Die Überschrift wurde von dem Samstagsessay von Alexander Hagelüken in der Süddeutschen Zeitung vom 30. Januar 2016 übernommen. Seine Gedanken kreisen um das nachlassende, angeblich durch Globalisierung ausgelöste Wachstum, das sich nach seinen Aussagen gegenüber den letzten Dekaden halbiert habe. Neben einer unzureichend begründeten Unterstützung von TTIP kommt er dann auf sein Paradoxon zu sprechen: „Im Boom, der die Weltwirtschaft seit Ende der Neunzigerjahre im Schnitt mit vier bis fünf Prozent wachsen ließ, haben die Staaten nicht etwa ihre Kassen gefüllt. Sondern sie sind höher verschuldet als zuvor.“ Wo die von ihm zitierten Wachstumszahlen herkommen, ist nicht nachzuvollziehen.
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Wachstum in Europa?
Europa hat in diesem Zeitraum Wachstumszahlen präsentiert, die selten über 1,5 % gelegen haben. Piketty spricht von 1,9 % in den letzten dreißig Jahren und dabei hat die Anfangsdekade dieses Dreißigjahreszeitraumes wohl den größeren Beitrag zu dem Durchschnitt geleistet als die letzten Dekaden. Was an der steigenden Verschuldung dann paradox sein soll, verstehe wer will: Die Steuern wurden gesenkt (Steuererleichterungen in der Erbschaftsteuer, Vermögensteuer ausgesetzt, Firmenverkäufe steuerfrei gestellt, u.v.a.m.), mit anderen Worten, der ‚schlanke‘ Staat der neoliberalen Ideologie wurde ein Stück weit umgesetzt. Von der Erhöhung der Subventionen will ich gar nicht sprechen. Was Hagelüken als paradox anspricht, ist doch nur die Realisierung der neoliberalen Strategie der letzten Dekaden. Mit anderen Worten: die Politik hat die Wirtschaft und dabei insbesondere die Globalplayer mit Milliarden Vergünstigungen (man könnte auch sagen: „Konjunkturprogrammen“) ‚‘gepampert‘ und hat trotzdem nur etwa 1,5% Wachstum erzielt – mission incompleted!
Das Paradoxon liegt vielmehr in einer Umkehrung der Zusammenhänge: Warum haben die Milliarden der riesigen „Konjunkturprogramme“ der Regierungen in den letzten Jahren nur so wenig Wachstum generiert?
Jetzt sind wir an dem Punkt, wo es knackt. Müssen wir nicht endlich erkennen, dass unsere Wirtschaftspolitik einer Schimäre nachgerennt – immer mehr Finanzmittel in eine Wirtschaft zu pumpen, nur um festzustellen, dass die Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg auslöst? Neben der Tatsache, dass es generell schwer ist, auf einem Stand des Vermögens, wie er bei uns herrscht, noch eins draufzusetzen, damit dann irgendwelche zum Fetisch erhobenen Prozentsätze erreicht werden, bei deren realwirtschaftlichem Umfang das Wachstum eines Schwellenlandes explodieren würde, weil dort eine Vermögensbasis zugrunde liegt, die weit unter unserer liegt. Mit dem Gegenwert von fünf Prozent Wachstum aus einem Schwellenland könnte sich in Europa kein Wirtschaftspolitiker sehen lassen, das würde bei uns rechnerisch vielleicht ein Wachstum von kleiner 0,5% (also vernachlässigbar) auslösen. Der Maßstab ist einfach veraltet und das, was er misst, ist vielleicht auch eine Kategorie, die uns seit Jahren in die Irre führt.
Regional versus Global
Ein anderer Zusammenhang könnte als Paradoxon angesehen werden (und das spricht Hagelüken nur indirekt an): Je mehr das Trommelfeuer der medialen Werbung für eine strikte Globalisierung (z.B. im Sinne von TTIP) die Bürger erreicht, desto mehr wenden sich immer mehr Menschen dem regionalen Bezug zu. Das könnte man als ein Paradoxon beschreiben – je mehr politischer Druck in Richtung einer Akzeptanz der für den Bürger völlig abstrakten Globalisierung gemacht wird, desto mehr gewinnt der regionale Bezug an Bedeutung. Wie Region abgegrenzt wird, ist dabei sehr unterschiedlich: das können Wirtschaftsräume oder Sprachgrenzen (Dialektgrenzen) sein, es können Länder sein („Wir können alles. Außer Hochdeutsch“). Auch die Nation kann im Verbund Europas eine solche Region in Abhängigkeit von der jeweiligen Fragestellung sein. Kein Mensch – oder treffender – kein Bürger kann sich aber mit einer globalen Region identifizieren. Und deshalb ist die Globalisierung ein theoretischer Konstrukt, dem jede emotionale Unterstützung durch die Bürgerschaft (wer wäre denn das im Falle der Globalisierung?) fehlt und auch zukünftig fehlen wird. Europa liegt uns viel näher, aber schon hier verlässt uns die Identifikation. Seit Jahrzehnten versuchen wir Europa identifizierbar zu machen – und es will nicht gelingen. Was im „Kleinräumigen“ nicht gelingt, warum sollte das im globalen Rahmen gelingen? Europa als ‚Schicksalsgemeinschaft‘, als ‚Block‘ in der Weltpolitik ist für gebildete Bürger noch wahrnehmbar, aber wenn es – wie bei der Globalisierung nur darum geht, noch bessere Geschäfte machen zu können, warum sollte da die Globalisierung Anhänger finden, die insbesondere mit Herz und Verstand eine solche Idee unterstützen könnten. Die Globalisierung hat nur einen Zweck: Geld aus Geld zu machen. Emotional geladene Begriffe wie Frieden, Gleichheit, Menschenwürde, Mäßigung, Nachhaltigkeit u.a. sind nicht mit der Globalisierung zu verbinden – aber die Menschen (und insbesondere die gebildeten Schichten) brauchen solche quasi religiösen Symbole, um ein Mindestmaß an Identifikation herstellen zu können. Ziele wie Geld, Erfolg oder Wachstum lösen vielleicht Gier nach Mehr aus, haben aber noch nie Identifikation geschaffen.
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