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Was ist eine sinnvolle Wahlstrategie? – ein Zwischenruf

Markus Lanz hat in seiner Sendung vom 8. Juli 2021 mehrfach eine Zahl in die Runde geworfen, die aber keiner der Anwesenden aufgriff. Lanz meinte, dass der deutsche Wahlbürger im Durchschnitt 55 Jahre alt sei. Dann klang auch an, dass das CDU-Wahlprogramm keinerlei kreativen Elemente enthalten würde. Es wurde deutlich, dass es im Grunde kein Programm ist, sondern eine magere Aussage rund um die These: „Weiter so!“. Kann sich eine Partei angesichts des Problemdrucks, dem die Politik sich ausgesetzt sieht, einen so laschen Auftritt leisten?

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Wer die Politik verfolgt, stellt fest, dass der Druck der Straße inzwischen einem Druck der Sachverständigen gewichen ist. Der Einfluss der Wissenschaft, der sich in neoliberalen Zeiten auf quasi wirtschaftliche Fragen reduzierte, hat im Rahmen der Pandemie an Einfluss gewonnen, der vielleicht mit jenem in der Ära Brand in den 1970iger Jahren vergleichbar wäre.

Gleichzeitig bekommt die Regierung eine schallende Ohrfeige vom Bundesverfassungsgericht, weil das mühsam verabschiedete Klimaschutzgesetz die Entscheidungsfreiheit und die Rechte kommender Generationen sträflich vernachlässigt. So schnell wie in den jetzigen Wahlkampfzeiten wurde noch nie ein „Murks“ nachgebessert. Ob das Ergebnis besser ist, muss sich erst noch erweisen.

Dann kommt die Zukunftskommision Landwirtschaft (ZKL) und präsentiert einen einstimmig verabschiedeten Kompromiss zur Umgestaltung der Landwirtschaft als gesellschaftliche Aufgabe. Zwölf Leitlinien formuliert die Kommission vergleichsweise konkret aus und zeigen Lösungsansätze auf. Sie präsentieren einen Kompromiss, den eigentlich die Politik seit Jahren hätte herbeiführen sollen. Aber gerade die einschlägige Politik (das Landwirtschaftsministerium) glänzte bei dem Vorhaben durch Verweigerung.

Und dann erschien vor wenigen Tagen das Parteiprogramm der gegenwärtig noch größten Partei in diesem Lande. Das ist ein solcher Widerspruch, dass man sich fragt, in welcher Blase leben die Vertreter dieses Programms? Die Reaktion oder besser Nichtreaktion von Thomas de Maizière (CDU) bei der Lanz’schen Sendung zu diesem Thema lässt aufhorchen. Welche Strategie wird mit diesem „Programm“ möglicherweise verfolgt? Und wieso kann die Union glauben, dass sie mit diesen nichtssagenden Ausführungen einen Wahlerfolg erzielen kann?

Der Ausgangspunkt ist die magische Zahl „55“ als Durchschnittsalter. Was sagt das? Wenn wir eine ausgewogene Verteilung unserer Bürger hätten und wenn wir davon ausgehen, dass ein durchschnittliches Leben etwa 80 Jahre währt, so müsste der Durchschnitt bei etwa 40 Jahren liegen. Wenn die 55 Jahre richtig sind, zeigt das Ergebnis, dass wir ein stark alternde Gesellschaft sind. Nun ist nicht klar, ob die Zahl, die Markus Lanz verwendet, das Durchschnittsalter aller Bürger ist oder nur das Durchschnittsalter aller Wähler. Die Nichtwähler entsprechen einer Zahl von 13,75 Mio. Menschen. Demnach sind von den 83,16 Mio. Bürgern nur etwa 69,41 Mio. Bürger vom Alter her wahlberechtigt.

Gehen wir weiter davon aus, dass sich die 69,41 Mio. Wahlbürger auf das Alter von 18 bis 80 relativ gleichmäßig verteilen, so läge die Mitte bei einem Alter von 49 Jahre, d.h. alle die unter 49 Jahre alten Wähler könnte man zu der jüngeren Generation zählen und alle jene, die dieses Alter schon überschritten haben, repräsentieren die ältere Generation. Die Zahlen, über die ich hier verfügen kann, lassen die formale Aufteilung nicht zu. Die mir von Statista kostenlos zur Verfügung stehende Verteilung zum 31. Dezember 2020 (siehe: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1365/umfrage/bevoelkerung-deutschlands-nach-altersgruppen/#professional) lässt eine Aufteilung nur bei einem Alter von 40 Jahren zu: als Folge sind alle U 40 die sogenannte „junge“ Generation und alle Ü40 repräsentieren folglich die „ältere“ Generation.

Wie verteilen sich diese beiden Generations-Gruppen? Die U 40 umfassen ein Wählerpotenzial von 21,94 Mio. Bürgern und die Gruppe der Ü 40 umfasst ein Potenzial von 47,47 Mio. Bürger. Daran kann man jetzt schon erkennen, warum die Union sich strikt in ihrem „Schlafmützen“ – Programm auf die Ü 40 konzentriert. Hier vermuten sie ihr Wählerpotenzial und diese Gruppe ist mehr als doppelt so groß wie die Gruppe der U 40. Vielleicht macht diese einfache Analyse auch deutlich, warum die junge Generation den Eindruck hat, sie spiele in den Maßnahmen der gegenwärtigen Politik keine erkennbare Rolle. Es erklärt aber auch, warum diese Gruppe ihr quantitatives Manko mit besonderer Lautstärke und mit radikalem Nachdruck verfolgt.

Man darf nicht davon ausgehen, dass diese statistisch geschaffenen Gruppen homogen agieren. In den Gruppen herrscht kein Wir-Gefühl. Aber selbst, wenn wir von einem Wir-gefühl ausgehen könnten, wird deutlich, dass die „Jungen“ allein aufgrund ihrer Zahl das Nachsehen haben. Wir sind ohne Zweifel eine alternde Gesellschaft. Auf der anderen Seite werden es aber die „Jungen“ sein, die die Suppe auslöffeln dürfen, die ihnen die gegenwärtigen und vergangenen Regierungen eingebrockt haben. Diese „Ungerechtigkeit“ ist bei einer alternden Gesellschaft systemimmanent, aber muss sie parteipolitisch ausgenutzt werden?.

Umso verhängnisvoller ist das Ansinnen der konservativen Parteien, offensichtlich ihre Macht mit Hilfe derer sichern zu wollen, denen mit Sicherheit nicht die Zukunft gehört, indem sie die Herausforderungen der Gegenwart verdrängen und indem sie den Älteren ein „Kuschel“-Angebot machen und damit zum Ausdruck bringen, dass sie die anstehenden Problemstellungen als eher übertrieben einschätzen. Für wie dumm halten die Konservativen uns Älteren!? Glauben sie wirklich, dass sie mit diesem Unsinn dem Land einen Dienst erweisen können oder sorgen sie sich nur darum, dass sie ihre Macht mit Konzepten von vorgestern und der mangelnden Urteilsfähigkeit ihrer älteren Wähler erhalten können?

