Ein Beitrag zu Rechts und Links in der Politik

Das Rechts-Links-Schema stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist eng mit der Leitidee der Aufklärung verknüpft. Die Leitidee der Aufklärung lässt sich am besten mit dem Ziel eines universellen Humanismus umschreiben. Konkret geht es dabei um die Vorstellung, dass alle Menschen nicht gleich, aber gleichberechtigt sind. Der Kant’sche Imperativ des „Wage Dich Deines Verstandes zu bedienen“ findet hier seine politische Form. „Jeder Bürger soll einen angemessenen Teil an allen Entscheidungen haben, die das eigene gesellschaftliche Leben betreffen.“

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Aus dieser These leitet sich dann konsequent die Herrschaftsform einer Demokratie als politische Selbstbestimmung ab. Als Folge dieser Herrschaftsform haben „alle Machtstrukturen ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und sich der Öffentlichkeit gegenüber zu legitimieren. Zentrale Bereiche der Gesellschaft, insbesondere die Wirtschaft, dürfen nicht von einer demokratischen Legitimation ausgeklammert werden“ (Rainer Mausfeld, s.u.).

Die zur Zeit der Aufklärung vorherrschende Regierungsform war der Absolutismus. Die Forderung nach Demokratie bedeutete das Eintreten für den sozialen Wandel in Richtung von größerer Gleichheit in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. Die Idee der Demokratie auf der Grundlage dieses Humanismus hatte zur Zeit der Aufklärung eine solche Zustimmungswelle ausgelöst, dass die Väter der US-amerikanischen Verfassung sich ernsthaft überlegten, wie sie diese revolutionäre Begeisterung unauffällig einhegen können. George Washington und sein Machtzirkel waren in diesem Sinne keine Demokraten, aber zum gänzlichen Verhindern der demokratischen Idee war es einfach zu spät. Die Demokratie wurde nun dadurch eingehegt, dass künftig „Korsettstangen“ in das demokratische Herrschaftssystem eingezogen wurden. Seit dieser Zeit wird als Lösung die repräsentative Demokratie als alternativlos penetriert, um von der eigentlichen Grundform einer demokratischen Herrschaftsform abzulenken.

Alles, was diesem universellen Humanismus entsprach, galt damals und gilt auch heute noch als „Links“. Links im politischen Sinne hat also in einem ersten Schritt nichts zu tun mit Sozialismus oder gar Kommunismus, sondern ‚links‘ ist eine Haltung, die auf der Grundlage fußt, dass alle Menschen (ohne Ausnahme) gleichberechtigt sind. Da dieser Zustand noch lange nicht erreicht ist, ist für eine linke Haltung das Streben nach sozialem Wandel hin zu einer größeren Gleichberechtigung logisch und unausweichlich.

Was aber ist aus diesem Blickwinkel nun eine rechte Position in der politischen Auseinandersetzung? Betrachtet man es aus der Perspektive der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, so sind das alle Positione, die den Machterhalt der alten Eliten sicherten, die die absolutistischen Strukturen unterstützten und die den universellen Humanismus (alle Menschen sind gleichberechtigt) vehement abgelehnt haben und im Grunde heute noch ablehnen. Da eine rechtskonservative Haltung keine eigenständige Vision für den Menschen besitzt, arbeitet sich die rechte Haltung unablässig seit etwas mehr als zwei Jahrhunderten an der linken Position, also am Bild des Humanismus und seiner intendierten Gleichberechtigung, ab. Aufgrund einer fehlenden visionären Perspektive für Mensch und Gesellschaft ist bei der rechten Haltung Obstruktion (wir wissen nicht besser, aber wir sind dagegen) ein häufiges Mittel der Wahl. Als Begründung muss dann eine besondere Art des Pragmatismus herhalten.

