CO2-Zertifikate-Handel – was heißt das?

Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, das der CO2-Ausstoß in den kommenden Jahren erheblich gesenkt werden soll, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Unabhängig davon, ob das 1,5 Grad Ziel an sich noch ein sinnvolles Ziel darstellt, gilt auf jeden Fall eine drastische Reduzierung des CO2-Ausstoßes als erstrebenswert.

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Dabei steht der CO2-Ausstoß als Synonym oder Ersatzgrößenerfassung für all jene fossile Extraktion, die wir im Rahmen unserer Lebens- und Wirtschaftsweise jährlich unserer Existenzgrundlage (der „Natur“) abpressen und für die wir in aller Regel keinen Beitrag leisten, denn diese Extraktionen stellen eine Form der Verwendung von öffentlichen Gütern dar, deren Eigentum allen Menschen bei Bedarf zur Verfügung stehen.

Grundlagen

Um diese Aussagen etwas konkreter werden zu lassen, wird im Folgenden versucht, die Zusammenhänge in Zahlen zu fassen. Dabei muss auf statistisches Zahlenmaterial zurückgegriffen werden. Die dort aufgeführten Angaben gelten als „richtig“ und „vollständig“ in dem Sinne, als sie allgemeine Verbreitung und Akzeptanz gefunden haben. In vielen Beiträgen werden die Zahlen mit Kommastellen präsentiert, um Präzision zum Ausdruck zu bringen. Hier werden wir die Zahlen recht großzügig auf ‚ganze‘ Zahlen runden, weil es hier nicht um Präzision geht, sondern darum, einen Eindruck von der Mächtigkeit zu vermitteln, die hinter den Konzepten steht.

Der durchschnittliche CO2-Ausstoß beträgt in Deutschland je nach Präsentation und Ermittlungsmethode zwischen 9,7 to/Person und Jahr bis etwa 11,7 to/Person u. Jahr. Um die Sache ohne Taschenrechner bewältigen zu können, gehen wir der Einfachheit halber von 10 to CO2/Person u. Jahr aus. Das anzustrebende Ziel liegt weit darunter. Es gibt hier auch keine einheitliche Linie: als erstrebenswert gilt ein Drittel, als Ideal wird von einem Zehntel gesprochen.

Was heißt das nun hochgerechnet auf eine Bevölkerung von 80 Mio. Menschen (auch hier wird großzügig gerundet; die richtige Zahl liegt eher bei 83 Mio. Einwohner). Wenn nun jeder Einwohner rd. 10 to CO2 ausstößt bzw. verbraucht, so ist klar, dass Deutschland gegenwärtig einen jährlichen Rucksack von etwa 800 Mio. to CO2 produziert. Was bedeutet diese Zahl, wenn wir davon ausgehen, dass das CO2 eine Maß- oder Kennzahl repräsentiert, wieviel wir jährlich kostenfrei unserer Lebensgrundlage entziehen? Kostenfrei bedeutet, dass es in keiner wirtschaftlichen Kalkulation auftaucht. Es wird anschaulicher, wenn man davon ausgeht, dass unsere Lebens- und Wirtschaftsform diese Menge CO2 produziert, ohne dass hierfür irgendjemand offiziell bezahlt. Das nachgebesserte Klimaschutzgesetz der Bundesregierung bewertet eine Tonne CO2 vorerst mit 45 Euro. Die Bepreisung des CO2 Ausstoßes führt erstmals dem Laien vor Augen, welche riesigen Summen unserer natürlichen Lebensgrundlagen bisher jährlich als selbstverständlich verbraucht wurden: eine Größenordnung von 36 Mrd. Euro jährlich! Nehmen wir statt der 45 Euro/to einen Tonnenpreises nach einer allgemeinen Reduktion auf ein Drittel der gegenwärtigen Ausbringungs-Tonnage. Der Preis könnte dann nach (groben) Schätzungen bei 200 Euro/to liegen: es ergibt sich immer noch eine Größenordnung von rd. 53 Mrd. Euro jährlich!

