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SUV – eine unselige Geschichte?

Die SUVs stehen zur Diskussion, aber nicht wegen des bedauerlichen Unfalls in Berlin, an dem ein solches Fahrzeug offensichtlich beteiligt war. SUVs werden in den Gazetten auch schon mal als „Stadtpanzer“ bezeichnet – der Schritt zum „Krieg auf den Straßen“ ist dann nicht mehr weit. Tatsache ist, dass der SUV zwar ein Verkaufsschlager der Autoindustrie ist, aber aufgrund seiner Größe, seiner Breite, seiner Anmutung als „Panzer“, seines Gewichtes und folglich seines Verbrauchs und seines relativ geringen Platzangebots ein Produkt ist, das absolut nicht in die Zeit passt, in der CO2 und der Ressourcenverbrauch zunehmend auch politisch eine größere Bedeutung gewinnt.

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Die Antwort der Autoindustrie auf die Infragestellung der Funktionalität eines SUV ist überaus dürftig: Es wird als Verkaufsargument einerseits die erhöhte Sitzposition und die bessere Übersicht angeführt und andererseits das Argument, der Markt verlange dieses Auto. Mehr und Besseres ist nicht zu hören. Die Sitzposition, die zugegeben insbesondere für ältere Menschen von erheblichem Vorteil ist, haben auch PKWs, z.B. u.a. die B-Klasse von Mercedes oder vor Jahren der Golf plus und auch neuere VW-Modelle, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Sitzposition ist also keinesfalls SUV-gebunden. Und das Argument der Nachfrage ist ein Scheinargument: wer schafft denn die Nachfrage? Dafür werden doch Marketing- Milliarden für Framing ausgegeben, um den Geschmack und die Begierde zu wecken und in einem gewissen Umfang auch zu steuern.

Bisher war der Klimawandel ein ziemlich lästiges Lippenbekenntnis der Politik. Jetzt merkt auch der verbohrteste Konservative, dass die Masche nicht mehr zieht. Erst bestand bei der CSU die Gefahr, dass wesentliche Teile der Wählerschaft sich mehr für Bienen interessiert als für ein kapitalistisches „Mehr, Schneller, Höher“ und dann kamen wenige Wochen danach die künftigen Wähler mit „Friday for Future“ und setzten sich vehement für eine andere Klimapolitik ein. Vergleichbares geschah in Baden-Württemberg. Und da liegt man mit einem solch dysfunktionalen Automobilkonzept absolut daneben – da hat sich irgendetwas im Mainstream grundlegend gedreht und drängt damit die Automobilindustrie noch weiter in die Defensive.

War doch die Hoffnung dieser Industrie, nach dem Betrug an ihren Diesel-Kunden, auf Vergessen setzen und nun wieder durchatmen zu können, da kommt das nächste Problem: ausgerechnet die gewinnträchtigen SUVs werden jetzt hinsichtlich ihrer Funktionalität im Rahmen eines allgemeinen Mobilitätskonzeptes in Frage gestellt (zu groß, zu schwer, zu ineffizient). Das trifft noch nicht sofort die Umsatzzahlen, aber je länger die grüne „Community“ die Dysfunktion der SUVs thematisiert, desto mehr statusbezogene Kunden werden sich nach Alternativen umschauen (müssen).

In diesem Zusammenhang ist der tragische SUV-Unfall in Berlin natürlich für die psychologische „Kriegsführung“ verheerend, wenngleich es unbedeutend ist, welche Art Automobil diesen traurigen Unfall letztlich verursacht hat. Die Medien haben den „SUV“ jetzt ins Rampenlischt gestellt. Es zeigt sich auch hier, dass die Autoindustrie ihren vormaligen mächtigen Medien-Schutz weitgehend eingebüßt hat. Es werden Fragen nach der Sinnhaftigkeit dieser Automobil-Klasse gestellt und die lauwarmen Antworten machen einen sprachlos.

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Der Zertifizierungswahnsinn

Was wird heute nicht alles zertifiziert?! Und bekommt irgendein „Wapperl“ (eine aufgeklebte Marke), das eine irgendwie bezeichnete Zertifizierung bestätigt. Warum ist das so? Ist etwas ohne Zertifikat wertlos? Denken wir an „Bio“ als Auszeichnung von Lebensmitteln, bei denen – ja, was nun? – angeblich keine landwirtschaftlichen „Kampfstoffe“ Verwendung gefunden haben sollen? Oder denken wir an die ISO-Zertifizierung von Prozessen, bei denen nicht die Prozesse selbst gesichert werden, sondern nur die Dokumentation der Prozesse beurteilt wird.

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Heißt das nun, dass alle nicht zertifizierten Prozesse die reine Schlamperei darstellen? Das ist doch hirnrissig! Am Ende dieses Zertifizierungswahns steht neben jedem, der aktiv etwas tut, ein zweiter, der eifrig dokumentiert, dass der erste etwas getan hat. Gibt es ein schöneres Beispiel für Bürokratie?

In einem Wirtschaftssystem, indem nur die Quantität (Absatz) und Preis zählt, kommt die Qualität unter die Räder. Zertifizierung ist ein Versuch, den verlorenen Qualitätsbegriff durch die Hintertür wieder einzuführen, aber zu welchem Preis? Bei einem Hersteller eines Produktes (vom alten Schlag) stand immer die Qualitätsfrage im Vordergrund, denn von alters her war Qualität das wesentliche Verkaufsargument. Wenn die Qualität den Verbraucher nicht zufrieden stellte, war das ein absolutes KO-Kriterium. Man kaufte ja auch nicht, um aus Langeweile zu shoppen, sondern man trug sein schwerverdientes Geld nur dorthin, wo man für sein Geld Qualität geliefert bekam. Das Gekaufte musste jahrelang gebrauchsfähig bleiben und ggfs. auch zu reparieren sein. Ramsch war unter diesen Umständen undenkbar.

Das hat sich grundlegend gewandelt. Bei dem Versuch, Umsatz zu maximieren, wurde das Argument der Qualität durch den Preis ersetzt. Da Qualität Geld kostet, blieb sie auf der Strecke. Um im Preiswettbewerb bestehen zu können, hat sich die Qualität in aller Regel dem sinkenden Preis angepasst. Wenn man sich auf dem Markt ein wenig umschaut, stellt man zumindest im Retail (Einzelhandel) fest, dass zahllose angebotene Artikel im Grund nur produzierten Müll darstellen, der kaum eine sinnvolle einmalige Anwendung übersteht, um dann sofort im Müll zu landen. Wir merken dieses Verhalten schon gar nicht mehr; man kann sich heute Dinge mal schnell billig kaufen, für die musste ich vor 50 Jahren monatelang sparen. Mein Verhältnis zu dem Gekauften war aufgrund des Preises nicht durch Wegwerfen geprägt, sondern vom langfristigen Gebrauch.

Nun gibt es einen großen Teil der Bevölkerung, den dieser Wegwerfkonsum abstößt. Man hat irgendwo noch eine Idee von Qualität, kann und will sich aber auf die werblichen Aussagen des Handels und vieler Hersteller zu Recht nicht verlassen. Hier wurde dann wohl der Gedanke einer Zertifizierung geboren. Es ist der Versuch, die ursprüngliche Selbstverständlichkeit, Qualität abzuliefern, durch die Erlangung von Zertifikaten wieder einzuführen: Wer dieses Zertifikat erworben hat, so die Meinung, liefert Qualität!

Man merkt schon an der Wortwahl, dass diese Zertifikate gekauft werden müssen. Und wer zahlt, schafft an (Das ist ein wesentliches Grundgesetz des Kapitalismus)! Damit ist im Prinzip alles gesagt. Zertifizierung ist ein gnadenloses Geschäft und der Zertifizierungswahn befeuert diesen Markt. Wenn doch die kapitalistische Grundregel der Effizienz dazu führt, dass die Qualität aus dem System heraus fliegt, warum sollten dann „Zertifizierer“, die sich dem gleichen Prinzip zu unterwerfen haben, sicherstellen können, dass Qualität wieder Teil des Prozesses wird.

Die Zertifizierung bezieht sich in keinem Fall auf konkrete Vorgänge, es geht immer nur um die Zertifizierung der Beschreibung (Dokumentation) des Vorgangs. In einem zweiten Schritt wird dann überprüft, ob die Dokumentation auch angewendet wird. Wie macht man sowas? Man fordert von den Tätigen (im Unterschied zu den Kontrolleuren) auf jedem Stück Papier viele Häkchen, ein Datum und seine Initialen zu hinterlassen. Ob es stimmt, was da im Akkord abgehakelt und unterzeichnet wird, wissen nur die Götter. Aber mit jedem falsch gesetzten Haken riskiert der tätige Arbeitnehmer seinen Job. Und will man jemanden im Betrieb loswerden, so gibt es mindestens zwei Stellen, an denen man drehen kann: Reisekosten (in den oberen Etagen) und Mängel beim Ausfüllen von Zertifizierungs-Vorgaben.

Man muss sich das möglichst konkret vorstellen – beim Qualitätsmanagement geht nicht um das Produkt, um die verwendeten Materialien, die Sinnhaftigkeit des Produktes, es geht schlicht darum, dass diese Produkte immer mit der gleichbleibenden ‚Prozedure‘ hergestellt werden. Das Produkt selber kann funktional Schrott oder Müll sein. Das zu beurteilen steht der Zertifizierung auch nicht zu.

Heute bestimmt das Qualitätsmanagement häufig die Abläufe im Detail statt sich auf Abweichungen oder Ausnahmesituationen zu konzentrieren, die dann konkret im jeweiligen Fall eine gesonderte Korrekturmaßnahme erfordern würde. Das QM geht per se davon aus, dass Qualität nur dann erreicht wird, wenn alles unter Kontrolle ist. Aber es sollte umgekehrt sein: Der Produktions-oder Leistungsprozess ist so strukturiert, dass in 90 oder 95% der Fälle das gewünschte Maß an Qualität hervorgebracht wird und nur wenn hier Abweichungen entstehen, greift die Kontrolle.

Es wird immer wieder betont, dass unsere Wirtschaft kreativ oder innovativ sein solle. Dem kann man wenig entgegen setzen. Aber es muss klar sein, dass Zertifizierung als ein Element der verstärkten Bürokratisierung aufgefasst werden muss und in kreativen oder innovativen Kreisen keinen Platz haben kann. Zertifizierung kann erst dann einsetzen, wenn der ehemals eventuell innovative Ausgangsprozess in eine Standardabwicklung überführt wird. Er wird bürokratisiert. Dann hat der Prozess aber jede Kreativität verloren.

Ich denke, das beschreibt in wesentlichen Zügen, was Zertifizierung in unserem System zu leisten im Stande ist. Aber eins muss dabei klar sein, mit dem abstrakten Begriff Qualität, der sich aus der Beziehung von Produkt und (nachhaltiger) Anwendungsmöglichkeit entwickelt, hat die Zertifizierung nichts gemeinsam. Zertifizierung ist ein schlecht gemachtes Feigenblatt, mit dem wir uns einbilden, wir könnten die Eigenschaft ‚Qualität produzieren‘ in das System zurückholen. Es ist die Quadratur des Kreises: Ein auf Quantität programmiertes Wirtschaftssystem ist nicht in der Lage, wirkliche Qualität zu verstehen. Das kapitalistische System hat dafür keine Kategorien. Das schließt ja nicht aus, dass in unserem Land und anderswo Qualität produziert wird. Nur hat das mit der Zertifizierung nichts zu tun. Die meisten Hersteller, die Qualität produzieren, haben sich inzwischen (Not gedrungen) zertifizieren lassen, weil es offensichtlich dazu gehört, aber zu dem, was vernünftige Menschen unter Qualität (eines Produktes) verstehen, trägt die Zertifizierung nichts bei.

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Der Müll und der neoliberale Glaube an den Anreiz

Die Natur reproduziert sich ständig, „Müll“ fällt dabei zwar an, wird aber durch vergleichbare Produktionskräfte dem Kreislaufprozess wieder zugeführt. Wäre die Natur hierzu nicht in der Lage, so wäre sie schon vor Jahrtausenden an ihrem Natur-„Müll“ erstickt, denn die Naturproduktion läuft ja schon seit Jahrmillionen.

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Stellen Sie sich nur vor, die abgeworfenen Blätter als das sichtbare Zeichen des Herbstes würden nicht verrotten. Alte Bäume, die fünfhundert oder gar tausend Jahre diesen Vegetationswechsel mitmachen, würden sich schwertun, ihre prächtigen Kronen aus dem Natur-„Müll“ herausschauen zu lassen.

Übertragen wir diese Betrachtung auf unser tägliches Müllproblem. Wir nutzen, wie die Natur, Ressourcen, um etwas zu produzieren. All diese Produkte werden nach unterschiedlichen Fristen zu Müll – das ist ein Grundgesetz unserer Produktions- und Lebensweise. Man kann auch sagen, Ökonomie ist eine Form der Gestaltung des Verwertungsprozesses von Ressourcen zu Müll. Alles was wir produzieren, endet in der einen oder anderen Form von Müll. Nur hat unser System der Produktion die gesamte Seite des Recyclings erst vor wenigen Jahrzehnten erkannt und begonnen zu verstehen. Das gegenwärtige System ist weder intelligent, noch zwangläufig: Recycling besteht gegenwärtig in erster Linie in einer Verbrennung der Reststoffe (Müll). Das ist die veröffentlichte Ansicht; aber die Tatsache, dass unser Müll um die Welt reist, weil man nicht mehr weiß, wie man dieser Flut Herr werden will, wird gerne verschwiegen.

