Der Müll und der neoliberale Glaube an den Anreiz

Die Natur reproduziert sich ständig, „Müll“ fällt dabei zwar an, wird aber durch vergleichbare Produktionskräfte dem Kreislaufprozess wieder zugeführt. Wäre die Natur hierzu nicht in der Lage, so wäre sie schon vor Jahrtausenden an ihrem Natur-„Müll“ erstickt, denn die Naturproduktion läuft ja schon seit Jahrmillionen.

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Stellen Sie sich nur vor, die abgeworfenen Blätter als das sichtbare Zeichen des Herbstes würden nicht verrotten. Alte Bäume, die fünfhundert oder gar tausend Jahre diesen Vegetationswechsel mitmachen, würden sich schwertun, ihre prächtigen Kronen aus dem Natur-„Müll“ herausschauen zu lassen.

Übertragen wir diese Betrachtung auf unser tägliches Müllproblem. Wir nutzen, wie die Natur, Ressourcen, um etwas zu produzieren. All diese Produkte werden nach unterschiedlichen Fristen zu Müll – das ist ein Grundgesetz unserer Produktions- und Lebensweise. Man kann auch sagen, Ökonomie ist eine Form der Gestaltung des Verwertungsprozesses von Ressourcen zu Müll. Alles was wir produzieren, endet in der einen oder anderen Form von Müll. Nur hat unser System der Produktion die gesamte Seite des Recyclings erst vor wenigen Jahrzehnten erkannt und begonnen zu verstehen. Das gegenwärtige System ist weder intelligent, noch zwangläufig: Recycling besteht gegenwärtig in erster Linie in einer Verbrennung der Reststoffe (Müll). Das ist die veröffentlichte Ansicht; aber die Tatsache, dass unser Müll um die Welt reist, weil man nicht mehr weiß, wie man dieser Flut Herr werden will, wird gerne verschwiegen.

Die Markt -„Narren“ haben es leider geschafft, aus dem Müll ein Geschäft zu machen. Das hat den großen Vorteil, dass die politischen Institutionen bei diesem Problem nicht mehr verantwortlich zeichnen müssen. Man hat Unternehmer gefunden, die sich diese Sache gegen gutes Geld annehmen und verwalten. Und das Geld stammt nicht aus dem Staatssäckel, es wird anonym auf dem „Markt“ generiert und die Bürger sind der Markt, weil ja einer den Vorgang bezahlen muss; nicht direkt, sondern darüber, dass die Unternehmen mit dem Verkauf der Ware den Obolus für den Müll gleich mitkassieren und z.B. an den „Grünen Punkt“ und ähnliche Einrichtungen abführen.

Das Nachteilige dieser Vorgehensweise ist, dass der Bürger glaubt, damit werde jetzt ordentlich Müll entsorgt und die „Rohstoffe“ rückgewonnen, aber das stimmt so nicht. Der erfasste Müll wird durch das System geschleust, indem etwa 15% tatsächlich recycelt und der Rest thermisch recycelt (verbrannt) wird und damit CO2 freisetzt. So wie das sich in der Theorie anhört, bleiben eigentlich keine Mengen übrig, die wir nach Afrika oder nach Südostasien verschiffen können. Trotzdem finden wir dort unseren Müll in Massen wieder.

Der Müll muss im jeweiligen Land des Konsums verbleiben, denn nur so ist es möglich, zu verdeutlichen, dass wir zumindest in Europa im Grunde im Müll „ersaufen“. Dadurch würde der Problemdruck im Inland höher (es gäbe kein Export-„Ventil“ mehr, um den Druck niedrig zu halten) und die Frage, was machen wir mit all dem Müll, würde sich auf der politischen Agenda regelmäßig aufdrängen.

Die gefeierte Schaffung eines Marktes war politisch vordergründig und relativ kurzsichtig, weil die Abfallmengen zwar große Geldbeträge bei den Unternehmen generieren (=Wachstum), aber der wachsende Müllberg stinkt täglich mehr zum Himmel! Kein Markt kann Müll absorbieren – wie denn auch? Wenn der Müll-‚Markt‘ das Problem bloß vor sich her schiebt oder umschichtet, wird doch jedem klar, dass versucht wurde, das Müll-Problem vom falschen Ende her zu lösen.

Der Begriff der Entsorgung von Müll war politisch eine unglückliche Wahl. Die Entsorgung als Begriff signalisiert dem Verbraucher, dass er mit dem Müll auch noch Rohstoffe generiert, sich gut fühlen darf und sich darüber keine Sorgen machen muss – es wird von ‚höherer Stelle‘ besorgt. Ein Begriff der Müllvermeidung hätte hierbei eine andere Botschaft: jeder wäre aufgerufen, Müll zu vermeiden. Wenn die Vermeidung auf der Tagesordnung steht und der Druck der Müllmassen fordert z.B. ein partielles Produktionsverbot, so ist das jedem Bürger vermittelbar, denn er hat ja hoffentlich die ‚Vermeidung‘ als einfachsten und primären Lösungsansatz verinnerlicht. Bei der Wahrnehmung von Entsorgung kommt ein Verbot einem Eingriff in die souveränen Rechte (in die vermeintliche Freiheit) des Bürgers gleich und der Aufschrei wird dementsprechend groß sein.

