss in der Lage sein, sich (gegebenenfalls unter heftigen Geburtswehen) an die neue Situation anzupassen. Ich präferiere die Deckelung, denn sie zeigt mir an, wieviel zur Klimaneutralität noch fehlt. Deshalb muss diese Zahl auch regelmäßig kommuniziert werden. Zu begrüßen ist die Feststellung in dem Klimapaket, dass eine jährliche Überprüfung der Fortschritte installiert werden soll mit dem Sanktionsmechanismus, dass das die Ziele verfehlende Ministerium innerhalb von drei Monaten Abhilfe schaffen muss. Es könnte gut sein, dass wir sehr schnell hier über die Jahre in einen riesigen Abhilfe-Stau geraten.

Es äußerten sich am Freitag schon einige Fachleute und stellten fest, dass dieser Einstiegs-Preis weit zu niedrig sei und insbesondere fehlen klare Entwicklungsangaben für diesen Preis, mit anderen Worten, die Konservativen haben wieder zahllose Türen oder ganze Scheunentore offen gelassen, um dann, wenn der Druck der Straße (aus ihrer Sicht ‚hoffentlich‘) nachgelassen hat, wieder auf die bequeme Schiene zurückzukönnen. Die bequeme Schiene heißt konkret, die absehbaren Probleme nicht zu lösen, sondern sie auf die zukünftigen Generationen zu überwälzen. Die weiteren Einzelheiten des Pakets werden wir erst in Laufe der Zeit erfahren. Es ist ja bis jetzt ein Konsens über eine Absichtserklärung, die jetzt in Verordnungen und Gesetze gegossen werden muss. Die Politik hat nicht zum ersten Mal aus einem netten Baby ein Monster gemacht.

Die Umsetzung des Konjunkturprogramms des Klimapakets in Höhe von über 50 Mrd. Euro werden dem sich eventuell abzeichnenden Konjunktureinbruch aufgrund seiner Größe und Dauer entgegenwirken. Die unvermeidlichen Verluste in diesen Strukturprozessen werden durch die Gewinner mit ziemlicher Sicherheit überkompensiert.

Aber damit sind ja noch nicht die alten Probleme der Politik vom Tisch: Unsere Infrastruktur unseres Landes ist in einem jämmerlichen Zustand und man fragt sich manchmal, ob ein so reiches Land wie das unsrige sich solche maroden öffentlichen Einrichtungen leisten kann und darf. Die Wirkung von gut funktionierender Infrastruktur wird im Wirtschaftsleben ständig unterschätzt. 30 Jahre Neoliberalismus haben in einem ehemals aus Trümmern aufgebauten Land die private Seite übermäßig reich werden lassen und die öffentlichen Hände gesetzlich zu einer „schwarzen Null“ verpflichtet. Mit anderen Worten: systematisch verarmt, und so sieht unsere Infrastruktur in vielen Ländern unserer föderalen Struktur auch aus. Es beginnt bei den Schulen und deren personale und sachliche Ausstattung, geht über den Zustand der nachrangigen Straßen, Sozialeinrichtungen, und vieles mehr. Auch hier schlummert noch ein ‚Konjunkturprogramm‘ zur Abwendung dieser Sachzwänge von mehreren 10 Mrd. Euro. Das ist niedrig geschätzt, genauere Zahlen habe ich nicht finden können.

Fassen wir zusammen, so stellen wir fest, dass die Gazetten von der Sorge sprechen, dass die Autoindustrie als Mainstream an Boden verliert, dass die Versicherungswirtschaft einige Sparten auflöst, die Bankenstruktur sich grundlegend ändert und dass ganz generell angeblich die Konjunktur in eine Rezession zu fallen droht. Wenn ich mir dann auf der anderen Seite die politisch nicht gewollten, sondern durch den Druck der Straße herbeigeführten „Konjunkturprogramme“ in einer Größenordnung von deutlich über 100 Mrd. Euro über die nächsten anderthalb Jahrzehnte anschaue, dann kann ich über die Sorgen über das Abkippen der Konjunktur nur milde lächeln. Da wird so viel Geld rausgeblasen, da muss die private Seite schon viel falsch machen, wenn es nichts nutzen sollte. Ob sich dabei auch die Vermögensverteilungsschere verbessert, steht leider nicht auf der Tagesordnung.

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