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Entwickeln wir eine Kultur der Dummheit?

Diese Fragestellung könnte als Provokation aufgefasst werden. Bei genauerer Betrachtung stelle ich nur die schlichte Frage, ob wir eine Kultur der mangelnden Urteilskraft entwickeln. Der Begriff ‚Dummheit‘ ist nach Kants Definition schlicht und präzise mangelnde Urteilskraft.

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Kant geht wohl bewusst von Urteilskraft und nicht nur von Urteilsfähigkeit aus: Zwischen Urteilskraft und Urteilsfähigkeit liegen die gleichen Unterschiede wie zwischen Kompetenz und Können. Die Kompetenz zum Urteil reicht nicht, es fehlt ihr immer noch die Kraft, das Urteil zumindest in der eigenen Person auch umzusetzen.

Und hier sind wir beim ersten Punkt einer Kultur der Dummheit: Unsere Bildungsstätten wollen Kompetenz vermitteln, wo Können verlangt ist: In Mathematik kompetent zu sein, könnte bedeuten, zu wissen, was und wie Differentialrechnung funktioniert, aber eine Aufgabe der Differentialrechnung dann auch aus dem Stand lösen zu können, bedeutet ‚Können‘. Und ‚können‘ erfordert Übung oder nennen wir es Training. Das ist durch Kompetenzvermittlung nicht zu schaffen. Im handwerklichen Bereich wäre Kompetenz zu wissen, wie eine Heizung funktioniert. Aber meine Erwartungen an den Meister seines Faches stützen sich auf sein Können. Die Kompetenz ist mir dabei völlig gleichgültig.

Harald Lesch, Astrophysiker und Wissenschaftsmoderator, sprach in Heidelberg über die „Digitale Diktatur“ (https://www.youtube.com/watch?v=z0uRzkZuVuM). Ich möchte auf eine Aussage ganz am Anfang seines Vortrages zurückkommen, in der er sinngemäß die Digitalisierung als einen Angriff auf unsere Urteilsfähigkeit erkennt. Er drückt sich sehr geschickt aus, so dass ich den Eindruck habe, dass die Mehrzahl seiner Zuhörer das Problem überhaupt nicht erkannt hat. Lesch spricht darüber, dass unsere Wissenschafts-Kultur im Wesentlichen auf der Vermittlung von Erkenntnissen beruht, die Antworten auf die Frage nach dem Warum liefern. Das Warum lässt sich nur beantworten, wenn wir die Ursache für eine beobachtete Wirkung verstanden haben. Das Erkannte sollte möglichst wahr, also objektiv überprüfbar sein. Gegenstand unseres Wissensgewinns ist die Qualität der Beziehungen von Ursache und Wirkung und stärkt damit fortlaufend unsere Urteilskraft.

Die Digitalisierung bringt einen Gesichtspunkt ins Spiel, der nicht sofort ins Auge sticht: Die heutige Form der Digitalisierung (bis hin zu Big Data) wird durch (komplexe) Algorithmen bestimmt. Algorithmen sind nicht in der Lage, Ursache und Wirkung zu beurteilen. Dazu müssten sie in der Lage sein, den ‚außerirdischen‘ Trick zu entwickeln, eine quantitative Aussage in eine qualitative Aussage verwandeln zu können. Das können bisher und auf absehbare Zeit nur Menschen. Der historische Materialismus im Rahmen des Marxismus/Leninismus stand vor dem gleichen Problem und war nicht in der Lage, hier eine plausible Erklärung zu liefern. Aber das ist Ideen-Geschichte und lockt keinen mehr hinter dem Ofen vor! Nur die Digitalisierung (möglicherweise in ihrer Geschichtsvergessenheit) versucht uns einzureden, dass das funktioniert. Dabei sind die Ergebnisse von Big Data ja eindrucksvoll, nur vermitteln sie keine Erkenntnisse zu Fragen nach dem Warum. Big Data liefert zugegeben komplexe Korrelationsdaten, die über mathematische Verfahren der nicht-linearen Regression gewonnen werden. Aber die Aussagen sind meinetwegen Wissen (letztlich irrelevantes Wissen) von Erscheinungen, aber auf keinen Fall erreicht das Wissen die Stufe einer Erkenntnis nach dem Warum. Wissenschaftstheoretische Ansprüche sollten wir erst gar nicht bemühen.

Und der von irrelevanten Informationen überschwemmte Mensch kommt – wenn er nicht darin geschult ist, den ‚Overload‘ bewusst auszublenden – gar nicht mehr dazu, nach dem Warum zu fragen. Er interpretiert die vorgestellte Informationen-Korrelation im schlimmsten Fall als Kausalität. Und merkt nicht, wie er hinters Licht geführt wird. Wir haben durch den Druck und der Häufigkeit der ‚geschlamperten‘ Korrelationsaussagen schon ein gutes Stück weit unsere kausale Richtschnur verloren.

Zur einleitenden Frage „Entwickeln wir eine Kultur der Dummheit?“ wurde ich durch eine Essay von Hendrik Holm angeregt, der sich mit der „Macht der Dummheit oder Nietzsche und wir?“ befasst (in: Scheidewege 2018/19, Nr. 48, S.327 ff.). Die Begrifflichkeit ändert sich nicht:

„Der Dumme ist nicht der einfach Gestrickte. Dumm kann auch ein intelligenter Mensch sein.“ Der Gegensatz zur Dummheit ist nicht Intelligenz, sondern Klugheit. Eine Kultur der Dummheit ist eine Haltung, die darauf gerichtet ist, die Urteilskraft systematisch zu schwächen, um damit die Macht der Dummheit zu stärken. Urteilskraft gewinnt man durch Nachdenken und Erkenntnisse im Rahmen der Kausalität. Und Erkenntnis gewinnen zu wollen, ist Arbeit und entzieht sich jeder Bequemlichkeit. Dummheit ist deshalb auch oft mit einem gehörigen Maß an Bequemlichkeit gepaart – man ist zu faul, um ein kraftvolles Urteil zu fällen und die Konsequenz aus der Erkenntnis zu ertragen.

Nietzsche lebte bis 1900 und hatte zu seiner Zeit keine Probleme mit der Digitalisierung, aber der auch zu Nietzsches Zeit sinkende Bildungsgrad ließ ihn auf die Barrikaden gehen. Sein Problem lässt sich eher mit unseren heutigen Erwartungen an unsere Ausbildungssysteme vergleichen. Für ihn waren es die „Bildungsphilister“ seiner Zeit, die seinen (heiligen) Zorn auslösten. Sie gibt es auch noch in der heutigen Zeit zu Hauf, aber es gibt Nietzsche nicht mehr. Und die Erwartung an einen wortgewaltigen Nachfolger erscheint mir vermessen. Die Welt hat sich zu stark verändert.

In Schopenhauer als Erzieher beschreibt Nietzsche „die geplagten Sklaven der drei M, des Moments, der Meinungen und der Moden“ und Holm stellt die Frage, „inwiefern wir uns (auch heute) diesen M’s ausliefern“. Er versucht anhand von drei Beispielen den Bezug zur Gegenwart herzustellen:

„1. Die Meinungen üben Macht über uns aus. Ich darf nicht meinen, was ich meine. Und in der Forschung wird es schwierig, wenn man nicht den Meinungen der Anderen folgt.“ Die Feststellung von Holms liest sich oberflächlich, als ob keine Meinungsfreiheit bestünde. Das ist hier nicht gemeint. Die Zahl der unreflektierten (dummen) Meinungen hat erschreckend zugenommen. Es ist zur Gewohnheit geworden, zu allem und jedem schnell mal eine Meinung (Likes) abzusondern, ohne die Zusammenhänge auch nur zu ahnen. Dabei ist die Äußerung der Meinung schon vorstrukturiert. Es gibt nur Zustimmung oder Ablehnung. Jede Differenzierung wird ausgeblendet. In den (un)sozialen Medien wird durch Shitstorms sichergestellt, dass man es sich zweimal überlegt, ob man eine eigene Meinung zum Ausdruck bringt. Die Schnellschuss-Meinungen unterstellen, dass man zu jedem Sachverhalt eine Meinung zum Ausdruck bringen müsse. Die Vorstellung, dass der Sachverhalt erst mal Sachverhalt bleibt und keiner Bewertung unterliegen muss, ist den meisten Menschen fremd.

Um im Wissenschaftsbetrieb voran zu kommen, sollte man sich aller Themen enthalten, die zu Ergebnissen führen könnten, die zwar hoch interessant wären, aber den Etablierten auf die Füße tritt. Die alte Idee, mit Hilfe der Wissenschaften Neues, Innovatives zu schaffen, lässt sich mit der Vorgehenswese sicherlich nicht erreichen.

