Die plötzliche Einsicht

Der Wähler ist schon etwas verwirrt. Die Regel, „was juckt mich mein dummes Geschwätz von gestern“, hat wieder mal mit voller Wucht zugeschlagen. Von Geld war ja im Wahlkampf nie die Rede und jetzt wirft unsere künftige Regierung mit den Milliarden nur so um sich. Dabei finde ich die Entscheidung, diese Schulden (Sondervermögen) aufzulegen, von der Sache her ja gerechtfertigt. Aber die ‚Verarschung‘ (Entschuldigung!) der Wahler im Wahlkampf könnte großer nicht sein.

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In meinem letzten Beitrag vom Morgen des Wahlsonntags ging ich von der Erwartung aus, dass die Bereitstellung von Finanzmitteln insgesamt wohl 900 Mrd. Euro betragen müsse (Infrastruktur plus Sicherheit). Man könnte meinen, mein Beitrag wäre gelesen und erhört worden. Noch kämpfen die Auguren, wie sie diese Beträge verabschieden, aber deren Notwendigkeit ist m.E. inzwischen unumstritten. Es geht darum, wie bringen wir dieses große Projekt in hinreichend sichere Strukturen.

Es ist auch interessant, zu beobachten, wie die Parteien darum kämpfen, dass mit dem Ansatz, der wirtschaftspolitisch durchaus den Vorstellungen des John Maynard Keynes zugerechnet werden kann, die notwendigen Inhalte transportiert werden. Die Konservativen wollen einen Zustand wiederherstellen, wie er sich angeblich vor 20 Jahren dargestellt hat. Das stimmt zwar nicht, aber es lässt sich in unsicheren Zeiten gut verkaufen. Dabei haben sie ihre neoliberale Marktstrategie innerhalb weniger Tage über den Haufen ‚geschmissen‘, weil sie erkennen müssen, dass der Markt keine Infrastruktur schaffen kann. Im Gegenteil: der Markt lebt ganz wesentlich von der Voraussetzung, dass eine funktionsfähige Infrastruktur zur Verfügung steht. Und die bestehende Restinfrastruktur ist einer Wirtschaft, die sich als modern versteht, nicht mehr würdig.

Die Sozialdemokraten wollen dem sozialen Aspekt eine ausreichende Berücksichtigung sicherstellen und die Grünen haben die sinnvolle und verständliche Forderung, dass bei diesem großen Projekt der Klimawandel angemessen Berücksichtigung finden sollte. Es wäre dumm und fatal, aus ideologische Gründen Tatsachen, die wir seit 50 Jahren wissen und regelmäßig bewusst negieren, nicht in diese „Runderneuerung“ unseres Gemeinwesens einzubeziehen. Die Erneuerung der Infrastruktur muss nach vorne schauen und die günstige Gelegenheit beim Schopfe ergreifen, um den Umbau der Wirtschaft zu befördern.

Die Union war seit ca. 40 Jahren der Marktideologie aufgesessen und hat die Strategie von einem ‚Wandel durch Handel‘ übernommen, denn auf dieser Maxime fußt letztlich der Neoliberalismus, der nur solange eine gewisse Funktionsfähigkeit entwickeln kann, solange die Welt der Idee des Handels folgt. Man unterstellte, dass Frieden in allen wesentlichen Teilen der Welt herrscht und man deshalb im neoliberalen Sinne ‚gute‘ globale Geschäfte machen kann. Die regelgebundene Welt ist mit Putins Einmarsch in der Ukraine weggewischt worden; Trump kann mit Regeln nichts anfangen, er lebt vom Tumult und liebt wie seine „Entourage“ die Regellosigkeit, die sie uns frech als Freiheit verkaufen wollen. Damit ist der Gedanke der Globalisierung an seinem Ende, weil die Funktion von Lieferketten durch kriegerische Aktivitäten und einseitige Regel- und Vertragsverletzungen in Frage gestellt werden müssen (Stichwort Zölle).

Es bleibt natürlich die Frage, ob unsere bürokratischen Strukturen überhaupt noch in der Lage sind, ein solches Projekt zu stemmen. Wir haben ja nicht nur in den letzten 35 Jahren als Folge des Neoliberalismus die öffentlichen Nettoinvestitionen heruntergefahren, sondern parallel auch teilweise die Strukturen zerschlagen, die unsere Verwaltungen in die Lage versetzen könnten, diesen Runderneuerungsprozess zu steuern und ein positives Ergebnis bei kontrolliertem Geldeinsatz erwarten lassen. Wir sehen wie schwer sich die Bahn tut, nach fünfundzwanzig Jahren politisch gewollter Demontage (w/ des geplanten Börsenganges) wieder in der Wirklichkeit Fuß zu fassen.