Die Markt -„Narren“ haben es leider geschafft, aus dem Müll ein Geschäft zu machen. Das hat den großen Vorteil, dass die politischen Institutionen bei diesem Problem nicht mehr verantwortlich zeichnen müssen. Man hat Unternehmer gefunden, die sich diese Sache gegen gutes Geld annehmen und verwalten. Und das Geld stammt nicht aus dem Staatssäckel, es wird anonym auf dem „Markt“ generiert und die Bürger sind der Markt, weil ja einer den Vorgang bezahlen muss; nicht direkt, sondern darüber, dass die Unternehmen mit dem Verkauf der Ware den Obolus für den Müll gleich mitkassieren und z.B. an den „Grünen Punkt“ und ähnliche Einrichtungen abführen.

Das Nachteilige dieser Vorgehensweise ist, dass der Bürger glaubt, damit werde jetzt ordentlich Müll entsorgt und die „Rohstoffe“ rückgewonnen, aber das stimmt so nicht. Der erfasste Müll wird durch das System geschleust, indem etwa 15% tatsächlich recycelt und der Rest thermisch recycelt (verbrannt) wird und damit CO2 freisetzt. So wie das sich in der Theorie anhört, bleiben eigentlich keine Mengen übrig, die wir nach Afrika oder nach Südostasien verschiffen können. Trotzdem finden wir dort unseren Müll in Massen wieder.

Der Müll muss im jeweiligen Land des Konsums verbleiben, denn nur so ist es möglich, zu verdeutlichen, dass wir zumindest in Europa im Grunde im Müll „ersaufen“. Dadurch würde der Problemdruck im Inland höher (es gäbe kein Export-„Ventil“ mehr, um den Druck niedrig zu halten) und die Frage, was machen wir mit all dem Müll, würde sich auf der politischen Agenda regelmäßig aufdrängen.

Die gefeierte Schaffung eines Marktes war politisch vordergründig und relativ kurzsichtig, weil die Abfallmengen zwar große Geldbeträge bei den Unternehmen generieren (=Wachstum), aber der wachsende Müllberg stinkt täglich mehr zum Himmel! Kein Markt kann Müll absorbieren – wie denn auch? Wenn der Müll-‚Markt‘ das Problem bloß vor sich her schiebt oder umschichtet, wird doch jedem klar, dass versucht wurde, das Müll-Problem vom falschen Ende her zu lösen.

Der Begriff der Entsorgung von Müll war politisch eine unglückliche Wahl. Die Entsorgung als Begriff signalisiert dem Verbraucher, dass er mit dem Müll auch noch Rohstoffe generiert, sich gut fühlen darf und sich darüber keine Sorgen machen muss – es wird von ‚höherer Stelle‘ besorgt. Ein Begriff der Müllvermeidung hätte hierbei eine andere Botschaft: jeder wäre aufgerufen, Müll zu vermeiden. Wenn die Vermeidung auf der Tagesordnung steht und der Druck der Müllmassen fordert z.B. ein partielles Produktionsverbot, so ist das jedem Bürger vermittelbar, denn er hat ja hoffentlich die ‚Vermeidung‘ als einfachsten und primären Lösungsansatz verinnerlicht. Bei der Wahrnehmung von Entsorgung kommt ein Verbot einem Eingriff in die souveränen Rechte (in die vermeintliche Freiheit) des Bürgers gleich und der Aufschrei wird dementsprechend groß sein.

Der Begriff der Entsorgung ist ein Wort aus dem Vokabular der neoliberalen Haltung unserer Regierung. Es werden über das Wort „Rohstoffrückgewinnung“ Anreize geschaffen, um dem Problem angeblich Herr zu werden. Wenn Anreize geschaffen werden, ist die Politik stets fein raus – handeln muss immer ein Dritter. Wenn sich dann herausstellt, dass Anreize zwar einen Markt und damit eine milliardenschwere Industrie schaffen kann, aber der Markt überhaupt nicht in der Lage ist, das Problem schlussendlich zu lösen, sondern nur gewinnbringend als ‚Perpetuum mobile‘ zu verwalten, poppt die Anfangsfrage wieder auf: Wie lösen wir eigentlich das Müllproblem? Wobei jetzt nicht nur das Müllproblem zu lösen ist, sondern auch die damit verquickte künstlich geschaffene, inzwischen milliardenschwere Müllindustrie. Wir können nicht nur davon ausgehen, nur das grundsätzliche Müllproblem lösen zu wollen, wir müssen das Problem einer ganzen Industrie lösen, das die Marktfetischisten ins Leben gerufen haben, ohne zu überreißen, dass das Vorgehen überhaupt keine Lösung darstellt.

Man hat sich in den eigenen Strategien verheddert: Um einer Lösung näher zu kommen, müssen möglicherweise harte Entscheidungen her (z.B. Verbote, klare Einschränkungen). Diese lösen dann bei Investoren sofort Ansprüche aus Vertrauensschaden gegen die Bundesrepublik Deutschland aus. Die Juristen unter uns werden mit dem spitzen Finger sofort auf die Verjährungsfrage hinweisen. Aber das ist naiv. Juristisch ist da wenig auszurichten, aber man kann für ein „kleines politisches Gegengeschäft“ wunderbar politischen Druck aufbauen. Denn zahlen, das dürfen wir dann als Bürger dieses Landes.

In neoliberal konservativen Kreisen argumentiert man in der Wirtschaftspolitik ideologisch und Mantra artig mit dem Setzen von Anreizen. Man ist der Meinung, dass Anreize weniger Initiative unterbinden wie eine klare politische Entscheidung. Mein Eindruck ist, dass man sich eher ängstlich um eine Entscheidung drückt. Ein klares Verbot, das auf einer fehlerhaften Einschätzung fußt, kann dem Entscheider natürlich auf die Füße fallen. Das ist richtig, das ist das Schicksal eines jedes Menschen, der eine Entscheidung zu vertreten hat. Und irren ist menschlich.

Aber was ist mit fehlerhaften Anreizen? Sie schaffen ein Milieu der politischen Verantwortungslosigkeit: keiner will es gewesen sein und diejenigen, die auf die Anreize reagiert haben und nun ggfs. das Nachsehen haben, sind dann aus der Sicht der Politik ‚selbst‘ schuld; sie hätten ja auf den Anreiz nicht reagieren müssen! Die Politik ist dabei fein raus, und der Dumme ist immer der Andere, der sich traute, eine Entscheidung umzusetzen. Es sei denn, der „Dumme“ ist ein wirtschaftlich „Großer“. Er wird über die Lobby und andere Kontakte das berühmte „kleine Gegengeschäft“ fordern und die Politik ist in vielen Fällen hier eingeknickt. Das sind die natürlichen Kosten des politischen Geschäfts, wenn man sich als Hoheitsträger (also als Entscheidungsträger), der sich eigentlich strikt auf den Wirtschaftsrahmen beschränken soll, auf „Anreiz-Deals“ mit der Wirtschaft einlässt. Donald Trump lässt grüßen!

Ein Verbot kostet insoweit Geld als das Verbot überwacht und ggfs. sanktioniert werden muss. Aber Anreize, wenn sie politische Wirkung erzielen sollen, kosten auch richtig Geld: gewöhnlich wird das gewünschte Verhalten im Rahmen des Anreizes finanziell großzügig ausgestattet und spricht in klassischer Weise die Gier (um etwas zu bekommen) oder die Angst (etwas zu verlieren) an. Es ist aber nicht sicher, dass dieser Anreiz keine unerwünschten Nebenwirkungen auslöst, vergleichbar mit denen eines Verbotes. Alle diese Argumente machen nur deutlich, dass es der Politik in der Frage einer Anreizpolitik an gestalterischem Willen fehlt. Es fehlt Rückgrat und Überzeugungskraft, um in entscheidenden wirtschaftspolitischen Fragen Kante und damit Gestaltungswillen zu zeigen.

Wer Müll reduzieren will, weil es einfach für den Bürger und die Natur nicht mehr zuträglich ist, muss das Grundgeschäft der Müllindustrie angreifen, die Jahrzehnte zuvor mit starken politischen Anreizen aufgebaut wurde. Müll ist bei der kapitalistischen Einstellung des „Schneller, Höher, Weiter“ (als Wachstumsmantra) vorprogrammiert. Müll ist die Residualgröße der menschlichen Produktionsweise in einer grundsätzlich begrenzten Welt: Mehr Wachstum – mehr Müll. Die Umkehrung lautet dann: Weniger Müll ist nur möglich, wenn wir von der Wachstumsideologie Abstand nehmen.

Es gibt mit Sicherheit Vertreter einer neoliberalen Politik, die mit Empörung auf das oben ausgeführte reagieren werden. Sie zählen zu jenen Politikern, die immer noch beten und auf das Wunder warten, dass Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu trennen sei – „es fehle nur an der richtigen Technologie“(!?). Müll lässt sich technologisch in gewissen Grenzen reduzieren, aber wie müsste der Anreiz hierfür aussehen? Und wenn möglich, welche hohen finanziellen Ressourcen müssten dabei eingesetzt werden, wenn dabei Angst und Gier herrschen soll? Wir müssen anfangen zu begreifen, dass wir mit Geld nicht alles kaufen können.

Haben Sie schon einmal einen seriösen Unternehmer gesehen, der in ein öffentliches Verbot investiert hat? Wenn das Verbot steht und in seinen unmittelbaren Wirkungen für jedermann nachvollziehbar ist, wird das nicht geschehen. Also sind die Folgekosten eines Verbotes deutlich kleiner als die einer Anreiz- Politik, bei der es immer Unternehmer geben wird, die sich auf den Vertrauensschaden der Politik berufen können. Und eins muss dem Politiker klar sein: ein Unternehmer verfügt immer über eine Dokumentation, die nicht der üblichen kurzfristigen Vergesslichkeit eines Wählers entspricht. Er ist auch nach mehr als zehn Jahren in der Lage, minutiös nachzuweisen, was alles schief gelaufen ist.

Franz Alt hat in einer Fernsehdiskussion zu dem Thema Anreize, Steuern oder Abgaben ganz trocken sinngemäß festgestellt: „Wie wurde die Sklaverei aufgehoben, wie wurden das Rauchen in öffentlichen Räumen eingeschränkt, wie haben wir Kinderarbeit aufgehoben – doch nicht durch Anreize oder Steuern, sondern schlicht mit durchgesetzten Verboten!!“ Das Verbot ist kein Allheilmittel für jede politische Tagesfragestellung, aber es gibt in unserer Gegenwart wichtige, ja existentielle Fragestellungen, die können nicht länger durch eine halbseidene Anreiztheorie, über einen Kuschelkurs und peinliche Anbiederung (z.B. Freiwilligkeit) gelöst werden. Die Zeit läuft uns einfach davon!

Das Müllproblem lässt sich nicht per Dekret lösen, aber wir müssen einen Anfang finden: z.B. Verbrauchsplastik und Verpackungsplastik erst hoch besteuern und dann nach einer Anpassungsphase für Industrie und Verbraucher verbieten. Meine Müllgebühren würden sich vermutlich halbieren.

Es ist klar, dass eine solche Maßnahme die Gemütlichkeit des politischen Lebens aufzuheben droht, aber haben wir eine andere Chance? Nicht nur der Verbraucher steht vor neuen Herausforderungen, eine ganze Industrie muss sich von Verbrauchsplastik (= produziertem Müll!!) auf Gebrauchsplastik umstellen. Das wird Verluste geben, ohne Frage – aber auch neue Gewinner! Wenn wir systematisch alle Plastikproduktionen in Deutschland darauf überprüfen, ob das Produkt regelmäßig nur zum kurzfristigen Verbrauch dient, um dann unmittelbar zu Müll zu werden, so ist dies mit Sicherheit ein Produkt, auf das wir in Zukunft verzichten sollten, indem wir die Produktion und den Import solcher Güter grundsätzlich (d.h. mit wenigen gezielten Ausnahmen) verbieten. Das wäre ein Anfang, um den Müll in den Griff zu bekommen. Ergänzend können wir Regeln von Singapur übernehmen: Das Wegwerfen im öffentlichen Raum gilt als unerwünscht und das Verhalten (nicht der weggeworfene Gegenstand) wird mit erheblichen Geldstrafen bedroht. Sicher keine tolle Lösung, aber in Singapur ist diese Vorgehensweise ganz offensichtlich sehr effektiv.

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Künstliche Intelligenz (KI) – ein ferner Wunschtraum?

Im Rahmen eines außergewöhnlich guten Vortrags hatte ich Gelegenheit, der Frage nach der KI ein wenig nachzuspüren. Da mir viele Grundlagen fehlen, ist es mehr oder weniger eine Wertung aufgrund dessen, was ich verstanden habe. Der Vortrag stellte im ersten Schritt in einem breiten Fächer den Stand der Technik vor. Die Zuhörer waren sich darin einig: Das hat mit dem, was die Zuhörer unter künstlicher Intelligenz verstehen würden, aber so gar nichts zu tun. Da ist die Entwicklung noch Meilen von einer KI entfernt.