„2. Die Mode macht mich annehmbar für andere. Ich liefere mich Konventionen aus, um anerkannt zu werden. An sich muss das nicht schlecht sein, aber wenn es um Moden im Denken geht (Dummheit ist ein geistiges Phänomen) hebt man die Freiheit auf, wenn man der Konvention folgt. Konventionelles Denken führt zur Veränderung des Wissens. Man weiß nicht mehr um das Wissenswerte im Sinne einer Einsicht in eine Sache, sondern man weiß um das Nicht-Wissenswerte im Sinne von Informationen über etwas. Die Integration des Wissenswerten in der eigenen Person wird gegen Ansammlung von Informationen (aus Korrelationen, V.F.) ausgetauscht.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

„3. Dem Moment nachzulaufen bedeutet bewusst auf innere Stabilität zu verzichten. Man lässt sich von Ereignissen mitreißen. Man tauscht die Erfahrung (gegen) Erlebnis ein. Erfahrungen machen uns zu dem, was wir sind, sie können uns verändern. Sie prägen uns. Erlebnisse verändern uns nicht. Sie liefern uns dem Genuss des Jetzt aus.“ Dem Moment nachzulaufen, ist bequem und manchmal auch angenehm. Man trifft dort viele und es ist bestimmt recht kuschelig. Erkenntnisse werden dort aber nicht geboren – hierzu bedarf es des Rückzugs und des Aufbaus innerer Stabilität, um Neues zu schaffen.

Nietzsche ist schon lange tot, aber Teile seiner unnachahmlichen Aphorismen begeistern noch heute. Seine Ausführungen zu Schopenhauer als Erzieher stammen aus der Zeit um 1875 und sind damit fast 150 Jahre alt. Daraus lässt sich aber auch eine gewisse Beruhigung des Gemüts ablesen. Wenn Nietzsche vor 150 Jahren die Sorge umgetrieben hat, dass die Macht der Dummheit zur Realität werden könnte und wir uns heute umschauen, dann könnte man zu der Einsicht gelangen, dass es wohl ganz so schlimm nicht ist. Oder vielleicht merken wir das auch gar nicht mehr?

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Mutlose Umweltpolitik

Der Klima-Rat der Bundesregierung hat gekreist und die Geburt eines Umweltprogramms verkündet. Jedem, der sich mit Umweltproblemen befasst, war klar, dass hier etwas geschaffen wurde, dass den Namen Umweltprogramm kaum verdient, weil in keinem Fall erkennbar ist, dass eine notwendige Probleminventur vorgenommen wurde.

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Wenn man die Problematik ernst nehmen würde, wäre doch eine Durchsicht aller gewährten Subventionen der erste (und auch der einfachste) Schritt, um inadäquate Subventionsmaßnahmen einzufrieren oder wenigstens umzubauen. Aber nein – wir ballern immer noch Subventionen in Milliardenhöhe in unsere Überproduktion und der Klima-Rat hat keinen Abbau von Subventionen verfügt, sondern zu den bestehenden noch absehbar einige neue hinzugefügt. Das Hauptaugenmerk des Klima-Rats lag auf Durchsetzung der CO2-Zertifikate, einer Maßnahme, die es schon 10 Jahre oder mehr gibt und die sich in diesem Zeitraum als absoluter Flop erwiesen hat. Aber was nicht gelaufen ist, erscheint der Bundesregierung gut und teuer, denn dann gewinnt der Klima-Rat wieder ein paar Jahre Zeit, bis er offiziell kapieren muss, das war nichts!

Erschreckend ist die Tatsache, dass das vorhandene Inhouse-Knowhow, das in Form des Bundesumweltamtes (BUA) zur Verfügung steht und das sich täglich mit den anstehenden Umweltproblemen hautnah befasst, zu keiner Zeit vom Klima-Rat als Berater in Anspruch genommen wurde. Stattdessen haben die Bundes-Ressorts im Rahmen der Erledigung ihres eingeforderten Beitrags zum Klimapaket schnell externen Rat (natürlich gegen eine ordentliche Stange Geld) eingeholt, damit sie sicher sein konnten, dass die Beratung auch so lief, dass sich keinen Widerspruch zu ihrem Verständnis der Problemlage ergibt. Das Bundesumweltamt (BUA) hat, nachdem das Ergebnis des Klima-Rates vorlag, eine Bombe platzen lassen: Es hat einen eigenen Vorschlag vorgestellt, der in vielen Aspekten dem Konzept des Klimapaketes deutlich widerspricht. Die Chefin des BUA, Frau Krautzberger, hat mit diesem Eklat ihren Job hingeschmissen und steht nicht mehr zur Verfügung. Es wäre wünschenswert, wenn mehr Mitarbeiter diese Haltung der Freiheit hätten, die Zusammenarbeit zu kündigen, wenn sie merken, dass die verfolgte Politik nicht mehr mit ihrem Gewissen oder auch mit ihrem professionellen Knowhow vereinbar sind.

Unsere Politiker haben noch nicht verstanden, dass angesichts der Klimakrise (der Begriff „Wandel“ taugt nicht mehr) ein „Weiter so“ nicht darstellbar ist. „Weiter so“ heißt in diesem Fall ein paar kosmetische Änderungen (z.B. die Einführung von ungedeckelten Zertifikaten, deren Preis einfach lächerlich ist) und ansonsten machen wir statt Umweltpolitik unverändert Wirtschaftspolitik im alten Stil. Angesichts der Problemstellung müsste aber der Umweltpolitik ab sofort eine oberste Priorität eingeräumt werden. Sie müsste künftig den Takt vorgeben und die Wirtschaftspolitik muss sich mit jeder Maßnahme fragen lassen, ob sie mit der angestrebten Umweltpolitik auch vereinbar ist. Dieser grundlegende Prioritätenwechsel fehlt in der vorgestellten Politik komplett. Mit dem Prioritätenwechsel wäre auch die angesprochene Revision der Subventionspraxis unumgänglich. Das sind – zu gegeben – schwierige Aufgaben und es wird die Politik zum Schwitzen bringen, aber nur so können wir die notwendige Veränderung einleiten.

Politiker neigen zu der Haltung, es sich immer nur mit ganz wenigen zu verderben, indem sie hoffen, dass die Mehrheit die Veränderung nicht merkt oder negiert oder man glaubt durch das Verteilen von Bonbons (z.B. Pendlerpauschale) die Massen auf ihre Seite ziehen zu können. Die Revision der Subventionen ist natürlich genau die Aufgabe, die Politiker am meisten scheuen: die bisherig Begünstigten werden auf sie sauer sein und die künftig Begünstigten müssen sich erst noch zu einer machtvollen Einheit formieren. Also wird die Revision nie kommen. Stattdessen werden neue Subventionen ausgedacht und erst dann, wenn die Empfänger der neuen Subventionen sich formiert haben, werden u.U. die alten abgebaut. Ob wir dafür das Geld und die Zeit haben, glaube ich nicht. Wir werden es sehen!

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Gute Geschichten?

Nikolaus Piper bezieht sich in der SZ (6.12.2019) auf Robert Shillers ‚Narrative Economics‘ und verweist auf die vielfältigen Narrative (die netten Geschichten) zur Ökonomie. Man könnte deutlicher auch sagen, die ganze Ökonomie besteht in ihrem wirkmächtigen Einfluss aus einer Vielzahl fragwürdiger, meist postfaktischer Narrative zum Markt, zur Sinnhaftigkeit des Wettbewerbs, zum sogenannten Freihandel, zur Globalisierung, zur Rente, zur Finanzwirtshaft, u.v.a.m..

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Herr Piper greift dann die Wahrnehmung vieler Menschen auf, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich laufend weiter öffnet und klassifiziert diese Wahrnehmung als ein fehlerhaftes Narrativ, weil angeblich zu komplex. Narrative der Ökonomie sind immer simpel, meist zu simpel, aber sonst wären es keine ‚guten‘ Geschichten. Der Informierte weiß das und ist ggfs. entsetzt. Die große Mehrheit tut im Wesentlichen das, was mit der Geschichte beabsichtigt ist. Und die Initiatoren freuen sich, dass ihr psychologischer Angriff auf die Hirne der Massen Früchte trägt.

Herr Piper begründet seine Meinung anhand des Gini-Koeffizienten mit einem Wert für Deutschland von 0,29 für die Einkommens- und einem Wert von 0,78 für die Vermögensstruktur, wobei der Bezugszeitraum offenbleibt. Nach herrschender Auffassung soll der Gini-Koeffizient die Spreizung zwischen Arm und Reich zum Ausdruck bringen. Piper korrigiert den Vermögens-Koeffizienten schnell noch um die Ansprüche des in der gesetzlichen Altersversorgung gebundenen Vermögens und meint, damit begründen zu können, dass unsere gesellschaftliche Vermögensverteilung mit einem Gini-Koeffizienten von („nur“) 0,59 ja doch im normalen Rahmen der europäischen Länder liege. Warum also diese Aufregung? Schön hingedreht!

Diesem Narrativ muss widersprochen werden!

