Seit mehr als fünfzig Jahre versucht die Naturwissenschaft das notwendige Gehör zu finden, dass wir mit unserer Art zu Wirtschaften ein System aufgebaut haben und unterstützen, das unsere allgemeinen Lebensumstände aus naturwissenschaftlicher Sicht absehbar zerstören wird. Man würde erwarten, dass die Ökonomie auf diesen Vorwurf eine begründbare Antwort wüsste. Das scheint nicht der Fall zu sein, denn nach deren Weltverständnis ist der Einfluss des Klimawandels, gemessen am Bruttoinlandsprodukt als Basis ihrer Wachstumsideologie so gering, dass sie keinen Grund sieht, darauf zu reagieren. Wie kann das sein?
Das Bruttoinlandsprodukt
Das Bruttoinlandsprodukt ist die Grundlage dessen, was die Ökonomie als ‚Wachstum‘ verkauft. Das Bruttoinlandsprodukt erfasst alle Waren und Leistungen, die auf einem fiktiven Markt einen Preis erzielt. Dinge, die aus vielerlei Gründen keinen Preis haben, sind nicht Gegenstand des Bruttoinlandsproduktes. Diese Kennzahl zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass jede Katastrophe, die z.B. durch Klimawandel ausgelöst wird, die Kennzahl im positiven Sinne hochschnellen lässt, weil die weiträumige Schadensbeseitigung wiederum durch eingepreiste Waren und Leistungen erfolgen wird.
Die Beiträge einzelner Branchen zum Bruttoinlandsprodukt kann man isolieren. Dabei stellt sich heraus, dass die Grundstoffbereitstellung i.w.S. als wichtiger Bezugspunkt der Ökonomie zu unseren natürlichen Lebensgrundlagen nur einen recht kleinen Anteil am Bruttoinlands-‘Kuchen’ haben. Wenn also z.B. die Preise auf diesem Sektor aus Gründen des Klimawandels „explodieren“, so ist der statistische Einfluss auf das (insgesamt erwartete) Wachstum u.U. sehr gering. Daraus schließen die Mainstream-Ökonomen messerscharf, dass Klimawandel sie nicht zu interessieren hat. Der Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt erscheint ihnen zu gering. Damit gilt aus ihrer Sicht das Wachstum absehbar als gesichert und deshalb wird ein „Einfach weiter so“ verfolgt.
Diese Sichtweise greift natürlich zu kurz. Wenn die Ressource nicht mehr zur Verfügung steht, steht der „Laden“! Diese Erkenntnis umgehen die Ökonomen mit dem Institut der Substitution und der vagen Hoffnung: Es wird sich schon eine Ersatzressource oder eine neue Ersatztechnologie finden lassen.
Die Systemtheorie und Wachstum
Seit den fünfziger Jahren gibt es eine Systemtheorie, die aus der Biologie heraus entwickelt wurde und die erst in den letzten dreißig Jahren als eine Art Metatheorie vielfach Anwendung findet. Ihr Erkenntniswert liegt in der Behandlung von komplexen, dynamischen Systemen. Sie kann viele Verhaltensweisen dieser komplexen Systeme gut erklären und vorhersagen. Danach ist der Planet ein weitgehend geschlossenes, dynamisches System, d.h. alles, was auf dem Planeten geschieht, gelten als ‚innere‘ Prozesse, die weder nach außen dringen, noch „Nachschub“ von außerhalb erwarten können, mit Ausnahme der Sonnenenergie. Alle planetarischen Prozesse sind somit durch die Systemgrenzen eingeschränkt und auf den planetarischen Binnenraum begrenzt.
In diesem System ‚Erde‘ hat nun die Ökonomie ein System entwickelt, das unendliches Wachstum anstrebt und das so gebaut ist, dass seine Überlebensfähigkeit auch wesentlich von diesem Wachstum abhängt. Unendliches Wachstum wird mathematisch durch eine Exponentialfunktion beschrieben. Deren Eigenschaft liegt darin, dass die Funktion in Abhängigkeit von der Zuwachsrate relativ schnell ins Unendliche ‚explodiert‘. Nun haben wir offensichtlich einen Widerspruch! Einerseits ist das System der Biosphäre im wesentlichen auf den Planeten begrenzt, auf der anderen Seite füttern wir ein System der Ökonomie auf diesem begrenzten Planeten, das funktional ins Unendliche strebt. Also ist die Wachstumsaussage auf eine Unmöglichkeit gerichtet!
