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Ist eine Umverteilung von unten nach oben systemimmanent?

Der angesprochene Sachverhalt, der dem Kapitalismus nach meiner Auffassung inne wohnt, besteht seit der Etablierung des Systems. Da die Entwicklung des Kapitalismus insbesondere in den ersten 200 Jahren durch Kriege, Aufstände und Revolutionen geprägt war, kam dieser Sachverhalt kaum zum Tragen.

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Bei jedem der vergangenen eruptiven Ereignisse wurden im großen Stil Vermögen vernichtet und neues, oft anderes Vermögen aufgebaut. Eine Umverteilung von unten nach oben wurde durch die Auswirkungen der Eruptionen verdeckt und überlagert und spielte deshalb im Bewusstsein der Menschen kaum eine Rolle.

Heute sind wir seit dem letzten Weltkrieg in der glücklichen Lage keine solchen Eruptionen erlebt zu haben. Die eruptiven Erscheinungen fallen weg und die inhärente systemische Umverteilung wird deutlicher erkennbar. Neben der Frage nach der Gerechtigkeit, die hier nicht im Vordergrund stehen wird, bleibt die Frage: Lassen sich die Auswirkungen einer systemischen Umverteilung von arm nach reich (oder von unten nach oben) plausibel und nachvollziehbar darstellen?

Um diese Frage plausibel beantworten zu können, gilt als Voraussetzung, dass es auch künftig keine eruptiven Ereignisse geben wird. Das würde die folgenden Überlegungen konterkarieren. Um die Verständlichkeit zu sichern, wird mit einem stark vereinfachten Verständnis unseres Wirtschaftskreislaufs ausgegangen. Die Wirklichkeit ist viel komplexer und filigraner, aber die Komplexität steht der Verständlichkeit im Wege. Es werden keine großen Theorien aufgeblasen, sondern es wird versucht, anhand einiger Überlegungen der „Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ (eine Art Nationalbuchhaltung) zu demonstrieren, wie die Frage nach der systematischen Umverteilung von unten nach oben beantwortet werden kann.

Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass es prinzipiell zwei Einkommensarten gibt:

  • Ein leistungsbezogenes Einkommen, das jeder Mitarbeiter persönlich aufgrund seines Arbeitsvertrages als abhängig Beschäftigter erhält (Arbeitseinkommen). Geschäftsführer zählen hier zu den abhängig Beschäftigten, obwohl ihr rechtlicher Status anders gesehen wird.
  • Ein leistungsloses Einkommen, das in erster Linie dem Unternehmen nach Abzug aller Kosten und Aufwendungen als Gewinn zu Verfügung steht. Das soll nicht heißen, dass diesem Einkommen keine Leistung gegenübersteht, aber diese Leistung ist persönlich nicht mehr zurechenbar. (Bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften verschwimmt diese Grenze, weil oft privat und geschäftlich schwieriger zu trennen sind. Die Überschüsse sind diesbezüglich vermischte Einkommen.) Bei Kapitalgesellschaften nennt man das leistungslose Einkommen Jahresgewinn oder Jahresüberschuss. Dieses Einkommen steht nach herrschender Auffassung uneingeschränkt den Kapitaleignern zu.

Leistungsbezogenes Einkommen

Das leistungsbezogene Einkommen schlägt sich in der Gewinn- und Verlustrechnung eines Unternehmens in der Position „Personalkosten“ nieder. In einer Volkswirtschaft kann man alle Gewinn- und Verlustrechnungen nebeneinanderstellen und zusammenfassen (aggregieren), um eine Gewinn- und Verlustrechnung des Gemeinwesens (der Volkwirtschaft) darstellen zu können. Der Vorgang ist keine Addition, weshalb technisch von Aggregation gesprochen wird. Um bei den Personalkosten zu bleiben, repräsentiert die Position Personalkosten auf nationaler Ebene alle Arten von Lohn- und Gehaltszahlungen an die abhängig Beschäftigten. Hinsichtlich ihrer Verwendung bei den abhängig Beschäftigten stellen die ausgewiesenen Personalkosten mit ihrem Nettoanteil (nach Abzug von Steuern und Abgaben) einen wesentlichen Teil der Kaufkraft einer Volkswirtschaft dar, die dazu dient, dass Massenkonsum stattfinden kann. Die abhängig Beschäftigten haben mit ihrer Arbeitsleistung im Rahmen von Unternehmen die Produkte geschaffen, die in ihrer Gesamtheit das Bruttoinlandsprodukt darstellen. Da der nationale Umsatz (das Bruttoinlandsprodukt) vom finanziellen Volumen her deutlich größer ist als das, was die abhängig Beschäftigten als Leistungseinkommen erhalten, klafft hier ständig eine beachtliche Lücke, die durch andere Maßnahmen (wie Kredite, Gewinnanteile, Transfers, u.a.) geschlossen werden müssen, um sicherzustellen, dass sich Produktion (BiP) und Konsumtion in etwa die Waage halten. Gelingt das nicht bzw. baut sich durch den mangelnden Ausgleich über die Zeit eine massive Schieflage auf, kommt das gesamte System in ernste Schwierigkeiten.

Leistungsloses Einkommen

Das leistungslose Einkommen ist keine Transferzahlung. Den Staat und seine Aktivitäten blenden wir aus Vereinfachungsgründen hier aus. Das leistungslose Einkommen ist im Wesentlichen der Unternehmensgewinn, der als Rücklage im Unternehmen verbleibt oder ganz oder in Teilen an die Kapitaleigner ausgeschüttet wird. Die Bezeichnung „leistungslos“ verdeutlicht dabei, dass der Kapitaleigner persönlich zum Gewinn nichts beigetragen hat, er muss nicht einmal Teil des Unternehmens sein. Der Gewinn steht ihm in unserer Rechtsordnung als leistungsloses Entgelt für die Überlassung von Kapital zur Verfügung. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer erhält seine persönlichen Aktivitäten vertraglich vom Unternehmen als leistungsbezogenes Einkommen vergütet. Sein zusätzlicher Gewinnanteil wird insoweit also ‚leistungslos‘ bezogen, weil er persönlich ihn gar nicht schaffen konnte.

Bei einem großen Personenkreis stellen auch Erbschaften den Kern der leistungslosen Einkommen dar. Große Vermögen werden selten in einer Generation geschaffen, sondern entwickeln sich als eine Folge von Vererbungen.

Wie wird das leistungslose Einkommen beim Empfänger verwendet? Es wird in relativ wenigen Fällen in den Konsum fließen. Vielfach wird plausibel unterstellt, dass dieses zusätzliche Einkommen gespart oder investiert wird: gespart wird es am Anfang zum Aufbau von Vermögen bis ein Sicherheitspolster (im Hinblick auf Altersversorgung, Berufsunfähigkeit, u.a.) aufgebaut ist. Da man unterstellen darf, dass das leistungsbezogene Einkommen den alltäglichen Grundbedarf deckt, wird das leistungslose Einkommen zu einem großen Teil ‚investiert‘. Bei einem Unternehmen, das im Aufbau begriffen ist, wird das leistungslose Einkommen des Eigentümers mit einiger Sicherheit ganz oder teilweise in das eigene Unternehmen investiert und wird dort (hoffentlich) produktiv. Im anderen Fall wird das Einkommen schlicht gehortet bzw. in Erwartung einer Rendite in das Finanzsystem transferiert. Diese Beträge sind dann der Realwirtschaft i.d.R. entzogen. Das leistungslose Einkommen kumuliert Jahr für Jahr die finanziellen Erträge, wird zum Vermögen, entwickelt aber i.d.R. keine wirtschaftliche Produktivität. Es liegt sicher und soll möglichst Rendite erwirtschaften. Wenn letzteres nicht gelingt, dann gibt es gewöhnlich keine Notwendigkeit, die Beträge wieder in die Realwirtschaft zurück zu transferieren.

Wie schafft man Vermögen?

Betrachtet man die Netto-Vermögensverteilung (also nach Abzug eventueller Schulden), so kann man feststellen, dass etwa 40 Mio. Bürger (rd. 50%) in Deutschland (2017) nahezu keinerlei Vermögen besitzen (knapp ca. 2% des Gesamtvermögens), während die andere Bevölkerungshälfte über 98% des Vermögens verfügt. Da diese Vermögens-Verteilung mit wenigen Veränderungen seit Jahrzehnten existiert, und das Bruttoinlandsprodukt in nahezu jedem Jahr wächst, ergeben sich zwei grundlegende Fragen:

  • Was macht die vermögende Hälfte im Vergleich zur anderen Hälfte anders?
  • Wohin fließen die jährlichen Zugewinne des Bruttoinlandsproduktes (BiP)?

Was machen die einen anders als die anderen?

Die Antwort ist leicht zu formulieren: die vermögende Hälfte ist in der Lage, die Vorteile des leistungsabhängigen Einkommens  und des leistungslosen Einkommens bei sich zu vereinen. Das klingt so banal, das man hier etwas ausholen muss.

Die Verwendung eines Einkommens wird in der Ökonomie (vereinfacht) in Konsum (Bestreiten des Lebensunterhalts) und in „Sparen“ bzw. „Investieren“ aufgeteilt. Die Idee dahinter unterstellt, dass eine Person ein Einkommen bezieht, das den Lebensunterhalt deckt und Raum für den Aufbau einer Sparrücklage lässt. Der durchschnittliche Sparanteil beläuft sich in Deutschland gegenwärtig auf etwas unter 10% des Einkommens. Man nennt das auch Sparquote. Sie war in früheren Jahren höher (bis ca. 14%), vermutlich weil zu dieser Zeit die Banken Zinsen auf Spar-Guthaben bezahlt haben.

Der Mensch, der ins Berufsleben tritt, erzielt gewöhnlich ein Einkommen. Und die meisten Menschen sind sich im Klaren, dass es vernünftig ist, so schnell als möglich eine Rücklage für Unvorhergesehenes zu bilden. In diesem Handeln spiegelt sich das individuell bewertete Arbeitsplatz- und allgemeine Lebensrisiko wieder. Wir müssen aber erkennen, dass die Sparquote von ca. 10% verzerrt ist, weil dort auch jene „Sparquoten“ erfasst sind, die unsere vermögendsten Mitbürger aufbringen können. Die sind für einem jungen Menschen, der ins Berufsleben tritt, hinsichtlich ihrer Höhe kaum nachvollziehbar.

Mit der Sparquote fängt es (meist klein) an. Mit Konsequenz und etwas Augenmaß lässt sich die angestrebte Rücklage in vielen Fällen aufbauen. Bei einem hohen leistungsabhängigen Einkommen ist es deutlich leichter und es geht auch wesentlich schneller. Insgesamt ist das aber die „harte Tour“, um sich gegen das Arbeitsplatz- und Lebensrisiko abzusichern. All diese schönen Betrachtungen setzen voraus, dass erstens ein leistungsabhängiges Einkommen zur Verfügung steht und zweitens die Einkommenshöhe eine aussichtsreiche Sparquote zulässt.

Viel eleganter ist es, wenn eine Erbschaft zur Verfügung steht. Hier fließt leistungsloses Einkommen zu, auf dem leicht aufgebaut werden kann. Ein solcher Zuschuss, der dem Erben aus der Vorgeneration zufällt, ist eine echte Vermögensbildungschance, setzt aber voraus, dass das leistungsabhängige Einkommen im Laufe der Jahre keine wesentlichen „Liquiditätslöcher“ hinterlassen hat.

Hohe abhängig erwirtschaftete Einkommen lassen bei vernünftiger Verwendung eine Sparquote zu, die die Sicherungsbedürfnisse relativ schnell erfüllen können. Die dann weiter kumulierten Sparanteile münden vielfach in einen höheren Konsum (was recht kurzsichtig wäre) oder schaffen die Grundlage für die Bildung von leistungslosem Einkommen (Immobilien, Anteilserwerb, Aktien, u.a.). Wie weit das „Spiel“ dann getrieben wird, ist individuell sehr unterschiedlich. Viele realisieren, dass der Versorgungsaspekt wegen ausreichender Erfüllung wegfallen kann und entdecken, dass mit weiter zunehmendem Vermögen Zukunftssorgen abnehmen. Sie realisieren auch, dass Vermögen dazu dienen kann, mit Hilfe des Geldes Macht und Einfluss zu gewinnen. Damit kommt so etwas wie die Gier ins Spiel. Der ursprüngliche Versorgungsgedanke findet in aller Regel einen Punkt der Befriedigung, an dem ein weiterer Vermögensaufbau nicht mehr sinnvoll erscheint. Die sich abzeichnende Möglichkeit, durch Vermögen einen Zuwachs an Macht und Einfluss zu gewinnen, kennt im Grunde keine intrinsischen Grenzen.

Warum haben 50% der Bevölkerung nahezu kein Nettovermögen? Aus dem oben Angeführten lässt sich ableiten, dass dieser Bevölkerungsanteil offensichtlich einen sehr hohen Anteil von Personen umfasst, die mit ihrem Einkommen keine ausreichende Sparquote darstellen können und bei denen die Zahl der Erbschaften eher gegen Null tendiert. Diese 50 % umfassen u.a. Rentner, prekär Beschäftigte, Leiharbeiter, befristet Beschäftigte, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose, Empfänger von Grundsicherung und andere. Man kann vermutlich ohne große Untersuchungen unterstellen, dass sich hier auch die meisten Einkommensbezieher des sogenannten „Niedriglohnsektors“ wiederfinden werden.