Wir alle wissen, dass nicht alle Wahlberechtigten zur Urne gehen. In der Regel können wir von einer Wahlbeteiligung von etwa sechzig Prozent ausgehen. Man kann nur hoffen, dass dieses Phänomen bei der älteren Generation stärker verbreitet ist, als bei den Jüngeren. Ich gehe davon aus, dass diese Hoffnung aber trügt. Die älteren werden verstärkt das Medium der Briefwahl nutzen. Die ‚Jungen‘ sind ja auch nicht einer Meinung und viele erkennen nicht die versteckte Machterhaltungsstrategie der Konservativen, die – wie oben versucht dargestellt – ja unmittelbar gegen die Interessen der Jüngeren läuft. Man kann nur hoffen, dass die Alten den Spuk durchschauen, sich ihrer Verantwortung hinsichtlich der nachfolgenden Generationen bewusst sind und konstruktiv wählen. Und bei den Jungen bleibt nur die Hoffnung, dass sie ihre eigenen Interessen erkennen und konsequent wahrnehmen.

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Aspekte alternativer Finanzwirtschaft

Die Finanzwirtschaft als Bereitstellung von Kapital steht m.E. grundsätzlich auf zwei Beinen: es handelt es sich einmal um Kreditwirtschaft oder zum anderen um eine Form der Eigenkapitalbewirtschaftung. Wenn im Folgenden von Finanzwirtschaft gesprochen wird, sind primär alle Formen von Kapitalbeschaffung gemeint.

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Ein Unternehmer beginnt sein Geschäftsmodell im Markt umzusetzen. Meist hat er hierfür etwas Kapital angespart, das es erlaubt, dass er die ersten Schritte unternehmen kann. Auch dann, wenn sich sein Geschäft positiv entwickelt, kommt rasch der Punkt, wo sich der Unternehmer überlegen muss, welche Strategie zur Kapitalbeschaffung er einschlagen will: reine Kreditfinanzierung oder eine reine Eigenkapitalfinanzierung oder eine sinnvolle Mischung von beidem.

Die Kreditfinanzierung kann klassisch über institutionalisierte Einrichtungen wie Banken eingeleitet oder auch als Crowd-Finanzierung oder Peer-to-Peer (P2P) – Finanzierung aufgebaut werden. Die Kreditgeber sind auf die Funktion des Geldgebers reduziert, tragen ein unternehmerisches Risiko, das auf den verliehenen Betrag beschränkt ist, und erwarten eine dem begrenzten Risiko entsprechende Verzinsung ihres Darlehens. Bei P2P als einer riskanteren Form der Kreditvergabe wird versucht, das verbleibende Risiko der Kreditgeber weiter zu streuen (zu diversifizieren), indem der jeweilige Kreditgeber eine Vielzahl kleiner Teilkredite vergibt, in der Hoffnung, dass die Diversifizierung das Verlustrisiko weiter senkt.

Alternativ versucht der Unternehmer, Teilhaber zu gewinnen, wobei den meisten Unternehmern daran gelegen ist, die alleinige Verfügungsgewalt über ihr Geschäftsmodell zu behalten. Neben vielfältigen privatrechtlichen Formen der Beteiligung, die sich durch eine gewisse Schwerfälligkeit in der Konstruktion auszeichnen, gilt die Aktiengesellschaft als fungibelste Form der unternehmerischen Beteiligung unter der Beachtung des Primats des ursprünglichen Unternehmers, der dabei meist die Vorstandsfunktion wahrnimmt. Anteile können danach jederzeit erworben und wieder abgestoßen werden (hohe Fungibilität). Gibt es einen Markt für diese Anteile (Börse), so kann dieser Eigentümerwechsel sogar vollkommen anonym erfolgen. Sowie die Börse in Anspruch genommen wird, steigen aber die Kosten der Kapitalsuche und Kapitalverwaltung erheblich. Die Abläufe werden durch zahlreiche (teilweise kostspielige) Abwicklungsvorschriften kanalisiert.

Mit der Aktie sind mindestens zwei Erwartungen verknüpft: einmal eine regelmäßige jährliche Dividende und/oder steigende Kurse. Können letztere realisiert werden, so wird vielfach akzeptiert, dass keine oder nur eine unbedeutende Dividende ausbezahlt wird.

Dabei hat sich die Beurteilung von Aktien in den letzten Jahrzehnten völlig von dem Ertragsgesichtspunkt der Dividende gelöst und alle Beteiligten starren wie hypnotisiert auf die Charts mit der spekulativen Kursentwicklung des Börsenpapiers. Dabei wird leichtfertig unterstellt, dass der Kurs des Papiers den „Wert“ des Unternehmens repräsentiert. Früher gab es noch Hinweise (in den Charts) auf die Dividendenauszahlung (ex Div), um eventuelle Kursrückschläge erklären zu können. Das gilt als nicht mehr relevant und wenn eine Aktie wirklich boomt, ist der kleine exDiv-Haken im Verlauf der Aktie vielleicht auch nicht entscheidend.

Bei der Betrachtung fällt auf, dass sich die Beurteilung von Aktien schrittweise von dem wegentwickelt hat, was relativ sicher war und immer noch ist (die dokumentierte Ertragsfähigkeit per Dividende) hin zur oft äußerst schwach begründeten Hoffnung auf eine „grandiose“ Zukunft (die nächsten Jahre sollen es bringen!). Ich will nicht ausschließen, dass das hin und wieder klappt, aber über die Ausfälle dieser Vorgehensweise spricht die Börse nicht und es gibt auch keine Statistik darüber. Die vergangene Ertragsfähigkeit des Geschäftsmodells, die u.a. in der Dividende seinen Ausdruck findet, gilt als überholt nach dem schlichten Motto: „Der Kaufmann gibt nichts für die Vergangenheit“. Es gibt sogar die Auffassung, dass Unternehmen, die sich gute Dividenden leisten können, automatisch zur „Old-School-Economy“ gezählt werden, weil ihr Geschäftsmodell als wenig innovativ oder wenig kreativ gilt. Kreative Ideen müssen demnach scheinbar Verluste machen und werden dann für die Zukunft in den Erfolg „geredet“. Das klappt immer mal wieder, oft aber ist es nicht mehr als nur heiße Luft. Und auch darüber gibt es hinsichtlich ihrer Häufigkeitsverteilung keine Aufzeichnungen. Spekulanten schweben vermutlich immer auf „Wolke 7“ und die Realität ist ihnen nur lästig.

Spekulation als solche ist nur dann ein rational sinnvolles Vorgehen, wenn man davon ausgehen kann, dass ewiges Wachstum möglich ist und auch angestrebt wird. In der Vergangenheit hat man statistisch feststellen können, dass der Weltmarkt in etwa jährlich um 3% real wächst (nach Abzug der Inflationsrate). Wir alle wissen, dass 197 Staaten das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet haben und dass damit der CO2– Ausstoß künftig weltweit gedeckelt und mit einem steigenden Preis pro Tonne mit der Wirtschaft verrechnet wird. Mit anderen Worten: die Erwartung, dass das Wirtschaftswachstum als wesentlich treibende Komponente der Spekulation weiter wachsen wird, ist nicht mehr realistisch.

