Die Ironie des Schicksals ?

Wenn man die in „Wirtschaft 4.0“ und „Kapitalismus 4.0“ getroffenen Feststellungen auf sich wirken lässt, so können Gedanken entstehen, die heute vielleicht noch keine Relevanz haben, aber unwillkürlich nach Beachtung streben.

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Der Kapitalismus bot den Technologien von Anfang an einen Rahmen, der ihre Entfaltung beförderte. Dabei gelten seit dem Beginn die gleichen ökonomischen Strategien des Eigentums, des Wettbewerbs und der laufenden Effizienzsteigerung. Die wesentlichen Innovationen in der Entwicklung des Systems stammen nicht aus dem Kapitalismus selbst, sondern wurden von ihm aus der Welt der Technik überaus geschickt adaptiert.

Heute müssen selbst die Kritiker des Systems zähneknirschend feststellen, dass das kapitalistische System der Gesellschaft einen Wohlstand bescherte, der bei allen vorhandenen Systemmängeln über die Jahrzehnte als bemerkenswert klassifiziert werden muss. Dabei bleibt die Frage offen, ob die Wohlstandsteigerungen dem Kapitalismus als solchem oder der technologischen Entwicklung zu verdanken sind. Eigentum, Wettbewerb und Effizienz können im Grunde nur dann erfolgreich zum Zuge kommen, wenn etwas vorhanden ist, das Gegenstand eines Wirtschaftsprozesses sein kann. Und das ist in meinen Augen der technologische Input. Fehlt er, laufen Eigentum, Wettbewerb und Effizienz ins Leere und können auch keine Dynamik entwickeln.

Etwa zeitgleich mit der Einführung von Wirtschaft 3.0 (ca. 1970 ff.) entwickelte der Kapitalismus die einzige mir bekannte wahrhaft kapitalistische Innovation. Es ist die Erkenntnis, dass man – losgelöst vom realen Wirtschaftsprozess –  Geld aus Geld machen kann. Der technisch orientierte Unternehmer verfolgt mit seinem Unternehmen regelmäßig eine technische Vision. Geld spielt eine wichtige, aber eher dienende Rolle. Der kapitalistische Unternehmer dagegen versteigt sich in die ‚alchemistisch‘ anmutende Vision, Geld aus Geld machen zu können. Dabei besitzt Geld keinen Wert sui generis, es stellt lediglich eine gesellschaftliche Übereinkunft dar, dass diesen ‚Scheinchen‘ ein Wert beizumessen ist. Wenn man anstrebt, Geld aus Geld zu machen, ist es zweitrangig, womit man dieses Ziel erreicht: mit Technik, mit Müll, mit Schrott oder mit Kartoffeln. Die Krönung dieser Denkart ist der Wunsch, die einschränkenden Bedingungen der Realwirtschaft vollständig hinter sich lassen zu können. Die Finanzkrise von 2007/2008 ist dann ein erster Rückschlag, der deutlich machte, dass dieses von jeder Produktion losgelöste Denken so abgehoben ist, dass es den ‚Connaisseuren‘ dieser Denkweise zwar den Weg zum globalen Casino eröffnet, aber auch den Weg zum erfolgreichen legalen Betrug im großen Stil.

Unter dem Begriff ‚Wirtschaft 4.0‘ betritt plötzlich eine neue Technologie die Bühne des Kapitalismus. Das klingt so anonym und so naturgemäß: Dahinter stehen aber, wie immer im Wirtschaftsleben, handfeste finanzielle Interessen. Wirtschaft 4.0 oder die Digitalisierung droht mit einer Entwicklung, die sowohl die Erwartung Geld aus Geld zu machen als auch die realen Grundlagen unseres Wirtschaftssystems in Gefahr bringt. Wurde die letzten 200 Jahre (ca. 1760 – 1970) der Kapitalismus von der technologischen Entwicklung durch Produktivitätsfortschritte vorangetrieben, so beginnt jetzt erstmals die anstehende Technologie die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft in Frage zu stellen.

