Maja Göpel lädt in ihrem Buch gleichen Titels ein, die Welt neu zu denken. Ein nachdenkliches, lesenswertes Buch, das ich einmal am Stück und mehrfach immer wieder in Ausschnitten gelesen habe. Parallel habe ich mich mit der „Großen Transformation“ im Rahmen der WBGU (der Wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung Globale Umwelt) befasst und versucht, hier eine Entwicklungslinie oder einen Ansatz zu finden, der mich oder allgemein den Leser „zu neuen Ufern tragen könnte“.
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Auf breiter Basis wird von der WBGU eine Unmenge von mehr oder weniger relevanten Erkenntnissen zusammengetragen, aber es gelingt mir nicht, hier etwas Neues, Bahnbrechendes erkennen zu können. Es wird nur das, was die ökonomischen Hirne seit Jahrzenten vernebelt, neu aufgekocht und brav (relativ unkritisch) zusammengestellt.
Wissenschaft hat für mich etwas mit einem intellektuellen Abenteuer zu tun. Richtig verstandene Wissenschaft wäre für mich immer der Versuch, die von der Gewohnheit gesetzten Grenzen zu sprengen. Die Angelsachsen haben hier den schönen Ausspruch: „to think out of the box“. Und genau das habe ich in den Ausführungen der WBGU gerade nicht gefunden.
Ich habe mir deshalb hier vorgenommen, der Leitidee von Maja Göpel zu folgen, aber statt neuer Ideen ein paar alte Gedanken ins Rennen zu schicken. Alles, was ich im Folgenden zu formulieren versuche, ist uralt und leider nicht von mir.
Wenn man sich mit Wirtschaft im Rahmen der „Großen Transformation“ beschäftigt, liegt der Grund darin, dass uns die bisherigen Denk- und Handlungsmuster der Wirtschaft in eine Situation manövriert haben, die es uns nahelegen, so rasch als möglich eine Transformation (eine Veränderung) anzustreben. Der Handlungszeitraum, der uns dazu bleibt, wird mit etwa einer Dekade angegeben. Danach wird es immer kostspieliger, unseren Lebensraum zu erhalten.
Es erscheint mir selbstverständlich, dass die Lösung der Probleme bestimmt nicht in den ökonomischen Theorien zu finden sein wird, die uns in das Problem hinein geführt haben. Es gilt m.E. den Kopf mit einem langen Hals aus dem wirtschaftswissenschaftlichen „Mief“ heraus zu recken, tief durchzuatmen, sich umzuschauen, nach Alternativen zu suchen und einen anderen, ggfs. neuen Ansatz zu wagen.
Abgesehen davon, dass die Welt „voller“ (Maja Göpel) geworden ist, hat sich auch unsere Bewirtschaftungsform in den letzten fünf Jahrzehnten m.E. grundlegend geändert. Statt Wohlstand und Gemeinwohl anzustreben, – eine Erwartung, die eng mit ethischen Prinzipien verknüpft wäre, – haben wir uns von Zielen, die eine Qualität für alle zum Ausdruck bringen, über den Utilitarismus hin zu quasi „wertfreien“ Zielen entwickelt, die rein quantitativ verstanden werden wollen und für die nicht mehr sichergestellt ist, dass damit auch alle Beteiligten erfasst werden.
Um das etwas plastischer werden zu lassen: Es gab in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert vielgelesene Bücher mit dem uns verstaubt erscheinenden Titel „Der ehrbare Kaufmann…“. Der Kaufmann pflegte seinerzeit eine Ehre und ein Selbstverständnis, die darauf schließen lassen, dass ihm eine klare ethische Haltung zugesprochen wurde. Nicht der Nutzen war das alleinige Maß aller wirtschaftlichen Dinge. Vor dem Nutzen rangierte der „Anstand“, der es dem Kaufmann schwer machte, ausschließlich seinem persönlichen Nutzenvorteil ohne Rücksicht auf seine Umgebung zu folgen. Hatte ein Kaufmann jener Zeit die Grenzen des Anstands durchbrochen, war er für seine Kollegen (und die Gesellschaft) als Nestbeschmutzer „unten durch“ und seine wirtschaftliche Existenz konnte dadurch u.U. ernsthaft gefährdet sein.
Ab welchem Zeitpunkt der Umschwung von einer ethischen Einstellung zu Wirtschaft und Handel zu der heute geltenden quantitativen, nutzengeprägten Vorstellung stattfand, ist schwer festzumachen. Diese Veränderung allein dem Neoliberalismus in den 1970iger und -80iger Jahren in die Schuhe zu schieben, erscheint etwas zu einfach.
