Eine merkwürdige Entwicklung?

Nach Abschluss des Wiederaufbaus in den Nachkriegsjahren hat man mangels sinnvoller anderer Ziele die ökonomische Sichtweise auf die Welt Schritt für Schritt übernommen. Unter dem nachvollziehbaren Slogan „Wohlstand für alle“ war die Ökonomie natürliches Mittel zum Zweck, rückte aber immer weiter ins Zentrum politischer Überlegungen. Im Rückblick ist das ursprüngliche Mittel zum beherrschenden Selbstzweck geworden.

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Es wird uns täglich klar gemacht, dass es zu diesem Wohlstandsziel keine Alternative gäbe: wir hätten die Pflicht, zur Erhaltung des Wohlstandes, das geschaffene Wirtschaftssystem am Laufen zu halten. Wir sind also schon lange nicht mehr Herr des Verfahrens, sondern Diener unseres selbstgeschaffenen ökonomischen Systems. Es gibt uns auf subtile Weise vor, welche Ziele wir zu erreichen haben und welche Werte unser (meist ökonomisch relevantes) Handeln leiten sollen.

Jahrzehnte sahen wir den Feind unseres politischen Systems im linken Extremismus (Sozialismus, Kommunismus) mit seinen kollektivistischen Rahmenbedingungen. Wir haben deshalb sehr darauf geachtet, dass mit unserem Wirtschaftssystem Werte eines moderaten Individualismus, ein bisschen Egoismus sowie die enge Rationalität eines homo oeconomicus in die Gesellschaft hineingetragen werden, um uns vom kollektivistischen Gedankengut abzugrenzen. Im Neoliberalismus (manche nennen es auch neoklassische Ökonomie) wurde der Druck nochmals verstärkt. Margret Thatcher hat sinngemäß das Ziel wie folgt umschrieben: „ich kenne keine Gesellschaft, ich kenne nur Individuen.“ Sie wandte sich bewusst von der Idee ab, dass der Mensch ganz wesentlich ein soziales Wesen ist und zu seiner Vollständigkeit für ein gutes Leben ein intaktes soziales Umfeld braucht.

Dagegen gilt in der Theorie das Individuum als stark, und ist notwendig auch vermögend (sonst wird es nach ökonomischen Maßstäben nicht als stark wahrgenommen). Der Freiheitsbegriff, der bisher immer mit der Verantwortlichkeit für das gesellschaftliche Umfeld eng gekoppelt war, wurde dahin gehend eingeschränkt, indem die Verantwortung nur noch auf das unmittelbare Umfeld des Individuum reduziert und dem Egoismus und Narzissmus neue Aktions- und Bedeutungsfelder eröffnet. Zum Vorbild für einen rationalen (aber nicht zwangsläufig vernünftigen) Entscheider wird mehr und mehr der homo oeconomicus herangezogen, ein ziemlich einseitig reduziertes Bild des menschlichen Verhaltens. Man könnte auch die Autismus-Diagnose stellen, weil dem Modell jegliche sozialen Überlegungen oder Emotionen fremd sind. Deren Welt kreist ausschließlich um den „Profit“, zweifelsohne eine „arme“ Welt. Wer aber dem Modell folgt und zu Vermögen kommt, wird nicht nur von der Regenbogenpresse als ‚Hero‘ gefeiert, egal, was für eine sozial ‚schräge‘ Figur der zweifelhafte Held ansonsten abgibt.

Damit wird deutlich, dass die Demokratie, die m. E. nur als Gesellschaft gedacht werden kann, nun von einem übersteigerten Individualismus einer rechtsextremen (oft libertären) Haltung angegriffen wird. Der geplante extreme Individualismus ist eine Erfindung von einflussreichen Menschen, denen das soziale ‚Gen‘ offensichtlich fehlt und die der Meinung sind, dass sie sich stattdessen durch die Anwendung von Technologie einen Ersatz schaffen können.

Ein übersteigerter Individualismus führt letztlich zu einer Wagenburg-Mentalität – das (vermögende) Individuum muss sich gegenüber der Allgemeinheit (der Gesellschaft) abgrenzen, die ja mit der ideologischen Überhöhung des Individuums und dem verfehlten Freiheitsanspruch nicht plötzlich aufhört zu existieren. Das Individuum sieht zur Sicherung des angehäuften Vermögens nur die Möglichkeit, sich in einer Blase abzukapseln und die „Zugbrücke“ hochzuziehen.

Die Vertreter dieser Auffassung träumen sogar von libertären Freiräumen auf Mond, Mars oder sonstigen exterritorialen Regionen, wo sie dann unter sich sind. Aber wer macht dann die produktive Arbeit der täglichen Versorgung? Von was leben diese Herrschaften dann, von den Produkten ihrer Technologie? Auch vom Geld lässt sich schlecht abbeißen, wenn es im exterritorialen Raum überhaupt noch einen Wert besitzt! Hier und Heute verstehen sie sich als Elite, was ihrem überschäumenden Ego Nahrung gibt, aber im Exterritorialen wird die Elite im besten Fall als libertäre Individuen unter sich bleiben. Das „Volk“ bleibt als „Masse“ auf unserem Planeten zurück. Die Idee des Exterritorialen ist zudem eine Einbahnstraße: hin wollen vielleicht viele, aber ist ihnen klar, ein Zurück ist ausgeschlossen!