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Dann wurden wir mit einer Parabel vertraut gemacht. Auf dieser Parabel waren dann alle verschiedenen Stadien der unterschiedlichsten Ansätze zur KI aufgereiht. Ich kenne diese Parabel unter der Bezeichnung „Mount Stupid“ aus der Beschreibung des Anlegerverhaltens an der Börse. Damit werden Hypes für Aktienpreise umschrieben, die solange steigen, bis der ‚Mount Stupid‘ erreicht ist (also der Umkehrpunkt, an dem die Mehrzahl der Anleger gemerkt hat, dass das ein Flop ist). Danach fallen die Preise ins Bodenlose, um sich dann auf der Höhe des Beginns der Parabelaufzeichnung i.d.R. wieder zu fangen, um dann (vielleicht) als unaufgeregter Börsenwert doch noch seinen Weg zu machen.

Der Vortragende hat mit der Präsentation dieser Parabel wohl bewusst zum Ausdruck bringen wollen, dass KI sowohl im Rahmen der Wissenschaft als auch im Rahmen der die Wissenschaften finanzierenden Investoren als ein Hype zu betrachten ist. Alle reden, aber die wenigsten verstehen etwas davon und es wird noch viel Geld dabei verbrannt werden.

Aus meiner persönlichen Sicht greife ich auf ein Modell von vor 200 Jahren zurück. Schopenhauer hat es verwendet, um die Hirnfunktionen zu verdeutlichen. Dabei liefern die Sinne den Input und der Verstand sortiert und speichert diesen Input nach Raum, Zeit und Kausalität. Der Verstand ist nur die große Sammelstelle. Wertungen und Verknüpfungen (also Ansätze zur Intelligenz) erfolgen im Rahmen der Vernunft. Übertragen auf unsere Zeit bedeutet das, das die Bestrebungen der heutigen Digitalisierung in etwa der Sammelwut des Verstandes nahekommt und künstliche Intelligenz erst dann auftreten würde, wenn ein Äquivalent zur Vernunft (die sinnvoll werten und verknüpfen kann) gefunden wird.

Was gegenwärtig konkret passiert, hat mit KI eigentlich nichts zu tun. Die Datenkraken suchen nach immer besseren und schnelleren Auswertungen der Daten, die sie möglicherweise ungerechtfertigt nutzen, um durch Informationen über andere Menschen Verwertbares schaffen und verkaufen zu können. Dass dabei immer raffiniertere und aggressivere Methoden Verwendung finden, ist bedauerlich, hat aber mit KI unmittelbar nichts zu tun. Die Vorgehensweise schreit jedoch nach einer Regulierung.

Bei der Diskussion wurde dann auch verdeutlicht, dass der Begriff der Intelligenz (im Deutschen) und der der Intelligence (im Angelsächsischen) unterschiedlich interpretiert werden. Wir verstehen in Deutschland darunter eine individuelle Kapazität (die wir im Hirn lokalisieren) ohne eine Verwendung zu implizieren. Die Angelsachsen sehen das ein wenig anders. Sie erfassen damit auch Aktivitäten, allgemein insbesondere Untersuchungen, die verdeckt erfolgen im Sinne von Spionage. Aufgrund dieses ‚kleinen‘ Missverständnisses wird vielleicht das Handeln der Datenkraken – als eine Form der ‚Intelligence‘ aufgefasst – etwas verständlicher.

Aus meiner Sicht fußt aller Anfang von KI auf der Grundlage von Algorithmen, also verknüpften Schritten, die zu jederzeit wiederholbare Lösungen eines bestimmten Problems bereitstellen sollen. Ändert sich die Problemstellung, so verliert der vormals fixierte Algorithmus seine Fähigkeit, eine problemadäquate Lösung hervorzubringen. Der Algorithmus macht  – dumm wie er ist – zwar seine Schrittfolgen, aber seine Lösungen passen in keinem Fall mehr auf die veränderte Problemstellung. KI könnte nun dort beginnen, wo ein intelligenterer oder ein hierarchisch übergeordneter Algorithmus feststellen könnte: Stop! Die Voraussetzungen für eine valide Lösung sind nicht mehr gegeben. Die nächst höhere Stufe im Rahmen von KI wäre dann die Fähigkeit, erstens zu erkennen, worin der Mangel liegt und zweitens die Fähigkeit, gegebenenfalls den Algorithmus an die neue Problemlage anzupassen. Man merkt, dass wird schnell sehr komplex. Dort sind wir noch nicht und dorthin werden wir so schnell auch nicht kommen. Abgesehen davon, wäre die Frage nach einer Kontrolle einer solchen Art von Intelligenz außerhalb des Menschen sofort virulent. Hier müssen wir wirkungsvolle Regulierungen finden, die aber den Ansatz der KI nicht gleich im Kern ersticken.

Was wir heute beobachten können, ist die Perfektionierung im Sinne von „Intelligence“ (siehe NSA in den USA oder chinesische Überwachungsstrategien über Huawei). Hier gehen glücklicherweise zumindest bei uns in Europa die roten Ampeln an. Die neue Datengrundverordnung, die sich Europa gegeben hat, setzt diesen Bestrebungen – auch international – erste Grenzen. Was bei dem Vortrag für mich deutlich wurde: Wir müssen hier sehr darauf achten, dass wir rechtzeitige und grundsätzliche Grenzen der weiteren Entwicklung setzen. Nicht alles, was möglich ist, darf umgesetzt werden, nur weil es für gewisse Kreise Einkommen und insbesondere Macht bedeutet. Die Datengrundverordnung der EU hat hier einen ersten Meilenstein gesetzt. Durch die Einigung auf diesen Standard ist es der EU gelungen, die USA als Vertreter des ‚Intelligence‘ – Gedankens (des Überwachungsgedankens) auf den zweiten Platz zu verweisen. Die uneingeschränkte Nutzung von Daten mit dem flauschigen Versprechen einer künftigen Wunderwelt des KI hat damit einen deutlichen Rückschlag erlitten.

Lassen Sie mich nochmals auf den „Mount Stupid“ als Beschreibung von Hypes zurückkommen. KI ist ja nicht der erste Hype, den wir erleben. Mein erster Hype, den ich erlebt habe, war die Kernkraft. Sie wurde uns politisch mit Engelszungen vermittelt, versprach uns ein ‚güldenes‘ Zeitalter und hat uns als Gesellschaft enormes Geld gekostet und es hat dieser Industrie gewaltige Gewinne beschert. An den finanziellen Folgekosten sowie an den nach wie vor offenen Sicherheitsfragen knabbern wir noch heute. Ein Endlager ist nicht in Sicht. Die Politik hofft wohl darauf, dass das hohe Strahlenpotenzial des Kernkraftschrotts hoffentlich der Vergesslichkeit des Wählers anheimfällt.

Dann kam u.a. der Hype mit der Gentechnik auf dem Feld der Landwirtschaft. Sie sollte den Hunger auf der Welt ausrotten, so das hehre Versprechen der Agrochemie. Stattdessen sind Millionen Kleinbauern weltweit ins Elend gefallen und die Böden sind durch riesige Monokulturen, die man nur mit Gift und Kunstdünger aufrechterhalten kann, einer nachhaltigen Bewirtschaftung entzogen. Ein Vergleich der Erträge pro Hektor über dreißig Jahre zwischen USA (genmanipuliert) und Europa (nicht genmanipuliert) zeigen keine signifikanten Ertragsunterschiede. Der versprochene Vorteil der Genmanipulation hat sich nur in den Kassen bei Firmen wie Monsanto und Co. realisiert. Die Landwirtschaft ist nicht besser geworden, aber die Mehrzahl der notwendigen Zutaten für eine ‚moderne‘ Art von Landwirtschaft steht heute unter Patentschutz und ist damit signifikant teurer als früher. Man nennt so etwas einen Markt schaffen, wo keiner ist. Mal sehen, wie lange die jüngere Generation der Zerstörung ihrer Zukunft tatenlos zusieht.

Die Einführung des Personalcomputers war dann ein eher leiser, aber umso radikalerer Hype. Hier wurden keine wilden Versprechungen gemacht, wenngleich ich mich an damals faszinierende Bücher erinnere, wie „Die Arbeitswelt von morgen“ (Peter Lindemann). Dazu gab es zahllose vergleichbare Veröffentlichungen. Die Zukunft wurde wiederum in den rosigsten Farben geschildert. Wir haben dann als Folge 5 Mio. Arbeitnehmer in das Prekariat geschickt (heute soll die Zahl von 12 Mio. erreicht sein) und die Politik war stolz auf ihren bewussten Sozialab- oder -umbau. Wenn nun all diese prekär Beschäftigten ins Rentenalter kommen (und das beginnt jetzt 20 bis 30 Jahre danach), schaffen wir eine Altersarmut, die menschenunwürdig ist. Sie wird vermutlich so groß werden, dass sich sogar Wirtschaftsvertreter inzwischen überlegen, ob man nicht den absehbar erkennbaren Ausfall an Umsatz (im politischen Sinne =Wachstum) durch ein bedingungsloses Grundeinkommen auffangen kann.

Und jetzt KI als jüngster Hype – mal sehen, wie das regulatorisch ausgeht und was es uns als Gesellschaft am Ende aller Tage kostet! Dabei sind nicht die monetären Kosten das Problem (es ist ja bloß Geld, das Banken durch einen einfachen Buchungssatz ständig generieren), sondern die Frage, wohin sich die Gesellschaft verändern wird, wer gewinnt und insbesondere wer dabei verliert. Mancher wird fragen, wo bleibt der übliche Optimismus, aber irgendwann sollte sich durch die reale Entwicklung doch ein kleiner Lernfortschritt vollzielen – oder nicht?

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Mobilität aus einer anderen Perspektive

Die Regierung ist schon viele Jahre einseitig  mit der Automobilindustrie liiert und sieht sich jetzt gezwungen endlich mal zu „kreisen“ (im Sinne von gebären) – nicht immer nur Symbolik predigen, sondern etwas Handfestem und Zukunftsweisenden ins Leben zu helfen. In diesem Zusammenhang ist der SZ-Beitrag von Alex Rühle (22./23.6.2019) interessant, weil er unseren Blick perspektivisch weitet und unsere Aufmerksamkeit von der eigenen Nabelschau auch auf Teile der EU richtet, die das Problem der Mobilität völlig anders zu lösen versuchen.

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Es fällt vermehrt auf, dass in Beiträgen im Netz und in den Gazetten plötzlich Argumente auftauchen, bei denen man sich fragt, warum kommen sie erst jetzt. Hat sich an der Sachlage irgendetwas geändert? Nein, aber unser Blick auf die Sachlage ist dabei, Dinge wahrzunehmen, die bisher sakrosankt waren. Das Automobil galt als unser „heiligs Blechle“ und mit der Betrügerei durch die Autoindustrie scheint dieser schöne Schein plötzlich durchbrochen zu sein. Es wagen sich Gedanken an die Oberfläche, die noch von einem halben Jahr in den Redaktionen als inopportun zurückgewiesen wurden. Die heilige Kuh ‚Automobilindustrie‘ galt als nicht angreifbar. Diesen Schutz der öffentlichen Meinung hat sie wohl endgültig verloren (verscherzt).

Nun ist es nicht so, dass nicht schon in der Vergangenheit kritische Stimmen existierten – aber sie wurden nicht überhört, sie wurden einfach ignoriert. In diesem Sinne hat Alex Rühle eine Reihe von Argumenten zusammengetragen, die deutlich machen, wie sehr die öffentliche oder die veröffentlichte Meinung das Automobil als ein Träger der Mobilität bevorzugt hat.

Plötzlich gibt es so etwas wie eine „Gerechtigkeitsfrage“ hinsichtlich des Flächenverbrauchs des automobilen Verkehrs in den Städten im Vergleich zu anderen Formen der Mobilität. Es wird zu Recht die Frage nach den Prioritäten gestellt, wenn die Stadtfläche nicht erweiterbar ist, aber große Zuwanderung herrscht: wer muss sich einschränken? Wo sollen die Flächen herkommen, wenn man begriffen hat, dass Grünflächen wichtiger sind als zusätzliche Straßen? In Berlin stehen lt. einer Studie den Autos 58% des öffentlichen Raums zur Verfügung, den Fahrradfahrern nur 3% (vgl. A. Rühle). Die Automobile werden immer größer und schwerer. Sie beanspruchen demnach auch immer mehr Platz. Dabei stehen die meisten Autos 23 Stunden am Tag Stoßstange an Stoßstange. Absolut ineffizient!!

Ein Bewohnerparkausweis kostet in Berlin (einer Flächenstadt) 20,40 Euro für zwei Jahre. Ein Automobil benötigt im Schnitt 12 qm Fläche (egal ob fahrend oder stehend, oder stauend) (vgl. A. Rühle). Sie können sich selber ausrechnen, was aufgrund der Angaben der vom Automobil in Anspruch genommene öffentliche Raum den Autofahrer in Berlin kostet (20,40/365 x 2) – keine 3 Eurocent pro Tag.

Falsch parken kostet in München zwischen 10 – 20 Euro. Gemessen an vielen anderen verkehrsgebundenen Ausgaben eine Lappalie (wenn man denn erwischt wird – und darauf spekulieren viele). In der Schweiz kostet die gleiche Ordnungswidrigkeit schon 100 Euro (da endet vermutlich jede Spekulation) und in den Niederlanden kostet der Spaß bis zu 140 Euro.

