Mit Beginn des Studiums wurde man in den 1970iger Jahren mit der „Ableitung“ einer ‚optimalen‘ Betriebsgröße konfrontiert, die dort liegen solle, wo die Kapitalkosten des Unternehmens ihr Minimum erzielen. Natürlich vorausgesetzt, die Kapitalkosten verlaufen konvex. Das entsprach einer Wahnvorstellung, weil die Konvexität der Kapitalkosten weder plausibel noch praktisch nachgewiesen werden konnte. Im „Wöhe“ (Standardwerk von 1978) findet dieser intellektuelle Krampf zu Recht keine Erwähnung mehr.
» weiterlesen
Das Ansinnen, sich ernsthaft zu fragen, ob es nachvollziehbare Kriterien gibt, wie eine sinnvolle Unternehmensgröße bestimmt werden könnte, war damit für die nächsten Jahrzehnte bis heute vom Tisch. Dabei ist es mit der Unternehmensgröße ähnlich wie mit der Wachstumshypothese: nichts wächst ewig und es scheint einen Punkt zu geben, an dem schiere Größe ineffektiv und ineffizient zu werden beginnt. Man könnte auch sagen, es gibt eine Größenordnung, an der ein Unternehmen sich gegen die essentiellen Regeln unseres Wirtschaftssystems wendet und droht zum Fossil zu werden (Dinosaurier-Effekt).
Bei dieser Frage nach einer sinnvollen Größe wird ähnlich verfahren, wie bei der Frage nach der Lebensdauer von Unternehmen. Diese Frage ergibt sich im Rahmen der Unternehmensbewertung, die davon ausgeht, dass Unternehmen „das ewige Leben“ besitzen. Dieser Wert ist dann Grundlage eines „Shareholder’s Values“, dessen Stringenz der Minimierung des Kapitalkostenansatzes vergleichbar ist. Die wahnwitzige ‚Lebensdauer‘ wurde durch die Diskontierung etwas eingefangen, die in Abhängigkeit vom Diskontsatz die in die Berechnung einfließende „Ewigkeit“ auf etwa 30 – 90 Jahre verkürzt. Der Wertanteil, der jenseits dieser Grenzen lag, ist für die Wertfindung relativ unbedeutend (< 5%). Der zweite Wahnwitz liegt darin, zu glauben, man könne die Zukunft der nächsten 30 bis 90 Jahre „planen“; nicht nur die schlichte Existenz des bewerteten Unternehmens, sondern auch dessen Renditeerwartungen über diesen Zeitraum. Corona lässt grüßen!
Eine US-amerikanische Studie gelangte vor etwa 30 Jahren zu der empirischen Erkenntnis, dass die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen (in USA) nur 13,7 Jahre betrug. Der Unterschied von Theorie und Praxis ist hier schon gewaltig! Zur Ehrenrettung muss man darauf hinweisen, dass statistische Durchschnitte i.d.R. wenig Aussagekraft haben, solange man nicht die Streuung der Werte erkennen und die erfasste Grundgesamtheit beurteilen kann.
Zurück zur Diskussion der Wertansätze zur Unternehmensgröße: Die Handelsgesetze und Bilanzierungsregeln sind voll von Definitionen zur Unternehmensgröße. Die Kategorien sind aber rein deskriptiv und lösen bestimmte Maßnahmen aus, die im wesentlichen Offenlegungserfordernisse bestimmen. In keinem dieser gesetzlichen Regeln wird die Frage aufgeworfen, ob die Unternehmensgröße irgendwelchen Kriterien erfülle müsse, die über das rein Formale hinausgehen. Und die Politik verfügt über keine Kriterien, ob und wann Unternehmen ggfs. zu groß, zu schwerfällig, zu wenig innovativ oder zu wenig Wachstum generieren. Sie hält sich aus dieser Diskussion bewusst heraus bzw. folgt hier dem ‚Laissez fair‘ des Liberalismus.
Wir wissen aus diversen Veröffentlichungen (aus der Zeit als Kredite noch Zinsen kosteten), dass jährlich etwa 40.000 Unternehmen aus verschiedenen Gründen aus dem Wirtschaftsleben ausscheiden und dass etwa die gleiche Menge an Unternehmen jährlich neu gegründet werden. Es gibt wenig Aussagen über die Lebensdauer der Neugründungen. Die „Sterberate“ ist in dieser Kategorie aber beachtlich hoch, weil diese Mini-Unternehmen (Solounternehmer, One-Man-Show) von vielen Menschen ins Leben gerufen werden, ohne wirklich eine Ahnung vom Geschäftsleben zu haben. Wenn solche Unternehmen fünf Jahre überleben, dann haben sie es i.d.R. geschafft (bis dann Corona am Horizont auftaucht und alle Mühe umsonst war).
