Dirk Steffens und die GEO -Story

Der Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens war auf vielen Kanälen aktiv, um einerseits sein Buch „Eat it!“ als auch seine damit verbundene Dokumentation unter dem Namen „Die große GEO – Story“ auf RTL zu bewerben. Das Buch habe ich bisher nicht gelesen, aber die Dokumentation wollte ich mir anschauen, weil ich die Kombination von GEO und RTL im Rahmen einer Dokumentation ungewöhnlich finde.

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Es wäre hilfreich gewesen, wenn es bei RTL so etwas wie eine Mediathek geben würde, die es ermöglicht, den ersten Eindruck durch einen zweiten (vielleicht intensiveren) zu ergänzen.

Die privaten Sender, die ich von ihrem Geschäftsmodell her als eine Marketinginstitution qualifiziere, vermeide ich, wo ich nur kann. Ich lehne es ab, mich einem Dauerstress durch ziemlich plattes, aggressives Marketing auszusetzen. Nach Dirk Steffens Werbetour habe ich diese Bedenken beiseite geschoben (man kann ja immer noch was dazu lernen) und habe am Donnerstag, den 19.10.2023, 20:15 Uhr den Beitrag trotz der unverschämt penetranten Werbeblöcke bis fast zum Schluss auf RTL angesehen.

Bevor ich nun zu irgendwelchen Aspekten des Beitrags Stellung nehme, habe ich mich gefragt, warum taucht Dirk Steffens, der einen Ruf als Wissenschaftsjournalist zu verlieren hat, gemeinsam mit GEO bei RTL auf. Dokumentationsreihen zählen ja nicht zu den ausgewiesenen Stärken dieser Senderkategorie. Das Zeitschriftenkonklomerat GEO weist lt. Wikipedia als Unternehmen von Gruner & Jahr und als Teil der RTL Group in den letzten Jahren offensichtlich einen erheblichen Auflagenrückgang auf. GEO wurde gezwungen, sich ein radikales Sparprogramm zu verordnen. Die beiden Chefredakteure von GEO haben daraufhin im Februar 2023 ihre Positionen geräumt.

Dokumentationen, und die „GEO -Story“ muss man als solche ansehen, werden selten so heftig beworben. Sie entwickeln ihre Zuschauerschar eher leise über Mundpropaganda und auf einem Weg, den man am einfachsten mit dem antiquierten Satz beschreiben könnte: Qualität setzt sich durch! Das soll aber nicht andeuten, dass die GEO -Story diesem Gesichtspunkt nicht gerecht werden kann. Mein Eindruck ist natürlich gefärbt, aber die Dokumentation stellt einer Reihe von sachlichen, unabhängigen und begründbaren Aussagen vor, die durch mehrere ca. fünfzehn Minuten dauernde Werbeblöcke mit stark manipulativer Tendenz zu Sachverhalten unterbrochen werden, deren Relevanz gemessen am Thema der Dokumentation als ‚unterirdisch‘ erscheint. Dieser krasse Gegensatz lässt sich m.E. nicht auf einen Nenner bringen. Da prallen zwei fremde Welten auf einander. „Schuster, bleibt bei euren Leisten!“

Nun zu einigen inhaltlichen Überlegungen. Aus verschiedenen Beiträgen im Rahmen der Werbetour von Dirk Steffens und den Feststellungen der Dokumentation lässt sich erkennen, dass Steffens einen ganz wesentlichen Schwerpunkt der erfolgreichen Verarbeitung der sogenannten ‚Klimakrise‘ in der Beherrschung der Frage der Nahrungsmittelproduktion sieht. Sie gilt für ihn als ‚Keyplayer‘ in der Auseinandersetzung über sinnvolle Maßnahmen. Es wäre interessant gewesen, hierzu ein paar mehr Gründe aufzuzeigen, warum ausgerechnet die Nahrungsmittelproduktion so entscheidend ist.

