Wenn wir heute über den Nutzen und die Funktionalität des privaten PKWs diskutieren, liegt der Fokus nach den ersten zwei Sätzen auf dem Antrieb und der Frage, wie man die CO2-Bilanz der Fahrzeuge verbessern könnte. Der Pkw als Mittel der Mobilität ist unstreitig auch ein CO2-Sünder, aber ich kann mir angesichts der Wurstigkeit vieler SUV-Besitzer in Bezug auf grüne Themen nicht vorstellen, dass die CO2-Bilanz der alleinige Grund ist, warum die Automobile in der Wahrnehmung einer breiteren Masse so an Glanz verloren haben.
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Es ist m.E. nur über die politische Darstellung vermittelt, dass das Automobil als CO2-Sünder den Sündenbock darstellt. Denn einem großen Teil der Autofahrer ist diese „Sünder“-Eigenschaft ja nicht zu vermitteln. Sprit ist billig und zum Fahren da, so die breite Auffassung. Diese Haltung ist zwar unvernünftig, man könnte auch sagen, dumm, aber es ist Fakt. CO2 wäre nur dann in jedermanns Munde, wenn der Sprit so drastisch teurer würde, dass jeder Autofahrer das CO2 Problem ganz konkret und täglich im eigenen Geldbeutel spüren würde.
Also hat das Automobil nicht dadurch an Glanz verloren, dass Teile der Politik die CO2-Schädlichkeit dieses Mediums entdeckt haben und nun eifrig trommeln. Es ist schon ein Witz, dass die neue E-Mobilität über die gleichen Kriterien wahrgenommen wird, wie jene Mobilität, die auf den fossilen Brennstoffen basiert. Es geht unverändert darum, in wieviel Sekunden ein E-Auto 100 Km/h erreicht. Der „Sound“ wird offensichtlich zu einem ‚echten‘ Problem. E-Autos sind ja flüsterleise, da müssen doch unbedingt „Soundgenerator“ eingebaut werden. Die Liste der weiteren Überflüssigkeiten wäre lang. Die geringe Reichweite muss dabei durch den pubertären Schnickschnack überspielt werden.
Zurück zu den Automobilen der alten Technologie: Das Problem in der Wahrnehmung des PKW ist in der breiten Nutzergemeinde nicht sein CO2-Ausstoß, sondern die Tatsache, dass das Automobil in den größeren Städten im wahrsten Sinne des Wortes ‚sich selbst im Wege steht‘. Es verspricht die große Freiheit, den Geschwindigkeitsrausch, das Abenteuer und liefert uns in Wirklichkeit endlose Staus, Stress, Unfallgefahren, Verletzte, Tote, Parkplatzprobleme, Feinstaub, auch CO2 und vieles mehr. Das sind die realen Perspektiven, die auf einen Automobilfahrer zukommen, sobald er sich hinter das Steuer setzt. Und da ist der Antrieb des Automobils doch eigentlich ziemlich „wurscht“?
Die Antriebstechnologie kann – wenn der Wille dafür vorhanden ist – geändert werden, die Staus, die Parkplatznot, die Unfallgefahr, der Feinstaub, usw. sind aber eine unvermeidbare Funktionsfolge des PKW. In die gleiche Kategorie fällt die Breite unserer Straßen – je breiter und bequemer, desto mehr Verkehr. Es gibt kein Mittel, mit dem man diese negativen Eigenschaften des gegenwärtigen Verständnisses von Automobilität ersetzen könnte. Sie konterkarieren die Funktionalität eines Automobils. Noch mehr Autos bringen keinen „Lustgewinn“ – dann steht man eben ab der Garage gleich im Stau, bei Unfällen verspäten sie sich nicht mehr um Minuten, sondern gleich um Stunden. Nie wurde diese Tatsache deutlicher als in Zeiten des Lock-downs, als die Zahl der fahrenden Automobile kurzfristig drastisch gesenkt wurde. Es trat eine ganz ungewohnte Ruhe ein, das Fahren war eine Wohltat: die große Freiheit konnte erahnt werden, das Abenteuer des Fahren war in Ansätzen nachzuempfinden. Heute sind wir schon wieder im täglichen Verkehrs- und Stauwahnsinn.
Wir konnten beobachten, dass sich die Kommunikation, die teilweise über das Medium Auto abgewickelt wurde, auf das digitale Medium verlagerte. Man fährt eben nicht mehr mal schnell zu Herrn oder Frau XY, um etwas zu besprechen, sondern greift zu einem digitalen Medium und erspart sich die Fahrzeit und -kosten, den Stress und die Staus. Die Effizienz des Handelns kann überproportional zunehmen. Der soziale Gesichtspunkt verliert dabei (leider) an Bedeutung und wird nur dann zum Tragen kommen, wenn es um Wesentliches geht, bei dem ein Gespräch zwischen physisch anwesenden Personen erforderlich wird. Das soziale Moment, das nicht zu kurz kommen darf, verschiebt sich ggfs. in die Freizeit bzw. in eine neue Betrachtung der Work-Life-Balance. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich hier auch in der Arbeitswelt deutliche Verschiebungen ergeben können.