Unternehmen müssen besonders im Anfangsstadium relativ schnell wachsen. Wenn das nicht gelingt, wird es eine nervige Hängepartie. Die jungen Unternehmen sind in der Mehrzahl eigentümergeführt. Viele dieser Unternehmer sind sehr engagiert, aber nur bedingt geeignet, Führungsaufgaben hinreichend wahrzunehmen. Unternehmen bis zu zehn Mitarbeitern werden sehr persönlich geführt. Die Mitarbeiter arbeiten dem „Chef“ zu. Eine Struktur im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Werden es zwanzig oder gar dreißig Mitarbeiter, muss der „Chef“ nicht mehr nur vorne weg laufen (also der erste Diener seines Unternehmens sein), er muss plötzlich Strukturen schaffen, Entscheidungsgewalt abgeben und mit den Fehlern der Mitarbeiter so umgehen können, dass sie bei der Stange bleiben und sich der Schaden ggfs. in Grenzen hält. Das ist neu für ihn und oft eine starke Herausforderung.
Wenn die Strukturen richtig aufgebaut sind, kann das Unternehmen weiter wachsen, weil die Voraussetzungen geschaffen sind. Das geht gut, bis sich der „Chef“ selbst in Frage stellen muss: „Habe ich das noch im Griff oder nähern wir uns dem Chaos?“ Er muss seine Rolle als „Chef“ in Frage stellen, Abteilungen schaffen, Macht abgeben, und im richtigen Maße loslassen können. Sonst wird er im Unternehmen zum Problem und keiner wird es wagen, ihm das zu sagen. Jedes Wachsen führt also in regelmäßigen Abständen zu kritischen Wendepunkten im Leben des Unternehmens. Hier scheitern viele Eigentümer, weil sie ihre Persönlichkeit jeweils neu erfinden müssen. Das gelingt nicht jedem. Dann sollte der Eigentümer die Stärke besitzen, Strukturen der Fremdgeschäftsführung zuzulassen. Spätestens jetzt sind die klassischen ‚Kinderkrankheiten‘ überwunden. Vom Markt und seinen Veränderungen haben wir da noch gar nicht gesprochen.
Es gibt seit etwa einem Jahrzehnt bei der Beurteilung der sachlich angemessenen Größe eines Unternehmens den Begriff „Systemrelevant“, um damit die Bedeutung von Unternehmen zu unterstreichen. Dabei hat der – vermutlich von Think Tanks – kreierte Begriff zwei Seiten. Aus der Perspektive des Verbrauchers und eines Mitglieds der Gesellschaft ist ein Unternehmen dann systemrelevant, wenn das Unternehmen etwas Notwendiges zur Versorgung der Menschen beizutragen hat. Dazu zählt u.a. auch ein Arbeitsplatz. Es kann sich auch um ganz unspektakuläre Sachverhalte handeln. Wir haben im Rahmen von Corona feststellen können, dass unsere Wirtschaft nicht in der Lage war, Mundschutz und Schutzkleidung bereitzustellen, weil diese „popeligen“ Produkte der Globalisierung anheimgefallen waren und zwischenzeitlich irgendwo in Fernost produziert werden.
Systemrelevant ist also kein selbsterklärender Begriff, sondern eher ein Begriff, der dazu dient, Interessen durchzusetzen. Wenn ein Unternehmen den Begriff von sich aus in Anspruch nimmt, geht es meist um politische Erpressung oder Korruption. Das Mittel der Erpressung sind dann Arbeitsplätze oder Steuervergünstigungen, weil man weiß, dass hier die Politik i. a. R. empfindlich reagiert und schnell einknickt. Vielfach gilt dann auch der Satz: „to big to fail!“ als weiteres Kriterium von Systemrelevanz. Auch an solchen Entwicklungen lässt sich erkennen, dass die Frage einer sinnvollen, (ggfs. maximalen) Unternehmensgröße von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Das ständige Größenwachstum von Unternehmen ist eine Folge des falschen Satzes: „Wachse oder weiche!“ Dieser Satz ist Ausdruck einer Ideologie. Es gibt zahllose feine Unternehmen, die dieser Ideologie nicht folgen und trotzdem erfolgreich „alt“ werden. Dabei ist alt werden, wie wir oben gesehen haben, ein sehr relativer Begriff. Die Zahl der Unternehmen, die erfolgreich wirklich alt werden, ist sehr gering. Meist ist es ein ‚Sterben auf Raten‘. Unternehmen sollen einen Zweck erfüllen. Ist er erreicht, endet auch die Aufgabe. Den wenigsten Unternehmen gelingt es, sich erfolgreich auf eine neue und andere Aufgabe zu konzentrieren. Das ist ein ganz normaler Zyklus.
