Corona und der Crash

Die Medien versuchen zu vermitteln, dass der Crash, der sich in der negativen Entwicklung der Börsen widerspiegelt, auf den Corona Virus zurückzuführen sei. Da stimmt die Perspektive nicht. Der Virus trat – zugegeben – zu einem extrem unpassenden Moment auf. Die wegen des Virus eingeleiteten Maßnahmen werden zusätzliche heftige Auswirkungen in unserer wirtschaftlichen Landschaft hinterlassen, aber der Crash erfolgte nicht wegen Corona, sondern trotz Corona.

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Jeder Crash ist ein solitärer Vorgang, der aber nicht aus heiterem Himmel über uns kommt. Die Alarmzeichen waren schon seit dem 2. Halbjahr 2019 erkennbar und man wartete nur auf den richtigen Anlass, damit die „Zeichen an der Wand“ sich in Wirklichkeit verwandeln können. Die deutsche Wirtschaft stand im 2. Halbjahr 2019 schon auf wackeligen Füßen: Die Automobilindustrie hat erkennen müssen, dass ihr altes Geschäftsmodell deutliche Risse bekommen hat, die Banken kämpfen um ihre Reputation und Ertragsfähigkeit, Teile der Versicherungsbranche sind nur noch ein Schatten ihrer selbst (private Krankenkassen, Lebensversicherungen etc.). Und zu allem kommt dann noch die angestrebte Digitalisierung, die nach unterschiedlichen Schätzungen mehrere hundert tausende Arbeitsplätze überflüssig machen soll.

Auf diese Gemengelage trifft nun Corona und wird zum Anlass, dass sich alle diese negativen Trends zusammentun und den Crash befeuern. Neben den innerdeutschen oder europäischen Herausforderungen treten dann noch geopolitische Veränderungen in Erscheinung, deren Diskussion den Rahmen dieser Ausführungen übersteigen würde. Soviel zur aktuellen Entwicklung.

Im Folgenden möchte ich versuchen, mit einfachen Mitteln und unter stark vereinfachten Annahmen dem Leser ein paar Zusammenhänge zu vermitteln, die zum Verständnis des Crashs hilfreich sein könnten. Dazu gehe ich davon aus, dass es m.E. zwei Grundtypen von realwirtschaftlichen Zusammenbrüchen gibt, die auch durch Turbulenzen im Finanzsystem beeinflusst werden können. Diese Aussage ist ein wenig vermessen, weil es sich gezeigt hat, dass kein Crash wie der andere verläuft. Insbesondere kann man ggfs. zwar eine crash-lastige Konstellation erkennen, aber wann und ob sich diese Struktur tatsächlich eruptiv entlädt, bleibt weitgehend offen.

Ich will auch versuchen, deutlich zu machen, dass diese Krisensituationen nicht aus dem Nichts über uns kommen wie etwa der Corona Virus, sondern im System angelegt sind. Beginnen wir also ganz einfach: Die Unternehmen eines Territoriums (z.B. Deutschland) produzieren im Jahr ein gewisse Menge von Gütern und Dienstleitungen. Der Verkauf von Gütern und Dienstleistungen schlagen sich bei den Unternehmen im Umsatz nieder und werden für statistische Zwecke auf nationaler Ebene zusammengefasst (aggregiert) zum Bruttoinlandsprodukt (kurz auch BiP). Unser Wirtschaftssystem läuft nur dann reibungslos, wenn dieses BiP auf eine in etwa gleichgroße Kaufkraft trifft. Denn nur dann ist sichergestellt, dass das Angebot der Unternehmen als Umsatz auch realisiert werden kann.

Wenn nun dem BiP eine geringere Kaufkraft gegenübersteht, so haben wir einen produktiven Überhang, der als „Angebotsmarkt“ bezeichnet, zum Ausdruck bringt, dass für Preiserhöhungen kaum Raum ist. Unternehmen haben unter der Prämisse einer Gewinnmaximierung i.d.R. die vier Variablen: Preis, Menge, Marketing und Kostenreduktion, um auf diese Situation zu antworten. Der Preis hat nach oben keinen Spielraum, also bleiben die Menge, das Marketing und die Kostenreduktion.

Wenn das BiP einer höheren Kaufkraft gegenübersteht, spricht man gern vom „Nachfragemarkt“ und die Unternehmen tendieren in Summe dazu, ihr Gewinn über Preiserhöhungen zu realisieren. Das Marketing ist wohl immer im Spiel, aber Mengenanpassung und Kostendruck treten eher zurück. Das Spiel geht nur solange, bis die Inflation (Preiserhöhung) zuzüglich der einsetzenden staatlichen Maßnahmen (z.B. Zinserhöhungen) die überständige Kaufkraft absorbiert hat. Dann ist zwischen Angebot und Kaufkraft als Ausdruck der Nachfrage wieder der Ausgleich hergestellt. Wichtig ist zu verstehen, dass der Ausgleich nicht zwangsläufig ein Gleichgewicht darstellen muss.