Der Gini-Koeffizient fußt auf statistischen Daten und geschätzten Fortschreibungen. Nun ist es so, dass in Deutschland seit der Aussetzung der Vermögensteuer in den 90iger Jahren keinerlei verlässliche Zahlen mehr existieren, wie hoch das wirkliche Vermögen der oberen zehn bis fünfzehn Prozent der Einkommen und Vermögen einzuschätzen ist. Die statistischen Erhebungen hinsichtlich des Einkommens enden in einer Kategorie „18.000 Euro pro Monat und mehr“ und ich weiß aus eigener Berufserfahrung, die Einkommen am oberen Ende der Einkommenspyramide liegen gravierend darüber.

Die Vermögensseite basiert auf Schätzungen in Form von Fortschreibungen der letzten Erkenntnisse aus den Jahren vor Aussetzung der Vermögenssteuer. Die Schätz-Basis ist also fast 30 Jahre alt und die Vermögen haben seit jener Zeit allein durch eine Reihe von bemerkenswerten Steuervergünstigungen, die nur die großen Vermögen wirklich nutzen konnten, rasant zugenommen. Also ist mit ziemlicher Sicherheit der offizielle Gini-Koeffizient für die deutsche Vermögens- und Einkommensstruktur bei weitem und politisch gewollt zu niedrig geschätzt.

Wenn Sie dann, verehrter Herr Piper, unverfroren die zweckgebundenen Ansprüche aus der gesetzlichen Altersversorgung in die Vermögensstruktur einrechnen, um den Vermögens-Koeffizienten von einem sehr hohen Stand von 0,78 auf einen kommoderen Wert von 0,59 zu drücken, ist Ihr Vorgehen überaus fragwürdig. Das Vermögen der Altersversorgung ist nicht frei verfügbar, stellt auch keinen Kapitalstock dar, noch ist es in irgendeiner Form zu irgendeiner Zeit auf private Konten transferierbar. Es ist lediglich ein Anspruch, der ohne Gegenleistung verfällt, wenn z.B. die anspruchsberechtigte Person vor Erreichung der Altersgrenze verstirbt. Dass die Altersversorgung in der offiziellen Gini-Statistik nicht erscheint, ist deshalb richtig und angemessen und sollte auch von Ihnen so akzeptiert werden. Dass der „Gini“ noch andere ‚Konstruktions-Defizite‘ hat, sei dahingestellt.

Ökonomische Narrative fallen nie vom Himmel. Sie haben immer einen Autor und werden von ihm mit voller, meist politischer Absicht ins Leben gerufen. Gewöhnlich werden diese postfaktischen Narrative insbesondere von der „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ oder einem vergleichbaren neoliberalen Think Tank in Auftrag gegeben.

Mein Narrativ zum „Gini“ sieht anders aus: Bei einem Gini-Wert von 0,78 und mehr frage ich mich, was die Vermögensballung auf einen immer kleineren Personenkreis bedeutet. Jede Vermögensmehrung geht immer mit einem entsprechenden Macht- und Einflusszuwachs der Nutznießer dieser Mehrung einher. Man spricht dann gewöhnlich von einer Oligarchie. Die amerikanische Struktur hat diesen Status schon ‚offiziell‘ erreicht. Was ist dann die Bedeutung von Demokratie? Ist das nur noch ein formales Spiel, damit die an der Macht Nichtbeteiligten ihre „Brot und Spiele“ (Bespaßung) zelebrieren können, aber wirkliche Entscheidungen fallen in den Hinterzimmern? Könnte man nicht das Straßenengagement vieler junger Menschen auch damit erklären, dass die etablierten Kreise nicht mehr aus ihrer eingelullten Komfortzone von „Brot und Spiele“ herauskommen und die Jugend nicht mehr mit der Hier und Jetzt- Betrachtung („Uns geht es gut!“) einverstanden ist und die Zukunft der Generationen als neues, schlagendes Argument entdeckt hat? Plötzlich kommt Bewegung in die Chose. Für die meisten anderen Argumente hat unsere Politik schon fertige Antworthülsen (Narrative) parat; dafür aber noch nicht! Und die Oligarchen als auch die Politik sind sprachlos, sie stottern nur herum. Damit haben sie nicht gerechnet.

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Wann wird man je verstehen….?

Friday for Future als auch die Generationen Stiftung werfen uns als Gesellschaft vor, wir hätten seit fast 50 Jahren (seit dem Club of Rome) Kenntnis über die verheerende Wirkung unserer Wirtschafts- und Lebensweise gehabt. Das hat mich veranlasst, noch einmal in Ausschnitten in einem populärwissenschaftlichen Bestseller aus dem Jahre 1982 nachzulesen und muss leider feststellen, der Vorwurf ist absolut berechtigt.

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Der studierte Physiker und heutige Ökologe Fritjof Capra brachte 1982 seine fünfhundertseitige „Wendezeit – Bausteine für ein neues Weltbild“ heraus. Das Buch wurde in deutscher Sprache 1983 in 5. Auflage vorgestellt und wird heute noch in einer Ausgabe aus 2016 verkauft. Die Vereinnahmung des Buches im Rahmen der New Age Bewegung ist mir nicht so recht nachvollziehbar.

In seinem Buch wird im Analyseteil nicht nur eine vehemente Kritik der Wirtschaftswissenschaften (S. 203ff), sondern auch die verhängnisvollen Folgen des unbegrenzten Wachstums beschrieben. Damals galt Capra für viele als Paradiesvogel, heute müssen wir feststellen, dass seine Kritik ins Schwarze getroffen hat. Im Folgenden zitiere ich einige Absätze, beginnend mit Seite 234:

Der größte Teil des wirtschaftlichen Denkens unserer Zeit (1982!) beruht auf der Idee des undifferenzierten Wachstums. Auf dem Gedanken, dass Wachstum hinderlich, ungesund oder krankhaft sein kann, kommt man gar nicht. Wir brauchen daher dringend eine Differenzierung und Qualifizierung des Wachstumsbegriffs. Wachstum muss von der übermäßigen Produktion und vom übertriebenen Konsum im privaten Bereich in die Bereiche der öffentlichen Dienstleistungen kanalisiert werden, (…).

In den meisten Industriegesellschaften gibt es drei eng zusammenhängende Dimensionen des Wachstums – wirtschaftlich, technologisch und institutionell. Andauerndes wirtschaftliches Wachstum wird praktisch von allen Volkswirten als Dogma akzeptiert. Mit Keynes sind sie des Glaubens, das wäre der einzige Weg sicherzustellen, dass der materielle Reichtum zu den Armen durchsickert. Dabei ist schon lange nachgewiesen, wie unrealistisch dieses Wachstumsmodell des „Durchsickerns“ ist. Denn hohe Wachstumsraten tragen nicht nur wenig zur Linderung der dringenden sozialen und menschlichen Probleme bei; in vielen Ländern werden sie von wachsender Arbeitslosigkeit und allgemeiner Verschlechterung der sozialen Verhältnisse begleitet.

(…) Die Unternehmen geben unglaublich viel Geld für Werbung aus, um das gegenwärtige Konsummodell aufrecht zu erhalten. Viele der auf diese Weise konsumierten Waren sind unnötig, verschwenderisch und oft direkt schädlich. Der Preis, den wir für diese exzessive kulturelle Angewohnheit zahlen, besteht in der stetigen Verschlechterung der wirklichen Lebensqualität – der Luft, die wir atmen, der Nahrung, die wir essen, der Umwelt, in der wir leben und der gesellschaftlichen Beziehungen, die das Gewebe unseres Lebens bilden. Diese Kosten eines verschwenderischen Überkonsums wurden schon vor mehreren Jahrzehnten gut dokumentiert und sind seither noch gestiegen.

Die ernsteste Konsequenz des anhaltenden Wirtschaftswachstums ist die Erschöpfung der Bodenschätze unseres Planeten. Das Tempo dieser Ausbeutung wurde schon in den frühen fünfziger Jahren mit mathematischer Genauigkeit von dem Geologen M. King Hubbert vorausgesagt, (…). Inzwischen  hat die Geschichte Hubberts Voraussagen bis in die letzten Einzelheiten bestätigt, (…).