Wenn aber dann ein Dinosaurier oder Jumbo die Orientierung wechseln müsste und merkt, dass er, statt sich zu ändern, die Macht hat, die absehbare Entwicklung zu seinen Gunsten scheinbar anzuhalten, geht es nicht mehr um die Aufgabe oder den Zweck des Unternehmens; es geht dann um die politische Erpressung, mit der auf Kosten der Steuerzahler eine sinnlos gewordene ‚Lebensverlängerung‘ erstritten wird, die die Erwartungen letztlich nicht erfüllen kann. Aber auf Grund der öffentlichen Druckmittel traut sich keiner, das Licht auszumachen oder wenigstens einen geordneten Abgang einzuleiten. Erst wenn die Aasgeier auftauchen (die Investoren, die sich noch ein Stück vom Kuchen holen wollen), dann wird plötzlich zerschlagen und alles geht ganz schnell, weil die Herren des Geldes diesbezüglich nicht erpressbar sind. Aber auch sie wissen um die Erpressbarkeit der Politik und nutzen das Instrument gnadenlos, um sich ihren Abgang ‚vergolden‘ zu lassen.
Thomas Picketty hat in einem Interview zur Rolle der Unternehmen trocken sinngemäß festgestellt: „Wenn Unternehmer und Innovatoren keine (positiven) Auswirkungen auf die Produktivität haben, bringen sie uns (der Gesellschaft) nicht wirklich etwas.“ Kleine Unternehmen gehen bei mangelnder Produktivität zugrunde, weil sie aus einer ständig verbesserten Produktivität ihre Daseinsberechtigung ableiten müssen. Bei den Jumbos leitet sich deren Daseinsberechtigung aus der schieren Größe ab. Die meist fehlende innovative Produktivitätsverbesserung wird regelmäßig zugekauft. Dabei werden nach außen die Effekte des technologischen Wandel im bürokratischen Apparat als Produktivitätsverbesserungen dargestellt und natürlich nicht in Frage gestellt, solange man damit Rendite darstellen kann.
Wir haben in Deutschland zahllose Jumbos in Industrien, die allgemein als technologisch alt oder überholt gelten und wer sich dafür interessiert, sollte sich den ‚Kampf‘ der schrittweisen Selbstauflösung vieler dieser Jumbos in den nächsten Jahrzehnten anschauen (Stahlindustrie, Automobilindustrie, Banken, Lebens-, private Kranken- und Rentenversicherer, u.a.). Und achten Sie darauf, wie diese Agonie uns Bürgern verkauft wird. Und was sie uns noch kostet!
Der Lock-down im Rahmen von Corona hat hier manches beschleunigt und vieles sichtbarer gemacht. Aber die wahren Verlierer werden hier die kleinen und mittleren Unternehmen sein, weil wir durch Veränderung der Insolvenzregelungen eine Vielzahl von Unternehmen am Leben erhalten haben. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass etwa 1.5% der Unternehmen jedes Jahr Insolvenz anmelden. Diese Zahlen wurden durch die drastische Reduzierung der Zinslast und eine veränderte Insolvenzregelung unterlaufen. Wenn wieder „normale“ Insolvenzkriterien angelegt werden, so müssen wir in Deutschland mit einer Insolvenzwelle in der Größenordnung von 15% der Unternehmen (zu diesem Zeitpunkt) rechnen.
Die Bestimmung einer sinnvollen Unternehmensgröße in Abhängigkeit vom Markt ist nicht mit einer Umsatzzahl oder mit ein oder zwei einfachen Strukturmerkmal zu bestimmen. Es ist eine äußerst komplexe Aufgabe, wobei es hilfreich wäre, wenn man wenigstens schrittweise sich dieser Frage aus verschiedenen Perspektiven nähern würde, um dann zumindest Kriterien zu entwickeln, die den Raum einer sinnvollen und begründbaren Unternehmensgröße generell und ohne ideologischen Scheuklappen bestimmen könnten. Wir stehen vor einem grundlegenden Strukturwandel und es wäre doch hilfreich, wenn man hier über Erkenntnisse verfügen würde, wie die neue Struktur aussehen könnte ohne einfach die alten Fehler zu wiederholen.
» weniger zeigen