Wohin fließen die jährlichen BiP – Zugewinne?

Oben wurde festgestellt, dass zu einem signifikanten Vermögensaufbau idealerweise eine Nutzung beider Einkommensformen, der leistungsbezogene Vergütung als auch die leistungslosen Zugänge verknüpft werden müssen, um Vermögen zu erhalten und um in überschaubaren Zeiträumen ggfs. neues Vermögen aufzubauen. Wir haben auch gesehen, dass seit Jahrzehnten ein wenig variierender Anteil von etwa 50% der deutschen Bevölkerung existiert, der die Möglichkeiten eines Vermögensaufbaus überhaupt nicht wahrnimmt bzw. wahrnehmen kann. Es lässt sich daraus der einfache Schluss ziehen, dass die jährlichen Zuwächse, die die Volkwirtschaft im Rahmen der Bruttoinlandsproduktion erzielt, auch die angesprochenen 50% der Bevölkerung nicht erreichen. Konsequenter Weise müssen sich diese Vermögenszuwächse bei der anderen, der vermögenden Hälfte der Bevölkerung niederschlagen. Für die vermögende Hälfte hat das den großen Vorteil, dass diese Zuflüsse nicht mit allen geteilt werden müssen, die an der Produktion beteiligt waren. Die rein rechnerische Renditechance der Vermögenden verdoppelt sich dadurch. Da im vermögenden Teil der Bevölkerung sich das Vermögen nicht homogen verteilt, werden auch dort die einzelnen Zuführungen individuell erheblich schwanken.

Durch die Unterscheidung des Einkommens in einen leistungsbezogenen Anteil und in einen leistungslosen Anteil, auf den die persönliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen keinen Einfluss hat, wird deutlich, dass das System des Kapitalismus regelmäßig dafür sorgt, dass nur jene Systemteilnehmer signifikante Zuwächse zu verzeichnen haben, denen es gelingt, das leistungslose Einkommen für sich arbeiten zu lassen. Das setzt voraus, dass die Sparquote aufgrund der Einkommenshöhe es grundsätzlich möglich macht, soviel „zu sparen“, um die Voraussetzung zu schaffen, leistungsloses Einkommen genießen zu können.

Vor diesem Hintergrund wird die gerne zitierte Metapher des Neoliberalismus obsolet: „wenn die Flut kommt, wird sie alle Boote heben“. Diese Aussage wird angesichts der obigen Ausführungen und der Erkenntnis, dass 50% nahezu kein Vermögen besitzen, als ziemlicher Unsinn entlarvt: Was machen alle jene, die über kein „Boot“ verfügen und das sind immerhin 40 Mio. Menschen? Also bestimmt keine vernachlässigbare Randgruppe!

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Sicherheit, die ich meine!

Wenn Politiker das Wort „Sicherheit“ in den Mund nehmen, stehen in Gedanken meist Polizisten oder Soldaten daneben. Das ist nicht grundsätzlich falsch, trifft aber unser gegenwärtiges Problem als staatliche Gemeinschaft überhaupt nicht. Die Entwicklung unseres Staatwesens hat eine Wendung genommen, die mit „Hau drauf“ und einer Verschärfung von Strafen nicht gelöst werden kann. Die Menschen sind verunsichert, weil sich vieles von dem, was als sicher galt, in Luft auflöst und offensichtlich keine Substanz mehr besitzt.

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Neben Corona findet auch ein Wandel in den Technologien statt. Alte Industrien drohen schneller zu ‚sterben‘ als der Prozess gesteuert werden kann.

Eine besonders unpassende Aussage ist die Anregung von Herrn Altmeier, wir müssten jetzt Bürokratie abbauen und die Ladenschlussgesetze aufheben, damit die gewerbliche Wirtschaft mehr Umsätze machen kann. Das ist doch ein bodenloser Bullshit: wenn „die Pferde nicht saufen wollen“, schaffen wir noch mehr Wassertröge herbei. Ist Herrn Altmeier noch nie der Gedanke gekommen, dass insbesondere Bürokratie auch ein Gefühl von Sicherheit schaffen kann, weil es eben schon immer so war. Das erste, für das Herr Altmeier zu sorgen hätte, wäre Sicherheit und dann  – wie von selbst – kommt auch wieder eine gewisse Stärkung der Kauflaune.

Alle Welt hat sich wieder den Ideen von Keynes‘schen Konjunkturprogrammen zugewandt, weil das einfach sinnvoller ist als sich auf die neoliberalen Marktkräfte zu verlassen, die voraussetzen, dass „die Gäule saufen“, was sie aber nicht tun. Erfolgreiche Ökonomie braucht notwendig Sicherheit. Sie kann aber dieses Gefühl nicht herbeiführen. Gefühle schaffen nun mal keine Renditen.

Die Unsicherheit auf breiter Front liegt natürlich auch in der Zweiteilung unserer Gesellschaft. Die eine Hälfte unserer Gesellschaft (rd. 40 Mio. Menschen), verteilt auf 5 Dezile, hat so gut wie kein (Netto-)Vermögen. Die fraglos vorhandene Vermögensmasse konzentriert sich auf die zweite Hälfte (ebenfalls rd. 40 Mio. Menschen). Diese zweite Hälfte verfügt über ca. 98% des Volksvermögens. Es braucht keinen Zahlenkünstler, um sich klarzumachen, dass zumindest bei der vermögenslosen ersten Hälfte der Gesellschaft die gegenwärtige Lage große Ängste und Unsicherheitsgefühle auslösen muss. Wenn 40 Mio. Bürger die Spendierhosen ausziehen und auf ‚Nummer Sicher‘ gehen, dann hat das heftige Folgen für die inländische Kaufkraft. Die Hoffnungen auf den Export als üblichen Problemlöser schwinden, wenn auch die europäischen Partnerländer mit ähnlichen Kaufkraft-Problemen kämpfen.

Sicherheit hat noch einen weiteren Gesichtspunkt, der sich aus der bürokratischen Struktur unseres Gemeinwesens ergibt. Wir haben zahllose Gesetze und wir neigen dazu, immer mehr zu verfassen. Gesetze allein nutzen wenig, weil es immer einen mehr oder weniger großen Anteil der Bevölkerung gibt, die den Sinn der Gesetze nicht verstehen oder nicht verstehen will. Solange das Menschen sind, die ihre Heimat in ersten Hälfte unseres Bevölkerungsaufbaus finden (müssen), sind die Regeln klar und werden oft unmissverständlich durchgesetzt. Wenn sich diese Auffassung des Nicht – Verstehen – Wollens auf Menschen bezieht, die in der zweiten (vermögenden) Hälfte der Bevölkerung angesiedelt sind, verschiebt sich die Klarheit und die kompromisslose Durchsetzung zugunsten einer letztlich korrupten Haltung: Man kann sich in vielen Fällen von der Last der Verfahrens und der Strafe freikaufen. Es wird darauf geachtet, dass den betroffenen Personen bei Straffälligkeit ein kleiner Denkzettel in Form der Bewährung ausgesprochen wird, aber die lebenslange Kennzeichnung als „vorbestraft“ tunlichst vermieden wird. Er oder sie muss ja angeblich noch ihren Geschäften nachgehen können. Das dann fällige Geld ist in diesen Kreisen genau jenes Mittel, über das sie am leichtesten und oft unbeschwert verfügen. Man kann sich des Eindruck nicht erwehren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Sicherheit würde auch dadurch entstehen, wenn die Gesetze regelmäßige Überprüfungen vorsehen, die in den gesetzlichen Zeitabständen gründlich und ohne Wenn und Aber erfolgen. Das beginnt im Produktionsprozess (Emissionen, Schwarzarbeit, Umgang mit Giften, u.ä.), es geht weiter über die Gesundheitsdienste, Inhaltsdeklarationen u.ä.. Der Kunde will wissen, was er kauft und er muss in die Lage versetzt werden, seine im Politischen gerne artikulierte „Marktmacht“ auch ohne ein Chemie- oder Physikstudium wahrnehmen zu können. Manchmal fehlt auch einfach die Brille, um die klein gehaltenen Angaben zu entziffern.

Letztlich geht es um die Frage, ob die erzielten Gewinne auch angemessen und im Inland versteuert werden. Dazu braucht es eine Vielzahl von Spezialisten, die natürlich Geld kosten. Wenn diese Überprüfungen so verfügt würden, dass dann, wenn wesentliche Einwände erhoben werden, der Geprüfte neben der Pönale auch eine Kostennote erhält, in der die Kontroll-Leistungen sauber auf Stundenbasis abgerechnet werden. Wenn es keine wesentlichen Beanstandungen gibt, gibt es auch keine Kostennote. Und dann kommt der Kick: in einem nicht öffentlichen Register werden alle Beanstandungen zentral erfasst. Wenn es dann darum geht, Subventionen, Zuschüsse und andere Wohltaten des Staatswesens zu beantragen, sollten sich die Unternehmen nicht in dem Zentralregister finden lassen. Ihre Integrität und Zuverlässigkeit stünde dann doch begründet in Zweifel.

Zu Anfang meiner beruflichen Karriere gab es in Bayern Politiker, die den Unternehmern Balsam auf die Seele „schmierten“, in dem sie klarmachten, dass sie auf die Bundesgesetze keinen Einfluss hätten, aber auf die Personalpolitik des Landes. Man deutete damit an, dass z.B. in der bayerischen Betriebsprüfungsabteilungen das Personal ausgedünnt würde. Mit anderen Worten, man gab zu verstehen, dass die übliche Frist zwischen zwei Betriebsprüfungen sich stark verlängern wird, weil es in der Finanzverwaltung an kompetentem Personal mangelt. In meinen Augen zählt die pünktliche Wahrnehmung von gesetzlichen Prüfungen zu den Grundlagen von Sicherheit, zumal die zu prüfenden Vorgänge ja auch regelmäßig verjähren und damit einer legalen Untersuchung entzogen sind.

Sicherheit wäre es auch, wenn wir es schaffen würden, im Rahmen der Justiz zeitnah zu urteilen. Dazu müsste sich die Justiz erst einmal auf die digitale Mindesthöhe kommen und es aufgeben, noch mit den Mitteln der 70iger und 80ziger Jahre des letzten Jahrhunderts zu arbeiten. Jeder Rechtsanwalt kann heute seine Akten von jedem Punkt der Erde über Internet einsehen und ist deshalb in der Lage, von dort zu arbeiten. Lediglich der zeitnahe Kontakt zum Gericht ist davon ausgenommen. Elektronische Akten sind zweifelsohne nicht nur ideal und haben auch ihre Leistungsgrenzen, aber man darf doch erwarten, dass die Digitalisierung das Geschäft der Gerichte um den Faktor 5 bis 10 beschleunigen könnte.

Die Personaldecke der Justiz ist zu dünn und das was sich heute in der Justiz versammelt, ist nicht mehr erste Klasse. Die Ansprüche waren und sind hoch, aber die Arbeitsmethodik ist mehr als 20 Jahre zurück und ein effektives Arbeiten über einen gewaltigen Aufholprozess ist in absehbarer Zeit nicht zu erkennen. Die Einkommenssituation und die Qualitätserwartungen passen angesichts der Marktentwicklung nicht zusammen. Also reißen sich nur wenige um solch eine Aufgabe und ob das dann die richtigen sind, erscheint zumindest fraglich.

Wenn man die zahlreichen Fälle der White-Collar-Kriminalität der letzten Jahre Revue passieren lässt, so gewinnt man den Eindruck, dass unser Rechtssystem als Ausdruck eines Sicherheitssystems sich primär auf Diebe, Betrüger, Terroristen und Kleinkriminelle spezialisiert hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man „die Kleinen hängt“ und die Großen nicht beachtet. Wenn das Wegschauen dann nicht mehr geht, dann wird jahrelang (meist bis kurz vor Eintritt der Verjährung) ermittelt, um dann endlich Anklage zu erheben. Die Sache hat sich dann i.d.R. totgelaufen und die damit verbundene Gerechtigkeitsfrage hat das öffentliche Interesse schon lange aus den Augen verloren. Der „Erziehungseffekt“ solcher Prozesse ist gleich Null, weil die Öffentlichkeit und der potenzielle Täter emotional keine Beziehung zwischen Tat und Verurteilung mehr herstellen können. Aber die emotionale Sicherheit der Bürger wird doch gerade dadurch hergestellt, dass es für jeden nachvollziehbar bleibt muss: hier die Tat und dort die konsequente Ahndung.