Um eine schnelle Erschöpfung unserer Rohstoffe  zu verlangsamen, müssen wir nicht nur die Idee anhaltenden wirtschaftlichen Wachstums aufgeben, sondern auch den weltweiten Bevölkerungszuwachs unter Kontrollen bringen. (…) Die Vorschläge reichen da von Erziehung und freiwilliger Familienplanung bis zum Zwang durch gesetzliche Mittel oder brutale Gewalt. Die meisten dieser Vorschläge sehen das Problem als rein biologisches Phänomen, das nur mit Fruchtbarkeit und Empfängnisverhütung zu tun hat. Die Demographen in aller Welt haben jedoch inzwischen schlüssige Beweise dafür zusammengetragen, dass das Bevölkerungswachstum ebenso sehr, wenn nicht mehr, von mächtigen sozialen Faktoren beeinflusst wird. Nach diesen Forschungsergebnissen wird die Zuwachsrate von einem komplexen Zusammenspiel biologischer, sozialer und psychologischer Kräfte  beeinflusst. (…) Indem (..) die Besserung der Lebensbedingungen immer weitere Fortschritte machte und die Sterberate fiel, begann auch die Geburtenrate zu sinken, womit das Bevölkerungswachstum zurückging. (…) Der wirksamste Weg zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums wäre, den Völkern der Dritten Welt zu einem Lebensstandard zu verhelfen, das sie dazu bringt, ihre Fruchtbarkeit freiwillig zu begrenzen. Das würde eine globale Umverteilung des Wohlstands erfordern. (…)

In unserer Kultur ist wirtschaftliches Wachstum untrennbar mit technologischem Wachstum verbunden. Individuen und Institutionen werden hypnotisiert von den Wundern der modernen Technologie und werden dadurch zu dem Glauben verleitet, für jedes Problem gebe es eine technologische Lösung. Ob es sich um ein politisches, psychologisches oder ökologisches Problem handelt – die erste Reaktion, fast automatisch, ist, seine Lösung durch irgendeine neue Technologie finden zu wollen. Der Vergeudung von Energie begegnet man mit Kernkraft (1982!), fehlende politische Einsicht wird ausgeglichen durch den Bau von noch mehr Raketen oder Bomben, und die Vergiftung unser natürlichen Umwelt hilft man ab durch Entwicklung spezieller Technologien, die ihrerseits die Umwelt in einer Weise beeinflussen, von der wir noch nicht wissen, welche Auswirkungen sie schließlich haben wird. Bei der Suche nach technologischen Lösungen für alle Probleme schieben wir diese gewöhnlich in unserem Ökosystem hin und her, und sehr oft sind die Nebenwirkungen der „Lösung“ schädlicher als das ursprüngliche Problem.“

Das mag genügen, um zu erkennen, dass wir in den letzten Jahrzehnten uns nur im Kreis gedreht haben – Capra sagte 1982, was Sache ist, aber wir sind einer Lösung nicht einen Schritt näher gekommen. Also ist die Tatsache, dass der jüngeren Generation allmählich der Kragen platzt, durchaus verständlich. Man muss sie unterstützen, denn es muss sich etwas ändern, wenn es gut werden soll.

Die Fußnoten zu Capra’s Ausführungen habe ich mir erlaubt wegzulassen. Jede der Aussagen von Capra ist mit zahlreichen Hinweisen weiterführender Literatur versehen.

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Ihr habt keinen Plan (2) …

Mein erster Eindruck hat mich nicht in die Irre geführt. Nach einer kurzen Nachricht des Verlags ist das Buch „Ihr habt keinen Plan (darum machen wir einen)“ ein sogenannter Bestseller. Diese Auszeichnung sagt gewöhnlich nichts über die Qualität des Buches, aber es lässt die Verbreitung des Buches erahnen.

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Meine größte Sorge beim Lesen dieser ‚Probleminventur‘ war, dass die sogenannten Leitmedien die Sache schlicht ignorieren werden (wie sie es schon häufig getan haben). Das wird bei einem Bestseller einfach schwierig. Wenn zu viele dem Buch ihre Beachtung schenken, (und es auch lesen) werden es auch die Mainstream-Medien tun (müssen) – schweren Herzens!

Damit sind meine ersten Bedenken ausgeräumt. Das Buch wird also seine notwendige Beachtung finden. Jetzt kommt es auf die Reaktionen an. Das Buch fordert heraus und ich bin auf den Tenor der Reaktionen gespannt. Da die Forderungen einen hohen Anspruch verkörpern, ist mit einigem Gegenwind zu rechnen. Deshalb wäre es ein sinnvolle Strategie der Generationen Stiftung, sich zur Umsetzung der Forderungen über ein paar wesentliche Punkte klar zu werden: Die hundert Forderungen, die das Buch aufzählt und zu begründen versucht, sind nicht alle in gleicher Weise von Bedeutung hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit und hinsichtlich des Zeithorizontes.

Was ist langfristiges Ziel und was ist unumgänglich jetzt umzusetzen? Das langfristige Ziel hat eine Zeitachse, mit der man relativ flexibel umgehen kann. Die unumgänglichen Sachverhalte müssen in nächster Zukunft umgesetzt werden. Hier besteht keine Flexibilität. Diese Unterscheidung sollte man aber getroffen haben, bevor man ggfs. in eine Verhandlung eintritt (oder auch in Interviews seine(n) Mann/Frau stehen muss), um auch dem Verhandlungspartner gleich klare Grenzen setzen zu können – was ist verhandelbar (diskutierbar) und was nicht.

Wenn ich die hundert Forderungen Revue passieren lasse, so drängt sich mir der Eindruck auf, dass die Realisierung bestimmter (Kern-)Forderungen schon eine Situation schaffen kann, in der möglicherweise einige der (Rand-)Forderungen keine oder nur noch eine geringe Bedeutung behalten. Diese Kernforderungen sind in den künftigen Diskussionen besonders herauszustellen und, soweit möglich, pragmatisch nachvollziehbar zu begründen.

Hierzu ein Beispiel, das in dem Buch m.E. nicht erfasst ist: Die Forderung, die kommerzielle Werbung auf die Beschreibung der Produkte (Werbung über Fakten) zu beschränken. Das Ziel wäre eine Aufhebung der psychologisch orientierten Status-Werbung und die Einschränkung des „Treibers“ für Überfluss und Konsum sowie die sich daraus ergebende Produktion von Müll. Mit anderen Worten: Eine sinnvolle Maßnahme schafft möglicherweise viele unerwartete Nebenwirkungen, die in erster Line gar nicht im Fokus gestanden haben. Oder denken wir an eine Einschränkung des Alkoholkonsums durch kräftige Preiserhöhungen, Verbot des Verkaufs an Minderjährige, Verbot des Verkaufs nach 22:00 Uhr: alles Maßnahmen, die den übermäßigen Alkoholkonsum in Deutschland sehr rasch auf das Niveau eines Genussmittels zurückführen. „Saufen“ muss etwas für arme, bemitleidenswerte Abhängige sein, so wie Raucher inzwischen keine in den Sonnenuntergang reitenden Helden mehr sind, sondern sich für ihre Abhängigkeit quasi entschuldigen und vor die Tür treten müssen.

Einige Forderungen münden zwangsläufig in ein Verbot. Hier tut sich unsere Politik besonders schwer, weil ein Verbot eine eindeutige und abschließende Haltung zum Ausdruck bringt. Und das ist nicht die Stärke unserer gegenwärtigen Politik und ihrer Unterstützer. Bei Verboten, so scheint mir, müssen sich die Massen durch den Verbots-Sachverhalt mobilisieren lassen, ähnlich dem Rauchverbot in Bayern oder dem Volksbegehren zum Bienensterben. Der Sinn eines Verbotes muss in ganz einfachen Worten emotional vermittelbar sein, um ein Erfolg zu werden. Verbote haben den Nachteil, dass wir nicht davon ausgehen können, dass sich die Bürger automatisch daran halten. Also muss das Verbot den unausgesprochenen Wunsch der Bürger treffen. Oder es muss eine Kontrollinstanz ins Leben rufen werden, die dann die nächsten Generationen nicht mehr aufgelöst wird, obwohl der Grund für die Kontrollen inzwischen weggefallen sein kann.

Die ersten Gegenargumente, die ich insbesondere von meiner Altersklasse gehört habe, waren Empörung, dass sich „die Jungen“ eine Anklage in so klaren Worten aufzustellen trauen. Das ist weitgehend unbeachtlich. Der zweite Vorwurf, den ich zu hören bekam, ist die Tatsache, dass hier nicht nur die Klimaproblematik (der Klimanotstand), sondern auch die soziale Frage angesprochen wird. „Das ginge doch gar nicht“ und das rücke das Vorhaben in die politisch ‚linke‘ Ecke. Dieses Argument vergisst, dass alle substantiellen Forderungen im Rahmen gesellschaftlicher Systeme spätestens seit der Aufklärung immer links angesiedelt sind, weil auf der rechten Seite regelmäßig jene sitzen, gegen die die Forderungen gerichtet werden müssen. Die Kategorie ‚links‘ ist immer mit den Forderungen und den Anliegen der Menschen (des Sozialen) verknüpft und die Kategorie ‚rechts‘ beschreibt regelmäßig die Seite, die (schnöde) ihre Privilegien (das Vermögen, die Macht, den Einfluss) verteidigen. Die rechte Seite neigt dazu, den Mitmenschen nicht als eigenständigen Wert zu betrachten, sondern durch ihre Brille primär als Mittel zur Mehrung von Vermögen, Macht und Einfluss zu verstehen.