Bei aller Technologie war in der Vergangenheit der Mensch das tragende und führende Element. Die Rationalisierungseffekte waren eindrucksvoll, schienen aber über die großen Zeiträume gut verkraftbar zu sein. Wenn jetzt die neue Technologie gezielt den Menschen aus den Prozessen dauerhaft zu eliminieren versucht und deren Einführung dann auch noch von den klassisch kapitalistischen Werkzeugen wie Wettbewerb und Effizienz begleitet wird, dann entsteht im System ein Bruch, der kaum aufzufangen ist. Erstmals in der jüngeren Geschichte werden, ausgelöst durch eine Technologie, nicht mehr nur Produktivitätsfortschritte zu beobachten sein. Stattdessen wird systematisch die weitgehende Eliminierung des Menschen aus dem ganzen Erstellungsprozess angestrebt. Dieser Vorgang wird zu Arbeitslosenzahlen führen, die beängstigend hoch ausfallen werden. Für die Menschen, die über diese Technologie freisetzt werden, bestehen im Grunde keine Chancen mehr, in den Prozess wieder eingegliedert zu werden. Die absehbaren sozialen Verwerfungen werden das kapitalistische System an seine Grenzen führen.

Noch ein Wort zu der interessengeleiteten Einführung der neuen Technologie: Auf der einen Seite ergeben sich für einen kleinen Kreis von potenten Investoren mit der Umsetzung der Technologie gewaltige Gewinnchancen. In einem zweiten Schritt zerstört dieselbe Investorengruppe die eigenen Geschäftsgrundlagen. Was nützen ‚gewaltige Gewinnchancen‘, wenn sie mittel- bis langfristig ein erfolgreiches Folgegeschäft verhindern. Wer sollte denn mittel- und langfristig nach Umsetzung der Technologie noch in der Lage sein, genügend Massenkaufkraft zu entwickeln, um die künftige, digital basierte Produktion abzunehmen? Was nützt eine Gewinnchance, wenn die Umsetzung der Technologie politisch und sozial instabile Verhältnisse hervorbringt. Gewinne aus solch zweifelhaften Geschäfte binden am Ende so viel Ertrag und soziale Energie, dass es sich als wirtschaftlich große Dummheit herausstellen könnte, die Technologie mit dieser menschenverachtenden Ausrichtung forciert zu haben.

Und nun die Ironie des Schicksals: Der Kapitalismus wuchs durch die geschickte Anwendung von Technologie zu einer wirtschaftlichen Macht heran. Er entwickelt sich dann zunehmend zu einer politischen Macht, weist den gewählten politischen Vertretern die zweite Reihe zu und überlässt  ihnen die Funktion von Erfüllungsgehilfen. Parallel entwickelt das System, zumindest vorübergehend, die perverse Möglichkeit, mehr Geld aus viel Geld zu machen. Die Wirtschaftsvertreter glauben sich durch die enge Verzahnung von Politik und neoliberalem Gedankengut auf der Höhe ihrer Macht.

Und dann kommt ‚von hinten heimlich still und leise eine neue Technologie, deren wirtschaftliche und soziale Auswirkungen für die Gesellschaft als so heftig erwartet werden, dass die Funktionsgrundlagen des Kapitalismus und deren bisherige Machtbasis in Frage stehen werden. Mit der Zunahme der Arbeitslosen entsteht ein Potenzial an Unzufriedenen und offensichtlich ‚Abgehängten‘, denen nichts anderes übrig bleibt als sich schnell und radikal (an die Wurzel gehend) zu politisieren. Damit einher geht ein rasanter Verlust von Kaufkraft, den das System kaum verkraften wird, weil damit eine der wesentlichen Stützen des kapitalistischen Systems zusammen zu brechen droht. Die künftige Gesellschaft steht vor zwei gravierenden Herausforderungen: die Frage nach der künftigen Massenkaufkraft und die soziale Frage, die beide über die in Aussicht stehende Digitalisierung eng verknüpft sind.

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