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(S)Türme über München

Die SZ hat den offensichtlichen Protest der Bürger gegen die geplanten Hochhaustürme neben der Postverteilungshalle aufgegriffen. Als Nicht-Münchner kann ich den Protest nur unterstützen. Es gibt weder von der Ästhetik, noch von der Wirtschaftlichkeit oder gar von dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit her sinnvolle Gründe für dieses Projekt.

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Der einzige Aspekt ist die Aussage, dass München „endlich“ auch solche Türme braucht, weil es andere Metropolen gibt, die einen solchen Schwachsinn schon länger realisiert haben. Aber man muss doch nicht jeden Unsinn mitmachen!

Wir sehen uns mindestens drei großen Problemkreisen ausgesetzt:

  • nach der Corona-Pandemie wird es nicht nahtlos so weiter gehen, wie das Jahr 2019 endete;
  • die Klimakrise fordert von uns verstärkte Nachhaltigkeit und Effizienz;
  • die Digitalisierung hat sich durch die Corona-Einschränkungen schneller durchgesetzt als man es erwartet hat. Viele Büros reduzieren sich bis auf 30% ihrer ehemaligen Fläche. Der Markt für Büroflächen wird sich grundlegend ändern. Braucht München dann zwei 150 m hohe Türme mit neuem Büroraum?

Vor diesem Hintergrund ist das Projekt äußerst fragwürdig.

Unter dem Gesichtspunkt der Ästhetik (Gestaltung, Optik, Stadtbild) ergeben sich ebenfalls viele Fragenzeichen. Muss man wirklich die Protzereien gewisser Schwellenländer in München wiederholen? Oder muss wieder irgendein Investor sein eingesammeltes Geld loswerden (verbrennen), um seine Kunden glücklich zu machen. Gibt es da nicht bessere Alternativen? Was in der Zeitung mit zarten Strichen angedeutet wurde, gibt es doch schon in Dubai, vermutlich auch in Singapur. Diese leicht korkenzieher-artige Bauweise ist doch nichts bahnbrechend Neues. Nichts, was München singulär für sich in Anspruch nehmen könnte. Ich bilde mir ein, etwas ähnliches, aber etwas kleiner, in New York (Manhattan) gesehen zu haben. Zugegeben, Hochhäuser, die sich durch ihre stark überzeichnete Funktion (hoch) auszeichnen, so zu gestalten, dass sie etwas „einmaliges“ darstellen, ist schwierig, aber gerade deshalb wäre es doch sinnvoll, etwas anderes zu planen. Niemand zwingt den Bauherrn, gewerbliche Räume in die Höhe zu bauen. Wenn Hochhäuser von 150m Höhe ein städtisches Bild vermitteln sollen, muss um den Fuß der Hochhäuser viel offener Raum zur Verfügung stehen. Wenn viel Raum da ist, kann man auch anders bauen. Hochhäuser sind eine Alternative dort, wo es offensichtlich an Fläche fehlt und wo bestehende Ensembles sinnvoll ergänzt oder erweitert werden können.

Wenden wir uns der Nachhaltigkeit und Effizienz zu. Hochhäuser sind weder nachhaltig noch effizient. Ich hatte in den 80iger Jahren für einige Monate einen Arbeitsplatz im 93. Stockwerk des World Trade Centers (WTC) in New York. Einmal runterfahren, etwas zu Essen besorgen und wieder am Arbeitsplatz zu sein dauerte fast eine Stunde: nicht, dass ich die 93 Stockwerke zu Fuß bewältigt habe, nein, der Turm konnte nur über einen Wechsel von drei Teil-Aufzügen bewältigt werden und die waren meist rappelvoll. Man kann sich nicht vorstellen, was für ein Gedränge herrschte, wenn wieder mal einer der vielen Aufzüge streikte, insbesondere, wenn „Plattform“-Touristen und arbeitendes „Volk“ sich in die Quere kamen. Die Aufzüge führten u.a. direkt in die Büros. Es gab also „Express“- Aufzüge und Aufzüge, die in jedem Stockwerk hielten(Lumpensammler). Die Infrastruktur in den Türmen des World Trade Centers erforderte als erste Pflicht der ständig durch die Stockwerke Reisenden viel Geduld.

Der Flächenbedarf für Infrastruktur war gigantisch. Ein Treppenhaus existierte aus Sicherheitsgründen, war nicht als Verkehrsweg ausgelegt, war immer vermüllt und nicht klimatisiert. Es wurde deshalb im Alltag einfach nicht benutzt. Der Müllschlucker war auch so ein Problem. Die Entsorgungskanäle mussten nach unten immer mächtiger werden, um dem Abfall, den Brauchwassermengen und den Fäkalien Herr zu werden. Das Verhältnis von Infrastrukturflächen zu Nutzflächen ist in Hochhäusern stets katastrophal. Die Herren Architekten vergleichen immer Hochhaus mit Hochhaus, statt das Hochhaus mit seinen Kubaturalternativen zu vergleichen. Wenn das Nutzungsverhältnis schon unbefriedigend ist, kann man sich die verheerende Wirkung auf die künftige Nebenkostenverteilung vorstellen.

Später lebte ich mit der Familie in der Nähe von Frankfurt in einem siebenstöckigen (also kleinen) Hochhaus, das natürlich in Betonbauweise errichtet worden war. Die Flächen, die dem Sonnenlicht ausgesetzt waren, wurden im Sommer unvorstellbar heiß. Beton sammelt die Hitze und gibt diese dann nach 2-3 Tagen nach innen ab. Sehr ‚angenehm‘, wenn dann das Thermometer innen auf dreißig Grad und mehr steigt, wenn es draußen schon wieder regnet. Es gibt Fachleute, die eine Beschattung und Erwärmung von Hochhäusern simulieren können. Sie wissen, welcher gewaltiger Energiebedarf notwendig ist, um den beschriebenen Effekt zu minimieren.

Wir hatte im ‚kleinen‘ Hochhaus noch Fenster, die wir öffnen konnten; bei 150 m Höhe gibt es das nicht mehr. Die gesamte Be- und Entlüftung erfolgt automatisch über energiefressende Klimaanlagen und das z.B. in Corona-Zeiten. Wenn der Hepa 14-Filter ausfällt oder wegen Überlastung wirkungslos wird, nützen auch 1,5 m Abstand und Mund- und Nasenschutz nichts mehr. Dann ist das Hochhaus ein Hotspot ersten Ranges.

Allein die Kühlung des Hochhauses im Sommer, unabhängig von einer möglichen Beschattung, ist energetisch heftig. Die Sonne hat im Sommer bei den Türmen von Ost über Süd bis West uneingeschränkten Zugriff auf das Gebäude. Im Winter sind diese überdimensionierten Finger der Kälte von allen Seiten ausgesetzt. Das muss durch hochdimensionierte, teure Technik abgefangen werden. Das kostet im Sommer Kühlungsenergie und im Winter ordentlich Heizung, mit der man vermutlich ein ganzes Stadtviertel versorgen könnte. Dabei ist das Hochhaus aufgrund seiner exponierten Stellung (seiner Kubatur) im Nachteil gegenüber jeder anderen Bauweise, alleine durch die nicht zu rechtfertigende Gestalt seiner Baumasse.

Nach meinem Empfinden ist der Büroflächenmarkt in München unter Druck. Bisher waren die Mieten erfreulich hoch bis unverschämt. Durch die Pandemie und durch den verstärkten Einsatz von Digitalisierung (Home-Office) schrumpft die Notwendigkeit, weitere Flächen anzumieten bzw. es werden über kurz oder lang Flächen frei. Es ist mir nicht möglich, bei den zwei Hochhaustürmen von 150 m Höhe die dadurch zu erwartende Büroflächenerweiterung zu ermitteln. Sie dürfte aber in einer Größenordnung liegen, die den bisherigen knappen Marktzustand in sein Gegenteil kehrt. Damit könnte es sein, dass die Rentabilität der Türme grundsätzlich überdacht werden muss. Und damit könnte sich das Projekt als eine Investition zur falschen Zeit am falschen Ort erweisen.

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Alter Wein in neuen Schläuchen? Die Strategie der Agilität

Vor wenigen Tagen hatte ich die Gelegenheit, ein Gespräch mit einem Fachmann der IT-Programmentwicklung einer mittelständischen Beratungsgesellschaft zu führen. Ihre Spezialität bei der Programmentwicklung sei der „agile“ Ansatz, wurde mir vermittelt. Auf meinen fragenden Blick wurde versucht, dem Laien (also mir) diese Thematik näher zu bringen: Das agile Vorgehen hat im Rahmen einer Dienstleistung das Ziel, den Gesamtnutzen des Kunden zu steigern.

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Theoretischer Aufsetzpunkt ist nicht ein Ansatz von „Tabula rasa“, sondern der Versuch die Maßnahme auf das vorhandene System mit allen seinen Ecken und Kanten aufzusetzen. Darauf wird jetzt schrittweise versucht, eine inkrementale Schrittfolge aufzubauen, wobei das Ziel nicht zwangsläufig eine Neugestaltung des Systems ist, sondern als Optimierung am ‚lebenden Organismus‘ angesprochen werden kann.

Maßstab für die inkrementale (schrittweise) Verbesserung ist der angestrebte Gesamtnutzen für den Kunden. Die Frage nach dem Gesamtnutzen wird dabei ständig rückgekoppelt. Mit „Gesamtnutzen“ ist nicht nur die punktuelle Nutzenoptimierung eines Teilprojektes gemeint; es wird versucht, eine das ganze Unternehmen umfassende Perspektive einzunehmen. Diese ständige Rückkopplung auf den Gesamtnutzen lässt sich die Gefahr der „Tyrannei der kleinen Entscheidungen“ (Kahn, 1966) reduzieren.

Um diesen Ansatzes besser zu verstehen, muss man den Kontrast sehen: Große IT-Beratungsgesellschaften halten es für sinnvoll und erfolgversprechend, ein fertiges, ggfs. modulares System anbieten zu können. Zusätzlich haben sie zahlreiche ergänzende „Tools“ (Bibliotheken) entwickelt, von denen erwartet wird, dass sie für die Adaption des fertigen Systems nützlich sein können. Das Personal solcher Beratungsgesellschaften ist hochtrainiert, um das fertige System zu „verkaufen“; es kennt sich in Fragen der Adaptionen und in den Bibliotheken aus, aber die Frage, ob das auch dem Gesamtnutzen ihres Kunden entspricht, wird bei dieser Vorgehensweise i.d.R. nicht beantwortet.

Der Gesamtnutzen des Kunden steht möglicherweise sogar im Konflikt mit dem Gesamtnutzen der beratenden Gesellschaft. Da liegt also ein fundamental anderer Beratungsansatz vor! Zumindest entspricht er nicht dem Idealbild eines agilen Beratungsprozesses.

Ich fühlte mich sehr angesprochen. Erinnerungen aus meiner Studienzeit kamen wieder hoch. Das Problem hatten wir damals (1970) schon mal in einem anderen Zusammenhang diskutiert. Der Unterschied zu damals ist klar: Wir haben uns gegen die Allgegenwärtigkeit des homo oeconomicus gewehrt. Dieses normative Konstrukt kann keine Realität repräsentieren. Also suchten wir nach Beschreibungen, die ein realistischeres Bild zu zeichnen in der Lage waren. Die Erkenntnis der beschränkten Informationsverarbeitungskapazität des Menschen war uns eine Stütze in der Beurteilung von Entscheidungen. ‚Rationale‘ oder ‚optimale‘ Entscheidungen sind auf der beschriebenen Grundlage zwar möglich, aber die krasse Ausnahme.

Parallel gab es zwei Erkenntnisse, die zu unserer Zeit wichtig waren:

  • Die Beschreibung komplexer Entscheidungen folgt nicht dem homo oeconomicus, sondern eher der Ansicht des amerikanischen Politologen Lindblom, der das Entscheiden aufgrund von Beobachtungen als ein „Muddling through“ (Durchwursteln) beschrieb. Das Durchwursteln folgt daraus, dass Menschen wegen ihrer beschränkten Informationsverarbeitungskapazität immer nur das Nächstliegende entscheiden und dadurch dann immer wieder von neuem vor Problemlösungsprozessen stehen. Es folgt damit einer Konzeption des Inkrementalismus. Die Idealvorstellung eines großen Befreiungsschlags zur rationalen und optimalen Lösung bezüglich der anstehenden Entscheidungen ist unter diesen Voraussetzungen nicht denkbar.
  • Karl Popper, einer der damals führenden Philosophen, vertrat einen ähnlichen Ansatz. „Popper weist auf die Unmöglichkeit hin, die gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität wissenschaftlich zu erfassen und soziale Ganzheiten umfassend zu planen.“ (W.°Kirsch et.al., Die Wirtschaft, 1978, S. 265) Die Lernfähigkeit eines Systems bleibt aber erhalten, wenn nur kleine und überschaubare Ausschnitte der Wirklichkeit geändert werden. Ursachen und Wirkungen können dann einander zugeordnet werden. (vgl. S.266) Popper bezeichnet diese Vorgehensweise als „piecemeal engineering“ (oder auch Stückwerks-Sozialtechnik). Gestaltungshandlungen sollten in einem System immer nur soweit reichen, als sie experimentell kontrollierbar bleiben (vgl. S. 266).
  • Kahn hat 1966 in einem bahnbrechenden Artikel auf das Phänomen der „Tyrannei der kleinen Entscheidungen“ hingewiesen. Kleine Entscheidungen werden unter dem Diktat des Eigennutzes individuell getroffen und verbauen u.U. die sinnvolle Lösung eines  übergeordneten Problems, weshalb eine ständige Rückkopplung  zur Zielperspektive sinnvoll ist.