Es gibt das vielfach benutzte Bild von der grasenden „Herde der Anleger“, die auf Spekulation gepolt ist. Der Begriff Herde wird deshalb benutzt, weil die große Zahl der Spekulanten wenig informiert ist und regelmäßig auf das hört, was gerade die Gerüchtebörse zu bieten hat. Für eine eigenständige Analyse und eine begründete Entscheidung fehlen oft die Kenntnisse und die notwendige Zeit. Die ‚Herde‘ streift auf der Suche nach saftigen ‚Aktien‘ über die ‚Wirtschaftswiesen‘ der Börsenplätze. Geleitet wird diese Herde von wechselnden ‚Bullen‘, die vorgeben, sie wüssten, wo es das saftigste Gras gibt. Wenn ihre Behauptung genügend Anhänger findet, folgt ihnen die Herde und die Spekulationswelle schwappt zu neuen Ufern. Es könnte als Anleger hoch interessant sein, eine Methode zu besitzen oder zu finden, um feststellen zu können, wann sich die (meist kopflos agierende) Herde wohin wendet, um dann vor der Herde oder doch mit den ersten Vertretern der Herde vor Ort der neuen ‚saftigen Wiese‘ zu sein. Der damit absehbare Hype lässt sich spekulativ gut nutzen, denn die Herdemitglieder denken nicht, (sonst wären sie nicht Teil der Herde), sondern handeln so wie ihre Mitstreiter es vormachen („me too“). Die Herde schafft sich damit große Teile des spekulativen Marktes selbst. Analysten haben die Aufgabe, dieser Entwicklung dann einen quasi rationalen oder doch begründbaren Anstrich zu vermitteln.

Die ‚Leitbullen‘ der unterschiedlichen Herden tauchen manchmal aus dem Nichts auf, gewinnen Einfluss, die Herde tut ihre Pflicht und löst eine mehr oder weniger große Spekulationswelle aus und die Bullen verschwinden danach wieder im Nirgendwo. Könnte es sein, dass die Beschreibung gar nicht so zufällig ist wie sie sich dargestellt? Große Hedgefonds und andere große global agierende Vermögensagglomerationen sind finanziell potent genug, Meinungsführer zu sein oder noch besser, unabhängig von der eigenen Organisation jene Meinungsführer „heranzubilden“, die dann temporär in die Rolle des Leitbullen schlüpfen, den Markt „machen“ oder penetrieren, um dann wieder in die Versenkungen des Weltmarktes abtauchen.

Es handelt sich dabei natürlich nicht um Insiderwissen; das wäre ja strafbar. Es handelt sich darum, über Marktsegmente oder große Unternehmen Meinungen aufzubauen (Public Relations nennt man so etwas), diese geschickt zu verbreiten, eine oder mehrere Herden von Anlegern darauf aufmerksam zu machen, eventuell erste Käufe zu initiieren und dann den Dingen mit dem berühmten „Wumms“ ihren spekulativen Lauf zu lassen. Die Herde treibt spekulativ den Markt und der Initiator, schon längerfristig eingedeckt, verdient jetzt nicht durch kluges Anlegerverhalten, sondern mit seiner „public relations“-Aktion. Er kann es sich leisten, deutlich vor dem Kipppunkt wieder auszusteigen, während große Teile der Herde noch der Erfüllung ihrer Gier hinterher laufen. Beweise, dass dem so ist, gibt es wohl nicht, aber wenn man diese möglichen Zusammenhänge mal im Hinterkopf gespeichert hat, wird man Situationen und Konstellationen an den Börsen finden, die dieser Vermutung immer wieder neue Nahrung geben.

Deshalb zurück zur Dividenden orientierten Anlagestrategie, die sich für derartige Entwicklungen nicht eignet. Ein wesentlicher Grund, warum die Dividendenstrategie gerne verächtlich zur Seite geschoben wird, ist die Erwartung, dass man mit der spekulationsorientierten Strategie schneller höhere Renditen erzielt. Das könnte eine Täuschung sein! Spekulationen gehen rauf und runter und niemand ist in der Lage, für einen bestimmten Ausstiegszeitpunkt im Voraus die Rendite auch nur annähernd zu bestimmen.

Wenn, angenommen, im Einstiegszeitpunkt die Dividendenrendite der Aktie 3% p.a. beträgt, so kann man mit einiger Begründung davon ausgehen, dass sich in 10 Jahren der Einsatz verdoppeln hat, solange wir unterstellen, dass die Dividendenhöhe beibehalten wird. Kommt es in den 10 Jahren zu einer Dividendenkürzung, so gibt die öffentliche Ankündigung dem Anleger die Chance darauf zu reagieren. Gleiches gilt für eine Dividende, die aus dem Eigenkapital (statt aus dem Ertrag) finanziert wird. Warum sollte ein Geschäft, dessen einzelne Faktoren zwar nicht sicher sind, aber doch ein starkes Beharrungsvermögen an den Tag legen, nicht attraktiv sein können. Die Änderungen der kritischen Faktoren  werden in wesentlichen Teilen frühzeitig angekündigt. Große Kursverluste sind nicht zu erwarten, solange sich allein aus Gründen der Dividendenrendite ein akzeptables Geschäftsmodell abzeichnet. Im Gegensatz hierzu leben die spekulativ orientierten Anleger ausschließlich von der Hoffnung (also mit einem maximalen Risiko). Der Anleger, der sich an der Dividendenrendite orientiert, hat eigentlich aus der Sicht des Risikos die besseren Karten: wenn er einsteigt, gibt es keine besondere Hoffnung auf eine Wertsteigerung, sondern ziemlich sicher eine Dividende von angenommenen 3% p.a. seines Einstiegskurses und das ist auch für die nahe Zukunft hinreichend sicher. Der „innere“ Wert der an Dividenden orientierten Aktie mag keine Wert-Explosionen auslösen, aber der Wert wird auch nicht mit hinreichender Sicherheit kurzfristig zusammenbrechen. Das Geschäftsmodell hat sich ja inzwischen etabliert und die Ertragsaussichten haben sich in Form der Dividende als real erwiesen. Die ganze Investition ist auch hinsichtlich der „public relations“/Propaganda (siehe oben dargestellt) weitgehend unsensibel.

Die Unbekannte ist ggfs. der Ausstiegswert für das Papier. Für jemanden, der sich rational mit der Rentabilität auseinandersetzt, ist es bei gleichbleibender Dividendenhöhe zwar möglich, dass der Einstiegspreis in etwa dem Ausstiegspreis entspricht, d.h. dann hat der Anleger nach 10 Jahren sein eingesetztes Geld verdoppelt (unter Minimierung seines Risikos). Sollte sich der Einstiegspreis erhöht haben, so wäre das ein Extrabonus, der beim Einstieg realistischer Weise nicht bewertet und erwartet werden kann.