Historisch gesehen war die rechte Haltung meist ein Ausdruck der jeweils herrschenden Mächte, die ihre Haltung damals wie heute mit Chauvinismus („Wir sind etwas Besonderes“), Exzeptionalismus („Das gilt aber doch nicht für uns“), Totalitarismus („systematische Unterwerfung unter eine bestimmte Ideologie der Machtausübung“) oder mit Faschismus begründete. Das verwunderliche ist, dass auch als links bezeichnete Haltungen zu den gleichen totalitären Auswüchsen wie der rechte Flügel in der Lage sind (vgl. Sozialismus, Kommunismus). Diese als links klassifizierten Haltungen hatten ihren Bezug zum universellen Humanismus – als ihrer ursprünglichen Basis – komplett verloren und sie haben sich dem rechten Machtverständnis in einer totalitären Umsetzung unbemerkt angeschlossen. Das ist ein klassischer Seitenwechsel, der medientechnisch immer gerne als „links“ verkauft wird.

Bis vor etwa 30 Jahren sah es so aus, als ob die linke Haltung den Takt vorgibt und rechts als ‚Reaktion‘ dann darauf antwortet. Links hatte all die Jahre den Vorteil, eine Haltung und ein Menschenbild präsentieren zu können, die sowohl friedlich als auch egalitär einzigartig ist und war. Die rechte Politik macht diese idealistische Haltung eines universellen Humanismus gerne mit dem Begriff des „Gutmenschentums“ lächerlich, weil sie glaubt, im Erhalt eines orientierungslosen Status quo einen größeren Realismus an den Tag zu legen.

Da das Denken von rechter Politik immer auf einem systematischen Unterschied unter den Menschen aufbaut, fehlt ihm Friedfertigkeit nach innen und nach außen. Diese Haltung favorisiert gezielt den Unterschied (den Chauvinismus), der bei jeder Gelegenheit herausgekehrt wird (wir sind die Besseren, die Erfolgreichen, die Eliten). Diese Tendenz im rechten Denken findet dann in den 70iger Jahren mit dem Durchbruch der Ideologie des Neoliberalismus seine Erfüllung.

Der Neoliberalismus hat sicherlich viele Väter. Der wohl bedeutendste ist Friedrich August von Hayek, der 1947 zusammen mit einer Reihe von strikt marktwirtschaftlich denkenden Ökonomen die Mont Pélerin Gesellschaft am Genfer See gründete und sie die nächsten Jahrzehnte auch leitete. Mitglieder der Freiburger Schule (Vertreter des ‚ordoliberalen‘ Ökonomieverständnisses in Deutschland) waren ebenfalls Gründungmitglieder. Wilhelm Röpke leitete die Gesellschaft sogar kurzfristig (1961-62).

Der strategisch denkende von Hayek hat dabei leidenschaftslos die vergangenen Erfolge seiner politisch-linken Gegner studiert: Er versuchte zu verstehen, wie der Sozialismus und auch der Kommunismus so viele Anhänger hat rekrutieren können, obwohl dieser ursprünglich „linke“ Ansatz seine Wurzeln und damit die aufklärerische Grundidee des Humanismus in ihr Gegenteil drehte, ohne die Gefolgschaft der Massen zu verlieren. Damit fand er seine künftige Bestimmung: Als Ökonom war er nur recht mittelmäßig und seine ökonomische Grundlagen sind und bleiben überaus fragwürdig. Aber als ökonomisch orientierter Politstratege gewann er ein beachtliches Format, wobei er sich lange im Hintergrund hielt und systematisch am Ausbau des Netzwerkes der Mont Pélerin Gesellschaft (MPG) webte. Sein Ziel war es, weltweit möglichst viele Köpfe der Ökonomie (die sogenannten Vermögens-Eliten) für seine ökonomisch geprägte Machtidee zu gewinnen. Er baute im Laufe von über zwanzig Jahren weltweit hunderte von „Think Tanks“ auf, die, von der Wirtschaft finanziert, den Zweck hatten, in aller Stille die neoliberale Machtidee als ökonomisch verbrämtes Gedankengut unter den mit Ökonomie befassten Persönlichkeiten zu verbreiten. Das ist der MPG bis in die 70iger Jahre auch gelungen. Margret Thatcher und der damalige US-Präsident Ronald Reagan (beeinflusst durch ihre neoliberal geprägten Beraterstäbe) zeigten sich für die Machtidee der MPG empfänglich.

