Christian Schmidt, stellvertretendes Vorstandsmitglied der CSU und amtierender kommissarischer Bundeslandwirtschaftsminister, war der Auffassung, er müsse ein wenig Politikgeschichte machen, bevor er wieder in der Anonymität verschwindet. Was könnte diesen Mann geritten haben, dass er die Bundesregierung und geschätzte 80 % der deutschen Wähler in der Glyphosat-Abstimmung hat auflaufen lassen?
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Er ist damit für eine künftige Bundesregierung absehbar nicht mehr vermittelbar. Vielleicht werden ihm seine testosteron-gesteuerten Parteigenossen in Bayern ob seines Alleingangs ihre Bewunderung aussprechen, aber ob sie sich trauen, ihm auch noch heikle politische Aufgaben zu übertragen, erscheint zweifelhaft. Herr Schmidt sitzt jetzt politisch – so hat es den Anschein -zwischen allen Stühlen. Und er kann nur hoffen, dass die oft strapazierte Vergesslichkeit der Bürger schnell Gras über seinen „Verrat“ wachsen lässt.
Die genannten Argumente lassen Herrn Schmidts Aussage wie eine ziemlich kurzsichtige Reaktion aussehen. Eine solche Annahme ist i.d.R. trügerisch, weil zu einfach. Was wie ein Ausrutscher aussieht, hat möglicherweise Methode. Aber was könnte sein Verhalten geleitet haben? Auf seiner Website betont er sein christliches Engagement. Das passt hier nicht zusammen, denn Glyphosat hat mit christlichen Werten wenig gemein. Vielleicht wollte er für die industrielle Landwirtschaft einen Meilenstein setzen, in der Hoffnung, dass die Landwirte ihm künftig seine Stimme geben. Auch das wirkt zu kurz gesprungen: Die Zahl der Landwirte ist stark rückläufig und die Frage ist doch, ob Schmidt künftig überhaupt noch politischen Einfluss hat. Vielleicht hat er seinen Ausstieg aus der Politik geplant. Aufgrund des „Verrats“ kann er dann beim Bauernverband und politisch ähnlich gelagerten Einrichtungen für eine neue Aufgabe vorsprechen. Damit bewegen wir uns aber schon auf sehr dünnem Eis. Er muss, wenn wir uns seine ‚Stiefel‘ gedanklich anziehen, vermutlich außerhalb der Politik die Vorteile suchen, die er sich aus seinen Alleingang für seine Person verspricht.
Da bleibt aber nicht viel: Christian Schmidt hat sich mit der Entscheidung für eine bestimmte Klientel eingesetzt und nicht zum Wohle der Bundesrepublik (wie der Verfassungsauftrag lautet). Glyphosat ist nach meinen Auskünften zwar keine Notwendigkeit, aber es erleichtert der industriellen Landwirtschaft die tägliche Arbeit erheblich. Gleichzeitig sichert die Entscheidung von Christian Schmidt den Konzernen Monsanto und Konsorten für die nächsten fünf Jahre einen gigantischen Gewinn in Milliardenhöhe. Wenn man jetzt unterstellt, dass Schmidt aus dieser Ecke Vorteile gewährt werden und er sie auch annimmt (wenn die erste Aufregung verflogen ist), so kommt man schnell an einen Punkt, der als Korruption klassifiziert werden muss. Die Agroindustrie ist darin geübt. Der gegenwärtig legale Weg, den Vorwurf der Korruption abzuschütteln, ist eine Cooling-Down-Phase, ähnlich der, die Exkanzler Schröder die Aufgabe bei Gazprom legal möglich machte. Ob damit der ‚Geruch‘ besser wird, erscheint zweifelhaft.
Die Diskussion über Glyphosat (und vergleichbare Gifte) müssten wir eigentlich als geschichtliche „Wiederholungssendung“ erkennen: Vor über 50 Jahren hieß das „landwirtschaftlich absolut unentbehrliche“ Gift DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), ein Insektizid und starkes Berührungsgift. Unser heutiger Problemstoff Glyphosat fällt aber in die Gruppe der Herbizide. Letztere werden auf Grünpflanzen ausgebracht und zersetzen die Pflanzen innerhalb von Stunden radikal von innen heraus. Die Pflanze kann sich davon nicht erholen. Sie wird ‚ausradiert‘. Beide Substanzen sind giftig für Mensch und Tier. Bei Glyphosat gibt es deshalb enge Vorschriften über Schutzanzüge und Atemmasken einerseits und eine beschränkte Zahl von Anwendungen pro Saison.
Für DDT wurde nach einer langen politischen Auseinandersetzung nachgewiesen, dass es hormonähnliche Wirkungen bei Mensch und Tier hat. Das war 1970 das Aus für DDT. In einer vergleichbaren Auseinandersetzung steckt heute die Diskussion über Glyphosat. Und man kann dabei feststellen, dass Monsanto und Konsorten Stück für Stück ihre meist selbstgefertigten oder unter ihrer Aufsicht in Auftrag gegebenen Unbedenklichkeitsprognosen zurücknehmen müssen. Wäre es nicht ein so gigantisches globales Milliarden-Geschäft, es wäre es mit Sicherheit schon längst verboten.