Der Begriff der Entsorgung ist ein Wort aus dem Vokabular der neoliberalen Haltung unserer Regierung. Es werden über das Wort „Rohstoffrückgewinnung“ Anreize geschaffen, um dem Problem angeblich Herr zu werden. Wenn Anreize geschaffen werden, ist die Politik stets fein raus – handeln muss immer ein Dritter. Wenn sich dann herausstellt, dass Anreize zwar einen Markt und damit eine milliardenschwere Industrie schaffen kann, aber der Markt überhaupt nicht in der Lage ist, das Problem schlussendlich zu lösen, sondern nur gewinnbringend als ‚Perpetuum mobile‘ zu verwalten, poppt die Anfangsfrage wieder auf: Wie lösen wir eigentlich das Müllproblem? Wobei jetzt nicht nur das Müllproblem zu lösen ist, sondern auch die damit verquickte künstlich geschaffene, inzwischen milliardenschwere Müllindustrie. Wir können nicht nur davon ausgehen, nur das grundsätzliche Müllproblem lösen zu wollen, wir müssen das Problem einer ganzen Industrie lösen, das die Marktfetischisten ins Leben gerufen haben, ohne zu überreißen, dass das Vorgehen überhaupt keine Lösung darstellt.

Man hat sich in den eigenen Strategien verheddert: Um einer Lösung näher zu kommen, müssen möglicherweise harte Entscheidungen her (z.B. Verbote, klare Einschränkungen). Diese lösen dann bei Investoren sofort Ansprüche aus Vertrauensschaden gegen die Bundesrepublik Deutschland aus. Die Juristen unter uns werden mit dem spitzen Finger sofort auf die Verjährungsfrage hinweisen. Aber das ist naiv. Juristisch ist da wenig auszurichten, aber man kann für ein „kleines politisches Gegengeschäft“ wunderbar politischen Druck aufbauen. Denn zahlen, das dürfen wir dann als Bürger dieses Landes.

In neoliberal konservativen Kreisen argumentiert man in der Wirtschaftspolitik ideologisch und Mantra artig mit dem Setzen von Anreizen. Man ist der Meinung, dass Anreize weniger Initiative unterbinden wie eine klare politische Entscheidung. Mein Eindruck ist, dass man sich eher ängstlich um eine Entscheidung drückt. Ein klares Verbot, das auf einer fehlerhaften Einschätzung fußt, kann dem Entscheider natürlich auf die Füße fallen. Das ist richtig, das ist das Schicksal eines jedes Menschen, der eine Entscheidung zu vertreten hat. Und irren ist menschlich.

Aber was ist mit fehlerhaften Anreizen? Sie schaffen ein Milieu der politischen Verantwortungslosigkeit: keiner will es gewesen sein und diejenigen, die auf die Anreize reagiert haben und nun ggfs. das Nachsehen haben, sind dann aus der Sicht der Politik ‚selbst‘ schuld; sie hätten ja auf den Anreiz nicht reagieren müssen! Die Politik ist dabei fein raus, und der Dumme ist immer der Andere, der sich traute, eine Entscheidung umzusetzen. Es sei denn, der „Dumme“ ist ein wirtschaftlich „Großer“. Er wird über die Lobby und andere Kontakte das berühmte „kleine Gegengeschäft“ fordern und die Politik ist in vielen Fällen hier eingeknickt. Das sind die natürlichen Kosten des politischen Geschäfts, wenn man sich als Hoheitsträger (also als Entscheidungsträger), der sich eigentlich strikt auf den Wirtschaftsrahmen beschränken soll, auf „Anreiz-Deals“ mit der Wirtschaft einlässt. Donald Trump lässt grüßen!

Ein Verbot kostet insoweit Geld als das Verbot überwacht und ggfs. sanktioniert werden muss. Aber Anreize, wenn sie politische Wirkung erzielen sollen, kosten auch richtig Geld: gewöhnlich wird das gewünschte Verhalten im Rahmen des Anreizes finanziell großzügig ausgestattet und spricht in klassischer Weise die Gier (um etwas zu bekommen) oder die Angst (etwas zu verlieren) an. Es ist aber nicht sicher, dass dieser Anreiz keine unerwünschten Nebenwirkungen auslöst, vergleichbar mit denen eines Verbotes. Alle diese Argumente machen nur deutlich, dass es der Politik in der Frage einer Anreizpolitik an gestalterischem Willen fehlt. Es fehlt Rückgrat und Überzeugungskraft, um in entscheidenden wirtschaftspolitischen Fragen Kante und damit Gestaltungswillen zu zeigen.