Aber auch die Politik muss sich fragen lassen, ob sie die Kraft und das Personal zur Führung solcher Prozesse hat. Die Entscheidung, diese Projekte mit einem großen finanziellen Aufwand umzusetzen, erfordert hochqualifiziertes Personal, eine präzise Ziel- und Aufgabendefinition und ein sehr enges Controlling. Wir kennen in den letzten Jahrzehnten aber nur ‚Politik als Dienstleistung‘, also die Politik als bereitwilliger Assistent der Wirtschaft. Mit dem von Friedrich Merz ins Leben gerufenen Projekt ist knallharte Führung von Nöten! Wer ist denn so naiv und glaubt, dass sich an dem Projekt nur die „Gutwilligen“ versuchen werden. Solche finanziellen „Chancen“ ziehen alle möglichen „Investoren“ und „Experten“ an, die ihre Chancen wittern, weil das Projekt deutlich nach viel Geld riecht oder vielleicht sogar stinkt. Schon jetzt kann man davon ausgehen, dass sich Allianzen bilden und formieren, um bei dem sich abzeichnenden Windhundrennen vorne dabei zu sein.

Ist der künftigen Projektleitung (deren Mitglieder vermutlich von ihrem Glück noch gar nichts wissen) klar, dass mit der Direktive „Auf- und Ausbau der Infrastruktur“, wie sie vermutlich groß über dem Infrastrukturprojekt stehen wird, noch lange nicht klar ist, was im einzelnen denn unter dem Begriff der Infrastruktur gemeint sein könnte. Eine offizielle Mängelliste wird es wohl gegenwärtig nicht geben, aber wenn nicht klar ist, was und wo das Ziel ist, kann man nicht erwarten, dass das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Ein wichtiger Gesichtspunkt ist auch die Frage, wie kommt das Geld dahin,wo es wirklich benötigt wird? Was könnte ein angemessener Maßstab sein? Das Volumen von 500 Mrd. Euro übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Also müssen wir dies Zahl mit einfachen Mitteln plausibilisieren.

Unser Gemeinwesen besteht grob gesprochen aus Bund, Ländern, Landkreisen und Kommunen. Der Bund und die Länder verfügen über Zugang zum Steueraufkommen und weisen schwerpunktmäßig Gelder den Landkreisen und Kommunen zu, mit der Folge, dass die Aufgaben auf den unteren Ebenen ständig zunehmen, aber die Finanzmittel hierfür oft nicht in gleichem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Das ist m.E. mit ein wesentlicher Grund für den schlechten Zustand unserer Infrastruktur. Also müssen die „Verteilungsgesetze“ für die 500 Milliarden einmal grundsätzlich anders laufen: Der Gesamtbetrag des Sondervermögens wird durch die Zahl der Einwohner dividiert. Das sind rd. 6 T-Euro pro Einwohner. Das ist die Grundlage. Dann wird festgestellt, dass Bund und Land im Vergleich von Landkreisen und Kommunen nur wenig leistende Aufgaben wahrnehmen:

Also wird der Gesamtbetrag z.B. im Verhältnis 30 (für Bund und Länder) zu 70 (für Landkreise und Kommunen) aufgeteilt. Konkret bedeutet das, dass Bund und Länder 1.800 Euro pro Einwohner zugewiesen erhalten und die Landkreise und Kommunen einen Anspruch von bis zu 4.200 Euro geltend machen können. Von dem Gesamttopf von 500 Mrd. Euro können der Bund und die Länder über einen Verwendungsrahmen von 150 Mrd. Euro und die Landkreise und Kommunen über 350 Mrd. Euro erwarten. Durch diese sehr simple, aber nachvollziehbare Aufteilung könnte sicher gestellt werden, dass die Finanzmittel dahin laufen, wo sie gebraucht werden. Jede Kommune kann sich jetzt überlegen, welche Maßnahmen und Projekte sie in ihrem Rahmen für die nächsten Jahre ins Auge fassen und zur Finanzierung beantragen möchte. Es gilt auch die deutliche Ansage, dass die Grenze von Einwohnerzahl x 4,2 T€ als absolute Obergrenze im Rahmen des Sondervermögens für künftige Infrastrukturmaßnahmen für Landkreis und Kommune einzuhalten ist. Was eine Infrastrukturmaßnahme im Sinne des Gemeinwesens ist, bleibt dabei aber noch unbestimmt.