Das gilt weniger für die Kapitalverbrechen, aber gilt das auch für die Übergriffe der White-Collars? Sie dürfen sich durch Kaution von der Untersuchungshaft freikaufen, sie sind umgeben von einer Entourage der besten verfügbaren Rechtsanwälte, und wenn es dann zur Verurteilung kommt, wird darauf geachtet, dass kein bleibender Schaden (z.B. Vorstrafe) entsteht und die Höhe der Strafen ist trotz erwiesenen Fehlverhaltens teilweise einfach lächerlich, weil das Verhältnis von Strafe und Einkommen in einem krassen Missverhältnis steht. (Ecclestone: 100.000 Euro Strafe bei einem Mann, der gewohnt ist zwischen 5 und 7 Mrd. Euro jährlich umzusetzen – die Strafe zahlt er doch aus der Kaffeekasse seiner Sekretärin).

Denken Sie an den Fall Cum-Ex. Schon in den Jahren 20xx war das Cum-Ex-Verfahren Gesprächsstoff in steuerlichen Fachkreisen. 2010 soll eine Liste schwarzer Schafe verfügbar gewesen sein. Diese Liste soll dem Ministerien zugeführt worden sein und die kann man heute nicht mehr finden. Das betrügerische Spiel hat den Steuerzahler etwa 54 Mrd. Euro allein in Deutschland gekostet. Die ganze prozessuale Aufarbeitung geht unendlich langsam und der Rückgriff droht zu versacken, weil natürlich erst die Schuld und die Schuldigen feststehen müssen, ehe man den Regress aufrollen kann.

Vor diesem Hintergrund brauchen wir nicht mehr Polizeikräfte und Soldaten, sondern wir benötigen u.a. eine zivile kompetente hochspezialisierte, digital gut ausgerüstete Fahndungsgruppe des Bundes zum Thema Wirtschaftskriminalität, die ständig dort, wo massenhaft Geld umgesetzt wird, ihre verdeckten Fühler im Spiel hat und ggfs. zugreifen kann, solange der Fall noch „warm“ ist und künftige Großschäden abgewendet werden können.

White-Collar als Kriminalitätskategorie muss den Ermittlungsdruck ständig spüren. Heute werden manche der „White-Collars“ als clevere „Unternehmer“ gefeiert, anstatt erst mal deren Geschäftsmodell kritisch zu durchleuchten, wer denn die Zeche für das Image des „erfolgreichen Unternehmers“ bezahlen muss. Dabei spielt nicht nur kriminelles Handeln eine Rolle, sondern auch die teilweise fragwürdigen Umstände, unter denen der Begriff „Erfolg“ jeweils verkauft wird (Tönnies). Hätte man sich die Mühe gemacht, bei manchen Riesenunternehmen das Geschäftsmodell zu durchleuchten, wäre die Überraschung nicht ganz so groß gewesen: Nicht nur wegen Corona, sondern wegen der Zulässigkeit der Vertragsgestaltungen und ihrer sozialen Folgen, die einfach Grenzen eines zivilisierten, humanen Arbeitsmarktes überschreiten. Diese Fahndungsgruppe sollte dann regelmäßig dem Wirtschaftsausschuss und dem Rechtsausschuss des Bundestages über ihre Arbeit Rede und Antwort stehen, damit die Politik nicht nur die „tollen“ Geschichten der Lobbyisten hört, sondern auch über eigenes Personal aus der Mitte des wirklichen Lebens informiert wird.

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Die „optimale“ Unternehmensgröße – eine sinnvolle Erwartung?

Mit Beginn des Studiums wurde man in den 1970iger Jahren mit der „Ableitung“ einer ‚optimalen‘ Betriebsgröße konfrontiert, die dort liegen solle, wo die Kapitalkosten des Unternehmens ihr Minimum erzielen. Natürlich vorausgesetzt, die Kapitalkosten verlaufen konvex. Das entsprach einer Wahnvorstellung, weil die Konvexität der Kapitalkosten weder plausibel noch praktisch nachgewiesen werden konnte. Im „Wöhe“ (Standardwerk von 1978) findet dieser intellektuelle Krampf zu Recht keine Erwähnung mehr.

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Das Ansinnen, sich ernsthaft zu fragen, ob es nachvollziehbare Kriterien gibt, wie eine sinnvolle Unternehmensgröße bestimmt werden könnte, war damit für die nächsten Jahrzehnte bis heute vom Tisch. Dabei ist es mit der Unternehmensgröße ähnlich wie mit der Wachstumshypothese: nichts wächst ewig und es scheint einen Punkt zu geben, an dem schiere Größe ineffektiv und ineffizient zu werden beginnt. Man könnte auch sagen, es gibt eine Größenordnung, an der ein Unternehmen sich gegen die essentiellen Regeln unseres Wirtschaftssystems wendet und droht zum Fossil zu werden (Dinosaurier-Effekt).

Bei dieser Frage nach einer sinnvollen Größe wird ähnlich verfahren, wie bei der Frage nach der Lebensdauer von Unternehmen. Diese Frage ergibt sich im Rahmen der Unternehmensbewertung, die davon ausgeht, dass Unternehmen „das ewige Leben“ besitzen. Dieser Wert ist dann Grundlage eines „Shareholder’s Values“, dessen Stringenz der Minimierung des Kapitalkostenansatzes vergleichbar ist. Die wahnwitzige ‚Lebensdauer‘ wurde durch die Diskontierung etwas eingefangen, die in Abhängigkeit vom Diskontsatz die in die Berechnung einfließende „Ewigkeit“ auf etwa 30 – 90 Jahre verkürzt. Der Wertanteil, der jenseits dieser Grenzen lag, ist für die Wertfindung relativ unbedeutend (< 5%). Der zweite Wahnwitz liegt darin, zu glauben, man könne die Zukunft der nächsten 30 bis 90 Jahre „planen“; nicht nur die schlichte Existenz des bewerteten Unternehmens, sondern auch dessen Renditeerwartungen über diesen Zeitraum. Corona lässt grüßen!

Eine US-amerikanische Studie gelangte vor etwa 30 Jahren zu der empirischen Erkenntnis, dass die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen (in USA) nur 13,7 Jahre betrug. Der Unterschied von Theorie und Praxis ist hier schon gewaltig! Zur Ehrenrettung muss man darauf hinweisen, dass statistische Durchschnitte i.d.R. wenig Aussagekraft haben, solange man nicht die Streuung der Werte erkennen und die erfasste Grundgesamtheit beurteilen kann.

Zurück zur Diskussion der Wertansätze zur Unternehmensgröße: Die Handelsgesetze und Bilanzierungsregeln sind voll von Definitionen zur Unternehmensgröße. Die Kategorien sind aber rein deskriptiv und lösen bestimmte Maßnahmen aus, die im wesentlichen Offenlegungserfordernisse bestimmen. In keinem dieser gesetzlichen Regeln wird die Frage aufgeworfen, ob die Unternehmensgröße irgendwelchen Kriterien erfülle müsse, die über das rein Formale hinausgehen. Und die Politik verfügt über keine Kriterien, ob und wann Unternehmen ggfs. zu groß, zu schwerfällig, zu wenig innovativ oder zu wenig Wachstum generieren. Sie hält sich aus dieser Diskussion bewusst heraus bzw. folgt hier dem ‚Laissez fair‘ des Liberalismus.

Wir wissen aus diversen Veröffentlichungen (aus der Zeit als Kredite noch Zinsen kosteten), dass jährlich etwa 40.000 Unternehmen aus verschiedenen Gründen aus dem Wirtschaftsleben ausscheiden und dass etwa die gleiche Menge an Unternehmen jährlich neu gegründet werden. Es gibt wenig Aussagen über die Lebensdauer der Neugründungen. Die „Sterberate“ ist in dieser Kategorie aber beachtlich hoch, weil diese Mini-Unternehmen (Solounternehmer, One-Man-Show) von vielen Menschen ins Leben gerufen werden, ohne wirklich eine Ahnung vom Geschäftsleben zu haben. Wenn solche Unternehmen fünf Jahre überleben, dann haben sie es i.d.R. geschafft (bis dann Corona am Horizont auftaucht und alle Mühe umsonst war).

Unternehmen müssen besonders im Anfangsstadium relativ schnell wachsen. Wenn das nicht gelingt, wird es eine nervige Hängepartie. Die jungen Unternehmen sind in der Mehrzahl eigentümergeführt. Viele dieser Unternehmer sind sehr engagiert, aber nur bedingt geeignet, Führungsaufgaben hinreichend wahrzunehmen. Unternehmen bis zu zehn Mitarbeitern werden sehr persönlich geführt. Die Mitarbeiter arbeiten dem „Chef“ zu. Eine Struktur im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Werden es zwanzig oder gar dreißig Mitarbeiter, muss der „Chef“ nicht mehr nur vorne weg laufen (also der erste Diener seines Unternehmens sein), er muss plötzlich Strukturen schaffen, Entscheidungsgewalt abgeben und mit den Fehlern der Mitarbeiter so umgehen können, dass sie bei der Stange bleiben und sich der Schaden ggfs. in Grenzen hält. Das ist neu für ihn und oft eine starke Herausforderung.

Wenn die Strukturen richtig aufgebaut sind, kann das Unternehmen weiter wachsen, weil die Voraussetzungen geschaffen sind. Das geht gut, bis sich der „Chef“ selbst in Frage stellen muss: „Habe ich das noch im Griff oder nähern wir uns dem Chaos?“ Er muss seine Rolle als „Chef“ in Frage stellen, Abteilungen schaffen, Macht abgeben, und im richtigen Maße loslassen können. Sonst wird er im Unternehmen zum Problem und keiner wird es wagen, ihm das zu sagen. Jedes Wachsen führt also in regelmäßigen Abständen zu kritischen Wendepunkten im Leben des Unternehmens. Hier scheitern viele Eigentümer, weil sie ihre Persönlichkeit jeweils neu erfinden müssen. Das gelingt nicht jedem. Dann sollte der Eigentümer die Stärke besitzen, Strukturen der Fremdgeschäftsführung zuzulassen. Spätestens jetzt sind die klassischen ‚Kinderkrankheiten‘ überwunden. Vom Markt und seinen Veränderungen haben wir da noch gar nicht gesprochen.

Es gibt seit etwa einem Jahrzehnt bei der Beurteilung der sachlich angemessenen Größe eines Unternehmens den Begriff „Systemrelevant“, um damit die Bedeutung von Unternehmen zu unterstreichen. Dabei hat der – vermutlich von Think Tanks – kreierte Begriff zwei Seiten. Aus der Perspektive des Verbrauchers und eines Mitglieds der Gesellschaft ist ein Unternehmen dann systemrelevant, wenn das Unternehmen etwas Notwendiges zur Versorgung der Menschen beizutragen hat. Dazu zählt u.a. auch ein Arbeitsplatz. Es kann sich auch um ganz unspektakuläre Sachverhalte handeln. Wir haben im Rahmen von Corona feststellen können, dass unsere Wirtschaft nicht in der Lage war, Mundschutz und Schutzkleidung bereitzustellen, weil diese „popeligen“ Produkte der Globalisierung anheimgefallen waren und zwischenzeitlich irgendwo in Fernost produziert werden.

Systemrelevant ist also kein selbsterklärender Begriff, sondern eher ein Begriff, der dazu dient, Interessen durchzusetzen. Wenn ein Unternehmen den Begriff von sich aus in Anspruch nimmt, geht es meist um politische Erpressung oder Korruption. Das Mittel der Erpressung sind dann Arbeitsplätze oder Steuervergünstigungen, weil man weiß, dass hier die Politik i. a. R. empfindlich reagiert und schnell einknickt. Vielfach gilt dann auch der Satz: „to big to fail!“ als weiteres Kriterium von Systemrelevanz. Auch an solchen Entwicklungen lässt sich erkennen, dass die Frage einer sinnvollen, (ggfs. maximalen) Unternehmensgröße von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Das ständige Größenwachstum von Unternehmen ist eine Folge des falschen Satzes: „Wachse oder weiche!“ Dieser Satz ist Ausdruck einer Ideologie. Es gibt zahllose feine Unternehmen, die dieser Ideologie nicht folgen und trotzdem erfolgreich „alt“ werden. Dabei ist alt werden, wie wir oben gesehen haben, ein sehr relativer Begriff. Die Zahl der Unternehmen, die erfolgreich wirklich alt werden, ist sehr gering. Meist ist es ein ‚Sterben auf Raten‘. Unternehmen sollen einen Zweck erfüllen. Ist er erreicht, endet auch die Aufgabe. Den wenigsten Unternehmen gelingt es, sich erfolgreich auf eine neue und andere Aufgabe zu konzentrieren. Das ist ein ganz normaler Zyklus.

Wenn aber dann ein Dinosaurier oder Jumbo die Orientierung wechseln müsste und merkt, dass er, statt sich zu ändern, die Macht hat, die absehbare Entwicklung zu seinen Gunsten scheinbar anzuhalten, geht es nicht mehr um die Aufgabe oder den Zweck des Unternehmens; es geht dann um die politische Erpressung, mit der auf Kosten der Steuerzahler eine sinnlos gewordene ‚Lebensverlängerung‘ erstritten wird, die die Erwartungen letztlich nicht erfüllen kann. Aber auf Grund der öffentlichen Druckmittel traut sich keiner, das Licht auszumachen oder wenigstens einen geordneten Abgang einzuleiten. Erst wenn die Aasgeier auftauchen (die Investoren, die sich noch ein Stück vom Kuchen holen wollen), dann wird plötzlich zerschlagen und alles geht ganz schnell, weil die Herren des Geldes diesbezüglich nicht erpressbar sind. Aber auch sie wissen um die Erpressbarkeit der Politik und nutzen das Instrument gnadenlos, um sich ihren Abgang ‚vergolden‘ zu lassen.