Die Nahrungsmittelproduktion beeinflusst unsere Ernährungsgewohnheiten und diese wiederum auch unsere Gesundheitsvorsorge. Die Klimakrise ist monokausal nicht zu erfassen, weil nicht nur ein Aspekt die Problemstellung löst. Steffens Begründung für seine Vorgehensweise ist leider typisch für unser Verhalten. Multivariable Problemstellungen lassen sich nicht durch einfache Lösungsansätze regeln.

Die von Dirk Steffens vorgebrachten Bildargumente sind nicht neu, aber durch die Bilder gewinnen die oft nur verbalen Vorstellungen an Konkretheit. Aber das Fazit aus den Darstellungen, dass wir dann, wenn wir (die Welt) zehn Prozent weniger Nahrungsmittel wegwerfen, die Welt wieder (ein Stück weit) gerettet sei, ist zu plakativ und vernachlässigt zahllose Restriktionen, die man hätte ansprechen müssen, um der Komplexität der Sachlage gerechter zu werden.

Das große Frage der „Klimakrise“ richtet sich darauf aus, den Punkt zu finden, an dem wir sinnvoller Weise den Anfang des Problem-“Knäuls“ suchen sollen, um die Chance zu einem raschen Lösungserfolg zu nutzen. Dirk Steffens vertritt die Meinung, dass man dort beginnen sollte, wo nach dem ökonomische Prinzip die größten bzw. schnellsten Erfolge zu erzielen sind. Für ihn ist das der Ernährungssektor. Wir haben es aber mit einer hochkomplexen Fragestellung zu tun. Die gewohnte Anwendung des linearen Denkens in der Vorgehensweise könnte dabei Teil des Problems sein.

Wir werden wohl nicht die Herausforderungen nacheinander (sequenziell) angehen können, sondern müssen eine Strategie verwenden, die an vielen Stellen ggfs. aber nur wenig verändert, um durchsetzbar zu sein. Ernährung hängt z.B. eng mit der Gesundheit zusammen, Konzentriert man sich ausschließlich auf die Ernährungsfrage, so könnte übersehen werden, dass Ernährung nicht nur „satt“ machen sollte, sondern je nach Form der „Sättigung“ auch eine erheblichen Einfluss auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden hat.

Die Ausführungen von Dirk Steffens folgen einem alten ökonomisch monokausalen Schema: Der Verbraucher bestimmt angeblich mit seinen Präferenzen wie wir leben, was wir kaufen und wie viel davon, denn der „Kunde ist König“ – was für eine äußerst fragwürdige Aussage in einem System, dass viele Milliarden Euro ins Marketing pumpt, um zu versuchen, die Menschen hinsichtlich ihrer Konsumgewohnheiten effektiv zu manipulieren.

Der Beitrag zeigt eindrücklich, wie viel Nahrungsmittel-Abfall wir produzieren, aber er nennt nicht die möglichen Gründe für diese Abfallmengen: die Gebindeformen, Handelsklassen, Verwertungsvorschriften, EU-Vorschriften zur Optik von Produkten, möglicherweise überzogene Hygienevorschriften, Missverständnisse zum Mindesthaltbarkeitsdatum, und vieles andere mehr. Jede dieser Vorschriften scheint für sich genommen sinnvoll, in Summe jedoch führen sie ins Chaos.

Wenn wir zehn Prozent weniger wegwerfen (wollen oder) sollen, dann müssen wir in der Lage sein, mindestens zehn Prozent weniger einzukaufen. Ein bewusst herbeigeführter Rückgang des Lebensmittelumsatzes von zehn Prozent und das weltweit? Wer sollte ihn veranlassen? Das widerspricht doch den gegenwärtigen Vorstellungen von einem kapitalistischen System! Wo ist denn der Politiker oder die Partei, der/die diese „zehn Prozent weniger“ auf seine/ihre Fahnen schreiben würde? Das ist der Widerspruch in der GEO – Dokumentation. Es mag richtig sein, dass zehn Prozent weniger Abfall in unseren Breiten unsere Ernährungssituation weltweit rein rechnerisch entspannen könnte, Aber dem Gedanken steht doch eine mächtige Lobbypropaganda entgegen: „Was? Zehn Prozent weniger Umsatz? Wir sind auf Wachstum getrimmt! Unsere Aktionäre erwarten vierteljährlich „frohe Botschaften“. Und ein Umsatzrückgang von zehn Prozent kann selbst mit der besten Propaganda nicht als eine positive Entwicklung dargestellt werden.“