Dabei hat „links“ nichts mit Sozialismus i.w.S. zu tun, sondern beschreibt lediglich die alte Sitzordnung, die bei den Verhandlungen während und nach der französischen Revolution zwischen den Fordernden (den „Revolutionären“), die auf der linken Seite und den Privilegierten und Etablierten (Inhaber von Eigentum und Macht), die auf der rechten Seite Platz zu nehmen hatten. Als Folge sind „Rechts“ und Links“ zwei Seiten der gleichen Medaille und repräsentieren immer nur die Perspektive des Betrachters und seiner eigenen Position. Jede Erfüllung einer Forderung der „Linken“ macht den (linken) Vertreter der Forderung zum Inhaber von (kleinen) Privilegien. Das ist die Strategie der „Rechten“: mit großen Worten unbedeutende Privilegien zu schaffen und damit in die „linke“ Seite den Spaltpilz einzuführen, um die Macht der Forderungen für die Zukunft zu schwächen. Das Buch stellt den Menschen in den Mittelpunkt und argumentiert vom Menschen her und damit ist klar, wo die Gegner dieser Gedanken wohl zu finden sein werden.

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Ihr habt keinen Plan, …!

Unter diesem Titel wird die Generationen Stiftung, Berlin, am 18.11.2019 ein Buch veröffentlichen, dessen Leseprobe viel versprechend ist. Sollte das Buch insgesamt die Qualität halten, die die Leseprobe verspricht, wird das Buch wie eine Bombe einschlagen. Der Grund für diese Annahme ist die Sprache und die zum Ausdruck gebrachte Sache.

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In Zeiten, in denen Hass und Hetze, Dummheit (als mangelndes Urteilsvermögen verstanden) und Ich-Bezogenheit weit verbreitet scheinen, taucht dieser Text auf, knallhart im Urteil, aber verbindlich im Ton. Dieser Text macht nicht die Fehler, sich auf die vorgefertigten Denkschablonen zu beziehen, sondern findet klare, einfache, aber treffende Worte, um einen im Grunde untragbaren Zustand zu beschreiben und dessen Veränderung einzufordern. Im Folgenden finden Sie einen Ausschnitt aus der Leseprobe (S. 19 ff), die im Internet verfügbar ist:

„Liebe Generation „not gonna happen“,

Mit diesem Buch klagen wir euch an.

Wir sind die Kinder und Enkel*innen, die von euch gelernt haben. Ihr habt uns gesagt, wir müssten immer ehrlich sein. Ihr habt uns eingebleut, dass unser Handeln Konsequenzen hat. Wir sollten mutig sein, wenn andere sich verkriechen. Wir sollten füreinander einstehen und ein Miteinander gestalten. Wir sollten unser Gegenüber ernst nehmen und ihre Kritik annehmen. Ihr wolltet, dass wir Überzeugungen entwickeln und auch nach diesen leben. Wir sollten lernen, Verantwortung zu übernehmen. Wenn wir Fehler machen, so wurdet ihr nicht müde zu wiederholen, sollten wir sie gefälligst auch eingestehen und versuchen, sie auszubügeln. Auf diese Weise habt ihr uns vermittelt, was richtig und was falsch ist und worauf es ankommt. Wir haben uns all das zu Herzen genommen, und wir denken: Damit hattet ihr recht.

Jetzt halten wir euch den Spiegel vor. Ihr habt uns die ganze Zeit etwas vorgemacht, habt nicht nach euren eigenen Regeln gelebt und tut es immer noch nicht. Stattdessen habt ihr ein Leben geführt, das so nur möglich war, wenn man die rücksichtslose Ausbeutung der Natur und unserer Zukunft hinnahm. Mit eurem Konsumverhalten habt ihr den ständigen Ressourcenraubau befeuert und die Ausbeutung vieler zugunsten weniger in Kauf genommen. Das ist Wahnsinn – und es erschüttert uns.

Aber wenn wir euch das vorhalten, nehmt ihr uns nicht ernst. Selbst bei Minimalzielen sagt ihr uns, das sei unrealistisch: Das ist doch zu viel. It’s not gonna happen. Dabei schaut ihr uns in die Augen, lächelt süffisant, manchmal auch selbstgefällig. Denn ihr habt ja die Welt verstanden. Wir denken: Nein. Habt ihr nicht. Wenn ihr ehrlich seid, habt ihr vor allem versagt. (…)

Wir werfen euch vor: Hätte die Mehrheit von euch sich interessiert, empört und engagiert, wären viele Dinge heute anders. Wusstet ihr es nicht besser, oder habt ihr es einfach ignoriert? (…)

Was wir euch vorwerfen, ist nicht nur euer zerstörerisches Handeln, sondern vielmehr euer zerstörerisches Unterlassen. Ihr sagt, dass Zukunftsthemen wichtig sind. Aber mit einem Gang alle paar Jahre zur Wahlurne ist es nicht getan. Wo seid ihr, wenn Jahr um Jahr einschneidende Maßnahmen gegen die Klimakrise verschlafen werden und wir immer weiter in Richtung Kollaps des Ökosystems schlittern? Ihr regt euch lieber im Privaten auf, statt zu handeln. Ihr habt die Verantwortung, Entscheidungen für alle zu treffen, an Politiker*innen delegiert. Aber das entbindet euch niemals von eurer Verantwortung für die Zukunft aller, die nach euch kommen. Wir nehmen euch in Haftung für alle Kosten, die ihr uns aufbürdet, für alle Folgen und Katastrophen, die euer Verhalten für unser Leben hat. (…)

Wir werden nicht mehr tatenlos zusehen, wie ihr unsere Zukunft gegen die Wand fahrt, während ihr behauptet, ihr hättet einen Plan. Euer „Plan“ schafft eine Krise nach der anderen, setzt unsere Zukunft aufs Spiel – aber die Konsequenzen sind euch egal. (..)

Dieses Buch ist eine Mischung aus Kampfansage und Einladung, aus Aufschrei und Hilferufen. Ihr wollt wissen, was gerade in uns vorgeht? Ihr wollt endlich herausfinden, warum wir so wütend sind? (…) Hier ist eure Chance! Nur mit wenigen möchten wir brechen. Die meisten aus der Generation „not gonna happen“ wollen wir aufrütteln. (…)“

(Ihr habt keinen Plan“, Hg: Claudia Langer für den Jugendrat der Generationen Stiftung, Verlag Blessing, 12,00 €, ab 18.11.2019 im Buchhandel)

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Containern und das Eigentum

Zwei Studentinnen haben aus einem Container Esswaren entnommen, die ein Discounter aufgrund des Ablaufs der Frischgarantie entsorgt (weggeworfen) hat. Sie wurden dabei erwischt und in zwei Instanzen mit einer verqueren Argumentation als „Diebe“ (zugegeben milde) verurteilt. Die Sache liegt jetzt beim Verfassungsgericht, weil jeder vernünftig denkende Mensch mit den ergangenen Urteilen nichts anfangen kann.

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Die Urteile erfolgten unter der geltenden Eigentumsprämisse, einer Prämisse, auf der unser ganzes Wirtschaftssystem fußt; deswegen tun sich die Gerichte auch so schwer. Alles starrt gebannt auf die Frage, ob des sich hier um ein Eigentumsdelikt handelt oder nicht. Offensichtlich fragt sich niemand, ob hier verantwortlich mit dem umgangen wurde, das wir Eigentum nennen. Müll ist nach herrschender Ansicht Eigentum, das mit der Deklaration als Müll anscheinend nicht aufgegeben wurde. Die Entnahme von Müll ist demnach Diebstahl. Wir haben aber nicht nur im Art. 14 des GG eine Eigentumsgarantie, sondern im Absatz II auch eine starke (leider oft vergessene) Verpflichtung zum Wohl der Allgemeinheit. Eine Änderung dieser Rechtsverhältnisse kann nur durch ein Gesetz erfolgen, mit anderen Worten: Wenn Müll Eigentum ist, und nachgewiesen ist, dass die Ware, die dort als Müll deklariert wird, noch großenteils einwandfrei verzehrbar ist, so muss vom Gesetzgeber sichergestellt werden, dass der Einzelhandel in der Deklaration von Müll eingeschränkt wird. Es gäbe dann drei Kategorien: Ware mit Verwendungsdatum, Ware, bei der das Verwendungsdatum überschritten ist und Müll! Die Ware mit Verwendungsdatum wird zum vollen Preis verkauft, die Ware mit abgelaufenem Verwendungsdatum kostet deutlich weniger (z.B. 30% – 50% weniger) und der Müll ist „Müll“, weil für den menschlichen Verzehr absolut ungeeignet. Dann gibt es auch kein Containern mehr und die beiden Studentinnen hätten ihr Ziel erreicht: im Einzelhandel wird dann weniger vermeidbarer Abfall  produziert.

Im Augenblick streiten sich die Parteien und fokussieren sich auf die heilige Kuh, das Eigentum. Ist es Diebstahl oder ist es gerechtfertigt, sich verzehrbaren Müll anzueignen. Da wird rumdiskutiert, ob hier der Mundraub-Paragraph oder der Diebstahl-Paragraph anzuwenden ist oder nicht. Hätte die Politik ihre Aufgabe verstanden, hätte sie den Missstand von zu viel Müll, der größtenteils durch die gesetzlichen Vorschriften herausgefordert wird, schon vor Jahren aufgegriffen – aber wir müssen erkennen, dass je mehr Müll produziert wird, desto mehr „Wachstum“ können die Regierungen für sich reklamieren – also tun sie nichts! Ein weiterer Gesichtspunkt der Politik ist die hirnrissige Abwägung zwischen der Frage Müllproduktion oder falschverstandener marktwirtschaftlicher Grundsätze, nach dem Prinzip: „Don’t touch a winning team!“. Sie nehmen lieber mehr Müll in Kauf als dass die Politik bereit wäre, hier klärend einzugreifen. Was ist wichtiger: der Grundsatz oder die Beseitigung eines schwachsinnigen, aber gesetzeskonformen Verhalten, das sich für unsere langfristige Entwicklung als völlig kontraproduktiv erweist.