Thomas Picketty hat in einem Interview zur Rolle der Unternehmen trocken sinngemäß festgestellt: „Wenn Unternehmer und Innovatoren keine (positiven) Auswirkungen auf die Produktivität haben, bringen sie uns (der Gesellschaft) nicht wirklich etwas.“ Kleine Unternehmen gehen bei mangelnder Produktivität zugrunde, weil sie aus einer ständig verbesserten Produktivität ihre Daseinsberechtigung ableiten müssen. Bei den Jumbos leitet sich deren Daseinsberechtigung aus der schieren Größe ab. Die meist fehlende innovative Produktivitätsverbesserung wird regelmäßig zugekauft. Dabei werden nach außen die Effekte des technologischen Wandel im bürokratischen Apparat als Produktivitätsverbesserungen dargestellt und natürlich nicht in Frage gestellt, solange man damit Rendite darstellen kann.

Wir haben in Deutschland zahllose Jumbos in Industrien, die allgemein als technologisch alt oder überholt gelten und wer sich dafür interessiert, sollte sich den ‚Kampf‘ der schrittweisen Selbstauflösung vieler dieser Jumbos in den nächsten Jahrzehnten anschauen (Stahlindustrie, Automobilindustrie, Banken, Lebens-, private Kranken- und Rentenversicherer, u.a.). Und achten Sie darauf, wie diese Agonie uns Bürgern verkauft wird. Und was sie uns noch kostet!

Der Lock-down im Rahmen von Corona hat hier manches beschleunigt und vieles sichtbarer gemacht. Aber die wahren Verlierer werden hier die kleinen und mittleren Unternehmen sein, weil wir durch Veränderung der Insolvenzregelungen eine Vielzahl von Unternehmen am Leben erhalten haben. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass etwa 1.5% der Unternehmen jedes Jahr Insolvenz anmelden. Diese Zahlen wurden durch die drastische Reduzierung der Zinslast und eine  veränderte Insolvenzregelung unterlaufen. Wenn wieder „normale“ Insolvenzkriterien angelegt werden, so müssen wir in Deutschland mit einer Insolvenzwelle in der Größenordnung von 15% der Unternehmen (zu diesem Zeitpunkt) rechnen.

Die Bestimmung einer sinnvollen Unternehmensgröße in Abhängigkeit vom Markt ist nicht mit einer Umsatzzahl oder mit ein oder zwei einfachen Strukturmerkmal zu bestimmen. Es ist eine äußerst komplexe Aufgabe, wobei es hilfreich wäre, wenn man wenigstens schrittweise sich dieser Frage aus verschiedenen Perspektiven nähern würde, um dann zumindest Kriterien zu entwickeln, die den Raum einer sinnvollen und begründbaren Unternehmensgröße generell und ohne ideologischen Scheuklappen bestimmen könnten. Wir stehen vor einem grundlegenden Strukturwandel und es wäre doch hilfreich, wenn man hier über Erkenntnisse verfügen würde, wie die neue Struktur aussehen könnte ohne einfach die alten Fehler zu wiederholen.

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Mobilität und Automobil – quo vadis?

Es ist nun von offizieller Stelle bestätigt: Zumindest große Teile der Automobilindustrie sind mit ihrer Strategie des Vertuschens und Betrügens auf die Nase gefallen. Dabei wurde enormes Vertrauenskapital mutwillig zerstört. Offensichtlich war ein konstruktiverer Umgang mit dem drängenden ökologischen Anspruch aus der Sicht des Topmanagements keine Option. Jetzt herrscht der Corona-Virus, der die Kauflaune stark beeinträchtigt, weil es für die Mehrzahl der Verbraucher jetzt Wichtigeres gibt, als ein neues Auto erwerben zu wollen.

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Zudem war schon seit spätestens 2019 klar, dass der Peak der Verbrennungsmotor-Technologie überschritten wurde, weil die etwa 150 Jahre alten Technologie in ihrer breiten Anwendung im Gegensatz zum absehbaren mittelfristigen Entwicklungspfad in eine ökologisch orientierte Zukunft steht. Das soll aber nicht heißen, dass die propagierte E-Mobilität die „richtige“ Lösung ist – sie ist vielleicht eine von mehreren Strategieoptionen. Ein Wechsel in der Antriebsart ist kein Mobilitätskonzept!

Die Automobil –Industrie muss nun die Grundfrage der Mobilität (wenn sie dazu überhaupt in der Lage ist) neu beantworten. Vor lauter PS -Verliebtheit und auf „dicke Hose“ (unvorteilhafte Querschnitte) zu setzen, wurde vergessen, Mobilität sicher zu stellen. Wir haben jahrzehntelang unsere Städte um die gegenwärtig geltende Form des Automobils herumgebaut, bis wir zumindest in den Ballungsräumen realisieren müssen, dass die heutige Form des Automobils die Funktion Mobilität in keiner Weise mehr erfüllen kann. Wir stauen uns in die Stadt, wir parken in der zweiten Reihe, das Automobil ist meist nur mit einer Person besetzt, kann aber bequem bis zu 5 Personen transportieren, steht in den meisten Fällen 22 Stunden des Tages auf einem Parkplatz im Büro und auf einem Parkplatz zu Hause. Die gegenwärtige Form des Automobils hat sich in den Großstädten zu einem absolut ineffizientes Mittel zur Erfüllung von Mobilität entwickelt.

Nun leben wir in einem Wirtschaftssystem, das von dem Dogma der Effizienz durchdrungen ist und das behauptet, dass ineffiziente Technologien durch den Markt „ausgeschwitzt“ werden. Das gilt offensichtlich nicht für „Jumbo“-Industrien, die sich als systemrelevant und damit als „too big to fail“ einstufen und auch im politischen Raum so auftreten. Trotzdem wird es für die Verbrennungsmotor-Technologie eng, weil der Widerspruch zwischen Realisierung und Funktion sich nicht sinnvoll auflösen lässt!

Die bisherige Haltung der Automobil-Industrie war hinsichtlich der ökologischen Frage äußerst einfach gestrickt: Wir sind wir, und wenn unsere Technologie den öffentlichen Ansprüchen nicht gerecht wird, dann habe wir noch unsere Arbeitsplätze als Druckmittel auf die Politik, mit deren Hilfe dann sicherlich auch die eine oder andere betrügerische Vorgehensweise (wie misst man was (Feinstaub, CO2), Flottendurchschnitt, Verbrauchszahlen, u. ä.) legal „hindrehen“ kann. Diese Haltung ist in meinen Augen komplett gescheitert. Und die hohen Herren sind offensichtlich ratlos, wie sie aus diesem Dilemma herauskommen sollen.

Langfristig, und das ist die einzig sinnvolle Strategie (auch wenn die Börse das gewöhnlich nicht honoriert), wird man sich den ökologischen Erwartungen einer wachsenden Mehrheit von Verbrauchern stellen müssen. Der Vorteil ist doch, dass die Technologie des Verbrennungsmotors, wenn man ganz ehrlich ist, sicherlich noch Jahrzehnte eine zwar stetig abnehmende, aber letztlich nicht ganz aufzuhebende Antriebtechnologie bleiben wird. Was wäre also sinnvoller, wenn man im Sinne der Mobilität sich fragen würde, was müssen wir (die Automobilindustrie) am gegenwärtigen Automobil denn ändern, um dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben mit einem reduziert schlechten Gewissen die Technologie weiter nutzen zu können, bis eventuell eine andere Platz greifen kann.

Die Frage ist nur, ob die „Jumbos“ der Branche die Kreativität aufbringen, hier umzusteuern. Einerseits sind diese Jumbos fest in der Finanzwirtschaft (Börse) verankert und müssen, eventuell wider besseren Wissens, die Ansprüche der Aktionäre erfüllen und andererseits haben die Jumbos keine Eigenschaften mehr, die an den Aufbruch in der Gründerzeit erinnern könnten. Sie sind nur noch riesige Logistiker, die bürokratisch ihren Job machen. Das ist der neuen Situation nicht angemessen und ein Umbau dauert bei der Größe und Struktur wahrscheinlich Jahre. Ob die Zeit zur Verfügung stehen wird, erscheint fraglich. Da ist oft ein Ende mit Schrecken einfacher zu gestalten.

Doch zurück zum ökologisch verträglichen Umbau: Das beginnt mit einfachen Dingen, die auch ein technologischer Laie erkennen kann: Der Verbrauch der Automobile muss drastisch gesenkt werden, die Autos müssen also generell leichter (damit wahrscheinlich auch wieder kleiner) werden, standardmäßig über deutlich weniger PS verfügen, im Tempomat Geschwindigkeits-“Knöpfe“ für 30 km/h, 50 Km/h, 80 km/h, 100 km /h, 120 km/h zur leichteren Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen erhalten, Senkung der Innengeräusche, Senkung der Außengeräusche (Lärmbegrenzung), Erhaltung des Fahrkomforts. Der CO2-Ausstoß wird durch die geringere Kraftstoffmenge deutlich gesenkt, für Feinstaub gibt es auch bessere Lösungen. Damit lassen wir es bewenden. Das Ergebnis sollte ein Automobil sein, mit dem die Industrie positiv demonstriert, wir wollen uns der Verantwortung für die kommenden Generationen in vollem Umfang stellen. Es geht um die Funktion ökologisch verantworteter Mobilität und nicht um Marketing und Propaganda nach dem emotionalen Motto, wer hat die meisten PS, die maximale Höchstgeschwindigkeit, den besten Sound, die dickste „Hose“ (die unsinnigsten Querschnitte) und den breitesten „Schlappen“ (Reifen).

Dieses Automobil wird vermutlich hinsichtlich des Rahmens seiner Grenzwerteinhaltung einen allgemeinen Standard darstellen können. Es wird mit Sicherheit kleiner sein, weniger, aber funktionell sinnvolle PS-Zahlen aufweisen, eventuell Automatik wegen der gleichmäßigeren Fahrweise, Tempomatik mit Geschwindigkeitsstufen serienmäßig, um die zunehmenden Geschwindigkeitsbegrenzungen und den geringeren Verbrauch auch fahrtechnisch zu unterstützen. Sinnvoll wäre eine optimierte Zulademöglichkeit (z.B. Fliessheck).

Das Fahrzeug müsste als Ziel alle gegenwärtig technisch möglichen (also schärfere als die politisch vereinbarten) Grenzwerte erfüllen. Die Industrie muss es sich dezidiert zur Aufgabe machen, hier hinsichtlich der ökologischen Entwicklung technisch aktiv mitzuziehen. Der Ansatz müsste ansonsten über die EU-Politik durch strenge ökologische Bedingungen erzwungen werden. Der freiwillige Ansatz hätte aus meiner Sicht würde für die Verbrennungstechnologie eine Überlebenschance für die nächsten 20 – 40 Jahre bereitstellen – weniger im Markt der Ballungsräume, aber im Markt des „flachen Landes“. Ob die dann zu erwartende Absatzmenge neben z.B. einer E-Technologie oder einer künftigen Wasserstofftechnologie noch hinreichend attraktiv ist, bleibt abzuwarten. Das Ergebnis am Ende aller Tage wird sein, dass der Verbrennungsmotor über die Zeit unvermeidlich zu einem Nischenplayer werden wird.

Wenn diese Erwartung zutrifft, hat nicht nur die deutsche Wirtschaft ein gewaltiges Problem: Was wird aus den 0,8 bis 1,7 Mio. Arbeitnehmern (je nachdem ob und wie man die Zulieferindustrie einrechnet)? Renauld hat schon öffentlich erklärt, 15.000 Arbeitnehmer in seinen Werken freizusetzen. Die Zahl bezieht sich auf die eigentliche Produktion, die Folgen für die Zulieferer sind da vermutlich nicht erfasst. In Deutschland halten sich die Produzenten aufgrund des Kurzarbeitergeldes noch bedeckt, um den politischen Druck hinsichtlich der Verkaufssubventionen aufrecht zu erhalten. Eine öffentliche Entscheidung zu Entlassungen würde sofort den Druck zugunsten einer Subvention aus dem Kessel nehmen. Die Subvention wird aber deshalb in der Sache auch nicht vernünftiger, weil sich die Verbraucher mit großer Wahrscheinlich aufgrund der allgemeinen Verunsicherung nur in Ausnahmefällen zu einem Neukauf eines subventionierten PKW entschließen werden.

Völlig ausgeklammert bleiben bisher die LKW-Branche und die Schwermotorenbranche (Schiffsmotoren, Flugzeugturbinen, Generatoren u.ä.), für die eigentlich die gleichen Optionen gelten müssen. E-LKW und Schwermotoren auf elektrischer Basis haben in meiner Vorstellung von Zukunft noch keinen rechten Platz gefunden. Hier als Laie einen Lösungsweg ins Auge zu fassen, erscheint mir etwas vermessen. Aber hier liegt noch ein gewaltiges Potenzial an Einsparungen, für das wir über kurz oder lang insbesondere von der Industrie eine sinnvolle und ökologisch vertretbare Lösung erwarten.