Was stellt nun die neoliberale Ideologie des Friedrich von Hayek und der MPG dar? Theoretischer Ausgangspunkt ist das, was man in der Ökonomie allgemein und unauffällig als Marktwirtschaft bezeichnet. Rainer Mausfeld liefert eine kurze Zusammenfassung:

Es ist die Ideologie des ‚freien Marktes‘. Der ‚freie‘ Markt verkörpert durch sein Wirken Rationalität. Er dürfe daher nicht behindert werden. Die ‚Marktkräfte‘ muss man sich selbst überlassen. Staatliche Eingriffe (gelten) ebenso wie (demokratiebedingte Einschränkungen) als ‚Marktstörungen‘.“

Auf dem Markt treffen sich Angebot und Nachfrage. Der Markt gilt dann als effizient, wenn auf beiden Seiten atomistische (also sehr kleinteilige) Verhältnisse herrschen. Die Rentabilität eines solchen Marktes ist aufgrund der atomistischen Struktur relativ gering. Deshalb wird der ‚freie‘ Markt besonders favorisiert. Frei heißt in diesem Fall, dass es keine Einschränkungen hinsichtlich der Angebots- und Nachfragestruktur gibt. Und deshalb tendieren ‚freie‘ Märkte zu Oligopolen. Die mächtigsten Teilnehmer dominieren die jeweilige Marktsituation.

Der ‚freie‘ Markt verkörpert im Neoliberalismus so etwas wie ‚Natur‘ oder wie den ‚(Markt)Gott‘, dessen unsichtbare Hand zu rationalen Entscheidungen führe. Der ‚freie‘ Markt wird deshalb verschiedentlich als ökonomischer Religionsersatz bezeichnet. Alles, was der Markt hervorbringt, ist angeblich rational ableitbar. In diese ‚natürlichen Vorgänge‘ darf niemand eingreifen. Das, was der ‚Marktgott‘ hervorbringt, ist folglich „alternativlos“, m.a.W.: es lohnt sich nicht, über Alternativen nachzudenken. Und wenn das Wirken des ‚freien‘ Marktes alternativlos ist, wird automatisch jede Kritik mundtot gemacht (wie kann man sich gegen einen ‚Marktgott‘ aussprechen oder die ‚Naturabläufe‘ des ‚freien‘ Marktes in Frage stellen?).

Je unvollkommener Märkte sind (und das sind reale ‚freie‘ Märkte in aller Regel), desto interessanter sind sie für renditesuchende Anbieter. Die Chancen steigen, überdurchschnittliche Renditen zu erzielen. Das ist das Feld, auf dem sich unsere Geldeliten wohlfühlen. Den Vorteil des Neoliberalismus hat dieser Personenkreis sofort verstanden und hat sich mehrheitlich auf seine Seite geschlagen.

Was hat diese Ideologie des Neoliberalismus bei den Geldeliten ausgelöst? Einerseits haben sie schnell erkannt, dass sich damit noch besser Geld verdienen lässt. Es hat aber darüber hinaus einen Effekt, den Mausfeld wie folgt beschreibt: „Sie (die Ideologie des Neoliberalismus) gibt der Klasse der Reichen ein neues (nie da gewesenes) Klassenbewusstsein und führt zu einer massiven Verschmelzung und ideologischen Homogenisierung ökonomischer und politischer Eliten (sowie deren Medien).“

Warum lassen das die Bürger so einfach geschehen? Hier ist die vom Neoliberalismus unterstellte ‚Naturgesetzlichkeit‘ ein wesentlicher Stützpfeiler. Mausfeld führt dazu aus: „Sie (die Naturgesetzlichkeit) dient der Revolutionsprophylaxe, indem die massive Umverteilung von unten nach oben und der Abbau demokratischer Strukturen als ‚Naturgesetzmäßigkeiten freier globalisierter Märkte‘ ausgeben wird, zu denen es somit keine Alternative gäbe.“