Der Vergleich von DDT mit Glyphosat ist unter chemischen Gesichtspunkten nicht ganz richtig, aber hinsichtlich der Auswirkungen auf die Biosphäre durchaus vergleichbar. DDT können wir heute noch bei Menschen nachweisen, die schon vor dem Verbot von DDT im Jahre 1970/71 gelebt haben. Zu DDT gab es eine bahnbrechende wissensbasierte Kampfschrift in USA: Rachel Carson – Silent Spring. Die Biologin Carson demonstrierte als Schreckensszenario einen schönen sonnigen Frühling, in dem keine Vögel mehr existierten, weil sie durch DDT alle umgebracht wurden. Heute könnte die Kampfschrift vielleicht als ‚Die Akte Glyphosat‘(Wien, 2017) bezeichnet werden. Ein Buch, in dem mit vielen Dokumenten dargestellt wird, mit welchen fragwürdigen Methoden dieses Herbizid vermarktet wurde.
Beide Gifte sind molekular so stabil, dass sie absehbar nicht zerfallen. Ob das je der Fall sein wird, ist nicht abschätzbar. DDT ist nach seinem Verbot vor über 50 Jahren in der Biosphäre immer noch als DDT und nicht über Zerfallsprodukte nachweisbar. Heute schon wissen wir, dass Glyphosat ebenfalls in Mensch, Tier, Milch, Käse, Trinkwasser, usw. – quasi überall – nachweisbar ist. Noch gilt die Menge als unbedenklich, aber das Gift reichert sich im Organismus an. Glyphosat ist eine Substanz, die hochgradig resistent gegen Zerfall ist. Glyphosat gibt es unter dem Namen Roundup seit 1970. Man könnte also den Eindruck gewinnen, dass Glyphosat die finanzielle Erfolgsstory des DDT (ab 1970 verboten) bei Monsanto fortführen konnte.
Und vor diesem Hintergrund glaubte nun Herr Schmidt, es vor sich und seinen Wählern verantworten zu können, die Anweisung aus Berlin zu ignorieren und aktiv für eine weitere fünfjährige Zulassung von Glyphosat zu stimmen. Es wird wohl dazu führen, dass Frankreich plant und Deutschland hoffentlich mitzieht, Glyphosat national vom Markt nehmen werden. Hoffentlich?! Es ist bedauerlich, dass durch eine solche eigenmächtige und unbedachte Handlung eines Herrn Schmidt auch noch der Gemeinschaftsgedanke der EU gegen die Wand gefahren wird.
Wir beklagen uns, dass rd. achtzig Prozent der Insekten sowohl von den Arten als auch von ihrer jeweiligen Menge her, in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen sind. Wir beklagen uns, dass die Zahl der Vögel stark rückläufig ist. Wir können wohl nicht Glyphosat dafür ausschließlich verantwortlich machen, aber das Gift übernimmt einen großen Anteil daran: Wenn die Grünpflanzen mit Gift zersetzt werden, haben viele Organismen im Boden keine ausreichende Nahrungsgrundlage mehr. Und deren Fressfeinde müssen sich der aufgezwungenen Diät anschließen, und so zieht sich der Faden durch unsere Umwelt. Es ist ähnlich wie mit den Vögeln: wenn sie keine Nahrung mehr finden, ziehen sie weiter oder verhungern. Oder Bienen: Sie leben vielfach von den Blüten des „Grünzeugs“, das Glyphosat vernichtet. Und es liegt immer eine Nahrungskette vor, aus der das Gift willkürlich ein paar Glieder der Kette heraussprengt. Das hat Folgen für den fortschreitenden Abbau der Biodiversität. Dabei wird immer unterstellt, dass das Gift sich daran hält, nur „Grünzeug“ zu vernichten. Aber auch das ist nicht sicher!
Vielleicht fällt auf, dass das häufig genannte Argument, dass Glyphosat im Verdacht stehen könnte, krebserregend zu sein, noch gar nicht ins Feld geführt wurde. Der Streit über die Meinungshoheit in dieser Frage ist deshalb so peinlich, weil die verschiedenen Gremien in der EU mehrheitlich immer die gleichen Mitglieder haben. Diese Gremien tun so, als ob sie unabhängig entscheiden – aber die personelle Verflechtung zwischen diesen Gremien ist beängstigend. Deshalb ist die Feststellung dieser drei Fachgremien, dass Glyphosat ungefährlich sei, bestenfalls als eine Meinung zu interpretieren. Aber es klingt natürlich viel besser, wenn man sagen kann, drei „renommierte“ Fachgremien hätten diese Feststellung unisono getroffen. Klar, es sind ja die gleichen Personen. Die Weltgesundheitsbehörde kommt hier inzwischen zu einer anderen Einschätzung und kann die gesundheitliche Schädigung nicht ausschließen. Aber das passt den Lobbyisten der Agrochemie nun ganz und gar nicht. Da war es ein ausgesprochener Glücksfall, dass an der argumentativen Engstelle Herr Schmidt die Bühne betrat und der aussichtslosen Sache zuletzt noch den „richtigen“ Dreh gab. Ein kleiner Tipp: behalten Sie Herrn Christian Schmidt über die kommenden Jahre unter Beobachtung: keiner trifft in solch einem Umfeld eine weitreichende Entscheidung gegen seine Interessen ohne einen hinreichend persönlichen Vorteil! Den gilt es nun zu finden.
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