Die dargestellte Vorgehensweise ist ökologisch zweifelsohne nicht der Stein der Weisen, aber ein pragmatischer Ansatz in einer schwierigen Zeit. Emissionen bleiben dabei leider unvermeidlich, wenn auch auf sehr deutlich reduziertem Niveau. Der „Standard“ wird kein neuer „Volkswagen“ sein (wie in den 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts), sondern ein Satz von Randbedingungen, die jedem Produzenten zugänglich gemacht werden. Jeder Anbieter kann die standardisierten Rahmenbedingungen zu den Grenzwerten nutzen und kreativ seine individuelle Mobilitäts-Variante daraus entwickeln.

Und wie sagen wir‘s nun unseren Kunden? Das neue Verbrenner-Auto wird nicht auf „schnell“,  „eindrucksvoll“ und „Emotion“ getrimmt sein, sondern wird eine bequeme Form der Überbrückung des Weges von A nach B darstellen und als solches eine Ergänzung zum öffentlichen Personenfernverkehr sein. Dieser Autotyp könnte nach einer unabhängigen sachlichen Überprüfung der Rahmenbedingungen zum Standard erhoben werden, der von der Politik durch finanzielle Anreize marktfähig gemacht wird. Finanziert werden diese Anreize z.B. durch spürbare Luxussteuern, die fällig werden, wenn man unbedingt die „alte“ Form von großen (überdimensionierten) Autos fahren möchte. Einige Länder in Nordeuropa haben auf diesem Feld vergleichbare Regeln gefunden und fahren gut damit. Sie werden das Arbeitslosenproblem nicht lösen müssen, das mit der Industrie absehbar verbunden sein wird.

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Was heißt hier „Generation Z“?

Letzte Woche wurde mir als potenziellem Baby Boomer, die Gelegenheit zuteil, eine Präsentation zur „Generation Z“ wahrnehmen zu können. Zahllose Umfrageergebnisse wurden präsentiert, die alle möglichen Facetten dieser Generation beleuchteten. Was mir erst nach und nach klar wurde, handelt es sich bei dieser sogenannten „Generation Z“ um jene Menschen, die jetzt und in den nächsten Jahren ihren Weg in ein selbstbestimmtes Arbeitsleben suchen. Dabei, so wird suggeriert und vermittelt, würden sie andere Präferenzen und Ziele verfolgen als die vorherigen „Generationen“ der Babyboomer, der X-er und der Y-er. Diese Abgrenzung konnte man noch nachvollziehen. – Aber ist das ganze Konzept nicht ein überdimensionierter intellektueller „Bullshit“ (auf Deutsch: Unfug)?

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Ich kann mich der Einzelheiten, die über mich hereinbrachen, nicht mehr im Detail erinnern. Das wäre zu viel verlangt. Ich werde auch die vorgetragenen Aspekte im Einzelnen nicht in Frage stellen. Es sind ja im wesentlichen Umfrageergebnisse, die ich nicht validieren kann. Ich glaube, darum geht es auch gar nicht. Es geht mehr um zwei methodische Fragen:

  • Ist das ganze Konzept in sich schlüssig? und
  • Aus welchem Interesse heraus könnte dieses Konzept entwickelt sein?

Ist das Konzept in sich schlüssig?

Die Feststellungen zu den diversen Generationen sollen ja eine Aussage oder besser eine Differenzierung zu denen ermöglichen, die nicht der jeweiligen Generation angehören. Aber der Fokus des Generationen-Konzepts liegt ausschließlich in der Darstellung von Haltungen und Einschätzungen der jeweiligen Generation ohne sich zu fragen, wie sieht es denn in der Gesamtgesellschaft aus? Wird hier nicht ein Popanz aufgebaut, der in seiner Relevanz für das Gesamte keinerlei Bedeutung hat? Was mir aufgefallen ist, dass natürlich Referenzen zu den Aussagen der vorherigen „Generationen“ gezogen werden. Was hat sich geändert? Aber die Tatsache, dass sich auch die Gesamtgesellschaft laufend in ihren Haltungen und Meinungen verändert, wird nicht oder nur unzureichend diskutiert. Man hat den Eindruck, die jeweilige gerade gängige „Generation“ ist nur mit sich selbst beschäftigt.

Zum Begriff der Generation: Eine neue Generation beginnt, wenn die bestehende Generation zur Reproduktion „schreitet“ oder kommen kann. Hier beginnt eine Generation mit der Geburt des Nachwuchses. Man geht allgemein davon aus, dass eine Generation etwa 30 Jahre umfasst. Diese Zeitspanne könnte sich aufgrund ökonomisch-sozialer Komponenten etwas verlängert haben. Aber hier ist der Beginn einer Generation durch den Jahrgang eindeutig erfasst.

Der „Generation“-Begriff, den dieses Konzept benutzt, kümmert sich in keiner Weise um die Kinder- und Jugendjahre der jeweiligen Kandidaten, sondern lassen die „Generation“ entstehen, wenn die ehemaligen Jugendlichen aus der Ausbildung heraustreten und hoffentlich „produktiv“ werden (sollen). Aber die Konzept-Initiatoren vermeiden es, klar anzugeben, wann die Eigenschaft der „Generation“ eintritt und wann sie endet, denn wir werden ja alle älter. Da ich nach wie vor unter die „Baby Boomer“ zähle, wird mir stillschweigend unterstellt, dass ich noch der gleiche „Dussel“ sei wie damals und ich keinerlei Entwicklung in meinem Denken und Handeln durchlaufen habe. Das ist die individuelle Seite der Konzentration des Konzepts auf die „Generation“ ohne sich um die Veränderung der Gesellschaft über die Zeit zu kümmern.

Das „Generationen“-Konzept lebt von irgendwelchen Umfrageergebnissen, die im Überfluss und kritiklos wie ein Evangelium bereitgestellt werden. Wo sind eigentlich die Umfrageergebnisse, die das Konzept in Frage stellen würden? Die Praxis lehrt, es gibt nicht nur Umfrageergebnisse, die die Position des „Generationen“-Konzeptes stützen; aber davon hört und sieht man nichts. Das verstärkt meinen Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Konzepts doch sehr.

Wenn die „Generation XYZ“ eine sinnvolle Aussage ist, dann muss die einzelne Generationen-Schicht ein gewisses Maß an Homogenität aufweisen. Dazu müssten die verschiedenen Einkommensschichten die gleichen Präferenzen aufweisen. Das halte ich für ein Gerücht. Wenn der Mittelstand glaubt, es sich leisten zu können, gewisse Erwartungen hinsichtlich Job und Karriere zu äußern und auch umzusetzen, so ist dieser Weg den unteren Einkommensschichten i.d.R. verbaut, weil hier „das Fressen vor der Moral“ (Bert Brecht) kommt und damit die Erwartungen der „Generation Z“ diesbezüglich ins Leere laufen. Die Idee der „Generationen XYZ“ ist also auf ein bestimmtes Klientel zugeschnitten, was wiederum die Vermutung nährt, dass es sich nicht um den Versuch von Erkenntnisgewinn hinsichtlich gesellschaftlicher Phänomen handelt, sondern eher einen rein kommerziellen Hintergrund hat.

Kommen wir zu der Frage, welche Erkenntnis ziehen wir aus diesen Umfragen? Umfragen werden strukturiert bzw. designed. Es ist eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe, einen Fragebogen so zusammenzustellen, dass nicht bei der Formulierung der Frage oder des Fragenzusammenhangs schon die erwartete Antwort durchschimmert. Dann geht es auch um den Stichprobeumfang, die Methode der Auswahl der Probanden, die beide ebenfalls durch spätere Hochrechnungen zu gravierenden Fehlinterpretationen führen können.

Aber ganz entscheidend bleibt, dass die Vielzahl an Ergebnissen eine gewaltige Häufung von Informationen oder meinetwegen Wissen darstellt, aber keinerlei Erkenntnis vermittelt, solange wir nicht in der Lage sind, die Ursache für die beobachtete Entwicklung oder Veränderung bieten zu können – es geht nicht um die Frage, was statistisch aufbereitet geantwortet wurde, sondern es geht um die Frage, warum haben die Beteiligten so und nicht anders geantwortet. Diese Frage lässt sich auch mit der doppelten Datenmenge nicht erschlagen, weil diese Frage qualitativer Natur ist und nicht durch quantitative Aussagen beantwortet werden kann. Einen Trick gibt es (noch) nicht, der dieses grundlegende Problem löst!

Aufgrund der Argumente bin ich der Auffassung, dass das Konzept einer systematischen Überprüfung nicht standhält bzw. von seinem Aufbau her nie dazu dienen sollte, wirkliche Erkenntnisse bereitzustellen. Im Grunde arbeitet das System wie Google: aus Informationen Geld machen. Vielleicht ist das auch des Pudels Kern! Und das führt uns direkt zur zweiten Frage:

Aus welchem Interesse heraus könnte dieses Konzept entwickelt sein?

Die Beantwortung dieser Frage wäre vielleicht möglich, wenn man die Veröffentlichungen auf diesem Felde zurückverfolgt bis zum Ursprung. Das ist es mir offen gestanden nicht wert. Eine andere Überlegung entsteht aus der Frage, wollen die Initiatoren überhaupt Erkenntnis gewinnen, oder will man nur möglichst viel Informationen über einen begrenzten Teil der Bevölkerung (eben über die „Generation“) sammeln, um damit einen anderen, rein quantitativen Zweck zu verfolgen. So wie sich die Sache mir erschließt, würde ich die Initiatoren auf dem Feld des Marketings verorten. Nichts ist ökonomisch sinnvoller, als die Gesellschaft in Schichten zu teilen (auch dann, wenn es u.U. objektiv falsch ist), um dann diesen selbstgeschaffenen Schichten Profile zu vermitteln, die einer größeren Zahl von eher gedankenlosen Schichtmitgliedern als Orientierung bzw. Identifikation dienen können. Zudem lassen sich zwischen den diversen Schichten (hier: Generationen) wunderbar „Spannungen“ erzeugen, indem man bei neuen „Generationen“ die bestehenden in ihrer Bedeutung zurücksetzt und dadurch u.U. Wettbewerb hervorruft, was sich dann vorteilhaft für jene auswirken kann, die die herausgestellten Eigenschaften der jeweiligen „Generation“ besonders effektiv bedienen können (und wollen). Damit ist der „Bullshit“ nichts anderes als eine groß angelegte supranationale Marketing-Strategie mit dem Ziel, diese „Generationen“ finanziell durch „maßgeschneiderte Angebote“ (so der freundlich klingende Slogan) noch gezielter ausquetschen zu können.

Es ist also absehbar, dass es in den nächsten Jahren eine neue „Generation“ geben wird. Ob dann der Name „Alpha-Generation“ so überzeugend sein wird, hängt von den Erwartungen der Initiatoren ab, die eine neue Generation immer dann ausrufen werden, wenn sich aus den Umfrageergebnissen irgendetwas wirtschaftlich Verwertbares, also ein Markt konstruieren lässt.

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Nach dem Lock-down …

Der Corona – Lock-down hat viele unerwartete Konsequenzen. Sie treffen nicht nur unsere Wirtschaft. Auch die Gesellschaft steht vor Veränderungen. Es verändert sich auch manches in den Köpfen der Menschen, weil sie konkret erleben, dass es nicht nur Alternativen gibt, an die man bisher nicht gedacht hat, sondern auch unerwartet tiefe Einschnitte in Lebensläufe, von denen viele glaubten, sie seien vorhersehbar und also frei von Überraschungen.

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Die Veränderungen fordern die Kreativität jedes einzelnen Menschen heraus. Es überfordert viele, weil sie aus ihrem Lebenstrott gerissen werden, und sich über die Maßnahmen aufregen, weil sie die Zusammenhänge nicht verstehen (wollen).

Lange als selbstverständlich erachtete Strukturen brechen auf oder zusammen – Familie muss sich teilweise neu erfinden, Kinder lassen sich nicht mehr zeitweise in Schule und Kita abschieben, die Großeltern stehen auch nicht zur Verfügung, Engpässe fordern zu sinnvollem gemeinschaftlichen Handeln auf, Solidarität ist gefragt, Individualismus verbunden mit der üblichen Portion Egoismus kommt gar nicht gut an, die „Helden“ der Situation sind die, die anpacken und nicht die, die sonst durch besondere Lautstärke die Aufmerksamkeit erfolgreich auf sich ziehen. Alles wird, zumindest in der Wahrnehmung, neu gemischt. Vormals Unverzichtbares löst sich in heiße Luft auf, als ob es nie von Bedeutung gewesen wäre.