Das soziale Schein-Argument „Parken müsse sich jeder leisten können“ (das klingt so nach dem Sozialverständnis der CSU) ist ein schlechter Witz. Nach den Ausführungen von Alex Rühle verlangt die Stadt München (mit wenigen Ausnahmen) seit 2004 die gleichen Parkgebühren pro Stunde. Im gleichen Zeitraum sind die Tickets des ÖPNV zwischen 40 und 60% gestiegen und die Ordnungswidrigkeit des Schwarzfahrens (vergleichbar dem „Schwarz“-Parkens der Automobile) kostet inzwischen 60 Euro pro Fall. Der zum Ausdruck gebrachte ‚soziale‘ Gesichtspunkt spricht für sich.

Die Stadt Wien hat einen anderen Weg eingeschlagen. Während wir Bewohnerparkausweise ausstellen und damit die Erlaubnis erteilen, in einem Innenstadtbereich ohne Ordnungswidrigkeit parken zu dürfen, schließt der Bewohnerparkausweis die anderen potenziellen Parkraumsuchenden aus: ohne Ausweis darf in der Innenstadt gar nicht geparkt werden – man darf nur durchfahren. Die Folgen sind einfach: viele verzichten auf ein Auto, die Straßen werden leerer und befahrbar. Und viele Anwohner steigen um auf den ÖPNV, dessen Gebühren in Wien in den vergangenen Jahren drastisch gesunken sind. Der Bewohnerparkausweis ist auch nicht billig (komplett 170 Euro pro Jahr). Die dadurch generierten Mehreinnahmen fließen in den Ausbau des Nahverkehrs, des Radwegenetzes und in den Bau von Parkhäusern.

Kopenhagen und Stockholm gehen einen anderen Weg. Hier wird nicht nur die Haltung verteuert, sondern generell die Anschaffung eines Pkw in den Metropolen. Wer in Dänemark ein Auto kauft, muss eine Zulassungssteuer von 85% des Anschaffungswertes bezahlen, vorausgesetzt, der Anschaffungspreis bleibt unter 25.000 Euro. Teurere Automobile kosten dann 150 %. Wer dann in der Innenstadt von Kopenhagen wohnt, zahlt für seinen Parkplatz jährlich 535 Euro. Ein ähnliches Konzept hat Stockholm, dort kostet der Innenstadt-Parkausweis pro Jahr 827 Euro. Kopenhagen ist dichter besiedelt als München – die Straßen und Plätze wirken trotzdem viel luftiger, ruhiger als in München (so Alex Rühle).

Wie man aus den Ausführungen (die auf Alex Rühle zurückgehen) erkennen kann, hat man anderswo schon lange gehandelt. Und die Lösungen sind nicht die schlechtesten. Vielleicht haben diese Standorte den großen Vorteil, dass die Regierungen von Dänemark, Schweden und Österreich von der Automobilindustrie nicht erpressbar sind. Und Wien, Kopenhagen und Stockholm sind vielleicht auch deshalb überaus beliebte Städte (geblieben), von denen die Besucher schwärmen, weil sie einschränkende Maßnahmen ergriffen haben, um die lokale Automobilität konsequent zurückzudrängen bzw. anderen Formen der Mobilität Raum zur Entwicklung zu geben.

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Die Entscheidung des EUGH

Der Verkehrsminister Scheuer bedauert die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) mit Krokodilstränen. Damit findet offensichtlich eine unter falscher Flagge aufgezogene Kampanie der CSU ihr unrühmliches Ende. Ich darf erinnern: der erste Name, unter dem ich von dieser Maut erfuhr, lautete „Ausländer-Maut“. Das war ca. 2010 oder 2011, als die CSU die ersten Versuche unternahm, um Unterstützer für ihr künftiges und unverzichtbares „Alleinstellungsmerkmal“ zu erlangen.

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Während die EU versuchte, Einigkeit zu zeigen, wurde in Bayern die Ausländermaut aus der Taufe gehoben. Mit Ausländern waren dabei genau jene EU-Mitglieder gemeint, die aufgrund der geographischen Lage Deutschlands regelmäßig über unsere Autobahnen reisten. Mit dem Begriff Ausländer wurde auch gezielt CSU-Stammtischpolitik betrieben. Den zahlreichen Rechtsaußen-Mitgliedern der CSU musste Gesprächsstoff geliefert werden und ihre fremdenfeindliche Haltung gefüttert werden. Je unsinniger, desto besser.

Aber jedem, der bis drei zählen konnte, war klar, dass die durch die ‚Ausländer-Maut‘ zum Ausdruck gebrachte Diskriminierung vor keinem Gericht der Welt Bestand haben würde. Eine Maut, so der Vorschlag, sollten ja bloß die ausländischen Nutzer unseres Straßensystems zahlen; die Inländer – so die erste Version – sollten unverändert mautfrei das Straßennetz nutzen dürfen. Deshalb hat man in einer neuen Version (Version zwei) gemeint, die Maut müsse dann von allen Nutzern bezahlt werden. Man hat also den Einstieg über die „Ausländer“ gewählt, um vorhersehbar, dann aber unter dem ablenkenden Hinweis auf die „bösen“ Gerichte, die Maut für alle Nutzer ins Leben gerufen.

Diese Entwicklung haben viele Bürger vorhergesehen und waren nicht damit einverstanden. Um deren Einwände zu beruhigen, hat man eine weitere Version (Version drei) ins Leben gerufen: Es sollte die Kfz-Steuer ganz oder teilweise auf die Maut, die ähnlich konzipiert sein sollte wie die „Pickerl“ in Österreich, anrechenbar sein. Der EU – Verwaltung war diese Maßnahme im Grund gleichgültig, weil es sich als eine nationale Maßnahme handelte und die EU damit über keine rechtliche Handhabe verfügte, weil dadurch in der EU kein Schaden entstanden ist.

Deshalb sprangen die Länder Österreich und Niederlande in die Bresche und übernahmen die Aufgabe, diese Benachteiligung ihrer Bevölkerung vom EUGH beurteilen zu lassen. Und jeder, der dieser Entwicklung folgt, wird zugeben, dass die Diskriminierung zu Recht festgestellt wurde. Das Urteil war nur deshalb überraschend, weil alle Welt glaubte, dass der EUGH in gleicher Weise wie die sie umschwirrenden CSU-Lobby-Satelliten beeinflussbar sei. Wenn man ehrlich ist, muss man feststellen, dass die Richter gar kein anderes Urteil hätten sprechen können, ohne der Funktion des EUGHs Schaden zu zufügen. Alle Satelliten waren durch intensive Massagearbeit der CSU-Lobby öffentlich zu der Erkenntnis gelangt, dass das Verrechnen der Leistungen keine Diskriminierung darstelle. Aber man hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht! Der EUGH durfte auf gar keinen Fall in das gleiche Horn pusten, wie die Satelliten – das hätte seiner Unabhängigkeit schwer geschadet.

Das ganze Theater soll den Steuerzahler (und nicht nur die Bayern) zwischen 40 Mio. und 140 Mio. Euro gekostet haben. Ich kann die Wut der jungen Generation so gut verstehen! Die CSU braucht Profil und das Profil bezahlen die Steuerzahler zusätzlich zur Parteienfinanzierung.

Dabei ist die Frage, warum die CSU sich für eine solche Maut stark gemacht hat, nicht beantwortet. Welcher Teufel reitet eine Partei wie die CSU, ohne Not über fast zehn Jahre eine solche (rechtlich im Grunde unhaltbare) Position zu beziehen? Ist es nur die Erschließung neuer Finanzierungsquellen? Das wäre staatsmännisch gedacht, aber bringt doch keinen Nutzen für die Partei. Die geplanten Maut-Pauschalen (analog zum „Pickerl“) hatten weder eine soziale noch eine ökologische Komponente, also keine Differenzierung nach der Größe der Fahrzeuge, nach der Fahrleistung, nach dem Co2-Ausstoß. Das Projekt war einfach nur als politische Wegelagerei gedacht mit dem Ziel, Manövriermasse in die Staatskassen zu spülen, mit der stillschweigenden Bindung der Mittel zur Förderung des Individualverkehrs. Der Öffentliche Personen- und Güter-Verkehr wäre mit einiger Sicherheit nicht einbezogen gewesen.

Die Unerklärbarkeit des Maut-Projektes der CSU hat mich veranlasst, am 23.3.2019 in diesem Blog den Zusammenhang in einer Strategie zu sehen, die offensichtlich zeitgleich in der Regierung umgesetzt wurde: Die Regierung hat die Autobahnen in eine Aktiengesellschaft eingebracht. Die Aktiengesellschaft gehört dem Bund und kann lt. Zusicherung der Bundesregierung auch „in alle Ewigkeit“ nicht in private Hände fallen. Dieses Vermögen (die aus Steuergeldern geschaffenen Autobahnen) liegt wirtschaftlich gesehen brach. Und nun kommt die CSU ins Spiel: Mit der Durchsetzung dieser pauschalen Maut wäre es der CSU gelungen, der Autobahnaktiengesellschaften ein einträgliches Geschäftsmodell zu realisieren. Das Vermögen in Form von Autobahnen erhielte plötzlich eine Renditemöglichkeit und damit wird diese Aktiengesellschaft für private Investoren interessant. Verkaufen geht nicht, aber pachten ist nicht ausgeschlossen. Damit wäre das Modell immer noch funktionstüchtig. Der Staat würde verdienen(Pacht), der Pächter würde verdienen (Maut) – nur der Bürger wäre dabei (wiedermal) gekniffen. Das ist jetzt vorerst vom Tisch!

In jüngster Zeit hat sich der politische Wind gedreht. Wir müssen unsere Emissionen reduzieren. Diese Einsicht greift langsam Raum, weil den Verhinderern einer nachhaltigen Wirtschaft das Stimmvolk wegläuft. Mindestens dreißig Jahre lang galt es, jede Einmischung in die Wirtschaft aus ideologischen Gründen zu vermeiden. Wenn man den Demonstrationen Glauben schenken will, ist dieses goldene Kalb inzwischen geschlachtet. Die immer wieder propagierte freiwillige Verpflichtung der Wirtschaft hat sich wegen Nutzlosigkeit einfach totgelaufen; es ist schlicht nichts passiert, was einer Verpflichtung gleich käme. Es sind steuernde Eingriffe in der Diskussion und dabei wäre eine Maut wieder denkbar, aber mit klaren Erwartungen an den Eingriff hinsichtlich ihrer sozialen und ökologischen Implikationen. Der Primat des Wachstums und der Gewinnmaximierung scheinen gebrochen. Es ist noch zu früh, hier Prognosen abzugeben, aber die Stoßrichtung der Demonstrationen ist eindeutig. Und sie ist eindeutig nicht von Wachstum und Gewinn geprägt.

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Schnell reich werden? – ein schwachsinniger Traum

Kennen Sie das auch? – es werden unter Bezug auf Personen des öffentlichen Interesses überproportionale Gewinne versprochen. Diese „Tour“ kann man in regelmäßigen Abständen finden. Sie sind journalistisch aufbereitet und zeigen Prominente, denen die Sache in den Mund gelegt wird, oder zeigen einen ‚armen Teufel‘, der dann durch den Einsatz einer kleinen Menge Geldes tolle Gewinne erzielen konnte. Sie müssen sich nur ganz schnell registrieren lassen, dann kommt auch das Glück zu Ihnen! Bei einer solchen oder ähnlichen Aussage sollten sich ihre Nackenhaare sträuben, es sollte sich ihr Magen verkrampfen, aber tun Sie nicht, was vorgeschlagen wird. Alles Mumpitz. Es ist ein direkter Angriff auf Ihr Bestes, auf Ihr Geld!

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Wenn es stimmen würde, was hier versprochen wird, müsste die Welt voller finanzieller Glückspilze sein –und so wie diese Klientel gewöhnlich gestrickt ist, würden die sozialen Medien von den Meldungen einfach überlaufen. Aber nichts dergleichen ist festzustellen. Also ist das ganze Getue Unfug oder – mit einem Ausdruck auf der Höhe der Zeit: „Bullshit!!!!“

Ich habe mich von dritter Seite bitten lassen, auf so ein „tolles Angebot“ einzugehen und habe mich registrieren lassen. Nach allem, was ich verstanden habe, erfolgt die Registrierung auf einer Plattform, die den interessierten Brokern zur Verfügung gestellt wird oder sogar von ihnen installiert wurde. Mit der Registrierung geben Sie Ihren Willen kund, dass Sie an dem Produkt grundsätzlich interessiert sind. Es erspart den Brokern die ‚Kaltaquise‘ und entlastet sie von dem Vorwurf, ggfs. Telefonterror zu betreiben.

Kurz darauf meldet sich ein Anrufer, stellt sich vor als Vertreter eines Brokerhauses. Er spricht als offensichtlicher Ausländer ein relativ verständliches Deutsch und versucht durch allgemeines Gerede, Sie dazu zu bringen, dass Sie ein Konto mit einer Mindesteinlage von 250 – 500 Euro eröffnen. Zu diesem Zeitpunkt wissen Sie mit keinem Wort, was das Ziel oder das Geschäftsmodell ist. Es werden Ihnen aber große Flausen versprochen: jederzeitige Rückgewähr der Mindesteinlage, auf dem Konto erfolgt die Gewinnakkumulation (Verluste scheint es nicht zu geben), die Gewinne sind jederzeit abrufbar und konkret auszahlbar. Er nimmt nebenbei ihre postalischen Personalien auf.