Zweifelsohne gibt es auf der spekulativen Seite Formen, die in 10 Jahren ebenfalls eine Verdopplung präsentieren können, aber wie hoch war dabei das breitgestreute inhärente Risiko des Scheiterns? Wurde auf die richtigen ‚Pferde‘ gesetzt? Wo sitzen die Stimmungsmacher? Jeder Crash, und davon gibt es in kürzeren Abständen ständig mehr, gefährdet das spekulative Zehnjahresziel, weil Rückschläge von bis zu 30 % bei Crashs keine Ausnahme darstellen. Der Ansatz über die Dividende schließt Crashs nicht aus, aber die Dividendenpapiere werden von Crashs deutlich weniger berührt als hoch spekulative Werte, insbesondere solche, von denen man noch gar nicht konkret weiß, ob sie jemals in die Lage kommen werden, eine noch so kleine Dividende auszuweisen.

Es muss klar sein, dass auch Hochdividendenwerte ihren inhärenten Preisaufschlag haben. Jede Überrendite führt dazu, dass die Mehrrendite sich u.U. in einem Kaufpreisaufschlag ausdrückt. Kann die Dividendenhöhe nicht gehalten werden, nimmt nicht nur die Dividende ab, sondern auch der Kurswert bis die Erwartung hinsichtlich der Dividendenrendite wieder „stimmt“. Jeder Crash senkt natürlich auch den Kurs des Dividendenpapiers, aber mit jedem Crash bietet sich die Möglichkeit, die Dividendenerträge dann bei einer höheren Rendite zu reinvestieren. (Mehr Details dazu unter dem Blog: https://nurbaresistwahres.de/)

Kommen wir nochmals zurück zum Gesichtspunkt einer alternativen Finanzwirtschaft. Spekulationen wie sie heute stattfinden, werden bei stark reduziertem Wachstum nicht mehr zu erwarten sein. Der Bedarf an attraktiven Anlageformen wird aber weiter bestehen bleiben. Und hier erscheint der Dividenden orientierte Ansatz erfolgversprechend. Wenn Spekulation riskanter wird und die spekulativen Erfolgsaussichten deutlich geringer werden, dann wird sich die ‚Herde‘ ganz automatisch der sichereren Dividenden orientierten Methode zu wenden. Und es gibt möglicherweise hierzu gar keine ‚nachhaltige‘ Alternative.

Gegenwärtig übt sich auch der Anlagemarkt in Nachhaltigkeit (Environment-Social-Government). Diesen Gesichtspunkt habe ich bewusst ausgeschlossen, weil die Dividenden orientierte Anlagepolitik jederzeit durch das Kriterium der „Nachhaltigkeit“ ergänzt werden kann, ohne die allgemeinen Anlageüberlegungen neu formulieren zu müssen.

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CO2-Zertifikate-Handel – was heißt das?

Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, das der CO2-Ausstoß in den kommenden Jahren erheblich gesenkt werden soll, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Unabhängig davon, ob das 1,5 Grad Ziel an sich noch ein sinnvolles Ziel darstellt, gilt auf jeden Fall eine drastische Reduzierung des CO2-Ausstoßes als erstrebenswert.

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Dabei steht der CO2-Ausstoß als Synonym oder Ersatzgrößenerfassung für all jene fossile Extraktion, die wir im Rahmen unserer Lebens- und Wirtschaftsweise jährlich unserer Existenzgrundlage (der „Natur“) abpressen und für die wir in aller Regel keinen Beitrag leisten, denn diese Extraktionen stellen eine Form der Verwendung von öffentlichen Gütern dar, deren Eigentum allen Menschen bei Bedarf zur Verfügung stehen.

Grundlagen

Um diese Aussagen etwas konkreter werden zu lassen, wird im Folgenden versucht, die Zusammenhänge in Zahlen zu fassen. Dabei muss auf statistisches Zahlenmaterial zurückgegriffen werden. Die dort aufgeführten Angaben gelten als „richtig“ und „vollständig“ in dem Sinne, als sie allgemeine Verbreitung und Akzeptanz gefunden haben. In vielen Beiträgen werden die Zahlen mit Kommastellen präsentiert, um Präzision zum Ausdruck zu bringen. Hier werden wir die Zahlen recht großzügig auf ‚ganze‘ Zahlen runden, weil es hier nicht um Präzision geht, sondern darum, einen Eindruck von der Mächtigkeit zu vermitteln, die hinter den Konzepten steht.

Der durchschnittliche CO2-Ausstoß beträgt in Deutschland je nach Präsentation und Ermittlungsmethode zwischen 9,7 to/Person und Jahr bis etwa 11,7 to/Person u. Jahr. Um die Sache ohne Taschenrechner bewältigen zu können, gehen wir der Einfachheit halber von 10 to CO2/Person u. Jahr aus. Das anzustrebende Ziel liegt weit darunter. Es gibt hier auch keine einheitliche Linie: als erstrebenswert gilt ein Drittel, als Ideal wird von einem Zehntel gesprochen.

Was heißt das nun hochgerechnet auf eine Bevölkerung von 80 Mio. Menschen (auch hier wird großzügig gerundet; die richtige Zahl liegt eher bei 83 Mio. Einwohner). Wenn nun jeder Einwohner rd. 10 to CO2 ausstößt bzw. verbraucht, so ist klar, dass Deutschland gegenwärtig einen jährlichen Rucksack von etwa 800 Mio. to CO2 produziert. Was bedeutet diese Zahl, wenn wir davon ausgehen, dass das CO2 eine Maß- oder Kennzahl repräsentiert, wieviel wir jährlich kostenfrei unserer Lebensgrundlage entziehen? Kostenfrei bedeutet, dass es in keiner wirtschaftlichen Kalkulation auftaucht. Es wird anschaulicher, wenn man davon ausgeht, dass unsere Lebens- und Wirtschaftsform diese Menge CO2 produziert, ohne dass hierfür irgendjemand offiziell bezahlt. Das nachgebesserte Klimaschutzgesetz der Bundesregierung bewertet eine Tonne CO2 vorerst mit 45 Euro. Die Bepreisung des CO2 Ausstoßes führt erstmals dem Laien vor Augen, welche riesigen Summen unserer natürlichen Lebensgrundlagen bisher jährlich als selbstverständlich verbraucht wurden: eine Größenordnung von 36 Mrd. Euro jährlich! Nehmen wir statt der 45 Euro/to einen Tonnenpreises nach einer allgemeinen Reduktion auf ein Drittel der gegenwärtigen Ausbringungs-Tonnage. Der Preis könnte dann nach (groben) Schätzungen bei 200 Euro/to liegen: es ergibt sich immer noch eine Größenordnung von rd. 53 Mrd. Euro jährlich!