Damit schließt sich der Kreis: Die Aufklärung hat uns ein Ideal eines Menschenbildes hinterlassen, das von Gleichberechtigung aller Menschen und einem demokratischen Herrschaftssystem ausgeht. Diese „linke“ Haltung hat das politische Denken der letzten 200 Jahre (sicherlich mit vielen Um- und Irrwegen) überstanden. Ihren realen Höhepunkt hatte dieses Denken vermutlich in den 70iger Jahren, als mit „mehr Demokratie wagen“ noch Wahlen gewonnen werden konnten. Just auf dem Höhepunkt der Realisierung der ‚linken‘ Haltung taucht eine Ideologie auf, die man als ‚rechte‘ Haltung klassifizieren muss, weil sie nicht vom Menschen spricht, sondern vom Markt(gott), der besser weiß, was für die Menschen gut ist. Die Ideologie der ‚rechten‘ Haltung interessiert sich weder für mehr Gleichberechtigung noch für mehr Demokratie. Sie verkörpert das glatte Gegenteil: Sie favorisiert den Unterschied, sie nutzt Abhängigkeiten ohne jede Scham aus – mit anderen Worten, sie entlastet die Kaste der ‚Reichen‘ von jeder Rechtfertigung ihres Wohlstandes. Die Ideologie des Neoliberalismus macht die Reichen zu einer neuen Klasse mit einem eigenen Klassenbewusstsein und der Bezug auf den Markt(gott) macht es auch möglich, nicht mehr nur Obstruktionspolitik zu betreiben. Der Markt(gott) gibt der ‚rechten‘ Haltung erstmals seit vielen Jahrzehnten eine (Klassen)Perspektive, die aufgrund der vermeintlichen ‚Natürlichkeit‘ ihrer Argumentation scheinbar keine Alternative zulässt. Manche mögen meinen, man sei am Ende der Geschichte angekommen.

Die ‚linke‘ Ideologie (der Aufklärung) geht unverändert davon aus, dass alle Menschen gleichberechtigt sind und die Menschen an der Realisation dieser Idee im Rahmen des Herrschaftsmodells der Demokratie arbeiten sollen. Diese Perspektive beschimpfen die Vertreter der ‚rechten‘ Ideologie und des Neoliberalismus verächtlich als „Gutmenschentum“.

Aber was ist mit dem Menschenbild der ‚rechten‘ Haltung? Es gibt gegenwärtig schlicht keines!! Der Mensch kommt in der gegenwärtig ‚rechten‘ Perspektive nur als Produktionsmittel, Konsument, Verbraucher und Wahlvolk (ohne Einfluss), ergänzt durch einen ausgeprägten Chauvinismus, vor. Die rechte Ideologie fordert und fördert dabei menschliche Eigenschaften, die seit über 2000 Jahren als die dunkle Seite unserer Existenz beschrieben werden kann. Sie pflegt den Egoismus, den Narzissmus, die Gier, die Rücksichtslosigkeit, den Wettbewerb als Strategie der gezielten Vereinzelung, Selbstüberschätzung (Ich!) und Maßlosigkeit des wirtschaftlichen Handelns. Mit anderen Worten: der ideologische Ansatz des Neoliberalismus als Ausdruck einer ‚rechten‘ Haltung fußt auf einer Idee des Gegenteils des ‚Gutmenschentums‘. Dafür gibt es bis heute leider keine treffende Bezeichnung. ‚Schlechtmenschentum‘ wäre eine zu billige Retourkutsche.
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Prof. Dr. Rainer Mausfeld, Vortrag auf Youtube: Wie werden politische Debatten gesteuert? https://www.youtube.com/watch?v=bw5Px3rR9Jo

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