Die Ansätze sind hier stark reduziert umrissen. Ich hoffe, dass eine gewisse Parallelität zur Strategie der Agilität erkennbar wird. Für mich ist das Konzept der Agilität eine strategische Umsetzung dessen, was wir in 1970 für wünschenswert hielten. Durchsetzbar war es m.E. zum damaligen Zeitpunkt (noch) nicht. Soviel Demut hinsichtlich der Begrenzung der menschlichen Fähigkeiten überforderte viele Wissenschaftler als auch das Selbstbewusstsein des Managements.

Was hat man heute – 50 Jahre später – mit der Agilität anders oder besser gemacht? Wir waren angesichts der Übermacht der Befürworter des normativen Konstruktes des homo oeconomicus begeistert von Argumenten, die dessen fern jeglicher Realität angesiedelten Annahmen und Voraussetzungen in Frage stellen konnten. Was sich heute als Strategie der Agilität darstellt, ist möglicherweise die Tatsache, dass man aus den damaligen Hypothesen eine Handlungsstrategie gestrickt, sie also in eine Methodik der Praxis eingebaut hat.

Aufgrund der Parallelität hat diese Vorgehensweise m.E. eine Reihe von Folgen, die sich auf den ersten Blick nicht erschließen. Wenn das Muddling through als auch das piecemeal engineering und – ich unterstelle –  auch die Agilitätsstrategie erfolgreich angewendet werden können, sind ein paar wesentliche organisatorische Eigenschaften Voraussetzung:

  • Flache Hierarchien
  • Einfache (unkomplizierte) Kommunikationsstrukturen (-kultur)
  • „Handwerklich“-orientierte Gliederung der Vorgehensweise

Vor 50 Jahren galt die Hierarchie als das selig machende Strukturelement. Eine optimal dimensionierte Hierarchie sollte die Entscheidungsprozesse im System strukturell vorbereiten und vor allem verkürzen. Hierarchie und Kommunikation sind sich aber nicht ‚grün‘. Hierarchie ist meist ein Mittel, um Kommunikation einzuengen und zu kanalisieren. Wenn also innovative Entscheidungen auf ein hierarchisches System treffen, steht die Hierarchie meist im Wege. Die Beobachtung von Lindblom mit seinem Durchwursteln ist insofern bemerkenswert, dass er trotz der Existenz von in seiner Zeit ausgeprägten Hierarchien ein „Durchwursteln“ feststellen konnte. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass Hierarchie in keiner Weise Garant für effektive Entscheidungsprozesse darstellt. Wenn man diese Annahme weiterspinnt, sind flache, wenig ausdifferenzierte Hierarchien ausreichend, um effektiv innovative Entscheidungen zu unterstützen. Dabei sind flache Hierarchien angesichts innovativer Veränderungen viel flexibler als strikte Hierarchien, deren Ursprung in der Bürokratie und ihren unbestreitbaren Erfolgsfaktoren zu finden ist (Max Weber).

Flache Hierarchien können im Gegensatz zur strikten Hierarchie die Kommunikationsstrukturen leichter offenhalten. Das geht manchmal zu Lasten der Effektivität, sicher aber zu Lasten der Effizienz. Effizienz ist dabei eine Kategorie, die allein dem Kreis der repetitiven Aktivitäten eng verbunden ist. Effizienz ist in einem innovativen Entscheidungsprozess bestimmt nicht die erste Priorität. Die gefundene Problemlösung muss aber effektiv (wirksam) sein und das anstehende Teilproblem auf die eine oder andere Weise zufriedenstellend lösen. Effizienz kommt ggfs. dann zum Zuge, wenn immer wieder die gleiche Problemstellung (repetitiv) zur Anwendung kommt. So wie der agile Prozess definiert ist, trifft das nur selten zu. Wenn man sich im Rahmen der Agilität auf die vorgefundene Situation einlässt und sie schrittweise ändern will, so sind innovative Prozesse unvermeidlich. Hierarchien hindern dabei. Der einsetzende Kommunikationsprozess muss idealerweise auf „Augenhöhe“ stattfinden können. Man könnte auch von der Möglichkeit eines „herrschaftsfreien Diskurses“ (Habermas) sprechen. Die Aufgabe steht im Zentrum und die Kommunikation muss ungehindert fließen können, um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. Dabei wäre Hierarchie als Ausdruck von Herrschaft zu interpretieren und für den innovativen Prozess hinderlich.

Repetitive Prozesse werden gerne nach der Taylor’schen Maxime analog einer Bandfertigung in Folgeschritte zerlegt (Hierarchie), um die Geschwindigkeit und die Durchsatzmenge steigern zu können. Innovative Prozesse können sich dieser Methode nicht bedienen, weil weder die Geschwindigkeit noch die Durchsatzmenge zu diesem Zeitpunkt eine Rolle spielen. Die „Fertigungsschritte“ müssen erst definiert werden und sind Teil der agilen Aufgabe, die es kreativ zu lösen gilt. Die dafür erforderliche Struktur würde ich als „handwerklich“ bezeichnet, weil aus meiner Sicht das ‚Handwerk‘ den Vorteil hat, dass das Ergebnis für die am Werk beteiligten immer sichtbar ist und die Motivation zur Zusammenarbeit steigert. Es erscheint sehr kritisch, wenn der innovative Prozess organisatorisch in „Scheibchen“ zerlegt wird, weil dann die Kommunikationsprozesse zerschnitten werden und die Identifikation mit der Aufgabe sinken würde. Man muss im Entwicklungsprozess ein Verhalten vermeiden, was man etwas hochtrabend ‚Deprivation‘ nennen könnte, die immer dadurch entsteht, dass man am Ende nicht mehr feststellen kann, wer was zu dem (gemeinsamen) Projekt tatsächlich beigetragen hat.

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Ein Zeitalter der Unordnung?

Mein nächster Beitrag sollte über Verschwörungstheorien eine Aussage treffen. Und ich muss zugeben, dass ich den rechten Zugang zu dem Thema noch nicht gefunden habe. Da stoße ich bei der Durchsicht meiner üblichen Websites auf eine Research-Studie der Deutschen Bank mit dem ‚tollen‘ Namen „The Age of Disorder“. Die deutsche Fassung nennt als Überschrift: Das Zeitalter der Unordnung.

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Um den Namen verstehen zu können, ist es notwendig zu wissen, dass die Studie die ‚moderne‘ Zeit ab 1860 in fünf Superzyklen einteilt:

  • Die erste Ära der Globalisierung (1860 – 1914)
  • Die Kriege und die Depression (1914 – 1945)
  • Bretton Woods und die Rückkehr zum Goldstandard (1945 – 1971)
  • Der Start vom FIAT-Geld und die Hoch-Inflations-Ära (1971 – 1980)
  • Die zweite Ära der Globalisierung (1980 – 2020)

Und nun, so die Studie, beginnt der sechste Zyklus, die Ära der Unordnung.

Allein schon die Namensgebung für die nächste Zukunft, von der noch keiner weiß, wie es aussehen wird – aber die Macher der Studie wissen schon heute, es gibt ein ‚Chaos‘! Da frage ich mich doch, wer produziert denn in diesem unserem Lande Verschwörungstheorien. Ich war bisher immer der Meinung, dass das jene sind, bei denen die intellektuelle Gabe zu kurz gekommen ist. Das stimmt aber gar nicht. Einige sitzen offensichtlich auch in der Research-Abteilung der Deutschen Bank.

Die Einteilung der Superzyklen lässt Fragen aufkommen: Warum beginnt die erste Ära der Globalisierung 1860? Die erste Ära der Globalisierung geht Hand in Hand mit der Kolonialisierung der Dritten Welt durch Europa und die beginnt lange vor 1860. Die Kriege und die Depression waren Ereignisse, die zusammenpassen und eine Ära darstellen können. Aber Bretton Woods als Ära? 1971 beendet US-Präsident Richad Nixon die unmittelbare Goldeinlösepflicht für den US-Dollar. Aber von 1945 an wurden große Teile der Welt aus Trümmern wieder aufgebaut. Das kennzeichnet diese Ära und nicht das läppische Bretton Woods Abkommen, das nur für ein paar Banker neue Geschäftsmodelle möglich machte.

Es ist klar, dass nach 1971 eine andere Art der Begründung für Geld gefunden werden musste. Aber das eröffnet doch keine Ära, die der Rede wert gewesen wäre. In 1982 wurde die SPD-Regierung gestürzt und mit der Regierung von Schwarz-Gelb zog Schritt für Schritt der Neoliberalismus oder der Marktradikalismus ein und schuf durch laufende Deregulierungen die Voraussetzungen zur Finanzkrise 2008/2009. Das wäre eine Ära, die etwas verändert hat. Und dann kommt die Ära, in der das neoliberale Moment gezielt zur Globalisierung drängt, weil die nationalen Märkte ausgereizt waren und die Großkonzerne neue Spielwiesen brauchten, um den notwendigen Durchsatz bei Ihren Unternehmen sicherstellen zu können. Die Globalisierung hat vermutlich in 2020 durch Covid-19 einen deutlichen Dämpfer erhalten, weil die Menschen realisierten, dass der schöne Schein globaler Märkte beim ersten internationalen ‚Husten‘ zusammenbricht und die Versorgung mit den einfachsten Dingen in Frage gestellt werden muss.

Und darauf baut jetzt „das Zeitalter der Unordnung“ auf – als ob die Welt davor in Ordnung gewesen wäre, nur weil wir uns an eine bestimmte Form des Chaos gewöhnt hatten. Jede Klassifizierung von Zeitläufen ist fragwürdig. Bis vor wenigen Jahren war die Klassifizierung der Zeitalter der Moderne in Kategorien der Industrie 1.0 – 4.0 ein gängiges Analyseinstrument, um die beobachteten Veränderungen plausibel machen zu können. Da ist eine Einteilung wie sie die Research-Abteilung der Deutsche Bank nun trifft erstens überflüssig und zweitens so schlecht begründet, wie das wirtschaftlich-politische Verhalten des Instituts in den letzten Jahrzehnten. Die wirklichen Probleme eines neuen Zeitalters haben die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umwelt (WBGU) in umfassenden Gutachten seit der Finanzkrise aufgearbeitet. Ich möchte wetten, diese Arbeiten unter dem Titel „Die große Transformation“ sind der Research-Abteilung offensichtlich noch nie zu Gesicht gekommen. Wie wollen sie dann auf Basis ihrer „dünnen Bretter“, die ihre intellektuelle Welt einfassen, Aussagen von Gewicht und Augenmaß über ein künftiges „Zeitalter der Unordnung“ machen? Treffender wäre der Begriff eines künftigen Zeitalters der Transformation, der notwendigen Veränderungen. Diesen Vorgang als „Unordnung“ auffassen zu wollen, kann nur als Versuch gewertet werden, jede Veränderung als Reaktion auf die weltweit erkannte Problematik als Weg ins „Chaos“ darzustellen. Das ehemalige Flaggschiff der Deutschland AG der 70iger und 80iger Jahre ist zu einem kleinen Küstendampfer geschrumpft. Ihr Blick auf die Welt entspricht dem Wahrnehmungshorizont eines solchen Schiffleins. Und jetzt macht offensichtlich aus Mangel an gutem Personal der Smutje die Gutachten der Bank.

Das Gutachten konzentriert sich nach Angaben der DB auf acht ausgewählte Punkte:

  1. Spannungen zwischen USA und China und ein Ende der ungezügelten Globalisierung
  2. In Europa geht es um alles oder nichts
  3. Die lockere Geldpolitik wird fortgesetzt (sie wird zur Regel)
  4. Inflation oder Deflation?
  5. Die Ungleichheit nimmt zu, es wird eine Gegenreaktion erwartet
  6. Die Kluft zwischen den Generationen wird größer
  7. Die Klimadebatte verschärft sich
  8. Technologie: Revolution oder Blase?

Zu der Auswahl lässt sich wenig Kritik äußern. Es sind fraglos wichtige Gesichtspunkte. Dabei ist im ersten Punkt der Konflikt USA mit China nicht neu und ist schon lange deutlich absehbar. Aber die angedeutete Akzeptanz der Deglobalisierung ist ein neuer Gesichtspunkt, nachdem wir aus meiner Sicht seit den 80iger Jahren in der Globalisierung das Heil gesehen haben. Die Deglobalisierung ist eine Folge der Erkenntnis, dass Globalisierung nur bei „Schönwetter“ ihre Segel in den Wind stellen kann. Sowie ‚Sturm‘ aufkommt (wie Corona), retten sich zu viele in den nationalen Egoismus und stellen fest, dass manche realwirtschaftlichen Produkte unerreichbar werden können. Offensichtlich haben die Autoren fünf Gründe ins Feld geführt, warum Weltkonzerne künftig einen erschwerten Stand haben werden:

  • Die Direktinvestitionen sinken, weil die Vorteile von „neuen Absatzmärkten, günstigen Arbeitskräften und Steuervorteilen“ zurückgehen werden. Damit sinkt die Chance Margenvorteile zu gewinnen. In 2020 sollen die Direktinvestitionen um 40% abnehmen.
  • Die Löhne in China steigen und damit verlieren Direktinvestitionen in China ihren Reiz.
  • Als dritten Faktor sieht die Bank die ESG-Investoren (Environment, Social, Governance), die sich auf Lieferketten und die Situation der Mitarbeiter beziehen. Dieser Fokus wird den Konzernen mehr Verantwortung und Mehrkosten aufbürden.
  • Politischer Gegenwind: Viele Regierungen gewichten globale Abhängigkeiten neu und erkennen den Wert von Arbeitsplätzen im Inland. Es wird auch global mit höheren Unternehmenssteuern gerechnet.
  • Als letzter Punkt läuft die erfolgreiche Initiative zur Regionalisierung gegen die Interessen der globalen Konzerne.