Die Zahlen müssen wir mit unserem Bruttoinlandsprodukt in Beziehung setzen, weil die wenigsten Menschen sich die Milliarden vorstellen können. Das jährlich festgestellte Bruttoinlandsprodukt beläuft sich 2020 auf etwa 3.300 Mrd. Euro. Der Bundeshalthalt umfasste in 2020 Ausgaben in Höhe von rd. 442 Mrd. Euro. Mit anderen Worten: hier wird eine Kapitalsammelstelle auf- und ausgebaut, die gemessen am Bundeshaushalt, mit ca. 10% künftig eine große Bedeutung erhalten wird.

Organisation des Zertifikate-Handels

Das Pariser Abkommen sieht einen Mechanismus vor, der zu einer Deckelung des CO2-Ausstoßes führen soll, d.h. die zulässige Menge CO2 wird begrenzt und sie soll geplant jährlich bzw. regelmäßig sinken. Das bedeutet für den Zertifikate-Handel, dass jedes Jahr ein gewisser Prozentsatz von CO2-Zertifikaten nicht mehr zur Verfügung stehen wird. In dem „gedeckelten Kessel“ steigt damit der Druck, von einer karbongestützten Produktionswirtschaft auf eine neue Technologie umzusteigen oder aber Produktionskosten akzeptieren zu müssen, die das jeweils bestehende Geschäftsmodell in Frage stellen können.

Durch die künstlich erzeugte Knappheit auf dem Feld der Zertifikate wird der Preis der Zertifikate unvermeidlich steigen. Der Preis kann insbesondere zu Beginn des Handels erratisch ausschlagen. Dabei werden erhebliche Mengen Geldes bewegt. Deshalb gleich die ersten Fragen hinsichtlich der Organisation:

  • Welche Institution wird die Zertifikate in Umlauf bringen?
  • Die Zertifikate sind in ihrer Funktion mit Bargeld bzw. mit Buchgeld zu vergleichen und repräsentieren gewaltige Vermögensmassen. Wie wird hier Transparenz und Kontrolle sichergestellt?
  • Wer prüft zumindest jährlich die Zu- und Abflüsse der beauftragten Institution? Wer berichtet darüber öffentlich?
  • Unterliegt die Institution dem Haushaltsrecht des Bundes und damit den Regeln des Bundeshaushalts? Oder wird die Aufgabe einer eigenen Bundesbehörde übertragen, die dann die Verwaltungsaufgaben ggfs. privatisiert? (Dann aber besser als bei der Lkw-Maut des Herrn Scheuer)
  • Das Medium Zertifikate einerseits als auch das durch die Zertifikate bewegte Finanzvolumen andererseits macht die Organisation anfällig für kriminelle Aktivitäten. Nirgendwo kann man so schnell und einfach Geld abzweigen, wie bei solchen Transaktionen (Stichwort gefälschte Zertifikate). Hierfür sollte sich die Politik rechtzeitig unabhängigen Rat einholen, um dann nicht wieder über zehn Jahre untätig zu bleiben, weil man sich (wie bei Cum Ex (gefälschte Steuerbescheinigungen) oder bei der Abwicklung der Lkw-Maut (intransparente Eigentumsverhältnisse)) nicht vorstellen kann, welcher kriminellen Energie ein solches System ausgesetzt ist.
  • Wie wird sichergestellt, dass einerseits alle wesentlichen CO2-„Sünder“ angemessen erfasst werden und wie wird sicherstellt, dass in dem System jede Tonne CO2 fairerweise nur einmal erfasst und belastet wird?

Das ist die Aufkommensseite. Hier wird gesammelt und sichergestellt, dass jeder, der CO2 ausstößt, seinen angemessenen Kostenanteil trägt und das Geld auch da ankommt, wo wir alle es erwarten. Eine komplexe Aufgabenstellung!