Wenn Sie sich von dem Gerede haben breitschlagen lassen, schickt die Kontaktperson ein Email, indem dann die Brokerfirma aufscheint. Im meinem Fall sitzt sie in der Schweiz. Der Kontaktmann hat einen ‚treudeutschen‘ Namen, der in keiner Weise zu seiner Ausdrucksweise passt. Die Telefonnummer, die ich im Display erkannt habe, war eine Nummer aus der Schweiz (0041). Die persönliche Mobilnummer meines Anrufers verweist mich in das United Kingdom (England) (0044).

Wie bei einer Bank zur Kontoeröffnung üblich, werden die restlichen persönlichen Daten erhoben (durch Kopien des Personalausweises). Wenn es dann zu dem Punkt der Mindesteinlage kommt, wurde nach meiner Kreditkarte gefragt: Nummer der Karte, die drei Zahlen auf der Rückseite und dann kommt der Hammer – er frug unverblümt nach der Pin-Nummer, die jetzt auch für Kreditkarten herausgegeben werden. Hätte ich sie ihm übergeben, wäre nicht nur die Mindesteinlage bei dem Broker gelandet, sondern solange die Kreditkarte nicht sofort gesperrt würde, könnte er gemütlich im Internet auf eine Einkaufstour zu meinen Lasten gehen. Ich habe sie nicht verweigern müssen, ich nutze dieses Medium nicht und hatte auch nie einen PIN bei der Bank beantragt.

Da Sie jetzt über den Namen des Brokers verfügen (in meinem Fall: ProCapitalMarkets Ltd.), sollten Sie sofort in die Internetrecherche gehen, um sich ein erstes Bild von dem Unternehmen machen. In meinem Fall von ProCapitalMarkets wurde auf den internationalen Seiten schnell klar: Warnung! Das Unternehmen hat seinen Sitz irgendwo auf den Bahamas. Das Unternehmen hat als Brokerfirma weder für die USA, weder für Australien und auch nicht für die EU eine Zulasssung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser „Broker“ ein Ponzi-System aufgezogen hat.

Was ist ein Ponzi-System? Wir nennen das in Deutschland auch ein Schneeballsystem. Es ist in Deutschland verboten, weil diese Systeme die vorgeblichen Gewinne der alten Kunden mit den Mindesteinlagen-Einzahlungen der neuen Kunden bezahlen. Es wird also nichts getan, um reale Gewinne zu erwirtschaften. Es werden, solange die Zahl der Kunden zunimmt, die Neuzugänge dazu benutzt, die Altkunden durch Auszahlungen bei der Stange zu halten. Dabei werden natürlich hohe Provisionen fällig. Jedermann, der das System erkennt, ist klar, das Ding platzt früher oder später und ist dann ein Fall für den Staatanwalt.

Nun arbeiten diese sogenannten ‚Broker‘ (es gibt auch seriöse) mit einer Bank zusammen. Die Mindest-Einlage sollte in meinem Fall an eine Bank in Vilnius in Litauen überwiesen werden. Eine europäische Bank muss sich versichern, dass die Einlage nicht aus Geldwäschegeschäften stammt. Vermutlich aus diesem Grund sollte ich eine Kontokarte mit meinem Namen unterzeichnen. Das war EDV-technisch nicht machbar, ich bin darauf nicht eingerichtet. Also wurde ich in eine besondere Schleife geschickt, in der mich eine weibliche Stimme mit osteuropäischem Akzent bat, doch auf die Unterschriftszeile zu klicken und dann meinen Namen über die Tastatur einzugeben. Mein Einwand, dass das wohl keine Unterschrift sein könne, wurde bei Seite geschoben: „Das hätte seine Richtigkeit“. Wenn die das immer so machen, ist das nun wirklich kein vertrauensbildendes Verfahren. Die lettische Bank „MisterTango“ wird im Internet als eine sehr einfache Bank beschrieben, ohne Einlagensicherung, ohne Verzinsung, ohne Überziehungsmöglichkeiten bei kostenloser Kontoführung. Man könnte auf die Idee kommen, sich zu fragen, ob sich hier nicht auch Gelder tummeln, mit denen man nicht in Berührung kommen möchte (Drogengelder, Mafia-Gelder, Schwarze Kassen u.ä.).

Dann habe ich trotz meiner inzwischen aufkeimenden großen Bedenken die Mindesteinlage „geopfert“ (und gleich in Gedanken abgeschrieben) und habe sie klassisch überwiesen. Ich erhielt danach eine Flut von Emails, die ich nicht zuordnen konnte und auf die ich auch nicht reagiert habe. Viele dieser Emails forderten mich auf, den Link auf dem Email anzuklicken. Nun ich bin kein EDV-Freak, aber für so doof sollte man nicht angesehen werden. Ich habe die Emails im direkten Weg dem Papierkorb zugeführt. Auffällig war bei meinem ersten Kontakt, dass ich eine lange Kundennummer erhalten habe und den dringenden Hinweis erhielt, bei jedem Kontakt die Kundennummer zu verlangen. Die Emails, die mir zugingen, führten an keiner Stelle diese Kundennummer – also war auch eine Verifizierung und eine Unterscheidung in „right or wrong“ gar nicht möglich.

Tags darauf wurde ich von einem jungen Mann mit einem französischen Akzent angerufen, der mir mitteilte, dass er mich mit den Details vertraut machen wolle. Er begann mit so etwas wie einer Schulung. Ich habe ihn unterbrochen und ihn direkt gefragt, wie das Geschäftsmodell denn nun beschrieben werden könne. Kurze Sendepause, dann eine Entschuldigung, er sei noch zu frisch in dem Geschäft, er würde mich weitergeben an einen Kollegen, der mehr Erfahrung habe. Der nächste Kollege (seinen Akzent habe ich vergessen) begann mit der Aktie Uber und versuchte mir etwas über den Aktienmarkt zu erzählen. Dann rutsche ihm ein Hinweis herraus, dass die Geschäfte, die für mich vorgesehen waren, Hebelgeschäfte (Derivate) seien. Hier stoppte ich ihn, weil ich seit über 30 Jahren an der Börse aktiv bin, aber einen Grundsatz (von mehreren) habe: Keine Hebelgeschäfte!

Danach setzte ich mich hin und schrieb meine fristlose Kündigung der Geschäftsbeziehung. Natürlich in die Schweiz, das ist die einzige postalische Stelle, die mir bekannt geworden ist. Seit dem herrscht das große Schweigen im Walde. Und ich mache mir nichts vor, die Mindesteinlage werde ich nie mehr wiedersehen. Jetzt könnte man die Sache der Staatanwaltschaft übergeben. Aber es gibt nicht ein Stück Papier, keine Unterschrift, keinerlei Dokument, abgesehen von ein paar nichtssagenden Emails und natürlich meine Aussage, die aber nicht viel wert ist.

Soviel zum „Schnell Reich Werden“! Wer schnell und ohne eigene Leistung reich zu werden glaubt, der träumt. Wenn ich die Lösung dieses Problem gefunden hätte, so wie das in den Artikeln immer wieder beschworen wird, würde ich die Lösung still und leise für mich nutzen, aber keine Brokerfirma mit zweifelhafter Reputation aufbauen.

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Wie wollen wir uns ernähren?

Die Antwort auf diese Frage hat ein persönliche Komponente und eine Komponente, die sich aus der globalen Entwicklung ergibt. Die persönliche Komponente erfasst u.a. die Frage, welche Form der Ernährung erscheint ethisch vertretbar (Fleischkonsum, vegetarischer oder veganer Konsum). Diese Fragen sind wichtig, sie liegen aber in der Entscheidung jedes einzelnen. Hier wird im Folgenden versucht in groben Zügen die allgemeine Entwicklung unserer gegenwärtigen Landwirtschaft zu beschreiben. Dabei beschränke ich mich als relativer Laie auf Fragestellungen, die ich glaube, überblicken zu können.

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Bevor man sich mit den oft komplizierteren Fragen der Erzeugung auseinandersetzt, sollte man sich mit der einfacheren Fragestellung der Struktur befassen. Der Erzeuger (der Landwirt) produziert ein Nahrungsmittel, das rein optisch gewisse Klassifizierungs-Kriterien erfüllen soll. Ein Nahrungsmittel, das diese Kriterien nicht erfüllt, kommt erst gar nicht in den Handel und wird im positiven Fall zu Futtermittel verarbeitet, im anderen Fall zu Abfall oder Kompost. Das verkaufsfähige Nahrungsmittel kommt dann über das Transportsystem in den Großhandel. Dieser sortiert die inzwischen unverkäuflichen Warenteile  aus. Nach einem weiteren Transport sortiert der Einzelhandel seinerseits aus. Letztlich kommt der Verbraucher ins Spiel, kauft und sortiert beim Putzen der erworbenen Ware weiter aus. Nach ein paar Tagen entsorgen viel zu viele Verbraucher ihre bis dahin nicht verzehrten, unansehnlich gewordenen Nahrungsmittel in den Abfall.

Es gibt sehr unterschiedliche Zahlen, aber von dem Produkt, das der Landwirt von seinem Acker einbringt, dienen über alles betrachtet nur ca. 50% ihrem eigentlichen Endzweck, nämlich die Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die anderen 50% sind „Schwund“ oder besser als Verschwendung anzusehen. Wenn man also diese Verschwendung zu Recht verurteilt, müsste man nicht mehr anbauen oder schon gar mehr produzieren, sondern die Vorschriften und Regeln „ausmisten“, die zu solch einer Verschwendung führen. Dabei wäre es ein ziemlich dummes Argument, zu meinen, der Verbraucher (oder noch anonymer: „der Markt“) will das so! Die Erkenntnis, wenn sie überhaupt publik gemacht wird, macht den verständigen Verbraucher i.d.R. sehr betroffen. Niemand wird einen solchen Unsinn gutheißen und unterstützen. Warum also wird es dann nicht geändert?

Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass wir heute schon bei einem Verlust von 50% der Produktion eine tendenzielle Überproduktion vorfinden. Wenn also durch sinnvolle Maßnahmen deutlich mehr als 50% der Produkte beim Verbraucher ankämen, würde der Preis dieser Produkte sinken. Und hier wird selbst für Großbauern die Situation kritisch. Die Lobby des Bauernverbandes sorgt deshalb dafür, dass sich hier nichts ändert. Das ist aber keine sinnvolle Lösung!

Viele Produkte kommen von weit her. Ihr Transport wird gegenwärtig subventioniert, weil die Transportkosten in keiner Weise die Umweltschäden repräsentieren, die durch die langen Wege ausgelöst werden. Es ist schon merkwürdig, wenn Erdbeeren aus Südspanien (jahreszeitlich früher) und letztlich billiger sind, als spätere Erdbeeren aus der Region. Dabei wurden die südspanischen Erdbeeren mehr als 1000 km über die Straßen und Schienen Europas kutschiert. Da stimmt doch etwas nicht: Zieht man die regelmäßigen Transportkosten anteilig vom Preis ab, nimmt die Marge des Handels raus, was bleibt dann dem Erzeuger und insbesondere den Pflückern? Ist das moderner Sklavenhandel oder wie sonst soll man das bezeichnen?

Es gibt gegenwärtig prinzipiell zwei Arten, Landwirtschaft zu betreiben. Einmal ist es die konventionelle (intensive) Landwirtschaft, die ihr Heil bei der Agrochemie sucht. Auf der anderen Seite gibt die extensive Landwirtschaft, die sich an der Ökologie orientiert und dezidiert auf chemische Zusatzstoffe verzichtet. Diese Aufteilung ist sicherlich schwarz-weiß, aber für die folgenden Überlegungen m.E. tauglich. Es wird dabei nur um die intensive  konventionelle Landwirtschaft gehen. Hier liegt m.E. das inzwischen deutlich erkennbare Schadenspotenzial.

Die intensive Landwirtschaft geht auf Masse und kurzfristigen maximalen Ertrag und stellt diesem Ziel alle anderen Gesichtspunkte einer traditionell bäuerlichen Bewirtschaftung hintan. Sie verlässt sich auf die Aussagen der Agrochemie, die verspricht, mit Kunstdünger, besonderen Saaten und diversen Giftstoffen die maximalen Erträge bei minimalem Bearbeitungsaufwand auf Dauer darstellen zu können. Der Nachteil ist: das kostet Geld, viel Geld und macht m. E. hochgradig abhängig. Der Landwirt verliert seine vormals erworbenen Kenntnisse über die natürlichen Abläufe. Seine neuen Erkenntnisse sind von der Agrochemie so vorstrukturiert, dass er künftig keine wesentlichen landwirtschaftlichen Entscheidungen mehr treffen kann ohne den intensiven „Rat“ der Vertreter der Agrochemie einzuholen.