Bei zweiten Punkt geht es bei Europa nicht um alles oder nichts (make or break). Das geht es doch schon lange und Europa ist zwar nur noch ein Schatten seiner selbst, aber die Idee lebt. Europa ist auch ein einzigartiges Experiment auf diesem Planeten. Europa ist keine Hierarchie, wie es zum Verständnis von Politik konservativer Kreise gehört. Europa ist ein Bund auf Augenhöhe und sucht ständig nach Mechanismen, um die Vertreter des hierarchischen Durchregierens einzufangen. Europa ist schwierig, aber ich sehe hier gegenwärtig keine unüberwindbaren Probleme, die nicht schon in der Vergangenheit existierten. Die Angst der größeren Staaten, sich nicht verpflichten lassen zu wollen, ist verständlich, aber wird völlig überschätzt. Die Geldpolitik, die sowieso auf einem Weg ist, bei der der Wert von Schulden klein geredet wird, sollte hier helfen.

Der dritte Gesichtspunkt ist die Geldpolitik, die durch die Zinslosigkeit auch noch befeuert wird. Eine irgendwie geartete Rückzahlung erscheint aussichtslos. Zinsen zu erhöhen würde zur Handlungsunfähigkeit der meisten Staaten führen. Das Geld, das die öffentlichen Haushalte aufnehmen, landet letztlich im Privatsektor und wird dort angehäuft. Das wird noch eine ganze Weile so weitergehen. Am Ende werden wir wohl die großen Vermögen ein wenig belasten (einen Schnitt machen) müssen, um wieder auf einer vernünftigen Grundlage aufbauen zu können.

Der vierte Gesichtspunkt kreist um die Frage, ob wir uns auf Inflation oder Deflation einstellen müssen. Da wir viel Geld im Umlauf haben, das investiert werden will, neige ich dazu, dass die Investitionen ständig eine leichte Überproduktion auslösen werden. Dabei ist die Deflation dann näherliegend als Inflation, die immer dann auftritt, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Das ist gegenwärtig nicht zu erkennen (Klopapier vielleicht ausgenommen).

Der fünfte Gesichtspunkt erfasst die seit Jahren sich abzeichnende und wachsende Ungleichverteilung der Vermögen. 50% der deutschen Bevölkerung verfügt über ein vernachlässigbares Vermögen. Auf die andere Hälfte entfallen 98% des verfügbaren privaten Vermögens. Dieser Sachverhalt ist nicht neu, aber es ist kritisch, wenn dieser Zustand zunimmt. Ob hier mit einer Gegenreaktion zu rechnen ist, wie das die Bank erwartet, erscheint nach langen Jahren der Ungleichheit unwahrscheinlich, weil das Problem durch unsere Sozialsysteme noch abgefedert wird. Ein weiterer Abbau der öffentlichen Sozialsysteme kann hier aber sehr schnell eine Veränderung herbeiführen.

Der Generationenkonflikt als sechster Punkt ist m.E. herbeigeredet. Die Diskussionen um Generationen XYZ sind nicht begründet. Die Definitionen dieser sogenannten Generationen sind eher Marketingtools, um Schichten zu schaffen, denen man versucht, Überflüssiges aufschwätzen. Ein klarer Generationenkonflikt könnte sich jedoch dahingehend bilden, dass wir heute Ressourcen verbrauchen und verbraucht haben, die unseren folgenden Generationen fehlen werden, weil wir nicht die notwendige Sorgfalt haben walten lassen. Das schnelle Geld hatte dabei stets einen höheren Stellenwert als Nachhaltigkeit. Hier lassen sich Verschiebungen erkennen. Über die Nachhaltigkeit könnte es einen echten Konflikt geben, der dann in Richtung Umverteilung (siehe oben) führen könnte.

Damit sind wir beim siebten Gesichtspunkt, der dem Klimawandel und seiner Folgen geschuldet ist. Dieses Thema beschäftigt uns schon über vierzig Jahre und wir kommen nur im Schneckentempo voran. Die Ziele sind ehrgeizig und es läuft uns die Zeit davon. Je länger wir warten, desto schmerzhafter werden die Einschnitte. Da ist auch nichts von Unordnung, alle Fakten liegen auf dem Tisch – es fehlt am politischen Mut.

Der letzte, der achte Gesichtspunkt ist wohl der Kritischste: Technologie gilt insbesondere beim Klimawandel für viele (Politiker) als der ‚Deus ex machina‘, der es richten soll. Das täuscht aber. Technologie muss immer unser Werkzeug bleiben. Sie ist auch an klare Voraussetzungen gebunden. Handeln muss auf absehbare Zeit der Mensch und er muss dafür die Verantwortung übernehmen.

In dem Gutachten der Deutschen Bank wird auch zum Ausdruck gebracht, dass einfache Trendbeobachtungen und Extrapolationen der Komplexität der kommenden Entwicklungen nicht gerecht werden. Nun stellt sich die Frage, ob nicht das Gutachten gerade im Rahmen der Diskussion der acht Problemfelder nicht in dieser Extrapolationsfalle sich fängt. Ich kann nirgendwo erkennen, dass hier neue Erkenntnisse verarbeitet wurden und neue Verknüpfungen erkennbar werden. Was rechtfertigt die Aussage der Stellungnahme zu behaupten, auf uns käme ein Zeitalter der Unordnung zu? Alles was hier angeführt wurde, ist uns als Problem in seinen vielen Verzweigungen bekannt. Wir diskutieren die Punkte so wie wir es schon immer getan haben – wo bitte schön ist hier Unordnung zu erkennen? Wenn hier künftig Unordnung gesehen wird, dann sind das doch alles schon alte und bekannte Probleme. Was ist daran neu? Konsequent wäre dann zu fragen, was bezweckt die Deutsche Bank mit diesem „Bullshit“? Ungewissheiten gibt es immer, aber das macht das Leben aus. Wenn mal eine absolute Ordnung herrscht, gibt es keine Veränderung mehr, dann sind wir einfach tot.

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Corona und die Kälte

Wir haben gelernt, dass uns Abstand, Mund u. Nasenschutz und frische Luft vor einer Ansteckung mit Covid-19 (Corona) schützen soll. Wir haben es auch weitgehend akzeptiert, dass dieses Dreigespann eine gewisse Sicherheit bietet. Im Sommer hatten wir niedrige Infektionszahlen. Das ändert sich gegenwärtig, weil die Witterung und die frische Luft etwas im Widerspruch stehen. Jetzt heißt die Parole: Abstand, Mund u. Nasenschutz und Lüften, weil der Aufenthalt im Freien nicht mehr so angenehm ist. Ist das wirklich der Weisheit letzter Schluss?

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Wir wollen uns vor Corona schützen, indem wir bei der absehbar kommenden großen Kälte die Fenster aufreißen? Haben wir dann nur die Wahl zwischen Corona und einer satten Erkältung? Das muss doch auch anders gehen: in unserem Verein haben wir wöchentliche Treffen und wir haben gelüftet und gefroren. Seit Mitte Juli versuchen wir eine technologische Lösung zu finden: Es gibt mobile Umluftreinigungsgeräte, die in der Lage sind, verschieden große Partikel aus der Umluft unschädlich zu machen. Es gibt unterschiedliche Technologien wie Filtern (H14), UV-Licht, Hitzeanwendung und weitere mir im Einzelnen nicht geläufige Verfahren. Was muss so ein System können?

  • Zu allererst muss die angewandte Technologie hinsichtlich der Viren als solche einen sehr hohen Wirkungsgrad entwickeln. Viele Hersteller behaupten, sie könnten einen Wirkungsgrad von nahezu 100% darstellen. Wie lässt sich das nachweisen? Dazu gibt es verschiedentlich seriösen Gutachten und Aussagen von Virologen. Das Fazit daraus ist: Es gibt Technologien, die diesem Anspruch grundsätzlich gerecht werden.
  • Wenn wir Umluft reinigen, bleibt die Frage, ob die Geräte auch dann den Wirkungsgrad halten können, wenn der Virus nicht nur als Einzelkämpfer auftritt, sondern in Massen auf das System einströmt. Hier wird die Nachweislage schon dünner und es ist damit zu rechnen, dass der Wirkungsgrad sinkt. Es lässt sich aber keine allgemeine Aussage treffen. Sie muss von Gerät zu Gerät untersucht werden. Unabhängige Gutachten sind hier nicht mehr häufig anzutreffen.
  • Gehen wir von einem positiven Ergebnis aus (d.h. die Reinigung ist möglich, aber der Wirkungsgrad kann von Technologie zu Technologie variieren), so bleibt die Frage, kann das Gerät auch größere Räume reinigen (z.B. 120 qm Fläche oder mehr). Lt. dem Ergebnis der Studie von Prof. Kähler von der BW-Universität, Neubiberg, sollte das Gerät die vorhandene Luft eines Raumes vier bis sechs Mal pro Stunde umwälzen können, um die immer vorhandene Aerosoldichte gering zu halten. Das sind bei einer Fläche von 120 qm (und einer Raumhöhe von 2,80 m) rd. 340 m3 Raumluft, die regelmäßig und komplett umgewälzt werden müssten.
  • Es gibt Geräte, die diesen Durchsatz jederzeit darstellen können. Aber über die Lautstärke der Geräte gibt es nur db-Angaben, was für einen Laien nur schwer zu beurteilen ist. Eine Lautstärke von 35 db gilt als schlafzimmertauglich. Manche Geräte kommen auf über 45 db. Da hilft nur ausprobieren!
  • Wenn diese vier Punkte erfüllt werden, könnte man davon ausgehen, dass das Umlaufreinigungsgerät in etwa das “simulieren“ kann, was wir als „virenreduzierte Luft“ bezeichnen können. Das ist keine Garantie, dass keine Ansteckung erfolgt, aber es schafft eine Atmosphäre, die virentechnisch der Atmosphäre vergleichbar wäre, die im Sommer im Freien geherrscht hat. Das übermäßige Lüften könnte unterbleiben und die Energieverschwendung durch eine übertriebene Wärmeproduktion bei geöffneten Fenstern würde vermieden. Die Reinigungsgeräte laufen nicht ohne Energieverbrauch. Die Einsparung lässt sich nur im Einzelfall bemessen. Das Risiko einer Erkrankung durch das Wechselbad eines übertriebenen Lüftens entfällt aber komplett.

Es gibt nun Räumlichkeiten, deren Belüftung und Beheizung durch eine Klimaanlage erfolgt. Unter dieser Voraussetzung ist die Umluftreinigung in erster Linie eine Frage an die Technik der Klimaanlage, ob sie grundsätzlich in der Lage ist, einerseits ggfs. Frischluft und andererseits Luftreinigung bereitzustellen. Manche (meist ältere) Anlagen sind aber nur „Miefquirle“ (Umluftgeräte). Für diese Kategorie könnte ein zusätzliches mobiles Umluftreinigungsgerät eine Alternative sein.

Die technische Lösung kann m.E. eine valide Alternative zum Lüften in der kalten Jahreszeit sein. Aber die Vorstellung, dass damit eine Ansteckung ausgeschlossen sein könnte, ist zu weitgehend. Wir können nur versuchen, die Aerosoldichte in dem betreffenden Raum so niedrig zu halten wie wir es im Sommer im Freien vorfinden. Aber das wäre gegenüber dem Lüften in der kalten Jahreszeit schon eine eindeutige Verbesserung!

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USA und Brexit: Ich würde es gerne besser verstehen wollen….

Es gibt eine Reihe von Politiker, die scheinen aus der Zeit gefallen zu sein. Für mich gilt das für Donald Trump und Boris Johnson. Für beide Gestalten kann ich wenig Sympathie entwickeln und das ist schon sehr positiv ausgedrückt. Es gibt noch mehr von dieser Sorte: Herrn Orban in Ungarn, Herrn Kaczynski in Polen, um nur die anzusprechen, bei denen wir noch von demokratischen Systemen sprechen können.

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Ich sehe deren Agieren und stehe fassungslos davor, dass diese Leute offensichtlich über eine Anhängerschaft verfügen, die diese Eskapaden entweder dulden oder sogar für gut befinden. Sollte ich hier auf einem völlig falschen Informationsstand sein?

Man könnte jetzt den Weg des Mainstreams gehen und die betreffenden Politiker als Harlekine mit psychischen Defekten darstellen und im Grunde versuchen, deren Persönlichkeit im öffentlichen Licht zu demontieren. Was nützt das, wenn die SZ wöchentlich versucht die Person Trump oder auch Johnson als „Idioten“ darzustellen. Diese Leute sind gewählt und die Frage muss doch heißen, was bewegt große Teile der amerikanischen Bevölkerung bzw. der britischen Wählerschaft, solche Typen und deren offensichtlich merkwürdiges Verhältnis zur Wahrheit zu unterstützen. Oder fehlt es da an wichtigen Informationen?