Wir sollten nicht unterschätzen, was der Lock-down und die damit verbundenen Maßnahmen mit uns machen. Ein kleiner, unscheinbarer Virus mit z.T. verheerenden Auswirkungen lässt erahnen, was an Veränderung möglich ist, wenn man die Notwendigkeit erkennen kann und will. Es fliegen kaum Flugzeuge, die Bahnen sind erschreckend leer, die Autobahnen sind weitgehend staufrei, die Luft ist von einer selten erreichten Qualität, der Lärmpegel so niedrig, dass man die Vögel wieder zwitschern hören kann. War es nicht vordem ganz wichtig, also unumgänglich, noch schnell zu diesem oder jenem Termin zu jetten; wurde doch die eigene Bedeutung erst dann richtig wahrgenommen, wenn man Anschluss an diesen hektischen Jetset gefunden hatte? Und jetzt müssen wir feststellen, es geht auch sehr vieles ohne dieses Getue im Glauben an die eigene Unentbehrlichkeit.

Wir sind durch den Lock-down auf uns und auf unsere Kreativität reduziert. Viele stellen dabei fest, wie einfach und befreiend es sein kann, aus dem Korsett von scheinbaren Zwängen auszusteigen. Nach aller Erfahrung hält der Zustand nicht allzu lange vor. Andere Zwänge werden sich entwickeln, aber wir sind hoffentlich ein Stück weit auch auf einem Weg zu neuen Ufern. Der Lock-down hat nicht nur ein Loch in die Warenproduktion gerissen. Auch zahllose Netzwerke und Existenzen wurden zerstört. Die neuen „Funk“-Löcher im System werden wir erst Schritt für Schritt wahrnehmen können.

Durch die hohe Zahl von Kündigungen und Kurzarbeitern sind den Verbrauchern die ‚Spendierhosen‘ abhandengekommen. Es braucht keine statistischen Zahlen, um vorher sagen zu können, dass durch den Lock-down und die schwierige Beschäftigungslage die Konsumneigung abgenommen hat. Die Menschen haben konkret realisiert, das sich auch mit weniger Konsum ganz gut leben lässt. Diese Erkenntnis wird dazu führen, dass die Vorsorge und damit die Sparneigung auf breiter Front zunehmen werden. Die Netto-Vermögensverteilung (in 2017) lässt erkennen, dass ca. 50% der Erwachsenen über keine oder kaum Rücklagen verfügen. Diese rd. 40 Mio. Menschen hat der Lock-down vermutlich am schmerzlichsten getroffen und wir dürfen unterstellen, dass dieser Personenkreis auf absehbare Zeit versuchen wird, sich durch Konsumverzicht wieder ein kleines finanzielles Sicherheits-Poster aufzubauen.

Die zweite bessergestellte Hälfte unserer Bevölkerung (auch 40 Mio. Menschen) verfügt über rd. 98% des Vermögens. Sie wird vom Lock-down nicht unmittelbar betroffen sein und verfügt vermutlich über ausreichend Reserven, so dass sie persönlich keine der Maßnahmen sonderlich trifft. Bei ihnen müssen wir aber verstehen, dass es diesem Personenkreis mit größter Wahrscheinlichkeit um die Sicherung ihrer Vermögen geht. Dieser Kreis besitzt zu wesentlichen Teilen das Produktivvermögen, das nur dann Vermögen bleibt, wenn es gelingt, die wieder aufgenommene Produktion auch zu vermarkten. Dazu ist Massenkaufkraft notwendig, also abhängiges Einkommen, Ersparnisauflösungen, Kreditkauf, Transfereinkommen und Exportüberschuss. Das Masseneinkommen wurde durch den Lock-down um bis zu 20% reduziert (Kurzarbeitergeld sieht 80% Auszahlung vor). Die Verbraucher sind verunsichert. Ersparnisauflösungen werden nur im Notfall erfolgen. Kreditkauf – das ist trotz niedriger Zinsen der falsche Zeitpunkt, das Risiko werden die Banken nicht übernehmen. Mit den Transfereinkommen (Renten, Pensionen, Grundsicherung, Hartz IV) ist keine besondere Kaufkraft verbunden. Und der Exportüberschuss, der in der Vergangenheit viel fehlende Kaufkraft ersetzt hat, fällt aus, weil alle EU-Länder gleichzeitig mit ihrer Massenkaufkraft Probleme bekommen werden. Da werden die EU-Partner verständlicherweise keine Lust verspüren, die deutsche Kaufkraft aufzubessern. Es könnte sogar der Fall eintreten, dass der „Exportweltmeister“ feststellen muss, dass er teilweise auf seine Forderungen aus dem Exportüberschuss verzichten muss. Mit anderen Worten, die Situation ist nicht einfach und noch sehr unübersichtlich.

Die Produktion hat wieder begonnen. Da wäre es wünschenswert, wenn die Verbraucher-„Pferde“ saufen würden. Das ist nicht erkennbar. Deshalb geht auch der von der Autolobby ausgehende Druck auf die Politik in die falsche Richtung – eine Subventionierung von Verkaufspreisen könnte nur dann sinnvoll sein, wenn allgemeine Konsumneigung oder „Kauflaune“ herrscht. Die kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Es braucht einfach Zeit, um den Schock des Lock-downs beim Verbraucher zu lösen. Zudem sind nicht nur die klassischen Konsumenten zurückhaltend. Auch die Personenkreise, die man über ihr Vermögen zu jenen rechnet, denen die Realunternehmen gehören, sind beunruhigt – nicht wegen Einbußen bezüglich ihrer Person, sondern wegen der Sorge um die Sicherheit ihres Vermögens. Wie dieser Spagat zwischen den „Pferden, die nicht saufen wollen“ und der Verunsicherung der Unternehmensseite (Sorge ums Vermögen) kreativ gelöst werden könnte, ist für mich noch nicht erkennbar. Beobachten, denn es bleibt spannend!

Der Lock-down hat vielen kleinen, aber nützlichen Unternehmen den Kopf gekostet. Andere gehen ganz neue Wege und stellen fest, es funktioniert! Im Gegensatz zum gewerblichen Bereich legt die Industrie Wert darauf, dass wir so tun, als ob nichts geschehen wäre: sie setzen einfach dort wieder auf, wo sie den ‚Laden‘ zugemacht haben. Diese Haltung ist insbesondere aus der Sicht der Großindustrie nachvollziehbar. Sie übersieht aber, dass die Welt nach dem Lock-down nicht mehr die gleiche ist. Die Anpassungsfähigkeit, die jetzt die kleinen Unternehmen beweisen müssen, glauben die Großen nicht entwickeln zu müssen bzw. sie wissen, dass ihre „Tanker“ viel zu schwerfällig sind, um schnell neue Kurse fahren zu können. Corona hat viele dieser Jumbos in einer beginnenden Umstellung „erwischt“, die m. E. schon in der Mitte von 2019 erkennbar war, nachdem 2015 (Höhepunkt Dieselskandal) der „Hochmut vor dem Fall“ die Managementreihen noch beflügelte. Was hat man sich da in die Taschen gelogen und Boni ausbezahlt, deren Rechtfertigung auf wackeligen Beinen steht.

Die Wirtschaft erwartet Hilfe. Sie möchte aber gleichzeitig die auf Basis des Vorjahres angesammelten Vorstandsboni und Dividendenansprüche der Aktionäre ausbezahlen. Das ist einem gesunden Menschenverstand nicht zu vermitteln: Einerseits will das Unternehmen einen namhaften Betrag als Unterstützung (der auch gewährt würde) in Anspruch nehmen und gleichzeitig sollen den Eigentümern und Vorstandsmitgliedern erhebliche Leistungen zufließen. Das Kapital, die Rücklagen und der Gewinnvortrag, so das allgemeine Verständnis, dienen der Sicherung des Unternehmens und man darf erwarten, dass diese ‚Polster‘ auch zur Stützung des Unternehmens in Anspruch genommen werden. Von einem mittelständischen Unternehmer erwartet man, dass er alles veranlasst, was nötig ist, um sein Unternehmen am Laufen zu halten. Da fragt keiner, ob er nicht auch andere Ideen für die Verwendung seines investierten Geldes haben könnte. Es geht schlicht darum, das Unternehmen zu retten!

Aber da unterscheiden sich die Geister: angestellte Manager meinen, dass sie hierzu nicht verpflichtet werden können. In guten Zeiten hängen sie den großen Unternehmer heraus und in schlechten Zeiten wollen sie dann wie Angestellte behandelt werden, obwohl sie keine Arbeitsverträge unterhalten, sondern Dienstleistungsverträge, die sie verpflichten, sich zum Wohl des Unternehmens einzusetzen.

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EUGH vs. Bundesverfassungsgericht in Sachen EZB

Am 5. Mai 2020 hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil über das Vorgehen der Europäischen Zentralbank hinsichtlich des Ankaufs von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Asset Purchase Programme) veröffentlicht, indem sich das Verfassungsgericht u.a. gegen eine im Urteil des EUGH getroffene Entscheidung stellt. Das BVerfG ist der Auffassung, dass die von dem EUGH getroffene Entscheidung einseitig und zu formal begründet sei, die Folgen der beschriebenen Maßnahme für die Mitgliedsländer nicht ausreichend beachtet wurden.

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Die Kläger haben weiter der Bundesbank vorgeworfen, sich nicht vor dem EUGH durch eine Klage gewehrt zu haben. Das veröffentlichte Urteil legt die Auffassung des BVerfG auf 110 Seiten detailliert dar. Dem Urteil gehen 10 Leitsätze voran, in denen die Ausführungen des Gerichts zusammengefasst sind.

Dieses Urteil hat einerseits einen Sturm der Entrüstung als auch eine breite  Zustimmung ausgelöst. Ob diese Meinungen immer von Sachkenntnis getragen sind, lässt sich für einen Außenstehenden nur schwer beurteilen. Die Entrüstung macht sich unter einigen Juristen breit, die der Auffassung sind, dass eine Entscheidung des EUGH formal nicht durch nationales Recht in Frage gestellt werden dürfe. Die zustimmenden Stimmen werden laut, weil sie der Argumentation des BVerfG folgen können und wollen. Es steht also der Primat der Form gegen den Inhalt.

Heribert Prantl (SZ) sieht für die EU die Gefahr einer weiteren Auflösung, weil die Zuständigkeiten in Frage gestellt werden nach dem Motto „Wehret den Anfängen“. Wir können feststellen, dass das Urteil im europäischen Ausland sehr wohl zur Kenntnis genommen wurde. Je nach politischer Ausrichtung wurde das Urteil natürlich von den EU-kritischen Mitgliedern eher positiv aufgenommen, so mein Eindruck. Prantl rückt aber etwas in den Vordergrund, was nur dann ein Argument wäre, wenn die Strukturen sinnvoll und „richtig“ wahrgenommen würden. Das ist nicht der Fall. Deshalb hat das BVerfG den Fall wohl auch angenommen, weil die demokratischen Rechte der Bürger bei der Entscheidung des EUGH nur unzureichend Eingang in die Entscheidung gefunden haben. Man könnte auch zu der Auffassung gelangen, dass der EUGH sich zum Büttel derer hat machen lassen, die in dem Ankauf von Wertpapieren durch die EZB (zu eigenen Vorteil und zum Nachteil großer Teile der EU-Bürger) forcieren wollten. Die Haltung, die Herr Prantl favorisiert, würde ich als hochherrschaftlich brandmarken, weil begründete demokratische Einwände über formale Gesichtspunkte zur Seite geschoben werden sollen.

Es bleibt das Problem, wie mit dem Urteil umgegangen werden soll. Denn es ist schon richtig: es hat etwas von dem Spiel „Unter sticht Ober“. Aber wenn ich mir die Argumente des BVerfG ansehe, so vermitteln sie den Eindruck, dass der EUGH wesentliche Gesichtspunkte in seiner Begründung nicht berücksichtigt hat und dabei durch sein Urteil Vorteile vermittelt hat, deren Berechtigung in Frage zu stellen ist. Nun laufen die Drähte zwischen Berlin und Brüssel heiß. Das Urteil bindet den Bundestag und damit auch die Regierung. Es ist klar, dass das deutsche BVerfG über keinerlei Weisungsbefugnis in Richtung EZB verfügt. Noch kann das BVerfG als funktional nachgeordnete Einrichtung das Urteil der EUGH aufheben. Es ist – so scheint es – ein geschickter Schachzug, den EUGH aufzufordern, sich hinsichtlich der fehlenden Begründungen zu erklären. Aber was passiert, wenn sich dabei herausstellen sollte, dass die Einschätzung des BVerfG richtig ist? Ein verzwickte Situation, die deutlich macht, dass jenseits der Struktur das bessere Argument zur Geltung kommt.

Ein damit verbundener Gesichtsverlust des EUGH wäre fast nicht zu vermeiden. Damit ist letztlich niemandem gedient! Könnte es sein, dass aus diesen Gründen sich die Antwort des EUGH auf formale Gesichtspunkte zurückzieht und den Hierarchiegedanken ausspielt? Das wäre m.E. der falsche Weg. Das gälte auch hinsichtlich der beizubringenden Erklärung des EUGH. Wird die Erklärung schlampig aufgemacht und von der Haltung des „Ober“ gegenüber dem „Unter“ bestimmt, geht der „Schuss“ nach hinten los. Beides ist denkbar, aber aus meiner Sicht wäre es in seiner Wirkung für die Reputation des Gerichtes verheerend. Eine Änderung der Rechtsprechung des EUGH durch den Einwurf des BVerfG erfordert eine zumindest teilweise Rückabwicklung der Ankäufe der EZB und würde schon erhebliche professionelle Souveränität des EUGH verlangen. Aber unmöglich ist nichts.