Die Zahlen müssen wir mit unserem Bruttoinlandsprodukt in Beziehung setzen, weil die wenigsten Menschen sich die Milliarden vorstellen können. Das jährlich festgestellte Bruttoinlandsprodukt beläuft sich 2020 auf etwa 3.300 Mrd. Euro. Der Bundeshalthalt umfasste in 2020 Ausgaben in Höhe von rd. 442 Mrd. Euro. Mit anderen Worten: hier wird eine Kapitalsammelstelle auf- und ausgebaut, die gemessen am Bundeshaushalt, mit ca. 10% künftig eine große Bedeutung erhalten wird.

Organisation des Zertifikate-Handels

Das Pariser Abkommen sieht einen Mechanismus vor, der zu einer Deckelung des CO2-Ausstoßes führen soll, d.h. die zulässige Menge CO2 wird begrenzt und sie soll geplant jährlich bzw. regelmäßig sinken. Das bedeutet für den Zertifikate-Handel, dass jedes Jahr ein gewisser Prozentsatz von CO2-Zertifikaten nicht mehr zur Verfügung stehen wird. In dem „gedeckelten Kessel“ steigt damit der Druck, von einer karbongestützten Produktionswirtschaft auf eine neue Technologie umzusteigen oder aber Produktionskosten akzeptieren zu müssen, die das jeweils bestehende Geschäftsmodell in Frage stellen können.

Durch die künstlich erzeugte Knappheit auf dem Feld der Zertifikate wird der Preis der Zertifikate unvermeidlich steigen. Der Preis kann insbesondere zu Beginn des Handels erratisch ausschlagen. Dabei werden erhebliche Mengen Geldes bewegt. Deshalb gleich die ersten Fragen hinsichtlich der Organisation:

  • Welche Institution wird die Zertifikate in Umlauf bringen?
  • Die Zertifikate sind in ihrer Funktion mit Bargeld bzw. mit Buchgeld zu vergleichen und repräsentieren gewaltige Vermögensmassen. Wie wird hier Transparenz und Kontrolle sichergestellt?
  • Wer prüft zumindest jährlich die Zu- und Abflüsse der beauftragten Institution? Wer berichtet darüber öffentlich?
  • Unterliegt die Institution dem Haushaltsrecht des Bundes und damit den Regeln des Bundeshaushalts? Oder wird die Aufgabe einer eigenen Bundesbehörde übertragen, die dann die Verwaltungsaufgaben ggfs. privatisiert? (Dann aber besser als bei der Lkw-Maut des Herrn Scheuer)
  • Das Medium Zertifikate einerseits als auch das durch die Zertifikate bewegte Finanzvolumen andererseits macht die Organisation anfällig für kriminelle Aktivitäten. Nirgendwo kann man so schnell und einfach Geld abzweigen, wie bei solchen Transaktionen (Stichwort gefälschte Zertifikate). Hierfür sollte sich die Politik rechtzeitig unabhängigen Rat einholen, um dann nicht wieder über zehn Jahre untätig zu bleiben, weil man sich (wie bei Cum Ex (gefälschte Steuerbescheinigungen) oder bei der Abwicklung der Lkw-Maut (intransparente Eigentumsverhältnisse)) nicht vorstellen kann, welcher kriminellen Energie ein solches System ausgesetzt ist.
  • Wie wird sichergestellt, dass einerseits alle wesentlichen CO2-„Sünder“ angemessen erfasst werden und wie wird sicherstellt, dass in dem System jede Tonne CO2 fairerweise nur einmal erfasst und belastet wird?

Das ist die Aufkommensseite. Hier wird gesammelt und sichergestellt, dass jeder, der CO2 ausstößt, seinen angemessenen Kostenanteil trägt und das Geld auch da ankommt, wo wir alle es erwarten. Eine komplexe Aufgabenstellung!

Die andere Seite dieses Zertifikate-Handels ist die Verwendung der gesammelten Mittel. Hier gibt es nach meiner Kenntnis noch überhaupt keine hinreichend konkreten Vorstellungen oder gar ein Konzept, zu was diese Vermögensmassen verwendet werden sollen. Für die Zeit der Umstellung des Systems von einer karbonorientierten Wirtschaftsweise auf eine deutlich reduzierte Verwendung von Kohlenstoff kann es sinnvoll sein, diese Gelder vorübergehend als Hilfen für eine Umstellung der Wirtschaft und Landwirtschaft auszugeben. Das kann aber nur sinnvoll sein, wenn man gezielt  darauf achtet, dass man nicht vorne „streng“ abschöpft und hinten den Trägen und innovationsunfähigen Unternehmen und Landwirten „Zucker in den Hintern bläst“. Die Lobbyisten stehen schon in den Startlöchern, weil es offensichtlich einfacher und billiger und je nach Regierung auch risikoloser ist, Lobbyarbeit teuer zu finanzieren als vernunftgesteuert notwendige Veränderungen herbeizuführen.

Die Kosten, die die Wirtschaft durch die CO2-Abgabe verkraften muss, werden vermutlich dazu führen, dass die Preise steigen und damit die Erhaltung der Massenkaufkraft in Frage steht. Die Idee dahinter wäre dann, die unteren Einkommensschichten zu unterstützen bzw. zu entlasten, um auf diese Weise die erforderliche Kaufkraft erhalten zu können.

Es gibt zahllose Ansätze, denen m. E. immer zwei grundsätzliche Gesichtspunkte zugrunde liegen können: man fördert einerseits die Umstellung der Wirtschaft und man stellt sicher, dass die Mittelverwendung gleichermaßen auch einem Wandel zu einem nachhaltigerem Konsum zugutekommt. Hierbei werden die auftretenden Preisverschiebungen den Wandel einleiten. CO2-trächtige Produkte werden sehr viel teurer und schaffen damit Anreize, sich anderen Produkten zuzuwenden. Sie schaffen auch negative Anreize, die dazu beitragen werden, bisher übliche Konsumprodukte links liegen zu lassen. Ramsch (billige und wenig nachhaltige Waren) werden vermutlich aufgrund steigender Preise schrittweise vom Markt verschwinden. Viele Herausforderungen, die wir bisher nicht in den Griff bekommen haben, z.B. die Vermüllung unserer Lebensräume, könnten sich durch Folgereaktionen von selbst auflösen bzw. als Problem in den Hintergrund treten. Was aber sich im Detail wie verändert, werden wir der Praxis überlassen müssen. Versäumnisse bei der Gestaltung der beiden Hauptgesichtspunkte werden zu ernsten Problemen für das bestehende Wirtschaftssystem führen, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass wesentliche Teile oder liebgewonnene Gewohnheiten zu Disposition stehen werden.

Wir werden insbesondere die einseitigen Rentabilitätsermittlung um eine CO2– Bilanzierung ergänzen müssen: nicht die schiere ökonomische Rentabilität reicht zur Beurteilung einer Investition aus, die Zulässigkeit von Investitionsmaßnahmen wird auch durch ihre zusätzliche CO2-Belastung beurteilt werden müssen. Wie das im Einzelnen und konkret aussehen wird, kann die Erfahrung mit den Kosten-Nutzen-Analysen zeigen. Der Unterschied wird darin liegen, dass der „Nutzen“ jetzt prioritär durch eine Minimierung der CO2-Belastung dargestellt wird.