Nun wäre es eine interessante Frage, welche Art von Markt wir in den letzten Jahren zu verzeichnen hatten? Schauen Sie sich um. Lesen Sie Zeitung. Vor wenigen Jahren war die Gefahr einer Deflation in den Medien ein großes Thema. Man hört nichts mehr davon. Aber hören Sie etwas über Inflation? Sie können m. E. davon ausgehen, dass wir es seit längerer Zeit mit einem Angebotsmarkt zu tun haben. Es gäbe auch Statistiken, aber es muss auch direkter und einfacher gehen. Was wären weitere konkrete Beobachtungen im Alltagsleben? Haben Sie bemerkt, dass mancherorts die Verpackungsart und -größe und der Preis gleichgeblieben ist, aber der Inhalt reduziert wurde. Man nennt so etwas Mengenanpassung. Sie hat gewaltige Gewinnsteigerungen zur Folge: 400 g statt bisher 500g bedeuten bei gleichem Preis eine Gewinnsteigerung bei diesem Produkt von 25%! Da es sich um keine Preissteigerung im Sinne von Inflation handelt, wird dieses Vorgehen auch nicht in der Berichterstattung zur Inflation erfasst.

Es dürfte nicht falsch sein, unsere Marktsituation vor dem Crash als angebotsorientiert zu verstehen. Um in diesem Markt erfolgreich sein zu können, wird – wie wir gesehen haben – als Folge der Gewinnmaximierung die Menge angepasst, die Qualität zurückgefahren (indem höherwertige Teile als Folge des Kostendrucks gegen geringwertigere Teile ausgetauscht werden, und der Kostendruck wird ganz allgemein erhöht. Kosten müssen effizient sein, so das allgemeine Credo: effiziente Technik (Vorzug für das billigere und oft schlechtere), effiziente Personalkosten (Druck aufbauen durch Leiharbeit, Zeitverträge, Drohung der Verlagerung in andere Regionen), effizientes Kostenmanagement (alles ausschreiben, der billigste ist der Beste!?). Nun stellt das Unternehmen fest, dass diese Maßnahmen von allen Wettbewerbern genutzt werden. Will man maximieren, wird der Preis erst durch inszenierte Rabattschlachten und Schäppchengerede verteidigt, aber letztlich sinkt der Preis. Das ist eine nach unten offene Spirale und sie hat schon deflatorische Züge. Sie wird bei anhaltender Überkapazität zu immer niedrigeren Verkaufspreisen bei immer schlechterer Qualität führen. Zynisch könnte man meinen, einen Trend zu erkennen: am Ende wird für wenig Geld Müll verkauft, weil die Qualität nichts mehr gilt, die Funktion nicht mehr erfüllt wird und die Gestaltung niemanden mehr überzeugt. (Der positive Ausdruck dieses Satzes stammt aus einer Botschaft eines Unternehmens an seine Kunden: “Qualität, die hält; Funktion, die was taugt; Gestaltung, die auch morgen noch überzeugt!“ Eigentlich eine Selbstverständlichkeit?! Das ist aber eine ganz andere Welt, hier wird nicht über das Schnäppchen verkauft, der Preis steht nicht im Vordergrund. Das Unternehmen entzieht sich bewusst und gezielt diesem Karussell, weil Qualität, Funktion und Gestaltung keine ökonomischen Eigenschaften sind!)

Zurück zu den deflatorischen Zügen. Diese Entwicklung wird stoppen, ehe sich der Preis in den Boden bohrt, weil lange vorher die Kunden die Produkte nicht mehr tolerieren werden. Man kann mit Marketing viel Unsinn verbreiten, aber wir sollten die Mehrheit der Kunden nicht für so dumm halten. Sie werden sich der weiteren Manipulation durch Marketing verweigern.

Es gibt dabei eine wichtige Restriktion: die Kaufkraft muss erhalten bleiben! Der andauernde Druck auf die Personalkosten im Unternehmen führt dazu, dass die Masseneinkommen als wesentlicher Teil der Kaufkraft nicht steigen und ggfs. die reale Einkommenssituation sogar sinkt (wie das in den letzten 15 Jahren mehrfach der Fall war).