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Gesundheitswesen: Geld spielt keine Rolle?

In der SZ vom 24.4.2020 hat Nikolaus Piper unter der nahezu gleichen Überschrift einige Überlegungen und Ausführungen zum Gesundheitswesen gemacht. Einige Ausführungen sind unstrittig, bei anderen schwillt der Kamm, weil ganz subtil eine sogenannte ökonomische Sichtweise vertreten wird, die sich den Anschein gibt, sinnvoll und unverzichtbar zu sein, aber versteckt einem gnadenlos privatwirtschaftlichen Ansatz das Wort redet. Durch den ökonomisch geprägten Wortschatz werden Ideologien transportiert, die zu denken geben sollten.

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„Die Logik der Ökonomie verdrängt den Ethos der Heilkunst“: so lautet ein Aufruf von mehr als 200 Mediziner und 19 Organisationen (vgl. Piper), der kurz vor der Zeit der Corona-Pandemie verbreitet wurde. Piper sieht darin den Vorwurf, dass das Gesundheitssystem angeblich „kaputtgespart“ wurde als nicht gerechtfertigt an. Er verweist auf die große Leistung des Gesundheitssystems während der Corona-Welle und meint damit begründen zu können, dass dieser Vorwurf nicht zu rechtfertigen sei. Das sind aber zwei Dinge, die nicht mit einander verbunden sind. Die große Leistung des Gesundheitssystems wurde von den Menschen im Rahmen einer notwendigen Versorgung erbracht trotz der Unzulänglichkeiten und partiellen Überforderung des Systems.

Die Ökonomisierung schlägt insbesondere bei der finanziellen Wertschätzung der Arbeitskraft der Beschäftigten zu Buche. Es wurde ja in Zeiten der Corona-Krise deutlich, dass das Überstehen dieser Krise nicht durch die „Manager“ mit den großen Gehältern gesichert wurde, sondern durch die Vielzahl derer, die – ohne die Frage nach dem Entgelt zu stellen – angepackt haben. Das ist unter ökonomisch rationalen Nutzengesichtspunkten ein Verkauf der eigenen Leistung unter Wert! Das gilt als ökonomische Dummheit. Aber ist das in der gegebenen Situation die richtige Frage? Hier stoßen wir doch an die Grenzen der ökonomisch utilitaristischen Betrachtungsweise. Es wurde uns ein Stück Solidarität geboten; man kann auch hochtrabend von einem Ethos sprechen, den die Ökonomie nie in der Lage sein wird, sinnvoll darzustellen. Boni in einer Größenordnung von tausend oder fünfzehnhundert Euro (pro Person) ändern daran auch nichts.

Wir sollten darauf hinweisen, dass die sogenannte Ökonomisierung vielfach als „Privatisierung“ daherkommt. Auch das sind ganz klar zwei Paar Stiefel, die die großen Verfechter des Marktes und des Wettbewerbs nicht so gerne anerkennen. Angemessene ökonomische Praxis ist kein Monopol privater Organisationen. Staatliche Einrichtungen wie Krankenhäuser sind heute ökonomisch genauso gut oder schlecht geführt, wie privatisierte Einrichtungen. Der Kostendruck ist doch nicht nur bei den Privaten vorhanden. Die staatliche Einrichtung braucht ein Kostenmanagement, um mittelfristig eine schwarze Null sichern zu können. Die private Einrichtung macht kein Kostenmanagement, sondern Profitmanagement. Es reicht der privaten Einrichtung nicht, Aufwand und Ertrag mittelfristig in der Balance zu halten – sie muss zusätzlich für eine kleine Schar von Investoren Gewinne erwirtschaften, damit diese nicht das Interesse an dem privaten Investitionsobjekt verliert. Mit anderen Worten: neben der Balance von Aufwand und Ertrag muss die private Einrichtung zusätzlich einen Gewinn bereitstellen. Dieser Gewinn fällt nicht vom Himmel. Irgendwer muss ihn bezahlen – die Kranken, die Pflegekräfte und die Ärzte.

Von einer „medizinischen Versorgung“ der Menschen ist diese Sichtweise weit entfernt. Versorgung ist ein Begriff, den die Ökonomie jahrhundertelang gepflegt hat. Ökonomie kommt von „klugem Haushalten“. Mit der Gewinnmaximierungshypothese wurde diese Sichtweise aufgegeben. Haushalten ist keine Kategorie des rational Ökonomischen. Versorgen heißt nicht nur medizinisch-technische „Bearbeitung“, es heißt auch, die psychischen und sozialen Erfordernisse im Rahmen der Versorgung angemessen zu erfüllen. In Deutschland wurden bis heute 1/3 der Krankenhäuser von vor 15 Jahren als unrentabel ausgemustert. Unrentabel ist eine strikt ökonomische Kategorie. Könnte es sein, dass das – hintenherum – eine der wesentlichen Forderungen der Vertreter der Privatisierungswelle war, sicherzustellen, dass die privatisierten Krankenhäuser auch „profitabel“ sind? Mehr Volumen, größere Einheiten sind die notwendigen Garantien, um Profitabilität in den privaten „Krankenhausladen“ zu schaufeln. All diese Gedanken sind mit Sicherheit auch Teil des Begriffs der „Ökonomisierung des Gesundheitswesens“, die in dem oben genannten Aufruf der Mediziner angesprochen wurden.

Die Vorstellung, dass Geld im Gesundheitswesen keine Rolle spiele, ist sicher falsch. Es kommt entscheidend darauf an, welche Erwartungen mit der Bereitstellung des Geldes verbunden werden. Will man Versorgung im Sinne einer humanen Versorgung der Menschen oder wird die Institution schlicht als ein Hebel genutzt, um Geld aus Geld zu machen? Die öffentlichen Stellen sehen die Versorgung als erste Priorität und die Privatwirtschaft orientiert sich zuvörderst an der Profitabilität; Versorgung ist der privatwirtschaftlichen Sichtweise eine Nebenbedingung, die erfüllt werden muss, um den guten Eindruck nicht zu gefährden.

Das Kostenmanagement ist zwischenzeitlich sowohl in öffentlichen wie in privatwirtschaftlichen  Organisationsformen mehr oder weniger identisch und wird durch die Qualität des verfügbaren Personals bestimmt. Der kleine, aber wesentliche Unterschied liegt in der Erwartung von Profit, der nur dadurch gewonnen werden kann, dass man zusätzlichen Druck auf das Kostenmanagement macht. Letztere Vorgehensweise ist als „Profitmanagement“ zu bezeichnen!

Öffentliche Einrichtungen sind meist in größere kommunale Einheiten eingebettet und man täte gut daran, wenn man diese Einrichtungen nicht in den kommunalen, regelmäßig schwerfälligen Haushaltsapparat eingliedert, sondern den Einrichtungen weitgehende unternehmerisch-medizinische Entscheidungsfreiheiten ließe: Es gibt primär einen Versorgungsauftrag, ein klares Ziel der langfristigen Balance zwischen Aufwand und Ertrag. Sie erfordern eine Kapitalausstattung, die der Größe der Aufgabe angepasst ist. An letzterem scheitert es meistens, weil man in den politischen Gremien nicht wahrhaben möchte, dass das Vorhaben eine solch erhebliche Menge an Kapital bindet.

Viele Kommunen weisen zudem eine Finanzausstattung auf, aus der erkennbar ist, dass sie „auf dem Zahnfleisch kauen“. Dann erscheint die Privatisierung für manchen Stadtverordneten als unumgänglich, weil sie kurzfristig Geld in die leeren Kassen der kommunalen Körperschaft spült. Aber eben nur einmal, dann ist das „Tafelsilber verscherbelt“ und die Einflussnahme auf die Krankenversorgung als Teil einer kommunalen Grundversorgung ein für alle Mal verspielt.

Die politische Haltung folgt oft einem faulen Kompromiss in der Bereitstellung unzureichender Mittel, die dann mehrfach über die Jahrzehnte unter „Jammern und Zähneklappern“ in kleinen Teilbeträgen nachgeschossen werden müssen. In Summe bezahlt dann die Kommune ein Mehrfaches der ursprünglich notwendigen Kapital-Erstausstattung. Bei solchen Aktionen setzt sich leicht die Auffassung durch, dass eine Privatisierung für die Kommune einfacher wäre, weil sie dann nicht immer wieder mit dem Sachverhalt befasst werden muss. Das ist auch eine Form der Ökonomisierung. Es ist dann die eigene kommunale Unfähigkeit, die diese Haltung auslöst. Sie wird dann durch die angebliche Professionalisierung durch die Privatisierung überspielt. Die kommunale Bequemlichkeit und Unfähigkeit wird aber von den Kranken, den Pflegekräften und der ärztlichen Versorgung teuer bezahlt.

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Handele klug und bedenke das Ende

Als dieser (verkürzte) Satz in römischer Zeit formuliert wurde, gab es noch keine Klimakrise und auch keine Gedanken zum Umweltschutz. Alles, was wir heute produzieren, wird zu Müll. Mit der Folge, dass wir schrittweise diesen Planeten zumüllen, weil das Recycling, das uns die Natur zwar vorlebt, aber hinsichtlich der erforderlichen Recycling-Zeit unseren Ansprüchen von „schneller, weiter, höher“ nicht gerecht wird.

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Das Problem hat damit zwei Komponenten:

  • einmal ist die Müllmenge, die wir mit unserem Lebensstil täglich hervorbringen, viel zu groß und
  • zum anderen stammen die natürlichen Prozesse des Recyclings aus einer historischen Zeit, in der die Vorstellung von „schneller, weiter, höher“ für niemanden einen Sinn vermitteln konnte. Die Natur hat seit Generationen bewährte Verhaltensweisen entwickelt, die aber ihrer eigenen Zeitrechnung folgen und sich nicht umso banale Dinge wie Konsum, Geld und kurzfristigen Gewinn kümmern.

Unsere gegenwärtigen Versuche, die Müllmenge einzudämmen, schieben alle Verantwortung dem Verbraucher zu. Das ist in höchstem Maße unfair, denn es wurde gleich zu Beginn der Produktion „unklug“ gehandelt und die Bedenken über das „Ende“ werden einseitig dem Verbraucher aufs Auge gedrückt. Der Produzent ist fein raus, denn diese Sichtweise wird durch das Märchen (man nennt das auch Narrativ) unterstützt, dass ja nur die Produkte hergestellt werden, die der Kunde will.

Die ganze Argumentation ist darauf aufgebaut, das eine Reduzierung des Mülls allein die Aufgabe derer sei, die das Produkt kaufen und sie müssten sich einfach nur einschränken! Gleichzeitig tobt die manipulative Einflussnahme über die Medien, die sicherstellen soll, dass genau das nicht passiert. Da beißt sich die Katze doch in den Schwanz! Die Argumentation ist indiskutabel, menschenverachtend und einfach fies!

Im Folgenden setzen wir jetzt beim Produzenten an und fordern ihn auf: „Handle klug und bedenke das Ende!“. Die Produktion muss also vom Ende her gedacht werden. Und das Ende ist nicht der schöne Schein des Neuen, sondern der ganz profane Müll. Das Ende ist dann erreicht, wenn das Produkt den Weg alles Vergänglichen gegangen ist.

Und wir erwarten künftig von dem Produkt, dass es für sein erfolgreiches Recyclings alle notwendigen Voraussetzungen mitbringt. Wir können von einem Produkt erwarten, dass es so konstruiert ist, dass es in einem wirtschaftlichen Sinne reparaturfähig ist und wenn diese Option nicht mehr gegeben ist, dass das Produkt auch so konstruiert wurde, dass es sortenrein, leicht zerlegbar, mit möglichst wenigen unterschiedlichen Materialkomponenten ausgestattet ist. Ziel muss es sein, dass sich die gegenwärtig niedrige Recyclingrate von jämmerlichen 15% auf mindesten über 50% heben lässt. Dieses Ziel muss schon bei der Projektierung bzw. Konstruktion des Gerätes formuliert sein, sonst ist es für die gesamte Lebensdauer des Gerätes nicht mehr nachzuholen.

Wir alle wissen um den geplanten Verschleiß, den die Produzenten in aller Regel weit von sich weisen. Es ist auch denkbar, dass diese Form des Verschleißes sich auf bestimmte Branchen und Marktsituationen konzentrieren. So hat sich die Automobilbranche in ihrem Segment schon vor Jahren angesichts der damaligen „Rostlauben“ entschieden, dass technischer Verschließ kein Argument für ihre Branche sein darf. Dazu sind die Produkte zu teuer. Man hat deshalb den Weg des „Modellverschleißes“ eingeschlagen. Er lässt den Besitz eines gekauften Wagens durch ständige neue Modellvarianten schnell alt aussehen. Dass diese Strategie funktioniert, lässt sich daran erkennen, dass bei vielen Menschen alle drei Jahre ein neues Auto vor der Tür stehen muss. Die Ausrede, der Leasingvertrag laufe nun mal nur 36 Monate, nehmen wir schmunzelnd zur Kenntnis.