Sie merken, da liegt noch viel Arbeit, an der sich bisher noch keiner unserer Politiker versucht hat. Lesen Sie die Parteiprogramme gründlich. Und machen Sie Druck, das ist leider die einzige Sprache, die die Damen und Herren unabhängig vom Parteibuch verstehen.

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Chancen der politischen Umsetzung des Klimawandels

München will unter anderem 2035 klimaneutral sein. Eine Versorgung aus dem eigenen Landkreis wird nicht möglich sein. Deshalb unterhält München enge Verflechtungen in die sogenannte „europäische Metropolregion“ und darüber hinaus. Wie will München sicherstellen, 2035 klimaneutral zu sein, wenn die Regionen, von denen das Leben und die Versorgung in München abhängt, es ggfs. noch nicht sind? Über die Verflechtungen der Versorgung werden täglich zahllose Außenbeiträge in die Stadt gespült, dass ich die Aussage wage, das funktioniert nur, wenn auch die Versorgungsregionen (und nicht nur die) auf einem etwa gleichen Niveau der Klimaneutralität angesiedelt sind.

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Um über die Erfolgsaussichten mehr Klarheit zu gewinnen, muss die Idee hinter der Zielvorstellung auseinandergepflückt und auf Bestand hin überprüft werden: Mit dem Pariser Klimaabkommen wurde festgelegt, dass der CO2-Ausstoß pro Land begrenzt (gedeckelt) wird und für den dann noch zulässigen CO2 Ausstoß sogenannte Zertifikate verkauft werden. Wenn ich es richtig sehe, dann muss jeder Mitgliedsstaat des Pariser Abkommens (s)einen Deckel definieren und in Abstimmung mit den anderen Staaten einen realistischen Anfangspreis pro Tonne CO2 für die Zertifikate festlegen.

Bis auf die regelmäßige Reduzierung des „Deckels“ definiert dann der Mechanismus, der einem Marktmechanismus nachempfunden ist, den Preis pro Tonne CO2. Der „Marktmechanismus“ bietet der Politik den großen Vorteil, aus der Schusslinie zu kommen: Wenn es also zu Auseinandersetzungen über die Höhe des CO2-Preises kommt, dann ist es nicht die Politik, der man den Preis zurechnen kann, sondern der eingesetzte „Markt“-Mechanismus. Und dagegen kann die Wirtschaft lange Sturm laufen; sie würde ihre eigenen Grundlagen und üblichen Marktargumente in Frage stellen. Allein die Absenkung des Deckels könnte Gegenstand politischer Diskussionen sein. Hier liegt die Entscheidungshoheit bei der EU-Kommission, einem Gremium, das ernannt und nicht gewählt wird.

Die Unternehmen, die CO2 ausstoßen, müssen die für das Volumen ihrer Produktion notwendige Zahl an CO2-Zertifikate erwerben. Der Deckel soll über die nächsten Jahre regelmäßig jährlich gesenkt werden, d.h. die Zahl der verfügbaren Zertifikate sinkt und der Preis müsste bei gleichbleibendem Produktionsvolumen deshalb steigen. Um den Preis in erträglicher Höhe zu halten, werden die Produzenten interessiert sein, ihren CO2-Ausstoß schnell zu senken. Da dieser Deckel ständig abnimmt, werden die Zertifikat-Preise zumindest am Anfang wohl erheblich steigen und sich später auf einen sogenannten „Steady State“ einpendeln. Es soll Aussagen geben, dass im Steady State – Zustand die Tonne CO2 nachhaltig etwa 200 Euro kosten wird. Im Anfang der Aktion könnte der CO2-Preis aber in Abhängigkeit von der Umstellungsgeschwindigkeit unserer Wirtschaft auch deutlich höher liegen.

Dieser Ablauf funktioniert gegenwärtig (noch) nicht, weil die Unternehmen der EU innerhalb der EU gültige Ersatzzertifikate aufkaufen können. Also erst dann, wenn in der EU der Deckel insgesamt soweit gesenkt wurde, dass diese Ersatzkäufe nicht mehr möglich sind, wird der Preis dramatisch steigen, weil bis zu diesem Punkt eine Mehrzahl der europäischen Unternehmen immer noch glauben wird, dass alles sei nur einer böser Traum. Wenn dann auch die letzten aufwachen, werden wir sehr aufpassen müssen, dass nicht eine ganze „Fälscherindustrie für Zertifikate“ aus dem Boden gestampft wird, weil dann mit diesen kriminellen Handlungen gewissermaßen global (also faktisch unkontrolliert) ein Riesenreibach möglich wird, bei dem die gegenwärtig im Netz grassierende Cyberkriminalität oder der Betrug mit Impfpässen, Impfdosen und Testequipment als Kleinkram betrachtet werden kann. Die Überwachung dieser Prozesse sollte rechtzeitig vorbereitet werden, um nicht wieder, wie so oft (siehe Cum-EX), der Entwicklung Jahrzehnte bis zur Verjährung der Vergehen hinterherzulaufen.

Wir müssen uns darüber klar sein, dass das Instrument der Deckelung über kurz oder lang den Mythos vom ewigen Wachstum für jedermann klar erkennbar als falsch entlarven wird. Faktisch wird über den CO2 Ausstoß der Umfang der Produktion eingeschränkt. Gewisse Produktionsformen werden aufgrund ihrer CO2-Kosten unrentabel. Unternehmen, die eine nachhaltig schlechte CO2-Bilanz aufweisen, gelten vor dem Hintergrund des dramatischen Klimawandels als nicht mehr vermittelbar, weil sie unabhängig von der individuell ökonomischen Ertragsfähigkeit für die Allgemeinheit mehr Schaden anrichten als Nutzen schaffen. Das ist wahrscheinlich heute schon so, aber es ist nicht offensichtlich erkennbar.

Das ist die produktionsbezogene Seite des Prozesses. Was ist mit der anderen Seite, mit der finanziellen Seite der gleichen Prozesse? Je höher der Preis für das CO2 steigt, desto teurer wird die Produktion CO2-trächtiger Güter. Dabei spielen zwei Gründe eine Rolle: einmal natürlich der steigende Preis der CO2-Zertifikate. Aber um den CO2-Ausstoß eines Unternehmens nachhaltig so gering als möglich zu halten, werden Investitionen notwendig sein, deren Kosten (Abschreibungen) in der Produktkalkulation auf den Herstellungspreis durchschlagen werden. Die Investitionsgüterproduktion unterliegt aber dem gleichen CO2-Deckel wie der Prozess, für den die Investition letztlich vorgesehen ist. Was bisher durch globale Ausbeutung so wundersam billig erschien, könnte durch das Einkalkulieren des CO2-Preises auf allen Produktionsstufen und der weltweit erforderlichen Investitionen plötzlich ‚explodieren‘. Es wird Güter geben, die wir nicht mehr kaufen, weil sie uns zu teuer geworden sind und weil es andere (ggfs. aber arbeitsaufwendigere) Möglichkeiten gibt, den gleichen Zweck zu erreichen. Es war bisher so bequem, das billige Wirtschaftsgut statt der Alternative zu verwenden.