Es wurden zur Vorbeugung von Korruption je nach Größe der Projekte unterschiedliche öffentliche Ausschreibungsverfahren installiert. Die Qualität der Ausschreibungen haben für die investierende öffentliche Instanz juristische Konsequenzen. Aufgrund dessen werden die Ausschreibungen i.d.R. von Beratern aufgesetzt. Es ist noch nichts konkretes passiert, und schon werden die ersten Kosten fällig. Wenn sich herausstellt, dass das Teilprojekt aus einer fehlerhaften Aufteilung entstanden ist, muss bei Korrektur der ganze Rattenschwanz neu aufgesetzt werden. Auch daraus wird deutlich, wie wichtig eine öffentlich abgesegnete Mängelliste für den Erfolg des Projektes ist.

Wenn die zahlreichen Projektangebote von „ganz billig“ bis „unbezahlbar“ vorliegen, müssen die Angebote „validiert“ werden. Ich hoffe, dass diese Aufgabe nicht der Politik zufallen wird. Die Validierung ist nur auf rein fachlicher Ebene begründ- und darstellbar. Dieser Service wird nicht pro bono erfolgen können. Man kann schon an diesen wenigen Ausführungen erkennen, dass die Abwicklung komplex sein wird, und dass alleine die Administration der Projekte über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren vorsichtig geschätzt etwa 10% des Projektvolumens verschlingen wird (ca. 50 Milliarden!). Das Geld könnte man natürlich auch anderweitig einsetzen, erhöht dann aber das Risiko, dass das Gesamtprojekt in den Graben fährt.

Darf ich hier an die wenig rühmliche „Übernahme“ oder „Annexion“ der DDR-Wirtschaft erinnern? Alle erfahrenen Manager waren im Westen in Lohn und Brot. Plötzlich sollten die Wirtschaftsunternehmen der künftigen neuen Bundesländer „bewertet“ und umgebaut werden. Die Treuhandanstalt, der diese Aufgabe zufiel, konnte im Wesentlichen nur junges mit dem kapitalistischen Lehrbuchwissen gefüttertes und von jeder Wirtschafts- und Lebenserfahrung unbelecktes Personal für diese Aufgabe gewinnen, denen folglich jedes Augenmaß fehlte. Die politischen Folgen dieser unsensiblen Vorgehensweise können wir heute noch in Teilen an den Wahlerfolgen der AfD ablesen.

Das genannte Projekt braucht also zusätzliche Manpower. Und wir sollten nicht die gleichen Fehler wie in den 1990er Jahren machen. Der Bedarf besteht nicht nur auf der Leitungsebene, sondern erst recht im Rahmen der Umsetzung. Das Handwerk sucht händeringend nach adäquatem Personal, um seine „täglichen“ Aufgaben wahrnehmen zu können. Nun wird mal fix ein Milliardenprojekt aufgelegt, das sich sicherlich über einen Zeitraum von 10 – 15 Jahren (und darüber hinaus) erstrecken wird. Gehen wir bei dem Projekt vereinfacht davon aus, dass geschätzt etwa 30% des Projektvolumens auf Personalkosten entfallen werden, dann ergeben sich bei einem jährlichen Durchschnittsaufwand pro Person von 50 T€ ein zu erwartender Bedarf von bis zu 3 Mio. Mitarbeiter. Wenn wir diese Zahl von Mitarbeitern auf 10 Jahre strecken, bleibt immer noch ein Bedarf von etwa 300.000 Fachkräften. Wo sollen die Arbeitskräfte herkommen? Und ohne, dass andere Arbeiten liegen bleiben. Ob man hierfür schon eine Lösung gefunden hat oder finden wird? Ich habe meine Zweifel.

Dann sind wir wieder bei der Migration, die im Wahlkampf rauf und runter dekliniert wurde und die Emotionen hoch- und den Verstand weichgekocht hat. Ohne Zuwanderung wird es mittelfristig nicht gehen. Dazu müssten aber die größten Integrationshemmnisse der Migration abgebaut werden. Schaut nach Kanada! Warum klappt es dort? Jeder willige und fähige Migrant macht um unser Land einen großen Bogen, weil die Bedingungen nicht stimmen und unsere Bürokratie jedes “Pflänzchen“ im Keime erstickt. Wir haben seit der Zuwanderung der italienischen „Gastarbeiter“ vor gut zwei Generationen in Bezug auf Integrationsbemühungen wenig bis nichts dazu gelernt. Und auch hier spricht man üblicherweise ja von Infrastruktur!

Damit möchte ich schließen. Es stört mich, dass ich hier wenig Positives beitragen konnte, aber die Erfahrungen auf diesem Gebiet kann man nicht einfach ignorieren. Offensichtlich gilt der Satz: Man trifft mindestens zweimal im Leben auf eine ähnliche Situation – man muss nur alt genug werden und sich ein gewisses Maß an Erinnerungsvermögen erhalten.

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