Denn der quantitative Ansatz hat auch seine Ethik, aber eben eine völlig andere: Es geht um das Individuum und seinen egoistischen Nutzenvorteil, den es gilt, im wechselseitigen Wettbewerb zu Geld zu machen. Erlaubt ist alles, was der Markt hergibt. Als Grenzen werden eigentlich nur rechtliche Verbote akzeptiert und statt des Anstands der alten Tage gilt einseitige Gewinnmaximierung, Wettbewerb, der sogenannte Markt, auf dem das Nutzen-Schauspiel aufgeführt wird, und Wachstum als Folge der Gewinnmaximierung und des ständig forcierten Wettbewerbs. Brodbeck[1] charakterisiert diese „Ethik“ als Gier und Aggression. Es braucht keinen Philosophen, um zu erkennen, dass diese Einstellungen zu keinem guten Ende gebracht werden können.
Und diese Haltung führt uns unmittelbar die Notwendigkeit einer „Großen Transformation“ vor Augen, weil dieser quantitative Ansatz des „Schneller, Höher, Weiter“ in einer begrenzten Welt erkennbar rasch an sein Ende kommt.
Als Fazit könnte man daraus ziehen, dass wir uns von einer quantitativ orientierten Ethik lösen und einen Weg in eine (neue) qualitative Ethik suchen müssen, die unserer Situation als Gemeinschaft in einer als endlich verstandenen Welt wieder eine gültige Perspektive bieten kann. Ein Zurück zum Alten wäre zu einfach. Die Welt ist nicht stehen geblieben, aber die Erfahrungen könnten für einen neuen Ansatz hilfreich sein.
Zurück zur Basis
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dieser schlichte Satz unserer Verfassung (Art. 1) wurde durch die quantitativ orientierte Ethik des Utilitarismus in den letzten Jahrzehnten ständig missachtet, weil der Utilitarismus als ethische Grundlage unserer Ökonomie diesen Satz weder hervorbringen, noch ihn tolerieren kann. Der Utilitarismus setzt – vereinfacht ausgedrückt – anstelle des Menschen den Nutzen, oder anders gewendet: Die Qualität des Menschen ist mit der Quantität des Nutzens nicht zu beschreiben. Das sind zwei nicht kompatible Welten. Wir müssen uns entscheiden – beides geht m. E. nicht. Das ist der erste Ansatz, den es m.E. im Rahmen einer Transformation zu verstehen gilt.
Zurück zu einfachen Fragen: Warum betreiben wir eigentlich Wirtschaft? Um der Gewinnmaximierung willen, wegen des angeblich so kreativen Wettbewerbs (ein Widerspruch in sich) oder um des Wachstums willen? Wir wollen- so mein Verständnis – in einem angemessen Wohlstand leben. Wohlstand ist dabei ein Begriff, der alle Menschen umfassen sollte, nicht nur jene, die das „Höher, Schneller, Weiter“ auf ihre Fahnen geschrieben haben. Das ist eine wertende Aussage mit einem ethischen Anspruch. Wenn wir Wirtschaft auf Gewinn, Wettbewerb, Wachstum als Ziele einer quantitativen Weltsicht reduzieren, erfasst diese Aussage nur diejenigen, die am Wachstum unmittelbar partizipieren. Der Rest oder die anderen Menschen wurden 1997 von Helmut Maucher (Nestlé) als „Wohlstandsmüll“[2] bezeichnet. Und wie hatten wir oben festgestellt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Deutlicher kann man m.E. den tiefsitzenden Widerspruch nicht hervorheben.
Wenn wir der Leitlinie der Verfassung folgen, nach der die Würde (s.o.) unantastbar ist, müssen wir uns mit der „Arbeit“ befassen. Wohlstand ist ohne Arbeit nicht zu erzielen und auch nicht zu erhalten. Wir haben Arbeit auf den quantitativ verstandenen Begriff unseres Alltags reduziert. Dabei ist Arbeit für den Arbeitgeber ein Kostenfaktor und der Mitarbeiter nur eine von vielen „Ressourcen“ (Human Resources). Und für den Arbeitnehmer ist Arbeit aus der Sicht dieses Weltbildes ein notwendiges Übel. Wenn man diese Haltung fortschreibt, wird deutlich, dass die Unternehmen von einen Zustand träumen, in dem immer weniger Arbeitskosten anfallen (z.B. bei ständig zunehmender Effizienz bis zur kompletten Automation) und der Arbeitnehmer träumt angeblich von einem auskömmlichen Einkommen ohne jeden Einsatz.[3] Er wird nach diesem Weltbild indirekt als grundsätzlich „faul“ charakterisiert.
Durch die Reduktion der Arbeit auf einen schlichten Kostenfaktor gewinnt die Entlohnung eine große, vielleicht sogar übermäßige Bedeutung. Denn die Entlohnung ist in unserem System die „Gewinnmaximierung“ des kleinen Mannes. Nach dieser Logik des Maximierungsstrebens müssten alle Arbeitssuchenden in die Berufe streben, in denen man mit dem geringsten Aufwand die höchste Entlohnung erwarten darf. Wenn diese Logik die Menschen angemessen repräsentieren würde, müssten z.B. die Beschäftigten in den schlechtbezahlten Sozialberufen scharenweise in die finanziell lukrativen Berufe abwandern. Aber Fehlanzeige! Die Berufsausübung (die Arbeit) ist eben mehr als nur eine engstirnige Form der „Gewinnmaximierung“ des egoistischen Individuums.