Unser bisher gewohntes Preisgefüge wird sich vermutlich komplett verändern. Überflüssiges bekommt jetzt u.U. einen Preis, der die Nutzlosigkeit mancher Produkte jedermann vor Augen führt. Unsere Wertschätzung von den Dingen wird sich grundlegend ändern. Aufgrund des veränderten Preisniveaus werden kurzlebige Dinge aus der allgemeinen Produktpalette verschwinden. Man darf mit großer Wahrscheinlichkeit eine Renaissance des Reparaturgedankens erwarten. Das Müllproblem bekommt eine neue Dimension. Wegwerfen kann sich kaum einer mehr leisten. Konsum jenseits der verderblichen Waren wird zu einer wohlüberlegten Entscheidung aufgrund einer langfristig orientierten Perspektive.

Was ist mit der Beschäftigung? Jeder, der diese Zeilen richtig interpretiert, wird sich fragen müssen, wie sich die angeführten Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt auswirken werden. Wir werden feststellen, dass sich gegenwärtig die Folgen von Corona, die Folgen einer verstärkten Digitalisierung als auch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels als gewichtiges Belastungsbündel erweisen werden. Das wird sich sehr unterschiedlich auf die Beschäftigung der Branchen auswirken.

Der Fokus der Wirtschaftsvertreter liegt auf der Erhaltung der Massenkaufkraft. Wenn der Staat den Unternehmen Unterstützung zusagt, so wirkt sich die Unterstützung primär auf die Produktionsmenge aus. Das ist aber nur die „halbe Miete“. Die Unternehmen starren gebannt auf die Massenkaufkraft, die im System sicherstellen muss, dass das Produzierte auch konsumiert werden kann. Eine sinkende Beschäftigung hat regelmäßig eine sinkende Massenkaufkraft zur Folge.

Gegenwärtig können wir in Teilen feststellen, dass die Unsicherheit der Beschäftigungslage dazu führt, dass die Sparquote von ehemals 8% (2019) auf 16% (2021) gestiegen ist. Was aber gespart wird, fließt gar nicht oder erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt in die Massenkaufkraft. Die Wirtschaftsvertreter sind deshalb sehr daran interessiert, die Massenkaufkraft auf dem gegebenen Niveau zu erhalten. Sie allein sichert letztlich den Erfolg der Produzenten. Es gibt in Wirtschaftskreisen deshalb heftige Diskussionen, wie man im Falle von Beschäftigungsrückgängen, die Corona, die Digitalisierung und der Klimawandel auslösen werden oder könnten, die Massenkaufkraft erhält, damit das gegenwärtige Wirtschaftssystem nicht in Frage gestellt wird. Dabei werden auch unter vorgehaltener Hand Beiträge wie ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ diskutiert, wobei dieser Begriff hier nur als Platzhalter dient. Es gibt m.W. hierzu noch keine hinreichend konkreten Vorstellungen. Es macht aber deutlich, dass hier Bewegung in die Diskussion kommt. Zwar ist das „bedingungslose Grundeinkommen“ ursprünglich ein soziales Anliegen, aber wenn es auch noch aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive Unterstützung erhält, umso größer sind letztlich seine Realisierungschancen.

Kommen wir letztendlich zur Frage der Umsetzungschancen möglicher Lösungsansätze. Hier sehe ich die größten Herausforderungen. 1950 betrug die Weltbevölkerung etwa 2,5 Mrd. Menschen. Heute beläuft sich die Weltbevölkerung etwa auf das Dreifache und es gibt Studien, die mehr oder weniger gut begründet 2050 die Menschheit auf 10 – 11 Mrd. Menschen anwachsen sehen. Mit anderen Worten, der theoretisch verfügbare Freiraum, der jedem Menschen zusteht, hat sich unabhängig von persönlichen Umständen und Wünschen seit 1950 im Durchschnitt auf ein Drittel reduziert. Das erhöht den Stress untereinander, weil wir, ob wir es wollen oder nicht, enger zusammenrücken müssen. Gleichzeitig wachsen aufgrund des Klimawandels die ariden Zonen auf diesem Planeten und lösen dadurch erhöhte Migration aus.

Unsere hedonistischen Erwartungen haben sich dazu konträr entwickelt. Wir bemühen uns, jeder für sich, gegen diese gegenwärtig unausweichlichen Einschränkung an zuarbeiten. Das mag verständlich sein, geht aber zu Lasten einer Mehrzahl von Mitmenschen in anderen Regionen. Das wissen wir, sind aber in der Mehrzahl nicht ernsthaft bereit, dieser Tatsache durch eine Einschränkung unseres überbordenden Lebensstils Rechnung zu tragen.

Wir unterliegen einem grundsätzlichen Missverständnis hinsichtlich Beständigkeit und Veränderung. Aufgrund unseres Weltbildes glauben wir immer noch, dass es Dinge gibt, die ewigen Bestand verheißen. Wir setzen wider besseren Wissens immer wieder auf die Hoffnung einer irrealen Beständigkeit, obwohl wir aus der Geschichte wissen, dass nichts so bleibt wie es heute ist. Und wenn wir ehrlich sind, stehen wir vor einem gewaltigen Wandel, den manche merkwürdigerweise mit der fixen Idee nach dem Motto „Weiter so“ bewältigen wollen. Das ist ein Widerspruch in sich.

Wir haben in den letzten 100 Jahren zwei Perioden praktizierter Demokratie erlebt. Die Weimarer Republik ging bedauerlicher Weise im Nationalsozialismus und in einem schrecklichen Krieg unter. Die zweite Periode begann in der Nachkriegszeit mit der Wiederaufbauphase und hat uns einen bemerkenswerten Wohlstand und politische Stabilität beschert. Dabei folgen viele der Auffassung, dass diese Entwicklung nur erhalten bleibt, wenn sich die Politik den kurzfristig orientierten Regeln der Wirtschaft unterwirft, indem die Politik der Wirtschaft einen sehr weitreichenden Spielraum lässt. Aufgrund dieser Auffassung haben sich (der „Tyrannei der kleinen Entscheidungen“ geschuldet) in den letzten Jahrzehnten große, ungelöste Herausforderungen für die Politik aufgetürmt, deren Lösungsversuche unsere demokratischen Strukturen in Frage stellen werden: Ist die praktizierte Form unserer Demokratie überhaupt in der Lage, eine nachhaltige Lösung zu identifizieren und dann auch umzusetzen ohne ins Chaos zu stürzen?

Um Missverständnissen vorzubeugen: es geht nicht darum, die Demokratie durch eine andere Herrschaftsform abzulösen, sondern es geht darum, sich ernsthaft zu fragen, an welchen Stellen wir Defizite in unserer demokratischen Entscheidungsfindung ausgleichen müssen, um in die Lage zu kommen, den anstehenden Herausforderungen in einer relativ kurzen Zeitspanne von etwa zehn Jahren erfolgreich zu begegnen.