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Rente mit 69? – Wozu diese Drohung?

Die SZ zitiert die Deutsche Bundesbank, die meint anregen zu müssen, den Renteneintrittszeitpunkt von gegenwärtig einem Alter von 67 auf 69 anzuheben. Natürlich wird dieses Ansinnen auch begründet: unser Rentensystem würde angesichts der zunehmenden Vergreisung der Gesellschaft künftig überlastet. Die ganze Argumentation bricht mit dem Wort „künftig“ in sich zusammen, weil dieser unsinnige Vorschlag (wie so oft in der veröffentlichten Meinung) nur einen Teil der Geschichte erzählt und die Zusammenhänge dramatisch verkürzt.

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Wenn wir nur auf die zurzeit geltende Form der Altersversorgung starren, so ist das Ansinnen nachvollziehbar: immer weniger Lohnarbeitskräfte zahlen aufgrund ihrer Einkommenssituation (z.B. prekärer Sektor) immer weniger in das System ein, aber die Zahl der Rentner wird deshalb nicht geringer. Wir stellen weiter fest, dass in der Wirtschaft insgesamt nicht weniger verdient wird. Also besteht da ein Ungleichgewicht, das sich fortlaufend aufbaut. Die Lage wird zusätzlich verschärft, weil die prekär Beschäftigten von ihrem Einkommen so gerade leben können, aber eine Altersversorgung, die den Namen verdient, ist damit nicht verbunden. Das Rentensystem ist auf dem Solidaritätsgedanken aufgebaut: was der einzelne nicht schafft, kann die Gemeinschaft schaffen. Wenn aber der prekäre Sektor ständig wächst, der Mittelstand ständig an Boden verliert, kommt auch die Solidarität an ihre Grenzen. Mit anderen Worten: diesen Menschen droht Altersarmut, sie fallen u.U. in die Grundsicherung und verursachen öffentliche Kosten außerhalb des beitragsgesteuerten Rentensystems. Vor diesem isoliert betrachteten Zusammenhang könnte die Forderung eines Renteneintrittsalters von 69 begründbar sein. Aber diese Argumentationskette springt viel zu kurz!

Wenn ich die Geschichte richtig verstanden habe, so gibt es Lohnarbeit erst mit der Industrialisierung, also seit etwa 250 Jahren. Davor gab es auch abhängig Beschäftigte, aber eben keine Lohnarbeit im großen Stil. Die Rentenreformen kurz vor 1900 waren eine mühsam erkämpfte Antwort auf die Verelendung dieser Lohnarbeiter. Lohnarbeit war ein ganz wesentlicher Wirtschaftsfaktor in der Wirtschaft 1.0. Und weil er so bedeutend herauskristallisierte, desto mehr war die Unternehmerseite daran interessiert, diesen Lohnfaktor durch Rationalisierung und Standardisierung einzufangen. Um einen langen Weg abzukürzen: die Bemühungen liefen darauf hinaus, dem Lohnfaktor Schritt für Schritt seine immense Bedeutung zu nehmen und diese Bedeutung dem Kapital zuzuführen. Erzählt wurde die nette Geschichte, dass wir irgendwann nicht mehr so hart oder gar nicht mehr arbeiten müssen, weil die harte Arbeit die „Energiesklaven“ (Niko Paech) übernehmen würden. Soweit so gut – aber was ist die Konsequenz? Die gezielte Strategie, die menschliche Arbeitskraft soweit es irgend geht durch Maschinen zu ersetzen, ersetzt Lohnarbeit durch Maschinen (=Kapital). Wenn jetzt diese Maschinen auch noch intelligent (im Sinne von Künstlicher Intelligenz) werden, fällt die Lohnarbeit immer weiter zurück. Unser Rentensystem ist aber auf Arbeits- bzw. Lohnarbeit angewiesen, denn nur dieser Einkommensteil ist Grundlage für die Bemessung unserer Renten.

Und die Lohnarbeit geht uns aus. Alles was eine Maschine heute übernimmt, war einmal Lohnarbeit und fütterte in der Vergangenheit das Rentensystem. Die Antwort, die die Bundesbank darauf gefunden hat, ist wie schon zuvor durchgeführt, eine Senkung der Renten über den Trick, das Eintrittsalter zu erhöhen. Je später ein Arbeitnehmer Rentner wird, desto kürzer ist sein Rentnerdasein. Dieses Vorgehen entbehrt nicht einer gewissen Komik: Wieviel Lohnarbeiter erreichen ein Eintrittsalter von 65? Wenn nun das Eintrittsalter auf 67 oder gar 69 Jahre erhöht wird, werden es noch weniger Menschen sein. Wie geht das Spiel dann weiter? Demnächst ist dann das Eintrittsalter 71 Jahre, 73 Jahre…? Ziel erreicht? Mitnichten – was ist mit denen, die das Alter zwar erreichen, aber schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr in ihrem Beruf arbeitsfähig sind. Das ist das übliche Schachteldenken – diese Menschen erhalten deutlich weniger (zu wenig) aus dem Rentenversorgungssystem, und müssen dann aus anderen Quellen als dem Rentenversorgungssystem (meist unzureichend) aufgebessert werden und haben aber bei diesen Quellen keine Lobby. D.h. im Klartext: eine Renteneintritt mit 69 Jahren entlastet vordergründig und kurzfristig das Rentensystem, reduziert aber nicht die Last der Gesellschaft, die in der Pflicht steht, diesen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu garantieren.

Die logische Folgerung kann nicht sein, am alten Rentensystem mit seiner schwindenden Bemessungsgrundlage herumzudoktern; stattdessen müssten sich die Fachleute Gedanken für ein neues Alterssicherungssystem machen, das eben nicht auf die Lohneinkünfte einer immer kleiner werdenden „Community“ abzielt. Ich höre schon die Marktradikalen, die das System natürlich privatisieren wollen – die also dafür sorgen wollen, dass vor der eigentlichen Altersversorgung des Bürgers noch schnell ein privater Gewinn für eine dubiose Institution entsteht, die dann, wenn es schwierig wird, Insolvenz anmeldet und das ehemals als attraktiv angesehene Paket dem Staat vor die Füße legt. Das System muss sicher sein und darf sich nicht über die Börse refinanzieren wollen. Wenn die Finanzierung wegen des inhärenten Börsenrisikos nicht klappt, sehen die „Versorgten“ verdammt alt aus.

Erste Ansätze kommen über das bedingungslose Grundeinkommen. Dabei sollten sie skeptisch sein, wenn hier soziale Gesichtspunkte betont werden. Das bedingungslose Grundeinkommen wird von Seiten der Wirtschaft unterstützt. Diese Kreise verschenken doch nichts ohne Hintergedanken. Wenn immer mehr Menschen in den kommenden Jahrzehnten durch die Schlagworte Globalisierung und Digitalisierung ihre Jobs verlieren, wer konsumiert dann noch? Wir sind jetzt wieder da, wo die Industrialisierung angefangen hat: Damals hat man irgendwann (schweren Herzens) begriffen, wenn wir die Arbeiterschaft nicht ordentlich bezahlen, können wir unsere Produkte auch nicht verkaufen – denn von was sollte denn der Arbeiter das Produkt bezahlen, wenn er in der Verelendung steckt? Durch die mühsam erzielte Erkenntnis, dass nur angemessen bezahlte Arbeitskräfte die Produktion kaufen können, ist das entstanden, was wir heute Wohlstand nennen. Wenn wir jetzt eine Mehrzahl von Menschen aus den Wirtschaftsprozessen hinausdrängen, müssen sie zumindest weiter konsumieren können, sonst kollabiert unser Wirtschaftssystem in ganz kurzer Zeit. Die Lösung, die heute auf dem Tisch liegt und hinter verschlossenen Türen heiß diskutiert wird, ist das bedingungslose Grundeinkommen. Dabei sind hier viele Varianten denkbar, aber eines ist klar: der Konsum darf aus der Sicht der Wirtschaft nicht einbrechen. Über alles andere kann man reden. Die Finanzierung ist nicht einfach, aber durchaus darstellbar. Eine Finanztransaktionssteuer scheint als praktikabel erkennbar. Man muss möglicherweise auch anfangen, Gewinnanteile der oberen 10 Prozent als Verfügungsmasse anzusehen, denn auch für die Vermögenden gilt: besser ein wenig bluten (ein bisschen teilen) als alles verlieren. Und sie haben im Gegensatz zu über 50 Prozent der Bevölkerung, die nichts zu verlieren haben, viel zu verlieren.