Auf Grund ihrer libertären (Alp)Träume verliert die Erhaltung unseres Planeten für diese Klientel ihren Sinn. Man könnte nach deren Ansicht den Planeten deshalb auch noch viel schneller zugrunde richten als es das gegenwärtige Wirtschaftssystem unter der Prämisse „Weiter so“ erwarten lässt. Als Sorge bleibt für diesen Personenkreis nur, ob die Träume und Pläne dieser libertären Blase hinreichend schnell realisiert werden können, um geordnet und komfortabel dem Planeten Erde Adieu sagen zu können. Das Ganze wirkt überaus bizarr. Ich würde die Skurrilität auch unmittelbar auf die Persönlichkeiten der libertären Protagonisten übertragen wollen.

Und mit diesen Persönlichkeiten arbeitet Donald Trump gegenwärtig relativ eng zusammen bzw. lässt sich von ihnen mit vielen Millionen Dollar unterstützen. Als großer „Dealer“ und „Geschäftsmann“ wird er doch wohl wissen, dass mit diesen Millionen immer Erwartungen auf ein Gegengeschäft verbunden sind. Da steht er nun in der Pflicht, es wird ihm nichts geschenkt.

Das ist aber nur die eine Perspektive. Was ist, wenn Donald Trump die Figur wäre, die sich der Abhängigkeit durchaus bewusst ist, und er auf vielerlei Weise die unter seinen potenten Unterstützern kursierende libertäre ‚Denke‘ akzeptiert und im Grunde für diesen Personenkreis die „Schmutzarbeit“ erledigt. Unter ‚Schmutzarbeit“ würde ich z. B. die von ihm ausgelösten Disruptionen zählen (früher lief das unter dem Begriff „kreative Zerstörung“ (Josef Schumpeter). Sie gilt in der Theorie als ein quasi ‚natürliches‘ Phänomen des Kapitalismus, ausgelöst durch laufende Innovationen. Trump versteht seine libertär begründbare disruptive Aufgabe sehr wohl, redet aber darüber nicht, weil er sonst Gefahr läuft, zu früh durch Gegenkräfte eingebremst zu werden.

Um diese steile These verstehen und beurteilen zu können, muss man sich den Unterstützerkreis näher anschauen. Es geht im Wesentlichen um die sogenannten Tech-Milliardäre, die sich um Peter Thiel1 gruppieren. Thiel selber gilt als versierter Investor und ist gegenwärtig Berater von Trump. Er gibt vor, ein Republikaner und glühender Anhänger Trumps zu sein. Thiel vertritt schon lange politisch eine absolut libertäre Position, d.h. für ihn sind Demokratie und Bürokratie etwas komplett überflüssiges. Die Disruption, die Elon Musk im Auftrag von Trump begonnen hat, indem er einige Behörden zerstört hat, ist ein Anfangsschritt in die libertäre Richtung, die Peter Thiel offensiv vertritt und die vermutlich auch in seiner Beratung seines Frontmannes Trump regelmäßig zum Tragen kommt. Offensichtlich hat Thiel den Zugang zur Persönlichkeit Trumps gefunden, nach dem die europäischen Politiker noch emsig suchen.

Peter Thiel hat den großen Vorteil, dass er nicht das Bedürfnis hat, ständig im Rampenlicht stehen zu müssen, große Auftritte vermeidet und dafür mit viel strategischem Geschick seine Vertrauten ins Rennen schickt. J. D. Vance ist so ein Vertrauter, der wie Phönix aus der Asche als gewichtiger Politiker die internationale Bühne betritt und auch hier auf seine Weise disruptiv eingreift (was die versammelten Politiker oft sprachlos macht). Er redet Basic Talk, während High Talk eine lange geübte politische Praxis ist.

So gesehen, ergibt sich aus dem tumultartigen Stil des Donald Trump auf hinreichend stimmiges Bild. Man kann dabei auch erkennen, dass Trump in keiner Weise bemüht ist, die Regeln der Demokratie einzuhalten, noch zu achten. Vor dem Hintergrund der libertären Ansätze wird auch deutlich, dass der Slogan „Make America great again“ kein Versprechen gegenüber seiner Wählerschaft ist. Es ist der Versuch, seine Wähler, deren Urteilskraft offensichtlich nicht besonders ausgeprägt ist, dazu zu benutzen, um dieser libertären Gruppe nachhaltig klare Vorteile zu verschaffen. Je mehr das von den Vermögenden in den USA erkannt wird, um so größer wird der Zulauf aus dieser Klientel sein. Den Habenichtsen droht dabei ein schreckliches Erwachen – aber dann sitzen Trump und seine Kumpane längst sicher im Sattel und die Nationalgarde ist dann seine neue ‚Sturmabteilung‘, um die getäuschten „Massen“ ruhig zu halten.

Ich hoffe, ich irre mich!!
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1Vgl. den Artikel über Peter Thiel auf Wikipedia, oder die ZDF-Dokumentation: „Wer ist Peter Thiel“? Oder den Potcast des Deutschlandfunkes „Die Peter Thiel Story“.

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