Ich habe vor vielen Jahren einige Monate in USA gelebt und ich hatte später beruflich viel mit Briten zu tun. Aufgrund dieser durchaus positiven Erfahrung beobachte ich das „Spiel“ in USA und Großbritannien mit großen Zweifeln, ob mein Bild von USA und von GB noch stimmt, je gestimmt hat und ich frage mich, was sich offensichtlich damals meinem Blick entzogen hat? Die politischen Hampelmänner werden am Ende Episode sein, aber was sie aus der ‚Büchse der Pandora‘ entweichen ließen, wird die nachfolgenden Generationen noch lange beschäftigen.

Wenn man Trumps Vorgehensweise verstehen will, muss man m.E. erkennen, dass Trump in den USA ganz gezielt jene Amerikaner anspricht, die sich noch nie für Politik interessiert haben. Offensichtlich gibt es in den USA so etwas wie eine Dreiteilung der Gesellschaft: die Geldelite, einen sogenannten Mittelstand und eine große Zahl von Menschen, deren täglicher Kampf ums Überleben weder eine sinnvolle Ausbildung noch eine Fortbildung zugelassen haben. Letztere kamen in den vergangenen Legislaturperioden aufgrund ihrer Unauffälligkeit in der politischen Wahrnehmung überhaupt nicht vor. Die Teilung des Landes in Geldelite und Mittelstand einerseits und dem Rest andererseits könnte auch die Sprachlosigkeit und das Verständigungsdefizit erklären. Die einen sind das Amerika, das sich auf der Weltbühne präsentiert und der „Rest“ wurde auch innenpolitisch wie „Rest“ behandelt. Rückblickend muss ich feststellen: ich kam in USA offensichtlich mit dem so definierten „Rest“ nie in Berührung. In unseren Büros in New York in den 80iger Jahren gab es keine schwarzen Funktionsträger, der einzige Schwarze, der regelmäßig auftauchte, war der Schuhputzer. Kontakte zu Nicht-Weißen ergaben sich nicht und ich habe mich offen gestanden auch nicht getraut, hier einen Schritt von mir aus in diese Richtung zu unternehmen.

Nun hat ein Wahlstratege offensichtlich dieses politische Defizit erkannt und Trump als Mitglied der Geldelite hat die Strategie aufgegriffen und sich zu Eigen gemacht. Er wendet sie gnadenlos konsequent an, wobei er keinerlei Empathie vermitteln kann. Er hat seinen sprachlichen Ausdruck umgestellt, seine Wahlkampfreden auf den Horizont seiner neuen Ziel-Wählerschaft ausgerichtet. Er greift damit in einen Stimmentopf, auf den die Demokraten nicht vorbereitet waren und die sich immer noch schwertun, in diesen Kreisen mit ihrer eher elitären Ausdrucksweise Menschen ansprechen zu können.

Um seine Strategie aufgehen lassen zu können, muss Trump den diffusen „Rest“ der Wählerschaft durch hochgradig nationalistische bzw. ggfs. rassistische Parolen hinter sich bringen. Er spaltet damit den „Rest“ auf in „Nichtwähler“ und „Follower“. Die Konsequenz ist eine systematische Vertiefung und Spaltung der Wählerschaft in jene, auf die er sein Interesse richtet, die sich angenommen fühlen und jene eher elitären Kreise, die Trumps Strategie eher abstößt. Für die „Nichtwähler“ interessieren sich jetzt (hoffentlich nicht zu spät) die Demokraten. Viele Republikaner fühlen sich unwohl, müssen aber erkennen, dass diese Strategie gewisse Vorteile für sie und ihren Machterhalt mit sich bringt. Trump zählt zur Geldelite, aber er hat seinen Wahlkampf so aufgebaut, dass dieser Sachverhalt in den Hintergrund tritt. Seine Steuerzickereien machen es deutlich: er ist wirtschaftlich nicht so erfolgreich wie er glauben machen will, aber auch das lässt ihn vermutlich in den Augen seiner Anhänger nur gewinnen. Trump baut seinen Wahlkampf auf einer bewussten und vorsätzlichen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft auf. Dabei spielt Wahrheit keine Rolle. Dabei ist nicht so sicher, dass er die amerikanische Gesellschaft nur in zwei Teile zerlegt oder nicht gar komplett paralysiert. Seine „Proud Boys“ warten nur auf ein Zeichen ihres „Meisters“. Demokratie sieht m.E. anders aus. Und was geschieht nach der Wahl? Eine Wahl ist eine Zäsur, aber nicht das Ende der Geschichte!

Boris Johnson, der sich als „Mr. Brexit“ verkauft hat, verfolgt eine etwas andere Strategie, die aber im Ergebnis nicht viel von Trumps Ansatz abweicht. Die britische Gesellschaft ist auch gespalten. Die Jüngeren, die ihre Ausbildung und Entwicklung im Rahmen der EU erlebten, Auslandserfahrung machen konnten, sind, so mein Eindruck, europafreundlich eingestellt. Welche Gesellschaftsschichten konnte Boris Johnson dann mit seinem Brexit (–klamauk) ansprechen? Vermutlich die älteren und insbesondere jene, die noch dem vergangenen Glanz des „Commonwealth“ nachtrauern. Denkbar ist auch die deutlich neoliberalere Haltung vieler Britten, die mit dem kontinentalen Verständnis von Wirtschaftspolitik kollidiert. Man hatte es vielleicht satt parlamentarisch gegen die kontinentale Mehrheit anzukämpfen, wenn man sein Heil im Neoliberalismus sieht.

Die deutschen Medien hämmern auf Johnson ein, aber ich kenne keine ernst zu nehmende Analyse, warum ausgerechnet dieser Mann sich mit seiner Alternative durchgesetzt hat und halten kann. Es muss doch unter den Britten eine nicht zu unterschätzende Gruppe geben, die den Halbwahrheiten und Verdrehungen (hier steht Johnson dem amerikanischen Präsidenten in Nichts nach) Glauben schenken. Und was erwarten sich die Konservativen von der Maßnahme?

Labour scheint bezüglich Brexit auch nicht so richtig in Opposition zu sein, weil auch Labour vermutlich einen nicht unerheblichen Teil jener Briten zu ihren Anhängern zählt, die noch in Erinnerung an die glorreichen Zeiten leben oder das Gefühl pflegen, vom Kontinent gegängelt zu werden.

Glauben die Britten wirklich, dass sie aus der EU herauskommen, die EU-Rosinen mitnehmen dürfen und 26 Staaten der EU schauen zu, wie sie sich das Leben zu Lasten der EU ‚vergolden‘? Ihre Privilegien waren in der kontinentalen EU schon immer umstritten. Die Eigenschaft „to be a member of the EU“ muss doch für die verbleibenden 26 Staaten unverändert Vorteile haben. GB kann doch nicht nach einem Brexit (egal ob und wie verhandelt) weiter für sich in Anspruch nehmen, künftig die Rosinen nutzen zu dürfen und bei den Umlagen der EU dann aber nicht mehr dabei sein zu müssen.

Ohne sich mit exakten Zahlen zu belasten: der Brexit wird die Mitglieder der EU weniger tangieren als Großbritannien selbst – der Ausfall oder die Erschwerung von Handelsbeziehungen (wegen Zöllen u.ä.) treffen die 26 Staaten der EU jeweils nur marginal. Der Ausfall konzentriert sich in Großbritannien auf ein Land und eine Ökonomie und wird dort mit aller Härte durchschlagen. Die Zölle werden das interne Preisniveau schlagartig anheben. Die EU-Staaten können im Rahmen der EU (ohne Zusatzkosten) schnell und relativ leicht Alternativen zu ihren künftig besteuerten Zulieferungen aus GB finden. Wie das in einen britischen Erfolg gedreht werden soll, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.

Zudem ist das Land Großbritannien kein zentralisiertes Staatsgebilde – Schottland und ggfs. auch Wales, nicht zu vergessen Nordirland, könnten sich die Folgen des Brexit über den Hebel des politischen Wohlverhaltens von London (England) ‚vergolden‘ lassen. Johnsons Politik hat nicht nur den selbst gewählten Gegner EU, sondern unterliegt auch im Innern harten politischen Bedingungen. Meine Sorge ist, dass Johnson das dezidierte Ziel hat, im Rahmen seiner neoliberalen Haltung ein Dumping mit einer absoluten Unterbietung aller sozialen und regulatorischer Maßnahmen zu betreiben. Er hat dabei möglicherweise die Hoffnung, über einen Wettbewerbsvorteil das kontinentale Europa zwingen zu können, die bisher geltenden Regeln zu seinen Gunsten aufzuweichen.

Michel Barnier, der EU-Verhandlungsführer, hat dieses Ziel durch seine strikte und vermutlich harte Verhandlung zu vermeiden versucht. So wie es jetzt aussieht, sind die Erwartungen von GB und der EU aufgrund der Dumping-Gefahr so festgefahren, dass eine Einigung gegenwärtig nicht denkbar erscheint. Für Johnson gibt es als Alternativen nur den harten Brexit oder einen durch seine starken Sprüche frühzeitig zum Ausdruck gebrachte Ablehnung eines für ihn nicht genehmen Verhandlungsergebnisses. Beide Alternativen laufen m. E. zum nationalen Nachteil der Briten.

Johnson braucht eine Begründung für den absehbaren Einbruch des Lebensstandards in Großbritannien und wird ihn als Folge der „unversöhnlichen“ Haltung der EU seinen Wählern präsentieren ohne seine ‚unverschämten‘ Forderungen und völlig überzogenen Erwartungen auch nur mit einem Wort zu erwähnen.

Wenn ich mir vorstelle, dass Johnson eine so weitreichende Entscheidung über das Wohl und Wehe großer Teile der britischen Bevölkerung trifft, wo ist dann der vernehmbare Aufschrei der möglicherweise Benachteiligten? Oder ist das Problem so komplex, dass sich die Briten hier überfordert fühlen? Der Finanzplatz London wird fein rauskommen. Es werden zahllose Regulierungen fallen. Aber was ist mit den anderen Landesteilen? Dort herrschen nach meinen Informationen, die ich über meine ehemaligen britischen Kollegen erhalten konnte, alles andere als ein Boom. In Großbritannien scheinen die Bedürfnisse des Großraums London die Bedürfnisse in den anderen Regionen zu überdecken bzw. zu verdrängen. Wenn sich Großbritannien nur auf den Großraum London beschränken würde, wäre das Vorgehen von Johnson im Rahmen des Brexit nachvollziehbar. Aber das ist nur ein Bruchteil vom Ganzen und auf dem flachen englischen Land gelten andere Regeln als im Großraum London.

Es ist ja nicht mehr lange hin, dann können wir die „Endspiele“ (vielleicht auch ein Chaos) in USA und in GB hautnah beobachten! Vielleicht lernen wir auch etwas daraus! Vielleicht sollte man sich ernsthaft fragen, ob wir, das kontinentale Europa, in der Lage sind,  derartig chaotische Entscheidungsfindungen zu vermeiden?

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Eigentum und die Große Transformation – ein Beitrag

Die große Transformation als Beschreibung der Veränderung unseres Wirtschaftssystems in eine nachhaltige Form des Wirtschaftens geht davon aus, dass sich in vielen Ecken unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems Grundsätzliches ändern muss. Eigentum ist aus meiner Sicht ein konstituierendes Element des Wirtschaftssystems. Ohne den Begriff ist das gegenwärtig bestehende System nicht denkbar.

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Wenn das System nun transformiert werden soll, wird sich m.E. auch der Eigentumsbegriff verändern. Gegenwärtig kann man die These aufstellen, dass Eigentum wie eine „heilige Kuh“ gehandelt wird, d.h. es hat eine absolute und nahezu unangreifbare Priorität. Und die in unseren Verfassungen formulierten Einschränkungen der Eigentumsrechte sind nicht das Papier wert auf dem sie stehen.

Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: es geht nicht um die Aufhebung von (Privat-) Eigentum, es geht um eine Veränderung des Verständnisses von Privateigentums unter der Prämisse von künftiger wirtschaftlicher Nachhaltigkeit. Es geht möglicherweise darum, die Frage zu stellen, ob die Ausübung von Eigentumsrechten im heutigen Sinne Gemeinwohl schafft wie es manche Landesverfassungen seit Ende der 1940iger Jahre fordern.

Was ist Eigentum?

Das Wirtschaftslexikon von Gabler drückt es so aus: „Das Eigentum grenzt die Herrschaft über Sachen und andere Vermögensgegenstände zwischen Personen ab. Es gewährt eine umfassende Gewalt. Innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen kann eine Person über ihr Eigentum grundsätzlich nach Belieben entscheiden.“

Die Gegenposition stellt J.P. Proudhon (1809 – 1865) in seinen Ausführungen zum Thema „Was ist Eigentum?“ dar, in denen er schlicht feststellt: „Es ist Diebstahl.“ Diese Feststellung steht ganz am Anfang seiner Ausführungen und die nachfolgenden Begründungsversuche sind Inhalt seines Werkes. Proudhon’s Position stammt aus 1840 und erregt auch heute noch manche Gemüter, obwohl sich das Institut des Eigentums als solches nicht mehr wegdenken lässt. Was könnte es sinnvoll ersetzen?

Es ist aber durchaus zweckmäßig, sich zu fragen, wie Eigentum in unser Dasein gelangt ist. Als der Mensch im Rahmen der Evolution auf der Weltbühne erscheint, hatte er kein Eigentum. Die Welt stand ihm und seinen Mitgeschöpfen zur Nutzung offen. Heute würde man sagen: es war eine Situation des „Opensource“. Niemandem gehörte irgendetwas, aber jedermann durfte das (im Überfluss) Vorhandene nutzen.