Für andere Branchen kann das anders aussehen. Wenn hoher Wettbewerb herrscht, und man über ein eingeführtes Produkt verfügt, kann es ökonomisch sinnvoll sein, die Lebensdauer, die ursprünglich bei 10 Jahren lag, durch den Austausch eines Teils (künftige Sollbruchstelle) auf – sagen wir – 9 Jahre zu verkürzen. Das merkt der Kunde nicht, der Umsatz merkt es sehr wohl.

Diese Vorgehensweise ist kaum zu unterbinden, aber wenn es einen heilsamen Zwang zur Reparaturfähigkeit der Produkte geben würde, wäre es deutlich schwieriger, diese Strategie durchzusetzen, denn es würde zuerst i.a.R. repariert werden, bevor man sich zum Kauf eines neues Gerätes entschlösse.

Die Tatsache, dass die Reparaturfähigkeit wieder an Bedeutung gewönne, hätte zur Folge, dass neben den reinen Verkaufsstellen mit Laufkundschaft sich wieder ein Netz von Reparaturwerkstätten etablieren würde. Dabei muss klar sein, wenn das Produkt nur 10 Euro kostet, wird es schwierig, Reparaturkosten sinnvoll unterzubringen, es sei denn, man greift zur Eigeninitiative (Subsistenz). Die Reparaturfähigkeit kann also nicht für alles und jedes und insbesondere nicht für Waren unter einem bestimmten Anschaffungsbetrag gelten. Damit würde dann aber auch der Preis ggfs. wieder ein Hinweis auf die Qualität des Produktes liefern, weil dann zumindest Reparaturfähigkeit zugesichert ist und Ersatzteile vorgehalten werden.

Das ganze Spiel funktioniert aber nicht von alleine. Es bedarf einer gesetzlichen Regelung, die einerseits die Reparaturfähigkeit für Waren ab einem bestimmten Preis fordern muss und andererseits sicherstellt, dass am Ende der Gebrauchsfähigkeit des Produktes ein Recycling möglich ist, das nicht durch „unkluge“ Produktionsweise am „Ende“ vereitelt wird.

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Von der Krise her denken!

In der Krise gewinnt man Erkenntnisse, für die in „guten Zeiten“ keine Zeit übrig bleibt. Wenn Corona eine Krise darstellt (und viele nehmen es so wahr), dann ist jetzt die „richtige Zeit“ sich über ein paar einfache Zusammenhänge klar zu werden. Krisen sind unvermeidbar, egal wie hart sie den Einzelnen treffen. Sie sind unvermeidbar, weil wir im Alltagsleben so tun als gäbe es nur Fortschritt, der in so etwas wie „Schneller, weiter, höher“ seinen allgegenwärtigen Ausdruck findet. Wenn das dann nicht mehr klappt, dann gilt der Rückschlag sofort als Krise.

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Die extrem optimistische Fortschritts-Haltung ist im Grund nicht nachvollziehbar, weil nichts in dieser Welt fortwährend wächst. Sogar die Bäume stellen ihr Längenwachstum irgendwann ein, weil die Versorgung eines zu hohen Baumes zu viel Energie kostet und keine weiteren Standortvorteile mehr bringt. Nur die Ökonomen glauben es besser zu wissen und machen aus dem „Schneller, weiter, höher“ ein quasi-religiöses Dogma. Wenn dann doch ein Rückschlag als „schwarzer Schwan“ über die ökonomische Gemeinde hereinbricht, muss das eine Geißel des Markt-Gottes sein. Jeder Vernünftige würde sich fragen, ob da nicht der eine oder andere Denkfehler dahinter steckt.

Solange wir es beim Denken belassen, sind uns keine erkennbaren Grenzen gesetzt. Sobald wir glauben, das Gedachte in die Tat umzusetzen, unterliegen wir den physikalischen Gesetzen und damit den Grenzen, die uns das System setzt, in dem wir leben.

Das ist die gängige Argumentationskette unserer Erzählungen zur Ökonomie. Jetzt haben wir aber mit Eintritt des Corona-Virus ein weiteres Problem: Zum Schutz von Menschenleben wurde von der Politik ein Shut-down verfügt! Wesentliche Teile der globalen und der nationalen Wirtschaft ruhen. Neue nationale Entscheidungen fallen am 15. April gegen Abend.

Die Politik hat sich für einen demokratisch verfassten Staat in einem recht kurzen Prozess durchgerungen, den ‚Shut-down‘ zu beschließen. Er wurde ohne das in der Politik übliche Wenn und Aber entschieden und so kommuniziert, dass die Mehrzahl der Bürger der Entscheidung gefolgt ist. Ob die Entscheidungen in allen Punkten richtig und angemessen waren, werden wir erst in einige Jahren beurteilen können. Wir werden dann auch erkennen, was es bedeutet hat, Verfassungsregeln zumindest temporär außer Kraft zu setzen. Dann wird das aber der Schnee von gestern sein und wir haben uns mit der neu entstandenen Situation zu befassen.

Der disruptive Einschnitt, den wir gegenwärtig erleben und den viele Medien tagtäglich als „krisenhaft“ beschreiben, wird vermutlich so grundsätzlich sein, dass wir nach der „Krise“ nicht davon ausgehen können, dass wir wieder auf dem Niveau aufsetzen können, auf dem der „Shut-down“ eingeleitet wurde. Wir kämpfen m.E. mit zwei (voneinander unabhängigen) Problemen: Die Wirtschaftsentwicklung war schon im 2. Halbjahr 2019 rückläufig und die Wirtschaftsrealisten erwarteten einen Einbruch. In dieser Situation hat der Corona-Virus in Europa zusätzliche Maßnahmen ausgelöst, die den erwarteten Konjunktureinbruch möglicherweise zu einer Rezessionserwartung vertieft haben.

In solchen Situationen treten immer die „Meister des öffentlichen Orakels“ in Aktion. Jeder Experte wird gefragt und jeder muss sich in diesen Tagen durch eine intelligente Antwort hervortun – aber über Wissen verfügt keiner, egal wie gespreizt er seine Meinung kund tut. Die Basis fehlt, die gewöhnlich Verwendung findet, um in ruhigen (kontinuierlichen) Zeiten die Entwicklung unter gewissen Voraussetzungen beschreiben zu können. Alle Modelle, die letztlich auf der Annahme der Kontinuität aufgebaut sind, lassen ggfs. Schwankungsbreiten der Variablen zu, aber je stärker die Schwankungsbreite desto unsicherer die Ergebnisse. „Man würde nicht so schnell auf Vorhersagen hereinfallen, wenn man darauf aufmerksam gemacht würde, dass in den semitischen Sprachen Vorhersage und „Prophezeiung“ mit demselben Wort bezeichnet werden.“ (N. N. Taleb)

Die vorliegende Situation ist alles andere als kontinuierlich; sie ist disruptiv und die Verwerfungen sind so tief, dass sich auch die Strukturen des Systems ändern und niemand kann heute vorhersagen, wie sich die künftigen Strukturen aussehen werden.

Die Gutachten sprießen wie Pilze aus dem Boden und werfen mit Zahlen um sich, über die man sich das Lachen verkneifen muss. Keiner traut sich zuzugeben, dass das alles Kaffeesatz-Leserei ist. Denken Sie bitte an die letzten großen Krisen und die vielen Gutachten mit noch mehr Zahlensalat. Am Ende, als wieder eine kontinuierlichere Entwicklung einsetzte, konnte man feststellen: Die Abweichungen in den unterschiedlichen Gutachten waren horrend. Nicht eine Prognose war in der Lage, eine letztlich durch die tatsächliche Entwicklung bestätigte Zahl zu produzieren. Nach der Finanzkrise 2008/2009 hatte es den „Meistern des öffentlichen Orakels“ für wenigstens 90 – 100 Tage die Sprache verschlagen, um dann wieder verschämt aus der Deckung zu kommen. Heute hängen wir wieder an den Lippen der gleichen „Meister“, deren Methodik sich in nichts geändert hat. Warum sollten die Ergebnisse besser bzw. treffsicherer sein? Und die Ausgangssituation ist nicht ein Zusammenbruch im Bankensektor, sondern ein Shut-down der gesamten Wirtschaftstätigkeit. Es gibt hierzu nicht einmal vernünftig verwertbare Erfahrungen.

Lassen Sie sich nicht von den Durchschnittszahlen an der Nase herumführen! Was sagt denn ein Rückgang der Wirtschaftsleistung von 5,7% oder über 10% in Deutschland für Sie oder über ihren Arbeitgeber aus? Was können Sie für Ihre Situation daraus lernen? Nichts, außer Panikmache! Wenn Sie oder ihr Arbeitgeber den Shut-down überstehen, ist viel gewonnen. Wenn Sie oder er den Shut-down aufgrund der Branche oder der Eigenart des Geschäftes sogar gut überstehen, haben Sie so oder so kein Grund zur Klage. Dann ist es Ihnen hoffentlich „wurscht“, ob die Wirtschaftsleistung überhaupt und wenn ja, wieviel eingebrochen ist. Für Sie ist das ein guter Start.

Und auch für jene, die nicht das Glück haben, in der Krise zu gewinnen: Sie sind nicht der Durchschnitt, Sie sind ein Individuum und sie müssen sich mit den konkreten Bedingungen ihrer Situation auseinander setzen. Da helfen Zahlen wie minus 5,7 oder gar minus 10% auch nicht weiter- sie demoralisieren, ohne irgendeinen Lösungsweg aufzuweisen. Also kann es Ihnen auch „wurscht“ sein!

Dabei ist schleierhaft, wie diese Schnapszahlen zu Stande kommen. Wenn nichts mehr geht, dann werden die alten vier Grundrechenarten herangezogen. Die tägliche Wirtschaftsleistung in Deutschland (vor dem Einbruch) wird in Beziehung gesetzt, wieviel Tage der Shut-down dauern soll. Dann kann man einen relevanten Ausfall an Wirtschaftsleistung ermitteln, multipliziert diese Zahl mit einer geschätzten Produktivitätszahl (z.B. 40%, denn der Shut-down fährt ja nicht auf Null) und erhält dann den erwarteten geschätzten Verlust an Wirtschaftsleistung durch den Shut-down. Jetzt wird dieser Verlust zur denkbar möglichen Wirtschaftsleistung in Bezug gesetzt und man erhält eine Prozentzahl, z.B. 5,7% oder ca. 10 % in Abhängigkeit von der Dauer des Shut-downs. Diese Methoden-Darstellung erhebt nicht den Anspruch, die gelieferten Zahlen herzuleiten, sie dienen nur der Demonstration einer Ermittlung, weil wesentlich andere Grundlagen gegenwärtig gar nicht zur Verfügung stehen und die Anwendung von viel Mathematik zwar Eindruck schindet, aber das Ergebnis kaum verbessern kann.

Der vorgestellte „Ansatz“ hat einen viel schlimmeren Fehler: es ist die unhaltbare Annahme, dass in diesem Fall das beliebte „ceteris paribus“ (alles andere bleibt gleich) der Ökonomie gelten könne. Wir sind uns einig, wir haben eine Krise. Wir können also nicht vereinfachend davon ausgehen, dass die Strukturen erhalten bleiben. Die obige Rechnung unterstellt aber implizit die Erwartung, dass wir auf den alten Strukturen aufbauen können. Das ist ein „fehlgeleiteter Optimismus“ und trägt der krisenhaften Entwicklung in keiner Weise Rechnung.

Die disruptive Veränderung führt uns in aller Deutlichkeit vor Augen, dass unsere Wirtschaft es verlernt hat, den Gedanken einer Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Das Ziel wirtschaftlichen Handelns ist von alters her in erster Linie die Versorgung. Vieles, was keinen hohen Profit abzuwerfen verspricht, aber für unsere Versorgung unverzichtbar wäre, haben wir aus unserer Perspektive in die globalen Randgebiete verdrängt. Viele Medikamente können wir nicht mehr herstellen, medizinisches Verbrauchsmaterial kommt von weit her, u.v.m. Mit jedem Abschieben von Wirtschaftsleistung in die Globalisierung verlieren wir Know-how und praktische Fähigkeiten, die uns in Krisenfällen vor unlösbare Probleme stellen werden. Profit dient nicht der Versorgung, sondern dient nur der Befriedigung der Gier weniger. Wir müssen schmerzhaft erkennen, dass die gewinnoptimale Verteilung von Krankenhäusern den Konzernen dient, aber eine flächendeckende Versorgung der Menschen dabei verloren geht. Die Kostenbrille ist die sehr einseitige Sicht der Gewinnmaximierung ohne jeden sozialen Auftrag. Eine Grundversorgung hat deshalb nichts in den Händen privater Investoren zu suchen. Grundversorgung ist eine ganz wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand, sie aufzugeben kommt auf mittlere Sicht einem politischen Harakiri gleich. Denn die nächste Krise kommt bestimmt!

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