Gehen wir noch ein Stück weiter: Wenn in der Welt alle ‚übergewichtigen‘ Menschen zehn Prozent ihrer Kalorienzufuhr (als eine weitere Umsatzeinbuße) reduzieren würden, hätte das vermutlich einen vergleichbaren Effekt. Zusätzlich würden aber unsere Gesundheitskosten dramatisch sinken. Man könnte also den Lobbyisten der Umsatzfetischisten entgegenhalten, dass mit der Reduktion von zehn Prozent Umsatz gesellschaftlich eine enorme Kostenreduktion einhergehen könnte, so dass wir im Saldo möglicherweise besser dastünden als zuvor.

Das ist leider eine Milchmädchenrechnung, weil die Träger des Einzelhandelsumsatzes und die Träger der Gesundheitskosten unterschiedlichen Sektoren zugerechnet werden und wir nicht gewohnt sind, eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf gesellschaftlicher Ebene durchzuführen. Lieber lassen wir die ‚Retailer‘ extra Geld verdienen und lassen unsere Gesundheitskosten explodieren. Wir, die Steuerzahler, können uns das scheinbar noch leisten.

Dieses zugegeben überzogene Beispiel ist aber symptomatisch für die Bemühungen zur Bewältigung der „Klimakrise“. Unsere übliche monokausale Vorgehensweise nach der Devise eine Ursache löst eine Wirkung aus, fällt bei der Klimakrise durch – dort kann durchaus gelten, dass eine Ursache zahlreiche Wirkungen in den unterschiedlichsten Sektoren unseres Lebens auslöst. Dann ist aber ein Lösungsansatz auf einer monokausalen Basis wenig erfolgversprechend, weil der Komplexität des Vorgangs nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird.

Das Leben ist immer ein Ganzes. Wir neigen dazu, das Leben in von einander scheinbar unabhängige Sektoren aufzugliedern, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Andere Philosophien verneinen die Möglichkeit, uns und unsere Existenz in Teile zu zergliedern. Wir glauben unser Leben z.B. in Arbeitszeit und Freizeit unterscheiden zu können. Wir tun so, als ob unser Verhalten im Arbeitsmodus ein anderes sein kann und soll, als wir es in der Freizeit leben. Ist das Realität oder bilden wir uns das nur ein, weil wir hier Gewohnheiten herausgearbeitet haben, die möglicherweise systemisch anderen Zielen dienen sollen?

Nun zurück zu Steffens’ GEO-Story: Bei seinen Auftritten wird gerne betont, dass er Kompliziertes oder Komplexes einfach erklären kann. Diese Fähigkeit hat nicht jeder und ich möchte sie ihm auch nicht absprechen. Aber jede einfache Erklärung muss die Komplexität reduzieren und die ‚Klimakrise‘ lässt sich nur schwer mit einfachen Mitteln erklären, die meist aus der veralteten Newton’schen Mechanik stammen. Aber vielleicht hilft es, wenigstens Teile des Klimaprozesses so zu erklären, dass es in das Allgemeinwissen der Bevölkerung Eingang findet, weil das verbreitete Verständnis von Prozessen meist noch aus sehr alten Tagen stammt. Komplexität, Systemdenken oder Denken in Funktionalität und multivariable Ansätze sind selbst in akademisch gebildeten
Kreisen noch keine Selbstverständlichkeit. Also können wir nur hoffen, dass der GEO – Beitrag nützt und ein gewisses Maß an Verständnis weckt.

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