Man könnte der Auffassung sein, dass die damals vorhandene „Opensource“-Situation so etwas wie Gemeineigentum gewesen sein könnte. Das wäre aber nur denkbar, wenn „Eigentum“ zu diesem Zeitpunkt schon eine Institution gewesen wäre. Aber wer sollte dieses Institut geschaffen haben?

Irgendwann entwickelte sich eine Form der Aneignung als rechtliche Vorstufe zu dem, was wir heute Eigentum nennen und je weiter sich der persönliche Besitz in der Gesellschaft als eigenständige Form ausbreitete, desto mehr hat sich der Eigentumsgedanke gefestigt und wurde durch rechtliche Regelungen allgemein gültig gefasst. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Proudhonsche Feststellung, dass Eigentum Diebstahl sei, zu relativieren. Diebstahl setzt im Zeitpunkt des Diebstahls ein bestehendes Institut des Eigentums voraus. Aneignung, wenn es denn so geschah wie beschrieben, ist kein Diebstahl, weil die angeeignete Sache im Zeitpunkt der Aneignung herrenlos war. Nebenbei bemerkt, hat Proudhon mit der Diebstahlshypothese die bürgerliche Gesellschaft sicherlich schocken wollen. Er verfolgte damit ein politisches Ziel in seiner Zeit, auf das ich hier nicht weiter eingehen will.

Die Definition des Eigentums durch Gabler ist zu „glatt“, weil Eigentum darin quasi zweckfrei beschrieben wird. Da der Eigentumsbegriff die Herrschaft über eine Sache zum Ausdruck bringt, und Herrschaft nie zweckfrei ist (sonst wäre der Herrschaftsanspruch sinnlos), sollte die Definition den gesellschaftlichen Zweck des Eigentums mit erfassen.

Die sehr zurückhaltend formulierte und die Folgen verwischende Definition in Gabler’s Wirtschaftslexikon sollte deshalb zumindest ergänzt werden:

Eigentum vermittelt dem Eigentümer das Recht, andere willkürlich vom Besitz als auch von der Nutzung (im Rahmen der Gesetze) auszuschließen. Erst diese Eigenschaft führt dazu, dass Eigentum seine herrschaftliche Bedeutung gewinnt. Erst durch dieses Herrschaftsverständnis schafft Eigentum so etwas wie ‚künstliche‘ Knappheit und wird damit zur konstituierenden Institution für unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem. Kapitalismus ohne das Institut des Eigentums funktioniert m.E. nicht.

Eigentum ist entgegen des oft vermittelten Eindrucks kein undifferenzierter Block. Eigentum kennt viele Facetten:

  • das unbedingte Eigentum an einer beweglichen und reproduzierbaren Sache,
  • das unbedingte Eigentum an Rechten,
  • das unbedingte Eigentum an nicht vermehrbarem Grund und Boden,
  • das zeitlich bedingte Eigentum im Rahmen eines Erbbaurechtes,
  • das Teileigentum im Rahmen einer Eigentümergemeinschaft
  • das Gemeineigentum als Allmende und
  • das öffentliche Eigentum,

um einige wesentliche Eigentumsausprägungen aufzuzählen.

Eigentum ist auch der Ausgangspunkt für den Aufbau von Vermögen. Eigentum lässt sich auch unterteilen in Eigentum an Gebrauchsgütern, die dem Eigentümer längerfristig dienen und Eigentum an Verbrauchsgütern gleicher Art und Güte, die i.d.R. kurzfristig dem Konsum dienen.

Aspekte, die sich aus einer Transformation ergeben können

Folgt man den zahlreichen Vorschlägen der letzten zehn Jahre des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung (WBGU), so befinden wir uns zunehmend in einer Transformation unseres Wirtschaftssystems hin zum nachhaltigen Wirtschaften. Dieser Aussage Glauben zu schenken fällt mir nicht leicht. Zu stark sind die beharrenden Kräfte, die noch schnell und rücksichtslos ein paar Euro auf Grundlage der alten Masche machen möchten, ohne dass diesem verfehlten Handeln nachhaltig enge und klare Grenzen gesetzt werden würden.

Zur Nachhaltigkeit gibt es keine allgemein gültige Begriffsbestimmung, obwohl festzustellen ist, dass die meisten Bürger den Begriffsinhalt verstehen und ihn positiv bewerten. Nachhaltigkeit hat viele Gesichter. Der Wissenschaftliche Beirat hat sich nicht auf eine abstrakte Diskussion über die Nachhaltigkeit als Begriff eingelassen, sondern sondiert und analysiert gesellschaftlich-wirtschaftliche Aktionsfelder, für die er dann nachhaltige individuelle Strategien und Vorgehensweisen entwickelt und vorschlägt. Er vermeidet es dabei, Nachhaltigkeit in einem rein „theoretischen Rahmen“ zu diskutieren und versucht, soweit es in der Beratung möglich ist, konkrete Sachverhalte unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu strukturieren.

Auf den ersten Blick sind Eigentum und Nachhaltigkeit sehr eng verbunden. Mit Eigentum verbinden wir in aller Regel ein längerfristiges Engagement. Das Grundgesetz betont diesen Aspekt, indem es feststellt, dass Eigentum verpflichtet (Art. 14, II GG, Art. 158 Bayer. Verfassung). Eine Verpflichtung ist eine Beziehung, die aufgebaut und gepflegt werden muss und die deshalb Kurzfristigkeit ausschließt. Verpflichtung im hier verstandenen Sinne lässt auch Haftung für das betreffende Eigentum entstehen.

Dem widerspricht unser Konsumverhalten, das in seiner Häufigkeit kurzfristig orientiert ist und deshalb nur sehr bedingt als nachhaltig bezeichnet werden kann. Um Konsum im Sinne der Nachhaltigkeit gestalten zu können, sind andere Kriterien notwendig (Qualität, Produktionsweise, Vermarktungsformen, Haftung, u.a.).

Eigentum ist gefühlt mit längerfristigem Gebrauch und gewöhnlich mit einer bewussten Investition verbunden. Konsum basiert auch auf Eigentum, neigt aber schwerpunktartig zum kurzfristigen Verbrauch. Diese Differenzierung wird in der Ökonomie nicht gepflegt. Dort ist die gesamte Einkommensverwendung grob aufgeteilt in Konsum und Sparen, wobei Sparen meist als ein temporärer Konsumverzicht verstanden wird, der – so die Hoffnung – zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Konsum umschlagen soll. Die Tatsache, dass Einkommen ggfs. auch zur Eigentumsbildung verwendet werden kann, fehlt in deren Betrachtung und beschränkt sich aufs „Sparen“. Ziel einer Eigentumsbildung ist der Aufbau von Vermögen. Vermögen wiederum vermittelt die Chance auf ein leistungsloses Zusatz-Einkommen.

Wenn Eigentum einen grundsätzlich langfristigen Charakter hat und mit einer Verpflichtung verbunden ist, kommt man zu der einfachen Feststellung, dass spekulative Geschäfte mit dem Begriff Eigentum wenig gemein haben können. Spekulation hat weder eine langfristige Orientierung noch verbindet sich mit der Spekulation eine irgendwie geartete Verpflichtung in Bezug auf das Wirtschaftsgut. Man könnte daraus ableiten, dass große Teile unserer Wirtschaft, die im Wesentlichen spekulativ unterwegs sind, im Rahmen einer Transformation unseres Wirtschaftssystems zur Nachhaltigkeit künftig starken Einschränkungen unterliegen werden.

Eine uralte Forderung hinsichtlich der Vermeidung von Spekulation bei Grund und Boden geht in die gleiche Richtung. Bewegliche Wirtschaftsgüter lassen sich grundsätzlich reproduzieren und mengenmäßig anpassen. Grund und Boden ist nicht reproduzierbar und der Vorrat ist offensichtlich endlich. Als Folge wird der Bedarf an Grund und Boden bei wachsenden Bevölkerungszahlen auf längere Sicht nicht befriedigt werden können. Spekulationsgewinne sind heute schon die Folge.

Es wird nicht gelingen, das Rechtsinstitut des Eigentums dahingehend einzuschränken, dass Bodenspekulation nicht mehr möglich ist. Aber man kann die vormaligen Steuerregeln wieder aktivieren, indem private und gewerbliche Spekulationsgewinne innerhalb einer bestimmten Frist (z.B. zwei oder mehr Jahre) mit dem individuellen Steuersatz in voller Höhe steuerpflichtig gemacht werden. Zusätzlich könnte man den Druck dadurch erhöhen, dass die Spekulationsverluste nur zur Hälfte angerechnet werden können. Für Börsenspekulationsgewinne können bei Anwendung des individuellen Steuertarifs eventuell kürzere Fristen gelten. Dabei fällt der Vorzugssteuersatz von max. 25% ersatzlos weg. Für wesentliche Beteiligungen (ab 25% des Kapitals) an Unternehmen gelten die gleichen Regeln wie für Grund und Boden. Diese wenigen, aus der Vergangenheit schon bekannten Regelungen hätten einen gewaltigen Einfluss auf die Transaktionsgeschwindigkeit der meisten Geschäfte im Finanzsektor. Das schnelle Rein und Raus (der schnelle Euro) würde deutlich eingeschränkt. Die Wirtschafts- oder Geschäftsmodelle müssten sich notgedrungen auf einen längerfristigen Ertrag und damit i.d.R. auf ein höheres Risiko einrichten.

Um aber Grund und Boden frei von Spekulation fungibel halten zu können, sollte das Instrument des Erbbaurechtes verstärkt genutzt werden. Heute sind für jeden Mieter und jeden künftigen Wohnungs- und Hauseigentümer die spekulativ aufgeblähten Grund- und Bodenwerte eine starke finanzielle Belastung. Wenn der Investorenkreis sich Grund und Boden (trotz der noch positiven und ziemlich sicheren Spekulationsaussichten) zur Erbpacht entschließen würde, hätte diese Vorgehensweise den Vorteil, dass die Kosten für den Grund und Boden über die Zeit von 33, 66 oder 99 Jahre verteilt würden. Die Anschaffungskosten würden dramatisch sinken. Das würde bis auf die Mieten durchschlagen können. Der Grundstücksinhaber behält sein Eigentum und bezieht über einen langen Zeitraum zwar moderate, aber regelmäßige Einkünfte aus Erbbauzins. Die Abwicklung nach Ablauf von Jahrzehnten kann zu einer Erneuerung des bestehenden Vertrags oder zu einem Verkauf der aufstehenden Immobilie führen.

Wenn Eigentum nachhaltig verwaltet werden soll, kommt auch die Frage auf, wie lange künftig Gebäude gebrauchsfähig sein sollten: 25 oder 50 Jahre, oder wie die Bausubstanz aus der Gründerzeit, über 100 Jahre. Wir müssen, wie auch bei unseren anderen Produkten, schon bei der Planung vorsehen, dass die Grundstrukturen generalüberholt werden können (also generell reparaturfähig sind) und die Reparatur/Generalüberholung muss angesichts der Anschaffungskosten eine wirtschaftlich sinnvolle Option bleiben. Das lässt sich bei der Planung durchaus berücksichtigen. Billig und schnell ist unter dem Primat der Nachhaltigkeit sicherlich keine Option mehr.

Aus den sicher unvollständigen Ansätzen wird deutlich, dass mit Nachhaltigkeit nicht nur die Lebensdauer der Güter sich verlängern wird. Es hat für mich den Anschein, dass auch aufgrund der neuen Qualität der Produkte die Durchsatzgeschwindigkeit herabgesetzt wird. Nachhaltigkeit symbolisiert auch ein anderes Ziel. Der linear orientierte Wettbewerb, das sinnlose Rennen im Rahmen einer Spekulation um die scheinbar ersten Plätze, ist der alleinige Zweck des seltsamen Spiels. In der Nachhaltigkeit verliert sich die Linearität eines „Weiter, Schneller, Höher“ durch die Dynamik einer Kreislaufwirtschaft. Kreisläufe haben ihre eigene Dynamik, aber immer schneller im Kreise zu laufen, ist wenig sinnvoll. Da ist die Frage, wer der erste und der Letze ist, oft nicht zu entscheiden. In der Nachhaltigkeit liegt auch ein Verständnis für die Qualität des Ankommens, für den Genuss des Augenblicks und für das zeitweise Verharren. Das schließt Dynamik nicht aus, aber sie ist nicht mehr alternativlos und linear. Mit dieser Hoffnung schließe ich den Versuch – wie zu Beginn angesprochen – ab.

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Ein etwas anderer Ansatz zu Stadt und Mobilität

Wenn wir heute über den Nutzen und die Funktionalität des privaten PKWs diskutieren, liegt der Fokus nach den ersten zwei Sätzen auf dem Antrieb und der Frage, wie man die CO2-Bilanz der Fahrzeuge verbessern könnte. Der Pkw als Mittel der Mobilität ist unstreitig auch ein CO2-Sünder, aber ich kann mir angesichts der Wurstigkeit vieler SUV-Besitzer in Bezug auf grüne Themen nicht vorstellen, dass die CO2-Bilanz der alleinige Grund ist, warum die Automobile in der Wahrnehmung einer breiteren Masse so an Glanz verloren haben.

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Es ist m.E. nur über die politische Darstellung vermittelt, dass das Automobil als CO2-Sünder den Sündenbock darstellt. Denn einem großen Teil der Autofahrer ist diese „Sünder“-Eigenschaft ja nicht zu vermitteln. Sprit ist billig und zum Fahren da, so die breite Auffassung. Diese Haltung ist zwar unvernünftig, man könnte auch sagen, dumm, aber es ist Fakt. CO2 wäre nur dann in jedermanns Munde, wenn der Sprit so drastisch teurer würde, dass jeder Autofahrer das CO2 Problem ganz konkret und täglich im eigenen Geldbeutel spüren würde.