Damit zeichnet sich eine Problemlösung des Individualverkehrs von einer ganz unerwarteten Seite ab. Sie trifft nicht nur den Straßenverkehr, auch der Flugverkehr ist davon betroffen. Warum fliegen, wenn der Sachverhalt auch digital gelöst werden kann. Autofahren als auch Fliegen sind bzw. waren eindeutig auch prestigevermittelnde Aktivitäten, die nun ganz profan im Rahmen der Digitalisierung abgewickelt werden, weil der Lock-down unmittelbar die Zweckmäßigkeit der Digitalisierung für diese Fälle vermittelte und den überflüssigen Prestigecharakter der verkehrsbezogenen Kommunikationswege offenlegt. Man bewegt nicht mehr mit hohen Kosten die jeweilige Person, sondern nur noch die Information zu minimalen Kosten. Man verliert „Chichi“ und gewinnt hoffentlich an Sachlichkeit und Wirksamkeit. Das ist aber nicht sicher, viele Menschen brauchen das „Chichi“ und Sachlichkeit kann so entsetzlich dröge sein. Die menschliche Emotion könnte uns hier im Wege stehen.
Sollte sich hier wirklich mittelfristig eine Prioritätenverschiebung des Mobilitätsverhaltens abzeichnen, würde sich das Verkehrsaufkommen der Berufs- und Vertriebspendler tendenziell entspannen. Dem steht entgegen, dass die Online-Geschäfte wachsen und damit die Lieferservices mindestens proportional zunehmen werden. Also ist damit vermutlich nichts gewonnen!
Und hier entsteht ein Widerspruch: der Onlinehandel auf der einen Seite und die spekulativen Mieterhöhungen in den interessanten Stadtlagen treiben das Retail-Geschäft aus der Stadt, weil der Onlinehandel dort residiert, wo außerhalb der Städte geringe Lagerkosten entstehen. Die Belieferung wird auf die Straße verlagert und vielfach an prekär bezahlte Unterauftragnehmer übertragen. In den Innenstädten machen die gezielten Mieterhöhungen die Lagerhaltung zu teuer. Händler, die nicht über Immobilieneigentum in der Innenstadt verfügen, werden absehbar scheitern. Dann verliert die Innenstadt an Attraktivität und sie werden auch für die Retail-Ketten immer weniger attraktiv. Damit verliert auch der Händler mit Immobilienbesitz, weil die Zahl der Kunden in der Innenstadt abnehmen wird. Am Ende wird es keine Innenstädte mehr geben, die unserem gegenwärtigen Bild von einer funktionierenden Stadtmitte entsprechen würde.
Kann man sich ein anderes Bild von einer Innenstadt vorstellen? Wenn wir von einer klassischen Innenstadt sprechen, nehmen wir gewöhnlich an, dass die Menschen wegen des Einkaufens (Konsums) kommen und übersehen möglicherweise die Tatsache, dass die Menschen (vielleicht sogar primär) wegen der vielen sozialen Kontaktmöglichkeiten die Innenstadt aufsuchen.
Wenn das konsumtive Element Schritt für Schritt aus der Innenstadt verschwindet, reicht dann die Komponente der Sozialkontakte aus, um eine lebendige Innenstadt darstellen zu können? Viele Menschen verwechseln heute schon Sozialkontakt und Konsumption und meinen, sozialen Kontakt schwerpunktmäßig auf Konsumption reduzieren zu können. Wenn Konsumption mangels Einkaufsgelegenheiten wegfällt, reicht dann das „Bespaßungspotenzial“ aus sozialen Kontakten, um eine gern besuchte, lebendige Innenstadt aufbauen zu können?
Innenstadt als Funktion kann man sich im Grund nur als fußläufige Innenstadt vorstellen. Automobile stören in dieser Umgebung. Die Erschließung von funktionierenden Innenstädten erfolgt heute schwerpunktmäßig durch den ÖPNV. Das Automobil als Zubringer ist zweifelsohne geschätzt, aber wohin damit, wenn man das Ziel erreicht hat? Parkplätze und Innenstadt schließen sich im Grunde aus – je mehr Parkplätze desto weniger Innenstadt! Auch die Zahl der Parkhäuser muss begrenzt bleiben, weil sonst wieder der sozialkommunikative wie der konsumtive Charakter der Innenstadt in Frage steht.