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CO2-Belastung – wieviel ist variabel?

Wenn man die neue Ansage der Regierung mit ihrem Klimakabinett ernst nehmen will, so bleibt die Frage, ob außer dem hoffentlich guten Willen auch mehr möglich oder zu erwarten ist. Es kursiert Zahlenmaterial, das immer wieder die Frage nach der Begründbarkeit aufwirft. Das Umweltbundesamt bietet die Ermittlung des jeweiligen CO2-Fußabdrucks und zeigt dabei, dass der Durchschnittsverbrauch an CO2 – Äquivalenten (der deutsche Fußabdruck) gegenwärtig bei 11,6 t/Jahr und Person liegt.

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Unterstellen wir, dass die Zahlen in ihrer Tendenz zumindest nicht falsch  sind, so bleibt die Frage, was ist das Ziel, wenn wir „klimaneutral“ sein wollen. Wenn ich mich richtig erinnere, liegt der Zielwert bei 2,5 t/Jahr. Mit andere Worten, es ist nicht nur ein bisschen Massage notwendig, das sind geforderte Einsparungen von 78,5% des heutigen Verbrauchswertes. Angesichts dieser Herkulesaufgabe wirken die Maßnahmen der Bundesregierung irgendwie „lächerlich“.

Wir können versuchen unseren Abdruck von 11,6 t/Jahr aufzuteilen, um zu erkennen, wo denn Spielräume zu finden sind, die in einem ersten Schritt genutzt werden sollten, bevor wir ans „Eingemachte“ gehen müssen. Die Aufteilung des Fußabdrucks, wie ihn das Bundesumweltamt darstellt, unterscheidet zwischen öffentlichen Emissionen (0,7 t/Jahr), Heizen und Strom (2,4 t/Jahr), Mobilität (2,2 t/Jahr) und Ernährung (1,7 t/Jahr) und Konsum (4,6 t/Jahr). Das sind in Summe die angesprochenen 11,6 t/Jahr, die ein Durchschnittsbürger (den es nur in der Theorie gibt) im Jahr an CO2 – Äquivalenten verbraucht. Es gibt also Menschen, die liegen deutlich darunter und es gibt folglich Menschen, die diesen Wert bei weitem übersteigen.

Es ist zweifelsohne ein sinnvoller Ansatz, sich die größten Brocken herauszusuchen, bei denen man unterstellen kann, dass hier auch das größte Einsparungspotenzial liegen müsste. Diese Darstellung, so wie ich sie verstehe, erfasst natürlich nicht nur den CO2-Ausstoß der Privathaushalte, sondern die Summe des privaten und gewerblichen Verbrauchs und teilt diese Summe dann durch die Anzahl der Bevölkerung (Durchschnitt). Mit anderen Worten: Ist es sinnvoll, beim privaten Bürger den Anfang zu machen, wenn letztlich feststeht, dass die großen „CO2“-Schleudern nicht unbedingt im Einflussbereich des Individuums liegen, sondern vermutlich im gewerblichen Bereich. Es ist nicht sinnvoll, uns Bürgern ein schlechtes Gewissen einzureden, wenn gleichzeitig ganze Industriezweige immer noch subventioniert werden, um möglichst viel CO2 zu produzieren. Es geht um die Subvention bei Diesel, es geht um die Subventionierung von Flugbenzin (Kerosin), es geht um die Freistellung großer Energieverbraucher von den Lasten des EEG, es geht um die Braunkohlesubventionierung. Sie können als Bürger lange an ihrem persönlichen CO2-Fußabdruck „herumschrauben“, solange diese Milliardenbeträge dafür ausgegeben werden, damit die betreffenden Industrien „brummen“ und Unmengen von CO2 ausstoßen.

Die ganze CO2-Diskussion sollte doch in erster Linie in der Politik dazu führen, dass alle existierenden Subventionen darauf überprüft werden, inwieweit sie den Fußabdruck berühren. Es ist ein wahres Vergnügen den Subventionsbericht der Bundesregierung aufzuschlagen, um zu erkennen, wo die Stellschrauben für eine Senkung des CO2-Ausstosses zu finden sind. Wichtig ist dabei zu erkennen, dass es neben den im Bundesbericht aufgezählten Subventionen auch noch 16 Landesberichte geben müsste, um hier ein klares Bild zu erhalten. Das geht natürlich ins Mark unserer Wirtschaft und macht gleichzeitig deutlich, dass eigentlich so gut wie nichts in diesem Land ohne Subventionen läuft. Jetzt wäre es ein guter Anlass, angesichts des Drucks der Klimadiskussion, alle die staatlichen „Zuwendungen“ auf ihre Konformität mit den Anforderungen eines Klimawandels hin zu überprüfen.

Wenn Sie versuchen sollten, anhand der Berechnung des Fußabdrucks festzustellen, ob und wie sie ihren Fußabdruck verkleinern können, so werden Sie bitter enttäuscht. Was immer sie an Einsparung oder Veränderung vorschlagen oder planen, die dadurch ausgelöste Reduktion ihres persönlichen Fußabdrucks ist so unbedeutend gering, dass das Ergebnis für jemanden, der ehrlich bemüht ist, hier neue Wege zu gehen, überaus frustrierend ist. Der Ansatz mit dem Fußabdruck ist ja recht plakativ, aber er muss so individualisiert werden, dass die Stellschrauben zur Verfügung gestellt werden, an denen ich als Handelnder einen Erfolg sehen kann. Es ist klar, am Gesamtbild ändert sich dabei nicht viel, aber jeder, der mitmacht und auf seiner Schiene einen Erfolg erkennen kann, wird weitermachen, egal, ob das große Ganze noch weit davon entfernt ist, die 78,5% Einsparung auch nur in etwa zu erreichen. Aber der Prozess beginnt bei jedem, der mitmacht, indem er diesen Prozess unterstützt. Der Einzelne muss sich gut fühlen können, weil er das, was in seiner Macht steht, getan hat.

Die Aufmerksamkeit derer, die ihren Fußabdruck verkleinern wollen, wird von den Betreibern des Fußabdrucks (BUA) auf Heizung und Strom und auf Mobilität gelenkt, zusammen etwa 40% des Duchschnitts-CO2-Ausstoßes; bei der Ernährung (knapp 15%) fragt man sich, wie kommt der Wert zustande? Ist hier die intensive Landwirtschaft nach dem Vorbild von Monsanto & Co enthalten oder wie lautet die Rechnung? Nichts mehr Essen, ist keine Option, aber die Herstellung von Lebensmitteln anders (sinnvoller) gestalten, wäre sehr wohl eine Alternative.

Der größte Brocken von Umweltsünden wird bei dem Fußabdruck  als „Konsum“ bezeichnet. Dieser Teil umfasst etwa 40 % der besagten 11,6 t/Jahr CO2-Ausstoß. Auf diese Kategorie geht der  Fußabdruck kaum ein. Es ist klar, hier beginnt nach unserem Verständnis die Schmerzgrenze – wie schrecklich, wir können nicht mehr shoppen gehen und müssen unsere dadurch zum Ausdruck gebrachte Langeweile anders „töten“. Das ist die Seite der Bequemlichkeit. Aber weniger Konsumieren hat ja weitreichende Folgen in einem System, in dem der Konsum als die Wohlstandsicherung verstanden wird. Dabei geht es gar nicht so sehr um weniger Konsum als darum, eine andere Art von Konsum zu etablieren.

Konsum ist heute Masse, die möglichst schnell zu Müll umgewandelt werden soll, damit wieder ein Bedürfnis nach Masse entsteht. Das ist ein wesentliches Grundprinzip unserer Wirtschaftsform. Wenn Nachhaltigkeit wirklich Einzug hielte, hat das zwei sofortige Auswirkungen: Die Dinge, die unseren Konsum beflügeln, müssen langer halten, sie müssen reparierbar bzw. überholbar sein, ohne dass das Reparieren an der Frage des günstigeren Neukaufs scheitert. Die ‚Massenproduktion‘ muss teurer werden. Sie wird damit natürlich ihren Massecharakter verlieren. Masse ist ja genau das Gegenteil von der viel geschworenen Vielfältigkeit, die wir leben wollen.

Unsere Einstellung zum Konsum muss sich grundlegend ändern – es kann nicht sein, dass ein Artikel eine neue Farbe erhalten hat, und deshalb der „alte“ seine Wertschätzung verliert und der Wunsch gesellschaftlich unterstützt wird, diesen Artikel statt des alten erwerben zu wollen. Diese Haltung ist nur deshalb durchzusetzen, weil die Ware scheinbar billig ist. Aber die unverantwortliche Ressourcenverschwendung zur Produktion der Ware, der Hungerlohn für die Herstellung, der Transport der Ware über weite Strecken und die Aufwendungen für deren Beseitigung sind in dem billigen Preis nicht angemessen abgebildet – das zahlt nicht der momentane Konsument, das zahlt die Gesellschaft über Steuern, über Abgaben, über das EEG, über Aufwendungen für Migration, über immaterielle Schäden einer rechtsradikalen Haltung, und vieles mehr. Es gibt in unserem Wirtschaftssystem eine Fülle von „Sidepayments“, die wir leisten und uns darüber gar nicht bewusst sind, dass das „Nebenwirkungen“ unserer teilweise falschen Lebensumstände sind.