Also hat das Automobil nicht dadurch an Glanz verloren, dass Teile der Politik die CO2-Schädlichkeit dieses Mediums entdeckt haben und nun eifrig trommeln. Es ist schon ein Witz, dass die neue E-Mobilität über die gleichen Kriterien wahrgenommen wird, wie jene Mobilität, die auf den fossilen Brennstoffen basiert. Es geht unverändert darum, in wieviel Sekunden ein E-Auto 100 Km/h erreicht. Der „Sound“ wird offensichtlich zu einem ‚echten‘ Problem. E-Autos sind ja flüsterleise, da müssen doch unbedingt „Soundgenerator“ eingebaut werden. Die Liste der weiteren Überflüssigkeiten wäre lang. Die geringe Reichweite muss dabei durch den pubertären Schnickschnack überspielt werden.

Zurück zu den Automobilen der alten Technologie: Das Problem in der Wahrnehmung des PKW ist in der breiten Nutzergemeinde nicht sein CO2-Ausstoß, sondern die Tatsache, dass das Automobil in den größeren Städten im wahrsten Sinne des Wortes ‚sich selbst im Wege steht‘. Es verspricht die große Freiheit, den Geschwindigkeitsrausch, das Abenteuer und liefert uns in Wirklichkeit endlose Staus, Stress, Unfallgefahren, Verletzte, Tote, Parkplatzprobleme, Feinstaub, auch CO2 und vieles mehr. Das sind die realen Perspektiven, die auf einen Automobilfahrer zukommen, sobald er sich hinter das Steuer setzt. Und da ist der Antrieb des Automobils doch eigentlich ziemlich „wurscht“?

Die Antriebstechnologie kann – wenn der Wille dafür vorhanden ist – geändert werden, die Staus, die Parkplatznot, die Unfallgefahr, der Feinstaub, usw. sind aber eine unvermeidbare Funktionsfolge des PKW. In die gleiche Kategorie fällt die Breite unserer Straßen – je breiter und bequemer, desto mehr Verkehr. Es gibt kein Mittel, mit dem man diese negativen Eigenschaften des gegenwärtigen Verständnisses von Automobilität ersetzen könnte. Sie konterkarieren die Funktionalität eines Automobils. Noch mehr Autos bringen keinen „Lustgewinn“ – dann steht man eben ab der Garage gleich im Stau, bei Unfällen verspäten sie sich nicht mehr um Minuten, sondern gleich um Stunden. Nie wurde diese Tatsache deutlicher als in Zeiten des Lock-downs, als die Zahl der fahrenden Automobile kurzfristig drastisch gesenkt wurde. Es trat eine ganz ungewohnte Ruhe ein, das Fahren war eine Wohltat: die große Freiheit konnte erahnt werden, das Abenteuer des Fahren war in Ansätzen nachzuempfinden. Heute sind wir schon wieder im täglichen Verkehrs- und Stauwahnsinn.

Wir konnten beobachten, dass sich die Kommunikation, die teilweise über das Medium Auto abgewickelt wurde, auf das digitale Medium verlagerte. Man fährt eben nicht mehr mal schnell zu Herrn oder Frau XY, um etwas zu besprechen, sondern greift zu einem digitalen Medium und erspart sich die Fahrzeit und -kosten, den Stress und die Staus. Die Effizienz des Handelns kann überproportional zunehmen. Der soziale Gesichtspunkt verliert dabei (leider) an Bedeutung und wird nur dann zum Tragen kommen, wenn es um Wesentliches geht, bei dem ein Gespräch zwischen physisch anwesenden Personen erforderlich wird. Das soziale Moment, das nicht zu kurz kommen darf, verschiebt sich ggfs. in die Freizeit bzw. in eine neue Betrachtung der Work-Life-Balance. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich hier auch in der Arbeitswelt deutliche Verschiebungen ergeben können.

Damit zeichnet sich eine Problemlösung des Individualverkehrs von einer ganz unerwarteten Seite ab. Sie trifft nicht nur den Straßenverkehr, auch der Flugverkehr ist davon betroffen. Warum fliegen, wenn der Sachverhalt auch digital gelöst werden kann. Autofahren als auch Fliegen sind bzw. waren eindeutig auch prestigevermittelnde Aktivitäten, die nun ganz profan im Rahmen der Digitalisierung abgewickelt werden, weil der Lock-down unmittelbar die Zweckmäßigkeit der Digitalisierung für diese Fälle vermittelte und den überflüssigen Prestigecharakter der verkehrsbezogenen Kommunikationswege offenlegt. Man bewegt nicht mehr mit hohen Kosten die jeweilige Person, sondern nur noch die Information zu minimalen Kosten. Man verliert „Chichi“ und gewinnt hoffentlich an Sachlichkeit und Wirksamkeit. Das ist aber nicht sicher, viele Menschen brauchen das „Chichi“ und Sachlichkeit kann so entsetzlich dröge sein. Die menschliche Emotion könnte uns hier im Wege stehen.

Sollte sich hier wirklich mittelfristig eine Prioritätenverschiebung des Mobilitätsverhaltens abzeichnen, würde sich das Verkehrsaufkommen der Berufs- und Vertriebspendler tendenziell entspannen. Dem steht entgegen, dass die Online-Geschäfte wachsen und damit die Lieferservices mindestens proportional zunehmen werden. Also ist damit vermutlich nichts gewonnen!

Und hier entsteht ein Widerspruch: der Onlinehandel auf der einen Seite und die spekulativen Mieterhöhungen in den interessanten Stadtlagen treiben das Retail-Geschäft aus der Stadt, weil der Onlinehandel dort residiert, wo außerhalb der Städte geringe Lagerkosten entstehen. Die Belieferung wird auf die Straße verlagert und vielfach an prekär bezahlte Unterauftragnehmer übertragen. In den Innenstädten machen die gezielten Mieterhöhungen die Lagerhaltung zu teuer. Händler, die nicht über Immobilieneigentum in der Innenstadt verfügen, werden absehbar scheitern. Dann verliert die Innenstadt an Attraktivität und sie werden auch für die Retail-Ketten immer weniger attraktiv. Damit verliert auch der Händler mit Immobilienbesitz, weil die Zahl der Kunden in der Innenstadt abnehmen wird. Am Ende wird es keine Innenstädte mehr geben, die unserem gegenwärtigen Bild von einer funktionierenden Stadtmitte entsprechen würde.

Kann man sich ein anderes Bild von einer Innenstadt vorstellen? Wenn wir von einer klassischen Innenstadt sprechen, nehmen wir gewöhnlich an, dass die Menschen wegen des Einkaufens (Konsums) kommen und übersehen möglicherweise die Tatsache, dass die Menschen (vielleicht sogar primär) wegen der vielen sozialen Kontaktmöglichkeiten die Innenstadt aufsuchen.

Wenn das konsumtive Element Schritt für Schritt aus der Innenstadt verschwindet, reicht dann die Komponente der Sozialkontakte aus, um eine lebendige Innenstadt darstellen zu können? Viele Menschen verwechseln heute schon Sozialkontakt und Konsumption und meinen, sozialen Kontakt schwerpunktmäßig auf Konsumption reduzieren zu können. Wenn Konsumption mangels Einkaufsgelegenheiten wegfällt, reicht dann das „Bespaßungspotenzial“ aus sozialen Kontakten, um eine gern besuchte, lebendige Innenstadt aufbauen zu können?

Innenstadt als Funktion kann man sich im Grund nur als fußläufige Innenstadt vorstellen. Automobile stören in dieser Umgebung. Die Erschließung von funktionierenden Innenstädten erfolgt heute schwerpunktmäßig durch den ÖPNV. Das Automobil als Zubringer ist zweifelsohne geschätzt, aber wohin damit, wenn man das Ziel erreicht hat? Parkplätze und Innenstadt schließen sich im Grunde aus – je mehr Parkplätze desto weniger Innenstadt! Auch die Zahl der Parkhäuser muss begrenzt bleiben, weil sonst wieder der sozialkommunikative wie der konsumtive Charakter der Innenstadt in Frage steht.

Die Tatsache, dass das Automobil sich in größeren Städten allein aufgrund seiner Anzahl selbst im Wege steht, lässt eine weitere Frage aufkommen: Ist es nach wie vor richtig, dem Automobil unverändert in unseren Städten die hohe Priorität einzuräumen, die es in den letzten 60 Jahren inne hatte. Wir haben im Grunde unsere Städte um das Automobil herumgebaut, bis der Punkt kam, an dem die Zahl der Automobile in dem gegebenen Stadt-Raum aus mehreren Gründen zu viel wurde:

  • Die Automobile wurden ständig länger und breiter. Die vom Gemeinwesen vorgesehenen Parkplätze sind von ihrer Fläche her zu klein, um ein ordnungsmäßiges Abstellen möglich zu machen. Viele ältere Parkhäuser sind für die neuen Automobile nicht mehr verwendbar.
  • Die Motorisierung wurde ständig nach oben gefahren. Mit mehr PS und größeren Reifenquerschnitten ergeben sich höhere Feinstaubwerte und eine höherer CO2-Ausstoß, deren beider Grenzwerte aufgrund von Daten von vor 20 Jahren zum Glück fixiert wurden.

Das war auch richtig so, denn wir wollen in den Städten ja primär leben und nicht nur Auto fahren. Mit anderen Worten, wenn heute die Automobilindustrie an niedrigen Absatzzahlen leidet, so war doch mit Einführung der Strategie „größer schneller, höher“ für jeden vernünftig Denkenden klar, dass diese Strategie irgendwann in den Städten an ihre absoluten Grenzen stoßen werden. Und da sind wir heute! Die viel gegeißelte Umwelthilfe e.V. hat den Unmut der Anwohner aufgegriffen und hat den großzügig wegschauenden Kommunalverwaltungen per Gerichtsbeschluss Beine gemacht.

Die logische Folgerung wäre es, in der Industrie einen Strategiewechsel durchzuführen, wenn die Klientel der Automobilindustrie nicht so permanent besoffen gequatscht worden wäre, dass das Ziel nur im „größer, schneller, höher“ liegen könne. Jetzt plötzlich das Gegenteil zu behaupten, ist schwer zu vermitteln.

Rückblickend war vor diesem Hintergrund die Smart Initiative der 80-iger Jahre nicht verkehrt gedacht. Soweit es mir in Erinnerung ist, empfand ich die realen Automobile, die unter diesem Logo auf den Markt kamen, als „klapperig“ und „billig“ in der Verarbeitung (und dafür zu teuer), während die reguläre Linie von Mercedes immer hochwertiger wurde. Das war ein Spagat, der wenig erfolgversprechend war. Vielleicht war auch die Zeit noch nicht reif – Daimler wollte keine Lösung des automobilen Problems, man wollte vermutlich bestimmte Käuferschichten ansprechen, die über die Marke Mercedes nicht erreicht werden konnten.

Eine Teillösung des automobilen Problems ist das Gegenteil von „größer, schneller, höher“. Die meisten Automobile fassen 5 Personen; es fährt i.d.R. eine Person. Ein Fahrzeug, das zwei Personen mit Einkäufen Platz bietet, dürfte in vielen Fällen (als Zweitwagen) ausreichend sein. Der Flächenbedarf liegt geschätzt bei einem Drittel eines SUV. Voraussetzung ist aber, das Automobil tritt bewusst reduziert auf und ist gut verarbeitet, bequem, Geräusch gedämmt, und mit den üblichen optionalen Annehmlichkeiten und Zubehör. Dieses Auto verbraucht bei normaler Fahrweise etwa 3 Liter fossilen Brennstoff, verfügt über eine Spitzengeschwindigkeit von ca. 130 km/h und hat eine Reichweite von über 500 km. Alternativ besteht auch eine E-Version und mittelfristig auch ein Antrieb auf Wasserstoffbasis zur Verfügung. Unterstützt wird diese Fahrzeugart als Erst- und Zweitfahrzeug dadurch, dass Subventionen wie im Rahmen der E-Mobilität bereitgestellt werden. Der Preis sollte nicht das Problem darstellen, es wurde auf dem Automobilmarkt schon so viel Unsinniges über Marketing in den Markt gedrückt, das kann nun wirklich nicht das Problem sein.

Der Vorteil dieser Strategie wäre ein enormer Platzgewinn auf den städtischen Straßen, in den privaten Garagen, auf den Parkplätzen und in den Parkhäusern. Der Verbrauch von 3 Litern würde bei entsprechender Zahl und einem Ersatz der bestehenden Zweitwagen die CO2-und Feinstaubproduktion dieser Kategorie von Automobilen insbesondere in den Städten deutlich senken. Der Einfluss auf die gesamte CO2-Bilanz sollte man aber trotzdem nicht überschätzen.

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Die Transformation in einer juristisch fixierten Welt

Die Veränderung unserer Lebensweise hin zu mehr Nachhaltigkeit scheint auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung zu stoßen. Man könnte meinen, die angestoßene Transformation fiele auf fruchtbaren Boden. Die wirklichen Schwierigkeiten ergeben sich aber erst dann, wenn die Planungen in konkrete Handlungen umgesetzt werden sollen.

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Es liegen mir einmal das Hauptgutachten 2019 des WBGU[1] („Unsere gemeinsame digitale Zukunft“) und auch ein Hauptgutachten aus 2016 aus dem gleichen Hause („Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte“) vor. Beide Gutachten fordern das Durchhaltevermögen der Leser aufgrund ihres Umfangs und der Breite des behandelten Stoffs heraus.