Nach einem Beitrag von Crelis Rammelt „erfordert (unser Wirtschaftssystem) eine kontinuierliche Kapitalakkumulation und gerät ins Stocken, wenn es in diesem Prozess behindert wird. Die typische Reaktion auf die ökologische Krise besteht daher nicht darin, das Wirtschaftswachstum einzuschränken, sondern alle Hoffnung werden auf Effizienz, Kreislaufwirtschaft, Dematerialisierung, Dekarbonisierung und andere (und systembedingt natürlich) gewinnorientierte grüne Innovationen im Kapitalismus konzentriert.“
Cross-over-Betrachtung
Rammelt schreibt weiter, dass diese Hoffnung falsch ist und begründet die Auffassung mit Überlegungen, die nicht aus der Ökonomie stammen, sondern sich auf die Naturgesetze stützen. Derartige Cross-over-Beobachtung werden wir immer öfters feststellen können: wir verfügen nur über eine Welt, aber unser Denken in isolierten Kästchen ist so verbreitet, dass die Betreiber jedes Kästchens glauben, ihre oft eng begrenzten Erkenntnisse müssten sich ungeprüft auf das Ganze übertragen lassen. Im Kleinen betreiben wir dieses Spiel u.a. in der Medizin – ein kranker Mensch, und unzählige „Experten“ (Kardiologen, Endokrinologen, Orthopäden, Podologen, Urologen, Neurologen, Augenärzte, Hals-Nasen-Ohren, Zahnärzte, Proktologen, u.a.) und jeder stellt eine Diagnose, verschreibt Pillen und lässt oft einen ziemlich überforderten Patienten zurück. Für hilflose Patienten gibt es aber noch keinen Experten. (Ketzerische Aussagen gehen soweit, dass man von immer weniger Sachverhalten immer mehr weiß; wenn diese Strategie konsequent fortentwickelt wird, bedeutet es, dass man am Ende von Nichts alles weiß??)
In einer großen Dimension können wir dieses Phänomen auch bezüglich des Klimawandels feststellen. Solange wir uns im „Klein-klein“ bewegen, lassen sich viele Problemstellungen im Rahmen unseres Kästchen-Denkens lösen. Auf planetarischer Ebene wird die Problemlösung deutlich komplexer, weil die Grenzen der Sparten eher behindern als Beiträge zur Lösung leisten zu können.
Wir sehen diese Haltung auch an der Ökonomie: der Blick auf das Klima-Problem fokussiert sich auf den großen Treiber des Kapitalismus, das Wachstum, und nach dem Weltbild der Ökonomie wird diese Funktion offenbar nicht ernsthaft berührt. Also machen sie weiter wie zuvor. Dass durch den Klimawandel, der durch die Forcierung des Wachstums ständig befeuert wird, die Welt möglicherweise in wenigen Jahrzehnten so verändert sein wird, dass große Teile der Menschheit in vielen Regionen der Welt nicht mehr werden leben können, ist offensichtlich keine ökonomische Frage und gilt als unbeachtlich. Wenn aber eine so große Anzahl von Menschen (als Konsumenten bzw. billige Arbeitskräfte) ‚ausfallen‘, so könnte man meinen, wird das ein veritables ökonomisches Problem darstellt.
Der Ansatz der Physik
Die Physik hat da einen deutlich differenzierten Blick auf die Vorgänge. Sie unterscheidet im Rahmen der Thermodynamik zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen. Der Klimawandel und auch die Ökonomie zählen zu den irreversiblen Vorgängen, d.h. der Prozess ist nicht umkehrbar, der Ausgangszustand ist nicht wieder herstellbar. Der angeregte Prozess verliert ständig etwas, was ihm die „Rückabwicklung“ verbaut. Dieser Prozessverlust wird u.a. als ‚Entropie‘ erfasst.