Die Versprechen der Agrochemie wurden in den letzten 50 Jahren nicht eingehalten. Es wurde versprochen, dass mit der Gentechnik eine Wende der Welternährung eintreten würde, also künftig der Hunger keine Rolle mehr spielen würde. Das hat sich nicht realisiert. Zum einen hat die Gentechnik nicht zu den Ertragsteigerungen geführt, die erwartet wurden. Die zugrundeliegende Studie zu dieser Aussage ist ein dreißig Jahre umfassender Vergleich der Erträge pro Flächeneinheit in USA (einem Land mit einem erheblichen Anteil genmanipulierter Saaten) mit Europa (einem Bereich, in dem genmanipulierte Saaten verboten sind). Die Differenz in den Erträgen der letzten dreißig Jahre kann nicht als signifikant angesehen werden. Gentechnik hat es nicht geschafft, nachhaltig höhere Erträge zu erwirtschaften. Sie hat aber dazu geführt, dass die Agrochemie trotzdem richtig abkassiert hat. (Das Geld fehlt jetzt den Landwirten!)

Zum anderen wurde durch die globalen Patent-Maßnahmen der Agrochemie einerseits die Artenvielfalt der Saaten global drastisch reduziert und andererseits hat die Anwendung ihrer global vertriebenen Technologie zu einer deutlichen Verteuerung der Produktion geführt, was die Vielzahl der Kleinbauern auf der Welt in ernste finanzielle Schwierigkeiten bringt. Dieser Kreis von Landwirten hat seine Tradition verloren ohne eine vergleichbar günstige Folgestrategie erhalten zu haben. Sie sind schlicht verarmt. Also ist das Ziel einer Reduzierung des Hungers in der Welt eine werbewirksame Aussage ohne realen Inhalt.

Vergleichbares erfolgt mit den Agrargiften. Diese Gifte enthalten u.a. chemische Verbindungen, die nach ihrer Anwendung im Boden nicht in harmlose Moleküle zerfallen. Stattdessen reichern sie sich mit fortlaufender Anwendung im Boden an und sorgen dafür, dass über die Jahre im Boden eine Giftkonzentration erreicht wird, die über kurz oder lang zum Verbot der Mittel führen wird. Die Böden weisen dann aber unverändert eine hohe Gift-Konzentration auf, was konsequenter Weise dazu führt, dass diese Böden für die landwirtschaftliche Erzeugung nicht mehr zugelassen werden können.

Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass die Böden der intensiven Landwirtschaft noch für etwa 60 (sechzig) Ernten mit wachsendem Chemieeinsatz zur Verfügung stehen, um dann radikale Ertragseinbrüche zu verzeichnen, die so gravierend sein werden, dass der Ertrag weit unter jenem des ökologischen Landbaus liegen wird. Das wäre das Ende der intensiven Landwirtschaft. Die Böden sind für eine andere landwirtschaftliche Bewirtschaftungsform verdorben und müssen erst über viele Perioden und mit hohen Kosten rekultiviert werden. Ob das gelingt, kann nicht sicher beurteilt werden.

Die Natur erholt sich garantiert. Die Frage ist nur, in welchen Zeiträumen. Man spricht davon, dass in der Natur für die Gewinnung von 8 cm Humus einen Zeitraum von eintausend Jahren benötigt. Das sind Zeiträume, mit denen der Mensch sinnvoller Weise nicht rechnen sollte. Es schafft aber das notwendige Problembewusstsein.

Die Möglichkeit des Chemieeinsatzes verleitet zu großflächigen Monokulturen. Man glaubt, durch den Einsatz von Chemie die Nachteile einer Monokultur auffangen zu können. Die Folge sind große Flächen mit Monokulturen, die folglich in der Natur einzelnen Spezies bei großem Nahrungsangebot explosionsartige Vermehrung ermöglichen. Das Gegenmittel der Wahl im Rahmen der Agrochemie ist Gift, das nicht nur die eigentliche Bedrohung bekämpft, sondern gleich auch noch radikal alles andere Leben auf diesen Flächen weitgehend vernichtet. Dann sind wir wieder oben bei der über die Jahre steigenden Giftkonzentration in den Böden.

Ähnliches wird mit der Massentierhaltung versucht. Wenn Tiere auf engstem Raume in großer Zahl eingepfercht werden, wachsen einerseits das Aggressionspotenzial und der Stress dieser Tiere untereinander und andererseits nimmt die Zahl der Krankheiterreger exponentiell zu. Der pharmakologische Einsatz von Mitteln zur Eindämmung dieser absehbaren Risiken kostet erhebliches Geld und schafft zunehmend Unsicherheit für die Gesundheit des Menschen. Die für ihn entwickelten Antibiotika verlieren fortlaufend an Wirkung. Aber die Gabe von Antibiotika hat nicht nur eine krankheitsbegrenzende Wirkung – sie führt auch dazu, dass die Tiere schneller an Gewicht zunehmen und damit deutlich früher schlachtreif werden. Antibiotika stellen ein Dopingmittel zur Verfügung, das aufgrund der Mastverkürzung Einkommensverbesserungen für den Landwirt bedeuten können. Vom Tierwohl und von den Nebenwirkungen dieser Form der Tierhaltung wird gar nicht gerne gesprochen. (Grundwasserbelastungen durch Überdüngung mit Gülle, Antibiotikabelastungen der Gewässer und Kläranlagen, Geruchsbelästigungen, CO2 Ausstoß, u.v.m.). Die so gehaltenen Tiere verlieren regelmäßig das letzte Quäntchen an Tierschutz und Würde – sie degenerieren schlicht zu einer Ware unter Verlust jeglichen Respekts vor dem Leben.

Aus wirtschaftlichen Gründen sucht man das Heil in der Betriebsgröße. Ich frage mich, ob hier noch das Risiko des Kapitaleinsatzes und der mögliche Ertrag ein einem vernünftigen Verhältnis stehen. Dabei sind wichtige Kosten, die der Allgemeinheit zur Last fallen, und noch gar nicht in den Preisen erfasst sind.

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Egoismus – eine Herausforderung unsere Zeit?

Kinder werden oft ermahnt, doch nicht so egoistisch zu sein und mit anderen zu teilen. Die Ideen, die vermutlich hinter den Ermahnungen stehen, beschäftigen mich heute. Ich meine zu erkennen, dass sich hier deutliche Veränderungen abzeichnen, weniger bei den Kindern als bei den „ausgewachsenen Kindern“. Deshalb die Frage: Ist der Egoismus nur eine Herausforderung unserer Zeit oder war er immer schon und wie ist man ihm im Zeitlauf begegnet?

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Was zählt als Egoismus?

Wikipedia zählt unter dem Begriff Egoismus zehn Eigenschaften auf, die im Allgemeinen als Teilaspekte dieser menschlichen Haltung verstanden werden:

Eigennutz, Eigensucht, Ichbezogenheit, Ichsucht, Narzissmus, Selbstbesessenheit, Selbstbezogenheit, Selbstliebe, Selbstsucht und Selbstverliebtheit.

Wenn wir hier die Doubletten herausnehmen und auch den Suchtgedanken als eine eigene Übersteigerungsform zu den Doubletten hinzuzählen, bleiben Eigennutz, Ichbezogenheit und Selbstliebe als deutlich unterscheidbare Aspekte des Egoismus. Narzissmus ist eine übersteigerte Form der Selbstliebe und Selbstverliebtheit könnte man als eine temporäre Spielform der Selbstliebe betrachten. Der nicht erwähnte Begriff Selbsterhaltung ist im Egoismus sicherlich auch enthalten, wird aber von Wikipedia nicht erwähnt und zählt m.E. zum Eigennutz. Selbsterhaltung ist als Trieb anzusehen und steht dem Menschen auf seiner Verstandesebene nur sehr bedingt zur Disposition.

Bei der Beschreibung des „Begriffsraumes“ des Egoismus fällt auf: Niemand würde einen dieser Begriffe freiwillig für eine Beschreibung seiner eigenen Person verwenden! Keiner der Begriffe hat eine positive Konnotation. Daraus ließe sich schließen, dass Egoismus offensichtlich eine Eigenschaft ist, die jeder kennt, mit der sich aber niemand wirklich identifizieren will. Egoismus ist also bestimmt keine Tugend, auch kein Verhalten, das es gilt, im Menschen besonders zu fördern. Man kann auch sagen: Egoismus ist ein negativer Begriff, eine Eigenschaft, deren Duldung im gesellschaftlichen Umfeld von den Mitmenschen beachtliche Toleranz erfordert. Egoismus ist auch oft mit Macht gepaart. Egoisten ohne Macht werden von der Gesellschaft „ausgeschwitzt“, bleiben Egoisten, aber fallen in die Bedeutungslosigkeit. Der Egoismus, der uns Mitmenschen wirklich trifft, ist die Kombination von Egoismus und Macht.

Gibt es Aussagen, die den Egoismus konkreter beschreiben? „Mir das meiste“ wäre eine noch relativ moderate Formulierung einer egoistischen Handlungsweise. Oder „Me first“ (ich zuerst) ist eine vergleichbare Beschreibung. Oder: „Alles für sich und nichts für die anderen scheint zu allen Zeiten die niederträchtige Maxime der Herren der Welt gewesen zu sein.“ (Adam Smith – Wohlstand der Nationen (1776)) ist eine Beschreibung von vor rd. 250 Jahren). Mit dem Egoismus eng verknüpft ist m.E. der Begriff der Gewinnmaximierung in der Ökonomie. Einfaches Gewinnstreben ist Teil des Wirtschaftslebens. Aber das Gebot der Maximierung, d.h. „ich will alles“, stellt m.E. einen Wendepunkt der Ökonomie dar. Der strikte Egoismus wird gegenwärtig zumindest im Rahmen der Ökonomie als zulässige Handlungsmaxime offiziell akzeptiert.

Schopenhauer hat dem Egoismus philosophisch eine wichtige Rolle im Rahmen seines Begriffs vom „Willen“ gegeben: Jede Handlung ist demnach egoistisch, wenn das Motiv der Handlung das eigene Wohl betrifft. So wie Schopenhauer dieser Kraft des Egoismus im Menschen große Bedeutung zugewiesen hat, so hat er (als Kenner der menschlichen Natur) auch gleichzeitig die Kraft des angeborenen Mitleids erkannt und herausgearbeitet, um einen sinnvollen Ausgleich beider Triebkräfte herbeiführen zu können. Der Gedanke, den Schopenhauer aufgegriffen hat, anerkennt uneingeschränkt den menschlichen Faktor Egoismus und stellt ihm ein gewichtiges Korrektiv in Form des Mitleids zur Seite.

Dieser Gedanke der Einhegung einer nachteiligen, gesellschaftsschädlichen Verhaltensweise kennzeichnet offensichtlich den Umgang mit dem Egoismus in den vergangenen Jahrhunderten.

Die Verarbeitung des Egoismus in den vergangenen Epochen

Den antiken Griechen war der Egoismus ein alter Bekannter. Die Legende vom Narziss stammt aus dieser Zeit. Wie haben sie es nun geschafft, den zweifelsohne vorhandenen Egoismus in Grenzen zu halten oder in seiner negativen Wirkung zu neutralisieren? Die Griechen hatten ein Leitbild mit der Vorstellung geschaffen, dass der Mensch in der Lage sei, tugendhaft zu handeln. Die Kardinaltugenden „Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit“ waren zur damaligen Zeit hohe Kulturgüter und ein ‚Athener von Welt‘ hatte sich diesen Idealvorstellungen zu unterwerfen. Zumindest die Tugenden Weisheit, Besonnenheit und Gerechtigkeit sind Zielvorstellungen in einer Gesellschaft, in der Egoismus sehr schnell an seine Grenzen stößt und dann in seinen Auswirkungen neutralisiert wird.

Auch die alten Chinesen nutzten fünf Kardinaleigenschaften: „Mitleid, Gerechtigkeit, Höflichkeit, Weisheit und Aufrichtigkeit“, an denen sich das tägliche Handeln ausrichten sollte (vgl. Schopenhauer, Grundlagen der Moral, § 19, S.605 und die dort angeführte Referenz). Auch die Chinesen waren sich des Einflusses des Egoismus sehr wohl bewusst und haben dieses Verhalten ähnlich wie die Griechen versucht, durch allgemein verbindliche Regeln des Umgangs in Grenzen zu halten.

Die Ideale der Griechen strahlten noch lange nach den großen Tagen der Athener Demokratie ins römische Reich aus. Das griechische Ideengut wurde mangels eigener Ideen durch das römische Reich absorbiert. In der Zeit der Völkerwanderung kam das Christentum Schritt für Schritt an die Macht. Die kirchliche Macht meinte, dem griechischen Gedankengut ein eigenes Konstrukt entgegenstellen zu müssen. Die Tugenden waren durch die griechische Philosophie besetzt. Also hat man sich das Gegenteil zu Nutze gemacht: Nicht das positive Verhalten galt als Ziel, sondern es galt dem Menschen eine Vermeidungsstrategie an die Hand zu geben, die durch die Vermeidung von „Todsünden“ geprägt war. Im Wesentlichen gelten als Todsünden, modern gefasst, die folgenden menschlichen Eigenschaften: Selbstüberschätzung, Gier, Neid, Unbeherrschtheit, Schamlosigkeit, Maßlosigkeit und Gleichgültigkeit. Wenn man diese Eigenschaften an Schopenhauers Kriterium spiegelt (das eigene Wohl betreffend), so wird durch die Todsünde der Selbstüberschätzung, der Gier, des Neides, der Maßlosigkeit und der Gleichgültigkeit das Verständnis des Egoismus moderner Prägung repräsentiert. Die verbleibenden Eigenschaften der Unbeherrschtheit und der Schamlosigkeit würde ich nicht direkt als Egoismus bezeichnen, kann mir aber vorstellen, dass durch die Ich-Bezogenheit diese Verhaltensmuster mit bedient werden.