Trotzdem fehlt mir ein ganz wesentlicher Teil: wir haben in der Vergangenheit eine Transformation hin zu dem gegenwärtig nicht nachhaltigen Wirtschaftssystem betrieben, wir haben die Mängel des Systems in wesentlichen Teilen auch rechtlich so kodifiziert, dass der formulierte Anspruch auf die angestrebte Nachhaltigkeit in vielen Fällen mit unserem bestehenden Rechtssystem im Konflikt stehen wird.

Das gilt nicht für die Verfassung der BRD oder für Landesverfassungen, deren Texte aus der Nachkriegszeit in keiner Weise den heute gängigen neoliberalen Geist widerspiegeln. Denken wir nur an Art 14 Abs. 2 GG: „Eigentum verpflichtet“. Ich kenne keinen Fall, bei dem diese Verpflichtung vor Gericht je geltend gemacht wurde.

Ohne jetzt auf die Vielzahl von kleinen rechtlichen Spitzen und „Schweinereien“ eingehen zu können (dafür fehlen mir der Überblick und das Knowhow), möchte ich auf einen Zusammenhang eingehen, von dem die meisten Bürger keine Ahnung haben und deren Sachverhalt meist jenseits ihres Erfahrungshorizontes liegen. Ganz klein berichten jüngst die Mainstream-Medien von der Absicht der Europäischen Kommission, die europäischen Investitionsschutzabkommen zu kündigen. Deutschland unterhält gegenwärtig etwa 200 solcher bilateralen Verträge. Was regeln diese Verträge? Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, an den originalen Wortlaut solcher Vereinbarungen zu kommen; es gibt stattdessen eine Reihe von offiziellen Ausführungen, was diese Investitionsschutzabkommen angeblich auf welche Weise regeln:

„Ein Investitionsschutzabkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen zwei Staaten (oder mehreren Staaten), der Investoren aus einem der Vertragsstaaten (Heimatstaat) bestimmten Schutz im anderen Staat (Gaststaat) zusichert. Dabei geht es unter anderem um die Gewährleistung von Eigentumsschutz und Schutz vor Enteignung, den freien Transfer von Kapital und Erträgen oder den Schutz gegen Diskriminierungen.“ (BMWI, FAQ)

Entscheidend ist, dass diese Schutzabkommen stets in Hinterzimmern ausgehandelt und von Juristen formuliert werden, die mit der Umsetzung solcher Abkommen dann nicht mehr befasst sind. Da es sich um völkerrechtliche Abkommen handelt, kann nicht auf die Jurisdiktion eines Landes zurückgegriffen werden. Die Verträge sind vermutlich kasuistisch aufgebaut: Jede denkbare Alternative muss sich mangels einer verbindlichen Grundlage aus dem Abkommen selbst entwickeln lassen. Der Begriff der Diskriminierung in diesen Abkommen ist dabei m.E. sehr oberflächlich gefasst. Die Meinungen über deren vielfältige Anwendbarkeit machen deutlich, dass mit ‚Diskriminierung‘ nahezu jeder Nachteil argumentativ vertreten werden kann.

Ein praktisches Beispiel ist die Braunkohleförderung in der Lausitz. Das betroffene Unternehmen gehört dem schwedischen Konzern Vattenfall. Die Politik hat sich bereiterklärt, das Ende des Braunkohlenbergbaus einzuleiten. Vattenfall fühlt sich nach dem bestehenden Investitionsschutzabkommen in seinem Eigentumsrecht diskriminiert und klagt auf viele Milliarden Euro Schadenersatz, zahlbar durch den deutschen Steuerzahler. Garzweiler, ein nach meinen Informationen deutsches Unternehmen der gleichen Branche, hat dieses Recht nicht. Das Unternehmen wird auf die nationale Rechtsprechung verwiesen. Daraus lässt sich mit etwas juristischem Geschick auch wieder eine Diskriminierung gegenüber Vattenfall wegen Ungleichbehandlung aufbauen, um ggfs. Schadenersatz in Milliardenhöhe einzuklagen.

Da die Gebühren solcher Prozesse i.d.R. nach der geforderten Schadenshöhe festgelegt werden, sind derartige Rechtsstreitigkeiten für große (meist internationale) Anwaltskanzleien das berühmte Huhn, das goldene Eier legt. Auch hier müssten wir für einen Zügel sorgen, sonst verlieren wir vor lauter Rechtsstreitereien und den vielen goldenen Eiern unser Ziel aus den Augen: Nachhaltigkeit schaffen! Und nicht lukrative Prozesse führen.

Es steht außer Frage, dass wir unsere Wirtschaft auf deutlich mehr Nachhaltigkeit umzustellen haben, wenn wir die uns selbst gesetzten klimaverträglichen Ziele erreichen wollen. Dadurch werden absehbar vielen Geschäftsmodellen der Gegenwart die Grundlagen entzogen werden. Wenn es eine nachhaltige Variante der Geschäftsmodelle überhaupt gibt (es könnte sein, dass Geschäftsmodelle per se nicht nachhaltig sind), werden aber die gewohnten kurzfristigen Gewinne entfallen. Man könnte sich deshalb diskriminiert fühlen.

Könnte es als Diskriminierung aufzufassen sein, wenn möglicherweise alle 200 Schutzabkommen angesprochen werden und die Inländer schauen mangels Schutzabkommen zu? Wird die Politik angesichts dieser Schieflage in der Lage sein, den Inländer dem Ausländer gleichzustellen? Wenn wir die große Zahl von ausländischen Unternehmen in Deutschland zur Kenntnis nehmen, übersteigen dann die absehbaren Schadenersatzforderungen die Finanzierungsfähigkeit unseres Gemeinwesens? Warum entsteht überhaupt ein Anspruch dem Grunde nach: die Unternehmen haben das Recht Geschäfte zu betreiben, aber niemand hat ihnen zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg versprochen. Wenn alle vor der gleichen Herausforderung stehen, z.B. nachhaltig zu wirtschaften, wo lieg dann die Diskriminierung als eine Form der Ungleichbehandlung. Liegt hier nicht eventuell auch die Lösung? Diskriminierung setzt ungleiche Behandlung voraus. Wenn sich alle den gleichen Herausforderungen gegenüber sehen (und dafür kann man Sorge tragen), dann läuft das Schutzabkommen in diesem Falle ins Leere und ein Schadenersatz in solch gigantischer Höhe ließe sich abwenden.

Diese Fragen sind m.E. so existenziell, dass es durchaus sinnvoll ist, im Rahmen der WBGU ein Hauptgutachten hinsichtlich dieser Problematik auf die Beine zu stellen. Es müsste mit einer Inventur aller gegenwärtig geschlossenen völkerrechtlichen Verträge und unserer internen (nationalen) Regeln beginnen, die durch eine Umstellung der Volkswirtschaft auf Nachhaltigkeit hinsichtlich des Schadenersatzes zum Tragen kommen könnten. Welche juristischen Wege sind heute einzuleiten, um den potenziellen Schaden in finanzierbaren Grenzen zu halten? Wäre in diesem Zusammenhang die geplante Kündigung der europäischen Abkommen ein Lösungsbeitrag?

Das Eigentumsrecht ist in der westlichen Welt zu einem nahezu nicht hinterfragbaren Recht hochstilisiert worden. Es wird in keiner Weise differenziert. Schon die Aufteilung des Begriffs in Eigentum an beweglichen Sachen und Eigentum an Grund und Boden verändert die Wahrnehmung. Bewegliche Sachen sind reproduzierbar, dem Grund und Boden fehlt diese Eigenschaft der Reproduktion grundsätzlich. Ist nun nicht vermehrbarer Grund und Boden ein Wirtschaftsgut und einer beweglichen Sache vergleichbar? Soll man den Grund und Boden einem „freien“ Markt überlassen? Ist Spekulation dadurch nicht vorprogrammiert und mit Art. 14 Abs. 2 GG vereinbar? Spekulation ist m.E. nicht nachhaltig.

Der pauschale Eigentumsbegriff zählt zur Grundlage der Funktionsfähigkeit unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Könnte es sein, dass Eigentümer durch die politische Entscheidung zur Nachhaltigkeit künftig in der Ausübung seiner Eigentumsrechte sich diskriminiert fühlt, um dann auf die Idee zu kommen, dass er die Nachhaltigkeit bei ihrer Einführung abgegolten sehen will? Wo fängt das an und wie kann diese Haltung legal und demokratisch legitimiert eingedämmt werden? Viele Fragen und kaum ausreichende Antworten.

[1] WBGU = Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen

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Die große Transformation

Kenner der Materie fühlen sich bei der Überschrift an Karl Polanyi und sein 1944 erschienenes Buch „The Great Transformation“ erinnert. Darin beschreibt und begründet er in Teilen die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft von einem Agrarstaat des 17. Jahrhunderts in einen Industriestaat. Polanyi ist dabei aus meiner Sicht einer der wenigen und ersten Wirtschaftsfachleute, die sich mit der Dynamik der wirtschaftlichen Veränderung als solche beschäftigen.

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Wirtschaft ist ein sozialer Prozess und keine Naturwissenschaft. Letztere kann von uns verstanden und genutzt werden. Ökonomie ist dagegen stets im Fluss, weil die Menschen Teil des Prozesses sind und ihn dauernd verändern. Dass die Ökonomie das oft nicht merkt, liegt an ihrer selbstgeschaffenen Blindheit.

Große makroskopische Entwürfe gibt es generell nicht viele. Der Soziologe Amitai Etzioni hat auf seinem Gebiet Ende der 1960iger Jahre einen spannenden Entwurf abgeliefert (The Active Society, 1968), der lange die Diskussionen beschäftigt hat. In jüngerer Zeit hat der Franzose Thomas Piketty mit seinen Ausführungen zum „Kapital des 21. Jahrhunderts“ (2014) und insbesondere auch in „Kapital und Ideologie“ (2020) u.a. die Analyse von Polanyi aufgegriffen, erweitert und verfeinert. Wo Polanyi schon schonungslos die kapitalistische Ideologie aufgedeckt, führt Piketty nüchtern den Diskurs historisch abgesichert fort. Alle diese Werke beschäftigen sich mit der Beschreibung der Herkunft unserer aktuellen Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Dem Philosophen Odo Marquard wird die Aussage zugeschrieben: „Zukunft braucht Herkunft“. Dabei greift der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Gutachten über die Entwicklungslinien unserer „gemeinsamen digitalen Zukunft“ (2019) zur Nachhaltigkeit den Begriff einer (großen) Transformation auf. Ohne jedoch die möglichst ideologiefreie Erkenntnis unserer Herkunft droht die Beschreibung möglicher Transformationsschritte in eine nachhaltige Zukunft zu scheitern. Und hier ist hinsichtlich unseres Verständnisses unserer ökonomischen „Herkunft“ noch viel Ideologie abzulegen, bevor wir zum Kern der Entwicklung, zu einer wirtschaftlichen Nachhaltigkeit, vorstoßen können.

Unser heutiges Wirtschaftssystem weist in vielen Aspekten die Eigenschaften einer Religion auf. Die Mehrzahl der Glaubenssätze unseres aktuellen Wirtschaftssystems baut auf mangelnder Differenzierung und nie nachgewiesenen Behauptungen auf. Zudem schafft die soziale Basis unserer Wirtschaft einen self-fulfilling circle, indem, anders als in den Naturwissenschaften, wir in der Lage sind, das Wirtschaftssystem selbst zu schaffen, die Teilnehmer sich wechselseitig beeinflussen und ggfs. auch indoktrinieren, um das System zur gewünschten Wirksamkeit zu bringen. Viele Ökonomen werden jetzt die Backen aufblasen, um dadurch ihren Widerspruch zum Ausdruck zu bringen und möglicherweise auf die sogenannten „Gesetze“ der Ökonomie verweisen (deren empirische Relevanz bisher in keiner Weise nachgewiesen werden konnte).

Ein einfaches Gedankenexperiment könnte es deutlich machen: Denken Sie sich die Welt für ein paar Augenblicke ohne „homo sapiens“, dann wird klar, dem Planeten würde ohne Menschen nichts fehlen, er würde sich fortentwickeln als ob nichts geschehen wäre. Die Natur“wissenschaft“ wäre zwar nicht vorhanden, weil es keinen Menschen gibt, der sich über das Zusammenspiel der Dinge Gedanken machen könnte. Eine Wirtschaft in unserem Sinne gäbe es aber garantiert nicht. Wer sollte denn auch Gewinne maximieren und intensiv Wettbewerb betreiben – die Mücken und die Käfer, oder der Fuchs und der Hase? Wofür und zu welchem Zweck?

Dem Gesichtspunkt des Haushaltens und der Vorsorge folgt die Natur partiell, aber ein Wirtschaften über die Versorgung hinaus ist dem System der Natur fremd. Folglich kommt das System Wirtschaft ausschließlich über den Menschen in unsere Welt. Wie kann dieses System jemals „Gesetze“ entwickeln, die jenen der Natur auch nur annähernd vergleichbar sind? Die Naturgesetze haben sich über Jahrmillionen durch Versuch und Irrtum herauskristallisiert und unsere heutige Form des Wirtschaftens schaut auf schlappe 250 Jahre zurück und wir müssen betroffen feststellen, dass wir so nicht weitermachen können, ohne unsere Lebensgrundlage und unsere Spezies ernsthaft zu gefährden. „Business as usual“ ist keine Option!

