Das Impfen und die Ethik

Wir haben ein ethisches Problem und ein Durchsatzproblem. Der verfügbare Impfstoff kann den gegenwärtigen Bedarf nicht decken. Also hat man aus Fairness- oder Gerechtigkeitsgründen eine Impfreihenfolge durch den Ethikrat der Bundesregierung festlegen lassen. Das Schema, das der Ethikrat vorgeschlagen hat, ist nachvollziehbar und ist somit Grundlage der Impfstrategie geworden. Das ist so weit so gut bis die Ethikempfehlung auf unsere Bürokratie stößt, die glaubt, dass es nur nach diesen ethischen Grundsätzen geht.

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Wir haben ein zweites Ziel, das etwas ins Hintertreffen geraten ist: wir sollten im Rahmen der Verfügbarkeit des Impfstoffs so schnell als möglich die Bevölkerung durchimpfen, um eine weitgehende Immunität zu erreichen. D.h. im Klartext: wir versuchen mit Priorität das Gerechtigkeitsschema des Ethikrates durchzusetzen und wenn bei der konkreten Impferei dann angemeldete Patienten (egal aus welchen Gründen) nicht auftauchen, wird eben nur das „verimpft“, was mit den Vorbestellungen übereinstimmt. Der Rest der zur Verfügung stehenden Tagesimpfmenge wird wieder eingepackt oder wegen fehlender Kühlung während des Tages „weggeworfen“.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass immer dann, wenn wir es mit Menschen zu tun haben, Termine am laufenden Band platzen (Krankheit, Unwohlsein bei Älteren, Vergesslichkeit, etc). Impfen soll am „Fließband“ erfolgen, aber die Menschen folgen keiner „Just-in-time“-Strategie. Gegen frühen Nachmittag eines jeden Impftages wird absehbar, dass von den geplanten 100% „Impflingen“ nur etwa 70% erscheinen. Dann wäre es doch sinnvoll, die 30% übrig gebliebenen Dosen ebenfalls und außerhalb des Ethikkonzepts an Personen zu verimpfen, die sich in einem Wartebereich ab 14:00 Uhr bereithalten können. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Wenn klar wird, dass 30 Dosen von der Tagesimpfmenge zur Verfügung stehen, können auch nur 30 Personen in den Warteraum eingelassen werden. Das ist doch wohl organisierbar.

Dieses Vorgehen ist natürlich ein Schlag gegen alle, die die „Vordrängler“ möglichst hart bestrafen wollen. Der Wunsch ist mir nachvollziehbar, aber es widerspricht der Mentalität einer großen Zahl von Menschen unseres Landes, denen jeden Tag von der Wirtschaft versucht wird, den gnadenlosen Egoismus zu vermitteln: Aber jetzt sollen sie plötzlich solidarisch sein? Das klappt für einen großen Teil der Bevölkerung, aber es wird immer wieder „Trumps“ geben, die das „Me first“ zu ihrer Lebensdevise gemacht haben. Und die sind gar nicht so selten!! Geben wir ihnen doch eine reelle Chance, ihre fragwürdige Charaktereigenschaft ‚kanalisiert‘ auszuleben, indem sie sich täglich ab 14:00 Uhr im Wartebereich eines Impfzentrums einzufinden haben.

Solange der Engpassfaktor der Impfstoff ist, mag die gegenwärtige Struktur erfolgversprechend zu sein. Wenn aber der Zeitpunkt kommt, an dem die Impfstoffmenge nicht mehr der große Bremser sein wird, sehe ich uns in ein Chaos verfallen, weil 80 Mio. Menschen ein Impfangebot gemacht werden soll – es gibt aber keine digitale, deutschlandweit einheitliche Erfassung, es gibt keine vorsortierten Dateien mit den Adressen von Menschen in Deutschland, die dann wenn die Welle losgetreten werden kann, einsetzbar wäre.

Auf welcher Grundlage sollte denn einen solche Datei aufbauen, um sicher zu sein, dass auch alle ohne Ausnahme eine Aufforderung erhalten haben: auf der Personalkennziffer der Rentenversicherung oder auf der Ident-Nr. der Finanzverwaltung oder auf den Nummernkreisen der Versicherungen. Das alles ist nicht geregelt bzw. es gibt nicht einmal Dateien, die sicherstellen könnten, dass 99% aller Einwohner darin erfasst sind. Es gibt Dateien, aber die sind auf kommunaler Ebene und auf Landesebene eventuell verfügbar, aber sie sind nicht aus einem Guss, d.h. sie passen von ihrer Struktur her nicht zusammen. Soweit die Technik. Dann kommt der Datenschutz, der vermutlich der Meinung ist, das geht gar nicht, weil hier angeblich Persönlichkeitsrechte verletzt werden. So stehen wir uns selbst im Wege, es wird alles furchtbar gründlich und gerecht gemacht, nur es bewegt sich nichts.

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