Wenn wir unsere Menschenwürde ernst nehmen würden, wäre Arbeit etwas, was den Beschäftigten zum Menschen macht. Nach Schumacher sollte Arbeit sinngemäß drei wesentliche Gesichtspunkte umschließen[4]:
Arbeit gibt dem Menschen die Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu nutzen und zu entwickeln. Sie bietet weiter die Möglichkeit, in Kooperation oder ggfs. in Wettbewerb zu treten, und sich zu gemeinsamen Projekten zu verbinden. Letztlich erzeugt Arbeit die Güter und Dienstleistungen, die für ein menschenwürdiges Dasein erforderlich sind. Dabei ist durchaus auch die gewählte Reihenfolge zu beachten.
Schumacher zeigt damit: Arbeit ist nicht eine nachgeordnete Funktion der Güter- und Dienstleistungsproduktion (eine Ressource), sondern Arbeit ist eine Tätigkeit, die dem Menschen die Möglichkeit gibt, sich in Würde als Persönlichkeit zu entwickeln.
Wenn man Wohlstand als ein qualitatives Ziel des Wirtschaftens umschreibt, dann kann man nicht bei Gewinnmaximierung und Wachstum stehen bleiben. Wohlstand muss den Menschen dienen. Gewinnmaximierung und Wachstum dienen nur der Erfüllung der gegenwärtigen Systemerfordernisse. Ein ernst zu nehmendes Interesse am Wohlstand aller besteht hier nicht.
Das gegenwärtige System des Kapitalismus stellt die Waren – und Dienstleistungserstellung über den Menschen. Der Mensch ist nur der Erfüllungsgehilfe einer schlichten Produktions- und Vermarktungsidee und hat dem System im Rahmen der Massenkaufkraft als Konsument zu dienen. Er wird durch den homo oeconomicus repräsentiert: ein Zerrbild eines egoistischen autistisch selbstbezogenen, gemeinschaftsunfähigen Homunkulus, der sich strikt und unmenschlich einer kurzfristigen, eng gefassten Rationalität unterwirft, die oftmals menschenunwürdige Ergebnisse liefert. Das System will aber in seiner quantitativen Verblendung die Vernachlässigung der Menschenwürde nicht erkennen.
Neben der Kategorie Arbeit ist Eigentum eine wesentliche Stütze unseres gegenwärtig geltenden Wirtschaftssystems. Dabei steht Eigentum als Grundeigenschaft künftig nicht zur Disposition, wohl aber die qualitative Frage des Art. 14, II GG: Eigentum verpflichtet. Zu was? Auf die Gesetze, die diese Frage unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde klären könnte, warten wir noch heute. Das ist ähnlich, wie mit der Menschenwürde selbst, jeder weiß davon, aber die wenigsten wollen sich konkret damit befassen[5].
Es geht beim Eigentum nicht um Haus, Automobil, Bohrmaschine oder ähnliche Sachen. Es geht darum, sich zu fragen, wie das Eigentum an Unternehmen und die Früchte der Leistungserstellung durch Mitarbeiter im Unternehmen anders bzw. fairer verteilt werden könnte.
Schumacher[6] meint dazu zusammenfassend:
- „Bei kleinen Unternehmen ist Privateigentum natürlich, fruchtbringend und gerecht.
- In mittleren Betrieben ist Privateigentum weitgehend ohne Funktion. Die Vorstellung von ‚Eigentum‘ wird überdehnt, sie wird unfruchtbar und ungerecht. Bei nur einem Eigentümer oder einer kleinen Gruppe von Eigentümern kann und sollte das Vorrecht daraus freiwillig an die größere Gruppe derer abgetreten werden, die tatsächlich arbeiten (…). (…)
- Bei Großunternehmen ist Privateigentum ein vorgeschobener Begriff, der es funktionslosen Eigentümern ermöglichen soll, schmarotzerhaft von der Arbeit anderer zu leben. Er ist nicht nur ungerecht, sondern stellt ein irrationales Element dar, das die Beziehungen innerhalb des Unternehmens verzerrt. (…)“
Eine erfolgreiche Transformation wird nicht umhin kommen, auch hier neue, zukunftsweisende Maßstäbe zu setzen.
[1] K.-H. Brodbeck, Buddhistische Ökonomie, (2001) Download als PDF
[2] Unwort des Jahres 1997
[3] Vgl. E.F. Schumacher, Small is beautiful, 1977 (2019), S. 66f.
[4] Vgl. E.F. Schumacher, a.a.O., S. 66
[5] Zu weiterführenden Betrachtungen zum Eigentum, vgl. E.F. Schumacher, a.a.O., Seite 260 ff.
[6] E. F. Schumacher, a.a.O., S. 265
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