Rammelt versucht, diese Aussage bildhaft verständlich darzustellen: „ Im Herzen eines Waldes findet ein Affe konzentrierte chemische Energie in Form einer Banane. Der Affe wandelt die Banane schnell in nutzbare Energie um, um seine körperliche Verfassung aufrechtzuerhalten, auf Bäume zu klettern, Feinde zu bekämpfen, u.s.w.. Der erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass Energie ihre Form ändern, aber nicht erzeugt oder zerstört werden kann. Die anfängliche chemische Energie, die in der Banane enthalten ist, wandelt sich (also) um in chemische Energie, die die Zellen im Körper des Affen regeneriert, kinetische Energie, die seine körperlichen Aktivitäten antreibt, und thermische Energie, die als Körperwärme abgestrahlt wird.“ Die einmalige Energiezufuhr, die der Affe aus der Biosphäre erhält, wird bei ihm auf verschieden Formen von Energie verteilt. „Energie verändert seine Form, verschwindet aber nie.“
Rammelt stellt dann die Frage, warum wir in eine Energiekrise geraten, wenn Energie doch unzerstörbar ist? Hier kommt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, auch Entropiegesetz genannt, ins Spiel. Energie lässt sich nicht festhalten oder fixieren. Wo immer Energie auftritt, hat sie die Eigenschaft, sich in Richtung der energieärmeren Sektoren auszudehnen bis sie gleichmäßig verteilt ist. „ An diesem Punkt erreicht die Entropie, ein Maß für die Energiestreuung, ihr Maximum. Gemäß dem Entropiegesetz fließt Wärmeenergie spontan von einem heißeren Körper zu einem kälteren, niemals umgekehrt. (…) Nach dem Entropiegesetz neigen daher sowohl Energie als auch Materie dazu, sich (zunehmend kleinteiliger) zu verteilen, wodurch die Gesamtentropie zunimmt.“
Energie ist zwar unzerstörbar, aber Energie als auch Materie (als eine Form von gebundener Energie) hat die Eigenschaft, sich mehr oder weniger gleichmäßig zu verteilen. Energie existiert uneingeschränkt, kann aber aufgrund ihres Entropiebestrebens ab einem gewissen Verteilungsgrad wirtschaftlich nicht mehr genutzt werden. Ein Beispiel: Fels ist Materie mit einer geringen Entropie, wenn der Fels über einen langen Zeitraum zu Sand zerfallem sein wird, hat die gleiche Menge an Materie eine hohe Entropie angesammelt. Nach den thermodynamischen Hauptsätzen ist klar, dass sich unsere Umgebung durch die Entropie nicht nur laufend verändert, sondern sehr langfristig einem Zustand maximaler Entropie zustrebt, den man nicht mehr als lebensförderlich beschreiben kann.
Dieser offensichtlich unvermeidlichen Entwicklung stellt sich ein Gegengewicht in den Weg. Im Rahmen der Evolution haben sich in der Biosphäre Strategien entwickelt, die der Entropie entgegenarbeiten. Sie können die Entropie zwar nicht aufheben, durch die Gegenmaßnahmen wird die Entropie aber deutlich verlangsamt. Die Biosphäre kann „dieses Defizit durch die unerschöpfliche Energie der Sonne aus(gleichen). Die Biosphäre nutzt die Sonnenenergie, um „nützliche Arbeit“ zu leisten, nämlich die Konzentration verteilter Energie und Materie in Form von neuen Bananen (wie im ersten Untergesetz des Entropiegesetzes vorgeschrieben) zu schaffen. Eine gesunde und gut funktionierende Biosphäre ist somit die einzige Kraft auf der Erde, die in der Lage ist, den Anstieg der Entropie auszugleichen.“
Wie funktioniert das? „(…) Wie konzentriert sich Energie, wenn sie, dem Gesetz der Entropie folgend, sich doch spontan zerstreut? Die Antwort liegt in einem Untergesetz des Entropiegesetzes: Wärme kann nur von einem kalten Körper zu einem warmen Körper fließen, indem sie im physikalischen Sinne „Arbeit verrichtet“. Dies bedeutet, dass zusätzliche Energie erforderlich ist, um Energie von einem dispersen auf einen konzentrierten Zustand rückzuführen. (…) Eine Energiekonzentration erfordert zusätzliche Energie.“ Diese kommt in der Biosphäre aus anderen Energiequellen (z.B. aus fossilen Speichern) und ganz wesentlich von der Sonne.
„Ein zweiter Untersatz des Entropiegesetzes besagt, dass keine Energieübertragung in Nutzarbeit zu 100 % effizient ist. Die Arbeit gilt als „nützlich“, wenn sie die Entropie verringert.“ Es entstehen unvermeidlich Verluste, weshalb die Prozesse als irrersibel gelten.
Die Rolle unseres Wirtschaftssystems
Rammelt beschreibt unser Wirtschaftssystem als „ein gefräßiges Tier, (das) alle 20 Monate das Äquivalent der Ressourcen eines gesamten Mount Everest (verschlingt). Es beschleunigt auch seinen Stoffwechsel und verkürzt diesen Zeitrahmen innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte auf nur 10 Monate. Während es seinen Bauch füllt, erschöpft das Biest seine Umwelt und belastet sie mit Abfall, wodurch natürliche Systeme zur Ressourcenerneuerung und Abfallbewirtschaftung gestört werden. Letztendlich vernichtet es seinen eigenen Lebensraum.“ Diese Vorgehensweise ist nur möglich, indem die fossilen, gebundenen Energievorräte massiv eingesetzt werden. Dabei werden Energiemengen frei, die u.U. Jahrmillionen im Erdreich gebunden schlummerten.