Die mit der Aufklärung einhergehende Säkularisierung des öffentlichen Lebens zum Ende des 18. Jahrhunderts führt dazu, dass die moralischen Vorstellungen, die auf der Existenzvoraussetzung eines Gottes aufbauten, im Niedergang begriffen waren. Die sieben Todsünden und die damit verbundenen Verhaltenseinschränkungen wurden vielfach als wirkungslos beurteilt. Währenddessen hat sich im Angelsächsischen der Utilitarismus durchgesetzt, der, ähnlich wie Kant im mitteleuropäischen Raum, die Denkfigur eines Gottes zur Fiktion erklärte. Die Gottes-Frage gilt als nicht abschließend zu beantworten und wurde hinsichtlich der Dringlichkeit ihrer Beantwortung zurückgestuft. Die Welt konnte sich auch ohne eine Entscheidung dieser Fragestellung weiterentwickeln.

Die damit zum Ausdruck kommende Befreiung von der Bevormundung durch Kirche und Absolutismus hat mindestens zwei Folgen: Das Individuum wird aufgewertet, der einzelne Mensch, ob er will oder nicht, wird in eine ihm bisher unbekannte Freiheit entlassen. Wo vorher strikte Verhaltensregeln vorgegeben waren, steht jetzt die im Prinzip freie Wahl.

Auf eine klassische Grundformel reduziert, besagt der Utilitarismus, „dass eine Handlung genau dann moralisch richtig ist, wenn sie den aggregierten Gesamtnutzen, d. h. die Summe des Wohlergehens aller Betroffenen, maximiert“ (Wikipedia). Richard David Precht erklärt diese sehr theoretische Formulierung als „eine Kaufmannsethik, die unterstellt, dass das, was den Reichen nützt, am Ende allen zugutekommt.“(Eine Geschichte der Philosophie, II, S.274).

Die Verwendung des Nutzens braucht einen Maßstab und der ist das Geld. Eine ehemals von qualitativen Tugenden geprägte Ethik und Moral wird von die Kaufmannsethik des Utilitarismus quantitativ überrollt. Der Egoismus befreit sich von allen Einhegungen und Beschränkungen. Im Rahmen des Nutzenkalküls und der herrschenden Gesetze kann er sich grundsätzlich uneingeschränkt und frei entfalten.

Im Gegensatz zur erlangten und hoffentlich gelebten Freiheit der Aufklärung taucht parallel die Kaufmannsethik des Utilitarismus auf. Sie quantifiziert das Ethikproblem und fängt den gerade seine Freiheit genießenden Bürger dahingehend ein, dass die Kaufmannsethik predigt: Du sollst Deinen Nutzen maximieren, dann liegst Du richtig. Die Menschen sind wieder dort angelangt, wo man ihnen sagt, was sie zu tun haben: Wo der Utilitarismus Eingang findet, verliert die gerade errungene Freiheit an Boden.

Schopenhauer, der erst nach 1820 sein Gedankengebäude präsentierte, hat mit seiner Philosophie die Haltung des Egoismus anerkannt bzw. eine Philosophie des Menschen entwickelt, die darauf aufbaut, dass der Mensch primär aus egoistischen Motiven handle. Die Triebfedern des Menschen sind nach Schopenhauer der Egoismus (das Handeln zum eigenen Wohle), die Bosheit (das Handeln zum Wehe des Anderen) und das Mitleid (das Handeln zum Wohle des Anderen). Eine moralische Handlung von Wert erfolgt nur zum Wohle des Anderen. Mit anderen Worten: Schopenhauer anerkennt den Egoismus als eine wesentliche treibende Kraft und fügt dieser Kraft ein moralisches Regulativ in der Form des angeborenen Mitleids bei, das dem Menschen die inhärente Möglichkeit eröffnet, aus der Selbstbespiegelung des Egoismus grundsätzlich auszusteigen. Ähnlich ist auch der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant formuliert: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Auch hier ist wenig Platz für Egoismus, denn Egoismus zielt gerade auf das Gegenteil von Gemeinwohl.

Der Utilitarismus

Dieses ausgleichende Moment des Mitleids kennt die Kaufmannsethik des Utilitarismus leider nicht. Im Sinne der Kaufmannsethik kann der Ausgleich der Interessen nie über Mitleid oder eine ähnliche soziale Regung erfolgen. Das Zusammenleben erfolgt im beständigen (nackten) Wettstreit der individuellen Egoismen unter der fragwürdigen Erwartung, dass dadurch das Gemeinwohl der Beteiligten gesteigert wird. John Maynard Keynes stellt dabei trocken fest: „Es sei nicht einzusehen, warum das Handeln von widerwärtigen Menschen aus widerwärtigen Motiven zum Wohle der Gemeinschaft führen müsse oder könne“.

Auffällig ist auch, dass Ethik gewöhnlich als eine qualitative Frage behandelt wird. Die Nutzenmaximierung der Kaufmannsethik dreht den Charakter der Ethik um und reduziert sie auf eine algorithmusfähige, quantitative Fragestellung. Sie unterstellt weiter, dass der Nutzen (via Geld) so bestimmt werden kann, dass eine scheinbar angemessene Bewertung des Problems möglich wird. Aber von Gerechtigkeit ist dabei nirgendwo die Rede. Nicht umsonst schränkt Precht die Bedeutung dieser Ethik auf die Gedankenwelt der Ökonomie ein.

Das, was Menschlichkeit ausmacht, was gesellschaftlichen Kitt hervorbringt, ist der Kaufmannsethik fremd. Das Bild der Gesellschaft auf der Grundlage der Kaufmannsethik wird auf einen Prozess des „Catch as catch can“ reduziert. Der „Kampf“ erfolgt auf dem Markt als jenem Platz, auf dem unter kaufmännischen Gesichtspunkten der Austausch stattzufinden hat. Auffällig ist die Tatsache, dass die Auseinandersetzung natürlich nicht ohne den Einsatz von Macht und Einfluss vorstellbar ist. Diese beiden Kategorien sind aber regelmäßig nicht Gegenstand einer ökonomisch-ethischen Betrachtung. Sie wird regelmäßig ausgeklammert (externalisiert).

Wie muss man sich das „catch as catch can“ vorstellen? Es gibt eine Formulierung, dass die Freiheit des Individuums dort endet, wo sie die Freiheit des Anderen einschränkt, vorausgesetzt, wir betrachten uns alle als gleichberechtigt. So ähnlich muss man das „Spiel“ mit dem Egoismus sehen: Jeder lebt seinen Egoismus aus bis an die Grenzen, die ein anderer dem eigenen Egoismus setzt. Egoismus negiert aber die Voraussetzung einer Gleichberechtigung per se. Bei der Freiheit meinen wir, dass es ein so hohes Gut ist, dass sich hier die Auseinandersetzungen lohnen. Beim Egoismus baut sich hier ein gravierender Widerspruch auf.

Wir können eine Aussage von Margret Thatcher, einer frühen Vertreterin des Neoliberalismus, zitieren, die sinngemäß der Auffassung war, dass sie keine Gesellschaft kenne, sondern nur Individuen. Gemeinsamkeit kann so kaum entstehen. Gemeinsamkeit wäre aber für das Wohlbefinden der meisten Menschen essentiell. Also kann diese Kaufmannsethik wesentliche Teile des menschlichen Miteinanders weder erklären noch herbeiführen. Hier klafft offensichtlich eine erhebliche Lücke!

Wir müssen aber fairer Weise festzustellen, dass dieser Kaufmannsethik ein großer Teil unseres wirtschaftlichen Wohlstandes zu verdanken ist. Die Befreiung des Egoismus von den alten moralischen Zwängen hat wirtschaftliche Erfolge bewirkt. Die sozialen Kosten, die ein solcher Erfolg ausgelöst hat, bleiben aber gerne unerwähnt. Aber das Plus überwiegt fraglos! Insbesondere als wir alle nicht wissen, wie sich eine andere Konstellation auf unser Zusammenleben ausgewirkt hätte. Jede Spekulation darüber ist sinnlos.

Die Folgen

Es wurden in den vergangenen zweihunderfünfzig Jahren viele Philosophien entwickelt, aber keine hat eine solche gesellschaftliche Durchschlagskraft entwickelt, wie die auf dem Egoismus basierende Kaufmannethik, die sich längst aus dem Raum des Handels und der Wirtschaft befreit und begonnen hat, Schritt für Schritt alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft zu unterwandern. Egoismus war jahrhundertelang als eine ausschließlich negative Eigenschaft angesehen, deren Vertreter das Zusammenleben stören oder doch schwierig machen. Hier hat sich eine Verschiebung ergeben. Es ist nicht mehr der selbstlose, am Gemeinwesen orientierte Mensch, dem das politische Interesse gilt; es ist der Realisator der Kaufmannsethik, der es versteht, mit einer großen Portion Egoismus seine Sache skrupellos und schnell umzusetzen. Es sind dann die sogenannten „Heroes“, die den kaufmännischen Erfolg lauthals feiern. Kaum einer traut sich zu fragen, zu wessen Lasten der ‚Hero‘ sein Ziel erreicht hat und ob der Erfolg auch mit ‚fairen Mitteln‘ erreicht wurde. Was zählt, ist ausschließlich der enggefasste wirtschaftliche bzw. monetäre Erfolg (der Nutzen) einer egoistischen Strategie.

Wir müssen uns im Klaren sein, dass die Kaufmannsethik insbesondere jene fördert, die sich von dieser Art der Ethik besonders angesprochen fühlen. Es wird gerne unterstellt, dass alle Teilnehmer unseres Gemeinwesens unisono der Kaufmannsethik zusprechen würden. Was ist mit der überaus großen Zahl von Mitmenschen, die sich von dieser Auffassung von Ethik überhaupt nicht angesprochen fühlen? Oder anders ausgedrückt: Was ist mit all jenen Mitmenschen, die ihr Ziel nicht nur im monetären Erfolg sehen, sondern in der menschlichen Zuwendung. Da die Zuwendung in der egomanen Kaufmannsethik nicht vorkommt, kann die Zuwendung im Sinne der Kaufmannsethik auch nie einen Erfolgsfaktor darstellen. Das Selbstverständnis der Heil-, Pflege- und Sozialberufe ist mit der Kaufmannsethik kaum vereinbar. Man kann sogar feststellen, dass die Vertreter der Kaufmannsethik intensiv bemüht sind, diese ethisch oft anders gepolten Berufsgruppen schrittweise auf die Kaufmannsethik einzuschwören, indem z.B. dem Arzt versucht wird, klar zu machen, dass er keine Patienten mehr hat, sondern Kunden. Das Patientenverhältnis basiert i.w.S. auf Zuwendung. Und Kunden sind nur Ziel der Ausbeutung.

Ist noch niemanden aufgefallen, dass in unserer Gesellschaft regelmäßig die Vertreter der Kaufmannsethik einkommensmäßig „dick und fett“ werden, während die Einkommensmöglichkeiten in den Heil-, Pflege- und Sozialberufen bewusst (wegen der behaupteten Kostenproblematik) kleingeredet werden, obwohl diese Menschen oft einen für das Gemeinwesen viel größeren Beitrag leisten als jene egomane ‚Kaufmannsethiker‘ (deren soziale Kosten gerne negiert werden)?

Die Philosophie geht oft davon aus, dass Ethik etwas „Kopfgeborenes“ sein müsse, weil die meisten Philosophen vermutlich ihr Selbstverständnis als „große Denker“ pflegen. Schopenhauers Ansatz, das ethische Verhalten des Menschen als etwas „triebgeborenes“ abzuleiten, kann erklären, warum intellektuell ganz schlichte Menschen in der Lage sind, ein moralisch wertvolles Verhalten an den Tag zu legen. Praktische Ethik wäre also kein intellektuelles Phänomen, sondern ist demnach den meisten Menschen z.B. im Rahmen des Mitleids zugänglich. Ethik verliert dabei ihren unterstellt intellektuellen Charakter und steht prinzipiell jedem Menschen zur Verfügung (auch ohne intellektuelle Spitzfindigkeiten).

Die Kaufmannsethik kann das nicht leisten; sie ist überaus einseitig. Sie dient letztlich einer relativ kleinen Oberschicht, die sich mit ihrer nutzenbezogenen Sicht auf die Welt wohlfühlt, wie der Fisch im Wasser. Der Rest der Gesellschaft versucht sich notgedrungen anzupassen. Er tut sich mit der Kaufmannsethik schwer und lebt im täglichen Umgang meist nach einer anderen Ethik. Vermutlich wird es die Jahrhunderte alte Tugend- oder Mitleidsethik sein, die den meisten Menschen immer noch leicht vermittelbar ist und im Alltag eine weithin akzeptierte Richtschnur darstellt. Aber die Ethik produziert eben keine ‚Heroes‘, weil der Maßstab des Erfolges (das Geld) gegenwärtig leider unangefochten und ausschließlich durch die Kaufmannsethik befördert wird.