Wir neigen dazu, zu glauben, dass es eine Technologie geben wird, die unser Wirtschaftssystem, das M. Göpel (Unsere Welt neu denken, 2020) sehr bildhaft als ein (lineares) Förderband beschreibt, auf dem die Ressourcen aufgepackt werden, zu Gütern verarbeitet, diese meist kurzfristig genutzt, um dann am Ende des Förderbandes auf den Müll geworfen zu werden. Wenn nun die Ressourcen uns vom Beginn des Prozesses her keine Grenzen auferlegen würden, hätten wir immer noch das Problem, dass wir bei dieser Lebens- und Produktionsweise im Müll „ersaufen“. Wir haben zwar aus dem Müll ein Wahnsinnsgeschäft gemacht, aber der Wahnsinn verwaltet den Müll, kann ihn auch exportieren, aber ist nicht dazu fähig, ihn so zu behandeln, dass er nach einer absehbaren Erholungsphase wieder als verwendungsfähige Ressource am Anfang des besagten Förderbandes zur Verfügung steht. Stattdessen wird der größte Teil des Mülls einfach verbrannt und bläst all das darin gebundene CO2 in die Atmosphäre oder er landet in Flüssen, Meeren oder über ein „ausgeklügeltes“ Exportsystem in weit entfernten Ecken unseres Planeten und schafft das überall gegenwärtige „berühmte“ Mikroplastik.

Vor diesem Hintergrund hält der WBGU (der wissenschaftliche Beirat) das Ziel einer Transformation zur Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftssystems nur in Form einer Kreislaufwirtschaft für möglich. Dabei tun sich Fragen auf, mit denen sich die Volkswirtschaftslehre – soweit ich das überblicke – noch nie beschäftigt hat: Volkswirtschaft ist nicht mehr reduziert auf die Beachtung des Bruttoinlandsprodukts (als Maß des Wachstums), des Konsums, der Geldströme, der Einkommens- und Vermögensverteilung und anderer scheinbar wichtiger Größen, sondern muss sich plötzlich fragen lassen, wie denn auf sinnvolle Weise eine Transformation eines kompletten Wirtschaftssystems (das sich dem linearen neoliberalen Gedankengut verpflichtet fühlt) mittelfristig in eine Kreislaufwirtschaft umgeformt werden kann (und das nicht in hundert oder tausend Jahren , sondern in einem deutlich kürzeren Zeitraum). Das Erfreuliche ist daran, dass eine Reihe von Nicht-Ökonomen an diesem Gutachten mitgearbeitet haben; das merkt man daran, dass plötzlich neue Perspektiven ins politische Spiel kommen, obwohl der Gedanke einer Kreislaufwirtschaft nun wirklich nichts Neues ist.

Neu ist auch die sinnvolle Einbeziehung der Digitalisierung. Einerseits als Unterstützungsfaktor auf manchen Gebieten bei der Transformation als auch als Problemstellung, wieviel Digitalisierung tut uns Menschen und unserer Freiheit gut. Dabei müssen wir als Bürger aufpassen, dass die Digitalisierung nicht unter dem Aspekt der neuen Chancen des „Geldmachens“ und der Machtausübung zu einer Beschneidung unserer Vorstellungen von Freiheit wird.

Die von dem WBGU vorgeschlagene Transformation macht deutlich, dass das Vorhaben das Ende des Neoliberalismus einläuten wird. Der angestrebte Prozess, den alle Beteiligten erstmals bewusst durchlaufen werden, kann nicht von der simplen eindimensionalen Idee des „Höher, Schneller, Weiter“ getragen werden, weil wir eine fatale Fehlentwicklung unserer Gesellschaft korrigieren müssen, die mit einem schlichten „weiter so“ nicht erzielbar ist. Viele werden befürchten, dass die Veränderung der Prozesse mit einem Verzicht verbunden sein wird. Der Corona-Lockdown hat uns zumindest in Teilen der Bevölkerung gelehrt, dass ein bewusstes „Weniger“ nicht notwendigerweise einen Verzicht, sondern durch einen sinnvollen Prioritätenwechsel eine schlichte durchaus positive Veränderung darstellt. Plötzlich eröffnet dieser Prioritätenwechsel eine tiefe Befreiung von komplett Überflüssigem (Niko Paech).

Die angestrebte Transformation hat keine Vorbilder. Der Vorgang ist vergleichbar mit dem Auftreten der Pandemie. Wir wissen eine ganze Menge, aber der Prozess ist neu und ohne Beispiel in der Geschichte. Insbesondere der Umbau der Wirtschaftsstrukturen wird mangels Erfahrung und jahrelanger ökonomischer Blindheit gegenüber dieser Frage ein spannender Prozess. Die Ökonomie glaubte sich mit Markt, Wettbewerb und einem unbedingten Gewinnstreben als Teil ihres quasi-religiösen Glaubensbekenntnisses am Ende der Geschichte in der Erwartung, dass ihre „Götter“ unsterblich sind. Die angestrebte Transformation kommt einer ökonomischen „Götterdämmerung“ recht nahe. Aber sie ist unsere einzige reale Chance!

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Schuld und Haftung – ein wirtschaftlicher Grundsatz

Schuld und Haftung befasst sich mit den Grundlagen unseres Wirtschaftens im Allgemeinen. Die Mehrzahl der Wirtschaftsteilnehmer versteht darunter, dass bei einer ausgewogenen wirtschaftlichen Transaktion das Handeln und die damit verbundene Haftung für das Handeln bei der gleichen natürlichen bzw. juristischen Person liegen müssen. Mit der Freiheit des Handelns soll die Verantwortlichkeit für die Haftung unauflöslich verbunden sein.

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Manche modernen Geschäftsmodelle zielen darauf ab, diese enge und unbequeme Verknüpfung zu sprengen. Für die Mehrzahl der Handelnden gilt die Verknüpfung aber noch immer als selbstverständlich. Viele Geschäftsmodelle, insbesondere in der Finanzwirtschaft, sind Versuche, dieser Selbstverständlichkeit zu entkommen. Dier letzte Crash war eine Folge dieses Verhaltens. Seit 2008 hat sich auf diesem Felde nahezu nichts grundsätzlich geändert.

Dieses heilsame Prinzip gilt nicht nur in der Wirtschaft. Auch die Politik darf davon nicht freigesprochen werden. Wir müssen aber feststellen, dass durch die Nullzinspolitik der Druck auf die öffentlichen Haushalte stark zurückgenommen wurde. Der ‚alte Fuchs‘ Schäuble hat erkannt, wo das politische Schiff hintreibt, wenn die Zinslast und deren periodischen Fälligkeiten im Rahmen einer Nullzinspolitik entfallen. Die „Schwarze Null“ hinsichtlich der Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist im Grunde ohne die Nullzinspolitik nicht verständlich und wäre m.E. auch völlig sinnlos.

Schulden, auch öffentliche Schulden, tragen gewöhnlich Zinsen und regulieren auf diese Weise die Schuldenaufnahme. Sie sind der „Pin in the Ass“, an dem deutlich wird, wer sich die Verschuldung wirtschaftliche leisten kann und wer nicht. Entfällt dieses Instrument, wird es weniger Insolvenzen geben, aber nicht automatisch gesündere Unternehmen oder Staaten.

Wenn unsere Politiker morgen am Tag die Nullzinspolitik in moderaten Schritten wieder aufgeben wollten, müssten wir feststellen, wir können es defacto nicht, ohne ganze Volkswirtschaften in die „Pleite“ zu führen bzw. durch den dann notwendigen Zinsaufwand viele haushaltstechnischen Maßnahmen zu blockieren. Unsere Corona-Milliarden, von denen wir hoffen wollen, dass sie ihre Wirkung entfalten mögen, wären unter dem „Diktat“ von Zinsen gar nicht denkbar gewesen, weil die darauf entfallenden Zinsen die Handlungsfähigkeit der Politik haushaltstechnisch sofort an seine Grenzen führt. Vor diesem Hintergrund ist die „Schwarze Null“ als eine nationale, haushaltstechnische Grätsche gegen zu hohe Schulden zu verstehen, um die üblichen Spendierhosen der Politik und der regierenden Parteien, insbesondere vor Wahlen, einzubremsen.

Die Nullzinspolitik hat für die öffentlichen Haushalte noch einen Nebeneffekt. Ältere öffentliche Schulden müsste von dem gleichen politischen Funktionskreis zur Rückzahlung fällig gestellt werden, der auch über die neuen Schulden zu befindet hat. Das wird absehbar nicht geschehen, weil Altschulden, sofern sie keine Zinslast tragen, leider ganz schnell aus der Wahrnehmung der Politik verschwinden. Für die öffentlichen Hände gilt nicht der gleiche Grundsatz, den jeder Normalbürger verinnerlicht  hat: Schulden sind Geldüberlassungen auf Zeit und gegen Zinsen. Der Normalbürger fragt sich mit Recht, wann wird die Schuld beglichen? Wahrscheinlich nie! Oder erst dann, wenn die „große Bereinigung“ stattfindet. Freiwillig passiert die Bereinigung nicht. Aber was heißt das?

Geld schaffen die Banken. Das gilt auch für den öffentlichen Haushalt. Wenn er Schulden macht, will die Bank das Geld irgendwann zurück, weil der offene Saldo über die Zeit die Bankbilanzen ruiniert. Also verkauft die Bank mit Zustimmung der öffentlichen Hand (also des Schuldners) ihre öffentliche Forderung an eine Zentralbank. Damit hat die Bank wieder bilanzielle Luft und die Zentralbank hält die Forderung an die öffentlichen Haushalte. Und die Zentralbank stellt nichts fällig, solange das Schuldnerland nicht aus dem Ruder zu laufen droht, wie ehemals Griechenland oder Italien. Und das kann Jahrzehnte dauern. Weil es ja kein Wirtschaftssubjekt gibt, das dadurch Nachteile haben könnte, fehlt jeder Druck, Fälligkeiten nicht zu prolongieren.

Aber was ist mit dem geschaffenen Geld aus der Schuld geworden? Es geht doch nicht verloren, es wechselt doch nur den Besitzer. Da die öffentliche Hand keine Rücklagen bilden kann und darf, und auch über keine Sparbüchse verfügt, wird sich das Geld (das Äquivalent der öffentlichen Schulden) letztlich im privaten Sektor sammeln. Wir haben die merkwürdige Situation, dass im gleichen Maße wie die öffentlichen Schuldtitel wachsen, auch die privaten Vermögen zunehmen. Wir alle (die Bürger) müssen, wenn es zum Schwur käme, für die öffentlichen Schulden aufkommen. Besonders hart wird es jene Hälfte der Bürger treffen, die nachweislich der Vermögensstatistik an den  Vermögensmehrungen der letzten Jahrzehnte nicht teilgenommen haben. Da die eine (erste) Hälfte an den Mehrungen nicht teilgenommen hat, hat die andere Hälfte offensichtlich das doppelte Äquivalent der Schuld auf sich vereinigen können (sonst geht das Finanzkarussell nicht auf). Aber zahlen müssten dann im Fall der Fälle alle nur einmal. Das könnte sich für die vermögende Hälfte der Bürger künftig als ein Bombengeschäft herausstellen, es sei denn, die Beitragshöhe wird nicht an die Person, sondern sinnvoller an das vorhandene Vermögen gekoppelt.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, dass sich die Nullzinspolitik absehbar ändern wird. Auch dann nicht, wenn dadurch der Mittelstand regelmäßig Vermögen verliert. Zu einer anderen Zinspolitik könnte man erst dann zurückkehren, wenn die Altschulden „ausgebucht“ oder „neutralisiert“ sind, weil deren Höhe den Zinsaufwand in den öffentlichen Haushalten so gewaltig ansteigen ließe, dass außer Zinsen kaum mehr finanzieller Raum für eine politische „Gestaltung“ bliebe.

Was ist mit dem privaten Sektor, von dem wir wissen, dass 50% der Bevölkerung kaum Vermögen besitzen, also das Äquivalent der öffentlichen Schulden an die vermögenden 50% Prozent der Bevölkerung geflossen ist? Die Erwartungen der Wirtschaftsideologen gehen dahin, dass dieser Vermögenszuwachs wieder in der Wirtschaft investiert wird. Das ist aber nicht (mehr) der Fall, weil die Realwirtschaft schon jetzt unter einer tendenziellen Überproduktion leidet. Weitere Investitionen wären nur sinnvoll in neue Inventionen, Veränderungen der Wirtschaftsstruktur, z.B. zu mehr Nachhaltigkeit oder ähnlichem. Dieses Risiko scheut das kumulierte private Kapital wie der Teufel das Weihwasser und versucht sein Glück im Kasino der Finanzwirtschaft. Strukturell hat das Verhalten für den Wirtschaftsstandort verheerende Folgen. Wir betonieren unsere alten Wirtschaftsstrukturen bis zum buchstäblichen Krachen. Und das könnte dann der ‚Fall der Fälle‘ sein (siehe oben). Da wäre es sinnvoller, wie schon in der Nachkriegszeit, wieder eine dynamische Steuer auf Vermögen und hohe Einkommen (mit einem Freibetrag) einzuführen, damit dann mit den daraus erzeugten Einnahmen Schuldenabbau und Industriepolitik im öffentlichen Diskurs zu betreiben, mit dem langfristigen Ziel, eine moderate Zinspolitik betreiben zu können, bei der die „kleinen Leute“ und der sogenannte Mittelstand nicht die großen Vermögen finanzieren und auch ihren kleinen Anteil an den Mehrungen des Wirtschaftsstandorts in Anspruch nehmen können.

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