Die Tatsache, dass das Automobil sich in größeren Städten allein aufgrund seiner Anzahl selbst im Wege steht, lässt eine weitere Frage aufkommen: Ist es nach wie vor richtig, dem Automobil unverändert in unseren Städten die hohe Priorität einzuräumen, die es in den letzten 60 Jahren inne hatte. Wir haben im Grunde unsere Städte um das Automobil herumgebaut, bis der Punkt kam, an dem die Zahl der Automobile in dem gegebenen Stadt-Raum aus mehreren Gründen zu viel wurde:
- Die Automobile wurden ständig länger und breiter. Die vom Gemeinwesen vorgesehenen Parkplätze sind von ihrer Fläche her zu klein, um ein ordnungsmäßiges Abstellen möglich zu machen. Viele ältere Parkhäuser sind für die neuen Automobile nicht mehr verwendbar.
- Die Motorisierung wurde ständig nach oben gefahren. Mit mehr PS und größeren Reifenquerschnitten ergeben sich höhere Feinstaubwerte und eine höherer CO2-Ausstoß, deren beider Grenzwerte aufgrund von Daten von vor 20 Jahren zum Glück fixiert wurden.
Das war auch richtig so, denn wir wollen in den Städten ja primär leben und nicht nur Auto fahren. Mit anderen Worten, wenn heute die Automobilindustrie an niedrigen Absatzzahlen leidet, so war doch mit Einführung der Strategie „größer schneller, höher“ für jeden vernünftig Denkenden klar, dass diese Strategie irgendwann in den Städten an ihre absoluten Grenzen stoßen werden. Und da sind wir heute! Die viel gegeißelte Umwelthilfe e.V. hat den Unmut der Anwohner aufgegriffen und hat den großzügig wegschauenden Kommunalverwaltungen per Gerichtsbeschluss Beine gemacht.
Die logische Folgerung wäre es, in der Industrie einen Strategiewechsel durchzuführen, wenn die Klientel der Automobilindustrie nicht so permanent besoffen gequatscht worden wäre, dass das Ziel nur im „größer, schneller, höher“ liegen könne. Jetzt plötzlich das Gegenteil zu behaupten, ist schwer zu vermitteln.
Rückblickend war vor diesem Hintergrund die Smart Initiative der 80-iger Jahre nicht verkehrt gedacht. Soweit es mir in Erinnerung ist, empfand ich die realen Automobile, die unter diesem Logo auf den Markt kamen, als „klapperig“ und „billig“ in der Verarbeitung (und dafür zu teuer), während die reguläre Linie von Mercedes immer hochwertiger wurde. Das war ein Spagat, der wenig erfolgversprechend war. Vielleicht war auch die Zeit noch nicht reif – Daimler wollte keine Lösung des automobilen Problems, man wollte vermutlich bestimmte Käuferschichten ansprechen, die über die Marke Mercedes nicht erreicht werden konnten.
Eine Teillösung des automobilen Problems ist das Gegenteil von „größer, schneller, höher“. Die meisten Automobile fassen 5 Personen; es fährt i.d.R. eine Person. Ein Fahrzeug, das zwei Personen mit Einkäufen Platz bietet, dürfte in vielen Fällen (als Zweitwagen) ausreichend sein. Der Flächenbedarf liegt geschätzt bei einem Drittel eines SUV. Voraussetzung ist aber, das Automobil tritt bewusst reduziert auf und ist gut verarbeitet, bequem, Geräusch gedämmt, und mit den üblichen optionalen Annehmlichkeiten und Zubehör. Dieses Auto verbraucht bei normaler Fahrweise etwa 3 Liter fossilen Brennstoff, verfügt über eine Spitzengeschwindigkeit von ca. 130 km/h und hat eine Reichweite von über 500 km. Alternativ besteht auch eine E-Version und mittelfristig auch ein Antrieb auf Wasserstoffbasis zur Verfügung. Unterstützt wird diese Fahrzeugart als Erst- und Zweitfahrzeug dadurch, dass Subventionen wie im Rahmen der E-Mobilität bereitgestellt werden. Der Preis sollte nicht das Problem darstellen, es wurde auf dem Automobilmarkt schon so viel Unsinniges über Marketing in den Markt gedrückt, das kann nun wirklich nicht das Problem sein.
Der Vorteil dieser Strategie wäre ein enormer Platzgewinn auf den städtischen Straßen, in den privaten Garagen, auf den Parkplätzen und in den Parkhäusern. Der Verbrauch von 3 Litern würde bei entsprechender Zahl und einem Ersatz der bestehenden Zweitwagen die CO2-und Feinstaubproduktion dieser Kategorie von Automobilen insbesondere in den Städten deutlich senken. Der Einfluss auf die gesamte CO2-Bilanz sollte man aber trotzdem nicht überschätzen.
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