Die Überlegungen haben immer Folgen für das Wachstum – eine der heiligen Kühe unserer Regierungen. Sowie der Konsum tangiert wird, hat das Auswirkungen auf die idiotische Maßzahl alles Wirtschaftens – den sogenannten Wachstumsquotient oder kurz – das Wachstum. Wachstum heißt im Klartext: wir müssen jedes Jahr mehr konsumieren als im Jahr davor, sonst machen die Herren des Geldes lange Gesichter und heben mahnend den Finger, indem sie uns verkünden, ab jetzt ginge es bergab. Es gibt gesicherte Untersuchungen, dass Lebenszufriedenheit der Menschen und Wachstum schon seit den 1960er Jahre auseinander laufen. Was heißt das? Die ersten Jahre nach dem Kriege wurde aufgebaut. Zu dieser Zeit laufen Zufriedenheit der Bevölkerung und Wachstum in die gleiche Richtung. Ab einem gewissen Punkt – er liegt wohl Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts endet diese Parallelität. Die Messzahl der Lebenszufriedenheit der Bevölkerung sinkt bzw. nimmt über die Jahre stetig ab, während die Kennzahl des Wachstums (mit einigen Dellen) stetig wächst. Diese Feststellung trifft nicht nur Europa, das ist in der ganzen westlichen Hemisphäre zu beobachten. Konkret bedeutet diese Entwicklung, dass die Ökonomie eine Entwicklung misst, die für die Bevölkerung überhaupt keine Relevanz besitzt. Die Ökonomie geht immer davon aus, dass die Gier nicht zu befriedigen sei, während die reale Bevölkerung schon längst intuitiv begriffen hat, dass „Mehr, Höher, Schneller“ – das Mantra des Kapitalismus – nicht zur mehr Zufriedenheit führt.

Solange wir unseren Erfolg am Wachstum orientieren, werden wir von dem CO2 nicht herunterkommen. Die Frage muss heißen, wieviel CO2 brauchen wir, um zufrieden leben zu können und deshalb müssten die Regierungen die andere Sichtweise (die der Zufriedenheit) propagieren, damit die Leute verstehen lernen, dass das Wachstum nur eine künstliche (statistische) Größe ist, die einem engen, kleinen Personenkreis ständig neues Geld zuführt. Geld, das andere für sie verdienen. Das Dumme ist, dass sich viele Menschen zu jenen zählen, die glauben von dem System zu gewinnen, weil sie sich Konsum leisten können, der ihnen in der Jugend unvorstellbar war. Aber die Statistik zeigt unnachgiebig, dass in diesem System nur noch die obersten Zirkel an Vermögen zulegen und darunter verlieren statistisch alle ohne Ausnahme! Sie merken es nur nicht, weil subjektiv viele das Gefühl haben, sie sitzen am Tisch der Gewinner (sie dürfen ja mitreden), und spüren nicht wie sie im Hamsterrad für die Erträge Dritter arbeiten.

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Nochmals zu den CO2 – Zertifikaten

Der Beitrag der „Anstalt“ hat mich nochmals veranlasst, die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030 herauszusuchen. Die Ungereimtheiten, die man auf den ersten Blick nicht vermutet, weil das Paket doch recht serös daherkommt, sind zu groß, als dass man bereit ist, davon ausgehen, dass hier nicht alle Schweinereien, die in der Vergangenheit die Szene hinsichtlich EEG und Zertifikatehandel bestimmt haben, plötzlich in Luft auflösen.

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Angesichts des Insistierens der CDU auf der Freiwilligkeit von Maßnahme bei den meisten einschränkenden Vorhaben (vgl. jüngst Landwirtschaftsministerin Klöckner im Falle des allgemein befürworteten Nutri-Score-Labels) beschleicht den Leser der Verdacht, dass der so gepriesene CO2 – Zertifikatehandel auch auf Freiwilligkeit angelegt werden soll. Dann wären alle meine Überlegungen im vorherigen Artikel hinfällig.

Und siehe da – der ganze Abschnitt über den Zertifikatehandel in den „Eckpunkten …2030“ behandelt die Frage, ob der Zertifikatehandel für die betroffenen Industrien freiwillig oder verbindlich ist, überhaupt nicht. Es ist absolut offen, ob das Vorhaben freiwillig ist, ob hier die Ausnahmen, die gegenwärtig gelten (z.B. die 2000 Großunternehmen, die keine EEG-Umlage bezahlen, aber über 50% des CO2 – Ausstoßes zu verantworten haben) fallen. Wenn sie nicht fallen, ist der angestrebte Zertifikatehandel eine Farce oder eine Wählerverarschung. Ich entschuldige mich für die Wortwahl, aber es gibt kein treffenderes Wort.

Die Schätzung der Geldflüsse in meinem vorherigen Artikel geht von der Annahme aus, dass in den Zertifikatehandel ausnahmslos alle Unternehmen, die CO2 produzieren, eingeschlossen werden. Eine Unterteilung nach guten und weniger guten Sektoren und Branchen unterbleibt. Die Diskrepanz, die sich zwischen meinen geschätzten Zahlen und dem Umfang des Klimapakets auftut, lässt nun vermuten, dass es eben doch Ausnahmen geben wird. So wie man ein gutes Energie-Einspeisungs-Gesetz (EEG), das ehemals der Förderung von Erneuerbaren Energien diente, im Jahr 2010 so änderte, dass die ganze Solarenergiebranche von der Politik wissentlich an den Baum gefahren und der internationale Know-how-Vorsprung verloren wurde. Die Energieeinspeisung für Erneuerbare Energien kam damit praktisch zum Erliegen. Aber das war nicht genug. Man hat den 2.000 größten CO2-produzierenden Unternehmen auch noch politisch Dispens dadurch erteilt, dass sie von der Umlage des EEG nicht erfasst werden. Sie zahlen keine Umlage, sondern nur den viel niedrigeren Preis der Strombörse. Die Folge ist, dass die Bürger den Teil der Umlage, der auf die 2.000 Unternehmen entfällt, bezahlen müssen. Deshalb steigt der Strompreis ständig für den Otto Normalverbraucher.

Was mich auch verwundert, die die Tatsache, dass die geplante Einführung des Zertifikatehandels auf nationaler Ebene in den Gazetten nicht kritisch gewürdigt wurde. Das fällt irgendwie auf. Wo bleibt der Gegenwind? Wo bleibt die Diskussion von Alternativen? Was ist an der Vorstellung eine CO2-Steuer so schrecklich? Der ganze Verwaltungsapparat (die Finanzverwaltung) steht zur Verfügung. Zur Frage von Steuergeldern sind die Verfahrensregeln und die Gerichtsbarkeit eindeutig und klar. Für den Zertifikatehandel muss ein adäquater Apparat erst noch aufgebaut werden (kostet Zeit und extra Geld und ist insbesondere zu Beginn extrem fehleranfällig). Die Öffentliche Verwaltung hat für alle Arten von Geldzuflüssen Regeln entwickelt. Handelserlöse gibt es bei der öffentlichen Verwaltung nicht. Man kann also davon ausgehen, dass die Regierung sich des Problem auf die Weise entledigt, dass sie den Zertifikatehandel privatisiert. Das hat man auch mit der LKW-Maut gemacht und wurde von den Betreibern nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen. Seit sie das erkannt hat, sind die Anteile der Gesellschaft schon seit über einem Jahr wieder im Eigentum des Staates. Da ging der Privatisierungsschuss nach hinten los. Man sollte doch irgendwann einmal lernen, dass immer dann, wenn die öffentliche Hand ein Geschäft mit großem Geldvolumen in private Hände gibt, ohne sich die Möglichkeit einer jederzeitigen Prüfung mit Kündigung der Zusammenarbeit vorzubehalten, zum Scheitern verurteilt ist. Die Gier des großen Geldes zieht immer wieder fragwürdige Gestalten an.

Und noch ein letztes: Es gibt lt. „Anstalt“ einen europäischen Zertifikatehandel, der seit 14 Jahren versucht, die Idee in eine sinnvolle Funktion zu verwandeln. Der Zertifikatehandel der EU ist eigentlich ein totgeborenes Kind – aber die CDU will offensichtlich diese Sinnlosigkeit des Vorgehens. Sie kann jetzt Aktivismus demonstrieren, im schlichten Wissen, dass dabei nichts herauskommt. Das ist ein schmutziges Taktieren um eine ehrliche Sache, die große Teile der Jugend auf die Straßen getrieben hat. Und die Politik ist auf dem besten Wege, mit Verhaltensweisen von vorgestern diese Zukunftsaufgabe zu „verkacken“ (wie man das heute wohl auszudrücken pflegt).

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