Die andere Seite dieses Zertifikate-Handels ist die Verwendung der gesammelten Mittel. Hier gibt es nach meiner Kenntnis noch überhaupt keine hinreichend konkreten Vorstellungen oder gar ein Konzept, zu was diese Vermögensmassen verwendet werden sollen. Für die Zeit der Umstellung des Systems von einer karbonorientierten Wirtschaftsweise auf eine deutlich reduzierte Verwendung von Kohlenstoff kann es sinnvoll sein, diese Gelder vorübergehend als Hilfen für eine Umstellung der Wirtschaft und Landwirtschaft auszugeben. Das kann aber nur sinnvoll sein, wenn man gezielt  darauf achtet, dass man nicht vorne „streng“ abschöpft und hinten den Trägen und innovationsunfähigen Unternehmen und Landwirten „Zucker in den Hintern bläst“. Die Lobbyisten stehen schon in den Startlöchern, weil es offensichtlich einfacher und billiger und je nach Regierung auch risikoloser ist, Lobbyarbeit teuer zu finanzieren als vernunftgesteuert notwendige Veränderungen herbeizuführen.

Die Kosten, die die Wirtschaft durch die CO2-Abgabe verkraften muss, werden vermutlich dazu führen, dass die Preise steigen und damit die Erhaltung der Massenkaufkraft in Frage steht. Die Idee dahinter wäre dann, die unteren Einkommensschichten zu unterstützen bzw. zu entlasten, um auf diese Weise die erforderliche Kaufkraft erhalten zu können.

Es gibt zahllose Ansätze, denen m. E. immer zwei grundsätzliche Gesichtspunkte zugrunde liegen können: man fördert einerseits die Umstellung der Wirtschaft und man stellt sicher, dass die Mittelverwendung gleichermaßen auch einem Wandel zu einem nachhaltigerem Konsum zugutekommt. Hierbei werden die auftretenden Preisverschiebungen den Wandel einleiten. CO2-trächtige Produkte werden sehr viel teurer und schaffen damit Anreize, sich anderen Produkten zuzuwenden. Sie schaffen auch negative Anreize, die dazu beitragen werden, bisher übliche Konsumprodukte links liegen zu lassen. Ramsch (billige und wenig nachhaltige Waren) werden vermutlich aufgrund steigender Preise schrittweise vom Markt verschwinden. Viele Herausforderungen, die wir bisher nicht in den Griff bekommen haben, z.B. die Vermüllung unserer Lebensräume, könnten sich durch Folgereaktionen von selbst auflösen bzw. als Problem in den Hintergrund treten. Was aber sich im Detail wie verändert, werden wir der Praxis überlassen müssen. Versäumnisse bei der Gestaltung der beiden Hauptgesichtspunkte werden zu ernsten Problemen für das bestehende Wirtschaftssystem führen, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass wesentliche Teile oder liebgewonnene Gewohnheiten zu Disposition stehen werden.

Wir werden insbesondere die einseitigen Rentabilitätsermittlung um eine CO2– Bilanzierung ergänzen müssen: nicht die schiere ökonomische Rentabilität reicht zur Beurteilung einer Investition aus, die Zulässigkeit von Investitionsmaßnahmen wird auch durch ihre zusätzliche CO2-Belastung beurteilt werden müssen. Wie das im Einzelnen und konkret aussehen wird, kann die Erfahrung mit den Kosten-Nutzen-Analysen zeigen. Der Unterschied wird darin liegen, dass der „Nutzen“ jetzt prioritär durch eine Minimierung der CO2-Belastung dargestellt wird.

Sie merken, da liegt noch viel Arbeit, an der sich bisher noch keiner unserer Politiker versucht hat. Lesen Sie die Parteiprogramme gründlich. Und machen Sie Druck, das ist leider die einzige Sprache, die die Damen und Herren unabhängig vom Parteibuch verstehen.

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