Der Postkapitalismus des Paul Manson

Donald Gillies (University College London) hat in ‘Real World Review’ Nr. 73 (p.110 – 119) das Buch von Paul Manson (Postcapitalism – A Guide to Our Future (2015)) rezensiert. Neben theoretischen Ausführungen ist eine zentrale These des Buches der Niedergang des Kapitalismus,  der innerhalb weniger Dekaden durch ein komplett neues sozio-ökonomisches System, den Postkapitalismus, ersetzt werden soll. Diese These überrascht angesichts des aktuell tobenden Neoliberalismus, der den Eindruck vermittelt, dass der Kapitalismus sich in voller Fahrt befindet. Mansons Argumentation jedoch vermag zumindest in Teilen zu überzeugen oder nachdenklich zu stimmen.

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Der Kapitalismus hat zwar seine ‚klassischen‘ Gegner überlebt. Es mehren sich aber für den differenzierten Beobachter die Anzeichen, dass sich in den Märkten Veränderungen vollziehen, die nach Manson mit dem kapitalistischen Handlungsansatz nicht kompatibel sind. Manson richtet dabei sein Interesse auf die Märkte für digitale Produkte. Die Digitalisierung hat seit den 1980ern nicht nur ein Heer von Arbeitslosen, Minijobern und sogenannten marginalen ‚Selbständigen‘ freigesetzt und im Gegenzug vielleicht für 1/10 der Beschäftigten neue auskömmliche Arbeitsstellen geschaffen. Das ist der Kapitalismus, wie wir ihn kennen.

Manson richtet seine Aufmerksamkeit auf die digitalen Produkte, die sich dadurch auszeichnen, dass sie auf einer öffentlichen Website platziert werden, und dann von jedermann, der Zugang zur Website hat, (kostenlos) heruntergeladen werden können. Das Problem dabei ist die Eigentumsfrage oder anders ausgedrückt: Eigentum zeichnet sich dadurch aus, dass der Halter des Eigentums alle anderen Marktteilnehmer von der Nutzung ausschließen kann. Das ist eine der wichtigsten Säulen des Kapitalismus. Das gelingt bei dem ständig wachsenden Markt für digitale Produkte gegenwärtig nicht oder nur in Teilen. Das Produkt, das bisher der Erfolgsträger war, wird ja praktisch unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Es bildet damit kein Markt im Sinne des Kapitalismus, der von der durch Eigentum (oft künstlich) hervorgerufenen Knappheit des Wirtschaftsgutes existieren könnte.

Warum machen dann Unternehmen wie Google trotzdem Geschäfte mit dem Internet? Der digitale Markt braucht Produkte, die aber Google nicht unbedingt zur Verfügung stellt oder stellen kann. Die Suchmaschinen stellen einen Service zur Verfügung, der mit dem Produkt im Grunde nichts zu tun hat. Die Suchmaschine nimmt den Benutzer an die Hand und führt ihn scheinbar (kostenlos) durch das Chaos, verkauft dann aber ungefragt die dabei erhobenen Marketing-Informationen an Interessenten. Das ganze ‚Spiel‘ kann aber auf Dauer nur aufrechterhalten werden, wenn es kontinuierlich ‚digitale Produkte‘ gibt, für die keine Entlohnung existiert und bei der die Eigentumsrechte sofort mit der Veröffentlichung verloren gehen. Das derivative Geschäft des Services wird also nur solange funktionieren, solange immer wieder interessante digitale Produkte geschaffen werden, die Interessenten aufsuchen wollen.

Um das plastisch werden zu lassen, verweist Manson auf Wikipedia. „Gegründet in 2001 verfügt die in Zusammenarbeit geschriebene Enzyklopädie (zur Zeit des Abfassens des Artikels) 26 Millionen Seiten und 24 Millionen Leute, die registriert sind und Beiträge beisteuern.  … Wikipedia hat 208 Mitarbeiter. Die Tausende, die Beiträge liefern, tun es kostenlos. … Wenn es als kommerzielles Unternehmen geführt würde, so eine Schätzung, könnte Wikipedia einen Umsatz pro Jahr von 2,8 Mrd. $  darstellen. Aber Wikipedia macht keinen Gewinn. Und mit dieser Tatsache macht Wikipedia es für jedermann unmöglich in diesem Markt Gewinn zu erzielen.“(p.114)  Wikipedia ist „in einer dezentralen und auf Zusammenarbeit fußenden Art organisiert, bei der Wikipedia weder den Markt noch Managementhierarchien nutzt.“ Die gleiche Botschaft vermitteln  andere Beispiele aus der „free software“-Bewegung (Worldpress, Linux u.a.).

Der Rezensent kommt zu dem Schluss, dass diese Beispiele die postkapitalistische Produktionsweise der Zukunft beschreiben. Er weist jedoch darauf hin, dass alle die Beiträge für die digitalen Produkte kostenfrei erstellt sind und damit auch kein Einkommen auf der Produzentenseite generieren. Die Frage bleibt offen , wie sich die Beiträge dann auf längere Sicht finanzieren sollen. Die heutige Mischung von Job mit einem Einkommen und einer unentgeltlichen Produktion von digitalen Produkten kommt irgendwann an ihr Ende. Wie in vielen Veröffentlichungen der letzten Zeit kommt auch hier der Grundgedanke eines bedingungslosen Einkommens in die Diskussion. Dieser Grundgedanke drängt sich generell angesichts der zunehmenden Altersarmut auf, ausgelöst durch Mindestlohn, Minijobs, geringfügig Beschäftigte und Solo-Selbständige, die regelmäßig keine ausreichende Einkommensgrundlage bereitstellen, um eine auskömmliche Altersversorgung sicherzustellen. Am Ende muss dann doch die Gemeinschaft die Aufgabe bewältigen. Warum dann nicht gleich ein Grundeinkommen für alle?

Der Postkapitalismus von Manson, wie er in der Rezension beschrieben wird, ist ein großer Sprung mit viel Wunschdenken und großen weißen Flecken auf der Landkarte. Aber er macht auch die Verwundbarkeit des neoliberalen Kapitalismus deutlich, die ihm durch die Technologie des Internet und deren dezentrale Verarbeitung droht. Jede Form des Produzierens und jede Form des Marktes als Ort des Austausches, die sich von den Dogmen des Kapitalismus (Eigentum und Knappheit) befreien kann, hemmt damit die rasende Entwicklung des neoliberalen Wirtschaftens samt ihrer negativen Wirkungen auf Natur, Ressourcenverbrauch und ungerecht einseitige Vermögensmehrung einzelner zulasten der Vielen. Aber darin mehr erkennen zu wollen als eine Hemmung der ungebremsten Entwicklung  erscheint aus heutiger Sicht noch fraglich.

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