Aus welchen Quellen speist sich Kaufkraft? Wesentliche Elemente sind das Masseneinkommen, das Transfereinkommen, Gewinne nur in Teilen, Auflösung von Ersparnissen, die Kreditaufnahme, und der Exportüberschuss. Das Masseneinkommen ist vereinfacht die nationale Summe der bezahlten Personalkosten an die abhängig Beschäftigten. Wir müssen uns klar machen, dass der Fuß auf der Lohnbremse auf der andere Seite die notwendige Kaufkraft schwächt. Abhängig Beschäftigte können nur konsumieren, d.h. ihre Kaufkraft einsetzen, wenn das notwendige Einkommen dafür vorhanden ist. Die Transfereinkommen umfassen Renten, Pensionen, soziale Zuschüsse u.a., die auf wirtschaftliche Veränderung ausgesprochen zäh und langsam reagieren. Da wir bei der Kaufkraft von Konsum sprechen, ist der unternehmerische Gewinn kaum von Bedeutung. Wenn Gewinn nicht investiert wird, landet er schnell im Finanzkasino und ist für die Kaufkraft verloren. Ein beträchtlicher Beitrag zur Kaufkraft wird über die Kreditaufnahme beigesteuert. Und letztlich trägt auch der Exportüberschuss zur Kaufkraft bei, weil wir durch den Exportüberschuss mit unseren produzierten Gütern und Leistungen die Kaufkraft unserer jeweiligen Handelspartner im Ausland in Anspruch nehmen. Das hält die Begeisterung dieser Länder über unseren Exportüberschuss natürlich in Grenzen.

Die angeführte Betrachtungsweise ist regelmäßig auf ein Jahr bezogen. Es gibt die Möglichkeit, diese jährliche Betrachtung von BiP und Kaufkraft über einen längeren Zeitraum gegenüber zu stellen. Wir gehen davon aus, dass Produktion einerseits und Kaufkraft andererseits regelmäßig zu einem gewissen Ausgleich kommen sollten, sonst bekommt unser Wirtschaftssystem einen „Husten“ oder gar die „Grippe“. Da wir in den letzten Jahren diesen Ausgleich einigermaßen geschafft haben, blieb der „Husten“ scheinbar aus. Um ein detaillierteres Urteil fällen zu können, müssen wir den realwirtschaftlichen Teil der Kaufkraft der Produktion von Gütern und Leistungen gegenüberstellen und deren Veränderung über die Zeit untersuchen. Christian Kreiß (Profitwahn, 2013, S.55) hat diese Entwicklung in ein schematisches Schaubild übersetzt: (hier verlässt mich die Technik!)

Die obere Linie repräsentiert die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts über die Jahre 1980 bis 2019. Die untere Linie erfasst die Entwicklung der realwirtschaftlichen Kaufkraft. Die immer größer werdende Lücke zeigt die laufende Überkapazität, die im Wesentlichen durch Exportüberschuss und Kredite finanziert wird. Dieser „Keil“ wird ständig größer bis eine disruptive Veränderung der Wirtschaft eintritt, in der die Überkapazitäten „abgebaut“ bzw. zerstört werden. Der Crash der Börsen hat diese Veränderung eingeleitet und der Corona Virus wird ihn fortsetzen bzw. verstärken.

Dieses Schaubild wird auch als Beschreibung der sogenannten „Schuldenfalle“ verwendet, um klar zu machen, dass systemimmanent sich immer der Differenzkeil zwischen Bruttoinlandsprodukt und realwirtschaftlichen Masseneinkommen bildet, weil das Masseneinkommen einschließlich Transfer allein nie die Höhe erreicht, um die für das BiP notwendige Kaufkraft darstellen zu können. Eine teilweise Kreditfinanzierung ist unausweichlich. Gefährlich wird dieser Zustand dann, wenn über die Jahre bei der Kaufkraft der Anteil der Kreditfinanzierungen laufend wächst. Zins und Tilgung werden aus Einkommen bezahlt und fehlen mittelfristig für den Konsum. Dann wächst die so beschriebene Kaufkraft nicht mehr und die Überkapazität wird virulent.

Die Maßnahmen, die aufgrund des Corona Virus eingeleitet wurden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl die Produktion (das BiP) als auch die Kaufkraft betreffen werden. Wenn es dabei gelingt, den Ausgleich von Produktion (BiP) und Kaufkraft weitgehend aufrecht zu erhalten, schrumpfen beide Seiten, was an sich ein Zeichen wäre, dass sich die Wirtschaft auf einem deutlich niedrigeren Niveau wieder fangen kann. Es ist dabei zu erwarten, dass in erster Linie die Kreditvereinbarungen  platzen werden, was einen negativen Einfluss auf das Finanzsystem haben könnte, indem sich gegenwärtig viele fußkranke Banken tummeln. Was aber letztlich wirklich passiert, müssen wir abwarten. Es bleibt spannend.

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