Das Argument der Kaufmannsethiker von der Wirkung des „Trickle down“ – Effektes (wenn es den Reichen gutgeht, fällt auch etwas für die Armen ab) wurde schon mehrfach widerlegt und grundlegend erschüttert, weil die Vermögensverteilung in den Gesellschaften, in denen die Eliten der Kaufmannsethik folgen, immer einseitig zugunsten der Vermögenden ausgeht (vgl. Piketty, Das Kapital im 21. Jh., 2014). Aber Glaubenssätze auszurotten, ist ein hartes Brot. Insbesondere dann, wenn der Glaubenssatz jeden Tag monetäre Erfolge auf die Mühlen der kleine Minderheit der Kaufmannethiker spült. Und sie, für ihren Teil, fühlen sich dadurch in ihrem Glauben natürlich bestätigt. Dass die Mehrzahl der Gesellschaft daran nicht teilhat, wird aus ihrer Wahrnehmung ausgeblendet. Und wenn sich doch mal Einsicht einstellen sollte, dann sind die „Looser“ aus der Sicht des erfolgreichen Kaufmannsethikers selbst daran schuld – warum folgen sie nicht den Heilsversprechungen der Kaufmannsethik? Weil sie, oft unbewusst, die ungebremste egoistische Haltung als kulturlos („barbarisch“), menschenunwürdig und gemeinschaftsschädlich ablehnen!

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Die Wahrnehmung der gegenwärtigen Politik

Wer sich die Mühe macht, die Leserbriefe der verschiedenen Gazetten zu studieren, der kann richtig spüren, wie der Frust über die gegenwärtige Politik durch die beschriebenen Papierseiten kriecht. Egal, wo man die papierenen Zipfel hochhebt, überall quillt dem Leser Fassungslosigkeit entgegen über so viel scheinbare oder reale politische Inkompetenz.

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Ob es um Europa geht, um Migrationsverwaltung, um Mieten, um Landwirtschaft, um Umwelt (Klimawandel), um Mobilität (verengt auf Autoindustrie), u. a. m., die Ratlosigkeit der Mandatsträger, die einem zu diesen Themen entgegenschlägt, ist entmutigend (wenn nicht gar schlimmer). Trotzdem ist der Ton der Leserbriefe dank der redaktionellen Auswahl relativ konstruktiv. Eine große Zahl von Bürgern spürt, dass sich hier ein Umbruch abzeichnet: So wie es die letzten 50 Jahre (zugegebener Maßen recht gut) gelaufen ist, kann es nicht weiter gehen. Der Problemdruck, der sich gegenwärtig aufbaut, ob real oder gefühlt, ist immens und der Eindruck, den uns die Regierungen hinterlassen, ist Hilflosigkeit. Dafür sind Regierungen aber nicht gewählt.

Dabei drängt sich mir der Eindruck auf, dass sich die Politiker in ihren eigenen Ansprüchen verfangen haben. Was heißt das? Einige Politiker und auch ganze Parteien, die gegenwärtig das Sagen beanspruchen, haben sich in der Vergangenheit zu Haltungen hinreißen lassen, die sie jetzt stur predigen und merken gar nicht, dass ihnen keiner mehr zuhört, weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben. Die konservative Seite unseres Parteienspektrums geißelt ihre Gegner als Verbotsparteien und favorisiert einen uralten (nachweislich nicht funktionierenden) Hut der Freiwilligkeit in Wirtschaftsfragen, die existentiell geworden sind. Sie realisieren nicht, dass das ‚Sich-Drücken‘ um eine politische Entscheidungen nicht mehr toleriert wird. Es gibt Fragen, da gibt es keine Zeitschiene mehr für faule Kompromisse. Und die Vielzahl der faulen Kompromisse zugunsten der Wirtschaft kommt an einen Punkt, wo sich die Wähler bei so viel Opportunismus einfach abwenden und den Kopf schütteln. Die Politik lebt schon lange nicht mehr mit den Wählern, sie lebt in der Lobbyisten-Blase, die ihr diensteifrig bestätigt, wie toll sie doch sei. Und sie merken nicht, dass die Leute inzwischen mit den Füßen abstimmen und weglaufen.

Politik ist die Kunst des Möglichen. Das Mögliche liefert aber nicht der Wähler, sondern umgekehrt: es müssen Möglichkeiten zur Wahl gestellt werden. Dazu gehört, dass Politik ein Vision vom Menschen und von der Gesellschaft hat, für die sie steht, auch dann, wenn es schwierig wird. Das gilt für das C bei den Unionsparteien und das gilt für das S der Sozialdemokraten. Selbst das Grün der „Grünen“ zu erkennen, fällt manchmal schwer. Die Balance zwischen Machterhalt und Programmatik ist schwierig, gerade und besonders, wenn die Macht von Ferne winkt. Aber wer seine elementaren Ziele verrät, geht den Weg der SPD in die zahlenmäßige Bedeutungslosigkeit. Und es kann Generationen dauern, bis dieser „Verrat“ vom Wähler verziehen sein wird.

Die großen Koalitionen der letzten Jahrzehnte sind auf Dauer in ihrer Wirkung verheerend, weil vor lauter Koalitionsvereinbarung und – disziplin die Lösungen von wesentlichen Fragen und Problemstellungen ausgeklammert werden, weil hier keine Einigung absehbar war und die Zeit angeblich drängt. Lindners eruptiver Bruch der Verhandlungen in der großen Koalitionsrunde hat für einen Moment die Wahrheit aufblitzen lassen: Es gab kein vernünftiges Verhandeln um die Sache, um eine Problemlösung im Auftrag des „Volkes“, es gab nur ein Hin und Her um politisch unveränderbare Positionen und Posten, bloß keine neuen Perspektiven, kein Neuanfang, kein frischer Wind. Die Fähigkeit der Politik zu konstruktiven Kompromissen scheint erschöpft zu sein. Keiner konnte gewinnen, also versuchen die Verlierer ihre Position starr beizubehalten und alles was hier stören könnte, wird ausgeklammert. Das ist das politische Mikado-Spiel: wer sich zuerst bewegt, gilt als Verlierer.

Die Politik lähmt sich gegenseitig, sie ist nicht mehr in der Lage, anzuerkennen, dass auch der politische Gegner Recht haben könnte. Auf der menschlichen Ebene scheint das noch zu funktionieren, aber auf der institutionellen Ebene ist kein Spielraum mehr zu erkennen. Wir haben m.E. ein wahres Demokratieproblem, aber nicht, weil die Wähler die Lust verloren haben, wählen zu gehen, sondern weil die politischen Institutionen (u.a. die Fraktionen) den Art 38 Abs. 1 derartig kaputtgemacht haben, dass der Artikel eigentlich ins Leere läuft. Es muckt keiner mehr auf. Alles wird geschäftsmäßig unter den Tisch gefegt und dort entsorgt.

Man muss sich eine Reihe von Aussagen der Politik genüsslich auf der Zunge zergehen lassen: Die Grünen haben bei den Dänen eine Anleihe genommen und gefordert, dass ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr produziert werden sollen. Ein Aufschrei des Entsetzens auf der konservativen Seite der Politik. Monate später veröffentlicht die Automobilindustrie ein trockenes Statement, dass schon 2026 der letzte Verbrennungsmotor vom Band laufen soll. Wir müssen unsere Wirtschaft nur fordern, sie ist oft flexibler als sich das mancher Politiker vorstellen kann. Die Watschen, die dann verteilt wurde, lautet: die Automobilindustrie wird keiner politischen Partei mehr Spenden zuführen. Also wurde die allzu enge Freundschaft mit der Politik wegen mangelhaft empfundener Gegenseitigkeit aufgekündigt. Das kann doch nur von Vorteil sein.

Die Aktion „Friday for Future“ hat der Politik richtig Druck gemacht. Man hat auch ‚sofort‘ reagiert – es wurde ein „Klimarat“ einberufen. Was das soll, weiß keiner. Es ist das typische Reiz-Reaktionsschema der Politik: um etwas auf die lange Bank zu schieben, wird erst mal ein Arbeitskreis ins Leben gerufen, dann wird eine Leitungsfigur bestimmt, der möglichst wenig Kompetenzen hat. Das ist das, was man in Bayern wohl einen „Watschenmann“ nennt. Er oder sie muss den Kopf für jeden Krampf hinhalten, den dieser Arbeitskreis nach langem Gewürge ausspuckt. Wenn der Kreis erfolglos bleibt, gilt das Gleiche. Passiert ist seitdem wohl nichts. Die Gazetten hätten sonst darüber berichtet.

Die Verkehrspolitik steht als Mobilitätspolitik im Fokus und bestimmt gegenwärtig einen wesentlichen Teil unserer Einschätzung von sinnvoller Politik. Der Amtsinhaber präsentiert sich gut gelaunt auf einer neuen Marketing-Veranstaltung, bei der man nicht so recht weiß, ob sie sich flotter Unterwäsche oder sicherer Fahrrad-Helme annimmt. Dabei wären mit einer sinnvollen Verkehrspolitik ein Menge von Problemen lösbar: Geschwindigkeitsbegrenzung – nicht als Verbot von ‚halbstarkem‘ Verhalten, sondern als Anerkennung der Realität und zur Verbesserung des Verkehrsflusses. Anreize schaffen, um kleinere, leichtere und damit weniger fossilen Kraftstoff verbrauchende PKW zu bauen. Möglicherweise Anreize setzen zur Begrenzung der PS-Zahlen als Folge der Geschwindigkeitsbegrenzung. Das alles würde eine Vielzahl von den kleineren Problemen lösen.

Wurde bei der Entscheidung für das E-Mobil auch an das flache Land gedacht? E-Mobile in Metropolen sind sicherlich darstellbar. Aber was ist mit den Bewohnern in ländlichen Gebieten? Sie haben heute schon kaum soziale Infrastruktur. Was ist denn dann mit der Infrastruktur, wenn die paar Stromversorgungssäulen in der Region nicht hinten und vorne ausreichen, um die Region zu erschließen. Aber ab 2026 gibt es keine Verbrennungsmotoren mehr. Dann muss die ländliche Bevölkerung die nächsten 20 – 25 Jahre mit alten Benzinkutschen (natürlich nur mit einer teuren Sondergenehmigung) fahren oder wie soll das passieren, wenn es auf dem Land auch keine Tankstellen mehr gibt? Von den paar Automobilen mit Verbrennungsmotor wird keine Tankstelle leben können.

Die Stadt muss neu gedacht werden. Die Stadt ist nicht dazu da, dass Automobile und deren Halter sich darin wohlfühlen. Die autogerechte Stadt, eine Idee aus dem Ende der fünfziger Jahre, hat sich als ein Irrweg erwiesen. Der Stadtbewohner und auch die Einpendler müssen die Struktur der Stadt bestimmen. Das Automobil wird nur zugelassen (geduldet), soweit es keine andere Alternative gibt.

Der Fußgänger ist das Maß aller verkehrspolitischen Maßnahmen in der Stadt. Vom Fußgänger ist der Radfahrer (als Synonym für alle sich nicht motorisiert fortbewegenden Bewohner) räumlich zu trennen ebenso wie jene Bewohner und Pendler, die sich motorisiert fortbewegen. Das kann nur eine komplette Entmischung garantieren. Der dafür notwendige Raumbedarf wird beim vorhandenen Raumbedarf der Motorisierung (den Straßen) eingefordert. Der Fußgänger hat erste Priorität, die zweite Priorität wird an die Radfahrer i.w.S. verteilt und die letzte, dritte Priorität steht in den Metropolen den Automobilen zu. Parallel mit dem Zurückdrängen des Automobils müssen die Infrastrukturen des ÖPNV verbessert werden. Die konsequente Folge wird sein, dass in den Metropolen alle Fragen nach Lärm und Grenzwerten von verpesteter Luft, egal von welchen Stoffen, der Vergangenheit angehören werden

Wir alle kennen in der Zwischenzeit den Volkentscheid („Rettet die Bienen“) und die Chancen, die der Erfolg eines solchen Entscheides möglich macht. Wenn wir oben festgestellt haben, dass sich die politischen Kräfte institutionell so verhakt haben, das keine Entscheidungen zustande kommen, dann sehe ich in der Form des ‚Politikentscheids‘ eine Möglichkeit, dass sich unabhängig von den unbeweglichen Parteistrukturen Politiker über Parteigrenzen zusammenschließen können, und für ihre ausformulierten Vorstellungen einen sogenannten Politikentscheid fordern können. Ein Volksentscheid unterstellt (oft fälschicherweise), dass die Initiative vom „Volke“ ausgeht. Warum nicht das gleiche Verfahren, wenn die Politik zu schwerfällig wird, im Kompetenzstreit versinkt, oder gewisse Betonköpfe nicht begreifen wollen, dass sich hier eine Veränderung vollzieht. Dann sollte es ganz offen eine Möglichkeit geben, die ganzen Strukturen wie im Bildersturz zu stürmen, um dazu einen klassischen Volksentscheid auslösen zu können. Es würde die Debatten beleben, es würde die Fraktionen agil werden lassen. Die Parteien würden nicht immer nur auf ihre Geldgeber und deren Wünsche schielen. Politik würde dann wieder dahin kommen, dass sie von Vielen offen diskutiert werden kann.

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