Wer Müll reduzieren will, weil es einfach für den Bürger und die Natur nicht mehr zuträglich ist, muss das Grundgeschäft der Müllindustrie angreifen, die Jahrzehnte zuvor mit starken politischen Anreizen aufgebaut wurde. Müll ist bei der kapitalistischen Einstellung des „Schneller, Höher, Weiter“ (als Wachstumsmantra) vorprogrammiert. Müll ist die Residualgröße der menschlichen Produktionsweise in einer grundsätzlich begrenzten Welt: Mehr Wachstum – mehr Müll. Die Umkehrung lautet dann: Weniger Müll ist nur möglich, wenn wir von der Wachstumsideologie Abstand nehmen.

Es gibt mit Sicherheit Vertreter einer neoliberalen Politik, die mit Empörung auf das oben ausgeführte reagieren werden. Sie zählen zu jenen Politikern, die immer noch beten und auf das Wunder warten, dass Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu trennen sei – „es fehle nur an der richtigen Technologie“(!?). Müll lässt sich technologisch in gewissen Grenzen reduzieren, aber wie müsste der Anreiz hierfür aussehen? Und wenn möglich, welche hohen finanziellen Ressourcen müssten dabei eingesetzt werden, wenn dabei Angst und Gier herrschen soll? Wir müssen anfangen zu begreifen, dass wir mit Geld nicht alles kaufen können.

Haben Sie schon einmal einen seriösen Unternehmer gesehen, der in ein öffentliches Verbot investiert hat? Wenn das Verbot steht und in seinen unmittelbaren Wirkungen für jedermann nachvollziehbar ist, wird das nicht geschehen. Also sind die Folgekosten eines Verbotes deutlich kleiner als die einer Anreiz- Politik, bei der es immer Unternehmer geben wird, die sich auf den Vertrauensschaden der Politik berufen können. Und eins muss dem Politiker klar sein: ein Unternehmer verfügt immer über eine Dokumentation, die nicht der üblichen kurzfristigen Vergesslichkeit eines Wählers entspricht. Er ist auch nach mehr als zehn Jahren in der Lage, minutiös nachzuweisen, was alles schief gelaufen ist.

Franz Alt hat in einer Fernsehdiskussion zu dem Thema Anreize, Steuern oder Abgaben ganz trocken sinngemäß festgestellt: „Wie wurde die Sklaverei aufgehoben, wie wurden das Rauchen in öffentlichen Räumen eingeschränkt, wie haben wir Kinderarbeit aufgehoben – doch nicht durch Anreize oder Steuern, sondern schlicht mit durchgesetzten Verboten!!“ Das Verbot ist kein Allheilmittel für jede politische Tagesfragestellung, aber es gibt in unserer Gegenwart wichtige, ja existentielle Fragestellungen, die können nicht länger durch eine halbseidene Anreiztheorie, über einen Kuschelkurs und peinliche Anbiederung (z.B. Freiwilligkeit) gelöst werden. Die Zeit läuft uns einfach davon!

Das Müllproblem lässt sich nicht per Dekret lösen, aber wir müssen einen Anfang finden: z.B. Verbrauchsplastik und Verpackungsplastik erst hoch besteuern und dann nach einer Anpassungsphase für Industrie und Verbraucher verbieten. Meine Müllgebühren würden sich vermutlich halbieren.

Es ist klar, dass eine solche Maßnahme die Gemütlichkeit des politischen Lebens aufzuheben droht, aber haben wir eine andere Chance? Nicht nur der Verbraucher steht vor neuen Herausforderungen, eine ganze Industrie muss sich von Verbrauchsplastik (= produziertem Müll!!) auf Gebrauchsplastik umstellen. Das wird Verluste geben, ohne Frage – aber auch neue Gewinner! Wenn wir systematisch alle Plastikproduktionen in Deutschland darauf überprüfen, ob das Produkt regelmäßig nur zum kurzfristigen Verbrauch dient, um dann unmittelbar zu Müll zu werden, so ist dies mit Sicherheit ein Produkt, auf das wir in Zukunft verzichten sollten, indem wir die Produktion und den Import solcher Güter grundsätzlich (d.h. mit wenigen gezielten Ausnahmen) verbieten. Das wäre ein Anfang, um den Müll in den Griff zu bekommen. Ergänzend können wir Regeln von Singapur übernehmen: Das Wegwerfen im öffentlichen Raum gilt als unerwünscht und das Verhalten (nicht der weggeworfene Gegenstand) wird mit erheblichen Geldstrafen bedroht. Sicher keine tolle Lösung, aber in Singapur ist diese Vorgehensweise ganz offensichtlich sehr effektiv.

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Ein Gedanke zu „Der Müll und der neoliberale Glaube an den Anreiz

  1. … eine sehr treffende Analyse.
    Eine Ökonomie die wie ein Kreislauf der Natur aufgebaut ist – sich zu 100 % regeneriert und ist wohl die einzige Chance der Menschheit die drohende Klimakatastrophe zu überleben.
    Es muss sehr bald geschehen sonst versinken wir in Chaos und Anarchie.
    Am Ende wird uns sonst die Evolution als untauglich verwerfen.

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