„(Die) Ökosysteme haben sich über Millionen von Jahren entwickelt, um den Energieverbrauch in ökologischen Nahrungsnetzen zu optimieren und die Entropie (wie oben versucht darzustellen) durch Biodiversität zu verzögern und zu reduzieren. Tragischerweise bewirken wachstumsorientierte Volkswirtschaften genau das Gegenteil, indem sie gegen diese natürliche Ordnung vorgehen und die Entropie mit verheerender Geschwindigkeit erhöhen.
(…) Wenn die Natur Grenzen setzt, sucht der Kapitalismus aktiv nach Wegen, diese zu umgehen, was unweigerlich zu neuen Grenzen führt. (…) Leider hat dieses (Handlungs-)Muster schwerwiegende Folgen, wie die anhaltende Klimakrise und der Rückgang der Artenvielfalt zeigen. Der Kapitalismus schadet in seinem Streben nach unaufhörlichem Wachstum der Biosphäre, auf die er angewiesen ist, um seine entropieverstärkenden Aktivitäten abzuschwächen.“
Die Ökonomie pflegt seit etwa 30 Jahren das Narrativ der Entkoppelung und der Effizienz ohne entsprechende Erfolge aufweisen zu können. „Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass noch ein enormes Potenzial für Kreislaufwirtschaft und Effizienz besteht, wenn man bedenkt, dass die Weltwirtschaft weniger als 10 % des Abfallmaterials zurückgewinnt und nach der Umwandlung nur 28 % des weltweiten Primärenergieverbrauchs zurückerhält. (…) Das Potenzial für Zirkularität ist auf lediglich 29 % des Gesamtdurchsatzes beschränkt. Der verbleibende Teil umfasst Nahrungsmittel und Energie, die irreversiblem Abbau unterliegen, sowie Nettozugänge bei Gebäuden und Infrastrukturen, die nicht für das Recycling zur Verfügung stehen.“
Rammert schreibt weiter: „Wie erläutert, erfordert die erneute Verdichtung disperser Materialien Energieinvestitionen und geht mit unvermeidlichen Übertragungsverlusten einher, die die Gesamtentropie erhöhen. Der Energieverbrauch nimmt mit steigenden Recyclingquoten zu und Energie selbst kann nicht recycelt werden. Und selbst wenn wir Zugang zu unerschöpflichen erneuerbaren Energiequellen hätten, würden geschlossene Kreisläufe für Agrochemikalien, Beschichtungen, Schmierstoffe, Klebstoffe, Tinten und andere komplexe Materialien nicht entstehen können, weil es für sie keine Recyclingtechnologie gibt.“
Was ist die Alternative?
„Unsere vermeintliche Herrschaft über die Natur ist eine Illusion. So clever technische Innovationen auch erscheinen mögen, sie unterliegen weiterhin den Gesetzen der Thermodynamik. Folglich ist eine wachstumsorientierte kapitalistische Wirtschaft in vergeblichen Versuchen gefangen, sich vollständig von der Natur abzukoppeln – mit dem Ziel einer 100 % kreislauforientierten, dienstleistungsorientierten und abfallfreien Existenz. Diese Besessenheit rührt von der Unfähigkeit her, sich eine Wirtschaft vorzustellen, die nicht wächst und deren Stoffwechsel sowohl quantitativ als auch qualitativ innerhalb sicherer ökologischer und planetarischer Grenzen bleibt. Daher müssen wir nach radikal anderen Wegen suchen (…).“
Rammert sieht eine Lösung im „Degrowth“(= Postwachstumsökonomie). „Im weitesten Sinne stellt Degrowth eine angestrebte sozioökonomische Transformation dar, eine Reduzierung und Umverteilung von Material- und Energieflüssen mit dem Ziel, die Grenzen des Planeten zu respektieren und soziale Gerechtigkeit zu fördern.“ Der Anspruch ist hoch! Und viele werden die Notwendigkeit einer Veränderung gar nicht verstehen wollen. Man könnte dieses Verhalten auch als Vogel-Strauss-Politik (den Kopf in den Sand stecken) bezeichnen.
Nachtrag:
Vergleichbare Gedanken zu diesem Thema hat auch Andreas Weber in seinem Buch „Biokapital“ (Berlin, 2008) auf den Seiten 79 – 86 verständlich und anschaulich dargestellt.
…………………………………………………………………………………………………..
Crelis Rammelt, How entropy drives us towards degroth, in: Real-World-Economics No. 107 (2024), p.2 (Übersetzung durch VF + Google)
Rammelt, a.a.O., S. p.2f
Rammelt, a.a.O., p. 3
Rammelt, a.a.O., p. 3
Rammelt, a.a.O., p. 4
Rammert, a.a.O., p. 4
Rammert, a.a.O., p. 2
8Rammert, a.a.O., p 6
» weniger zeigen