Politik und Wirtschaft denken entsetzlich kurzfristig: „nach mir die Sintflut“. Bei der Politik ist es u.a. eine Folge des Wahlmodus und die unreflektierte Übernahme ökonomischer Prinzipien in ihr tägliches Handeln. Die Parlamentarier brauchen kurzfristige Erfolge, um eine Wiederwahl als Abgeordneter innerhalb der Wahlperiode von 4 Jahren zu sichern. Bei der Wirtschaft ist die Kurzfristigkeit aufgrund der kapitalistischen Wirtschaftsform ideologisch bedingt. Um dieser verhängnisvollen Kurzfristigkeit zu entkommen, könnten wir z.B. die Wahlperioden verlängern (von 4 auf 6 Jahre), und/oder ein unabhängiges Gremium von Wissenschaftlern schaffen, das vom Parlament auf Zeit bestellt wird (vergleichbar mit den sogenannten „Wirtschaftsweisen“ oder dem Ethikrat). Das Gremium ist aufgefordert, regelmäßig zu den langfristigen Konsequenzen der jeweils angestrebten (formulierten) Politik unabhängig Stellung zu nehmen und heute erkennbare langfristige Konsequenzen des politischen Handelns aufzuzeigen und ernsthaft zur Diskussion zu stellen, um der „Tyrannei der kleinen Entscheidungen“ einen gesamtheitlich gültigen Rahmen gegenüberzustellen.

Um hier seriöse Ergebnisse zu sichern, muss die in der Wissenschaft inzwischen üblich gewordene Drittmittelfinanzierung eingeschränkt werden. Drittmittel stammen zu einem wesentlichen Teil aus der Wirtschaft und stellen die wissenschaftliche Unabhängigkeit nach der alten Kaufmanns-Regel „wer zahlt, schafft an“ in Frage. Unsere Wirtschaftsform ist Teil des Problems, also muss eine Finanzierung der Wissenschaft von dieser Seite her reduziert werden. In der Pandemie hat sich die verstärkte, aber unabhängige wissenschaftliche Unterstützung des politischen Handelns durch medizinische Erfahrung und auch die Unterstützung in ethischen Fragen m.E. sehr bewährt.

Die Politik muss für neue Ansätze der Problemlösung systematisch ihre Abhängigkeit von der Wirtschaft reduzieren. D.h. keine Zuwendungen bzw. Parteispenden über 500 Euro mehr, Akkreditierung und gezielte Reduzierung der Zahl der Lobbyisten auf allen politischen Ebenen (Bund, Land, Kommune). Die Aufgaben der Lobbyisten werden auf Meinungs- und Argumentationsaustausch beschränkt. Eine Mitwirkung bzw. eine Übernahme von Aktivitäten jeder Art ist untersagt. Gesetzgeberische Aktivitäten liegen künftig ausschließlich beim Parlament und ihrem angeschlossenen Dienst, und nicht bei internationalen Rechtsanwaltskanzleien. Die Dienste sind auszubauen und mit gut gezahlten Fachkräften auszustatten. Als Ziel muss eine „Waffengleichheit“ zwischen Politik und Interessenvertretern sichergestellt werden. 

Die Abgeordneten dienen ausschließlich der Allgemeinheit (ihren Wählern) und dem Gemeinwohl. Interessenvertretungen (Lobbyarbeiten) von und durch Abgeordnete sind grundsätzlich zu untersagen. Rechtsanwälte müssen bei ihren juristischen Nebentätigkeiten sehr darauf achten, dass sie ihre Abgeordnetenpflichten gegenüber der Allgemeinheit nicht verletzen. Sie können nicht zwei Herren gleichzeitig dienen. Wer dagegen offensichtlich verstößt, verliert sein Mandat.

Nebenverdienste von Abgeordneten, die sich aus ihrer Funktion als Abgeordnete ergeben, sind auf ein Fixum zu beschränken. Interessenkonflikte sind, soweit im Voraus erkennbar, auszuräumen. Das sind ein paar wenige Punkte, die aber einem Beobachter der Szene aufgrund der jüngsten Entwicklungen sofort ins Gedächtnis springen. Eine verstärkte Einbeziehung der Wissenschaft könnte insbesondere zur Folge haben, dass die Diskussionen über die notwendigen Veränderungen ein gewisses, vielleicht sogar ein verbessertes Niveau als üblich erreichen können. Derartige Stellungnahmen müssen so aufbereitet werden, dass sie die allgemeine öffentliche Diskussion erreichen können bzw. müssen es sich die Medien zur Aufgabe machen, derartige Stellungnahmen einer öffentlichen Diskussion zu zuleiten. Es gilt, die Meinungsführer zu erreichen, um dann den Entwicklungsprozess im Sinne einer sinnvollen, nachhaltigen Problemlösung mit begründeten Argumenten beeinflussen zu können. Diese Diskussionen über die langfristigen Perspektiven sollen sachbezogen und dürfen nicht partei- oder klientelbezogen geführt werden.

Zum Schluss ein paar wichtige Fragen, um die sich in öffentlichen Diskussionen scheinbar niemand kümmert: Die Zertifikate werden vom Staat verkauft. Als Gegenwert werden erhebliche Summen der Staatskasse zufließen. Was passiert damit? Gehen die Gelder in den Haushalt ein? Werden die Gelder separiert und als Fonds für bestimmte z.B. infrastrukturelle Maßnahmen Verwendung finden? Wer bestimmt über ihre Verwendung? Ließe sich darüber auch ein bedingungsloses Grundeinkommen oder Teile davon finanzieren? Es gibt nach meiner Kenntnis keine verbindlichen Antworten. Das muss schnellstens nachgeholt werden, sonst ist das Geld schneller „verpritschelt“ als wir glauben.

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Globalisierung – Was soll das heißen?

Die Globalisierung hat in der Pandemie und unter Trump (USA) schwer gelitten. Es stellt sich sogar die Frage, ob Globalisierung angesichts der politischen Entwicklungen (zunehmender Nationalismus, zunehmender politischer Autokratie, Klimakrise, Nord-Süd-Konflikt mit Migrationsfolgen) nicht Teil des Problems ist. Wir müssten uns fragen, was uns (oder allgemeiner den Menschen) Globalisierung nützt und was wir uns damit an Kosten und Zerstörung der Lebensgrundlagen einkaufen, wenn wir diese Entwicklung weiter forcieren.

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Selbst wenn wir zu der Erkenntnis kommen, dass sich volkswirtschaftlich die Globalisierung für manche scheinbar „rechnet“, so müssen wir doch die Frage stellen, wer den Nutzen letztendlich haben wird und wo die Schäden versteckt werden und zu wessen Lasten sich das Geschäftsmodell der Globalisierung auswirkt.

Globalisierung ist ein komplett abstraktes Konzept. Globalisierung ist im Grunde eine Regionalisierung, die auf den ganzen Planeten ausgedehnt wurde. Da kein Erdenbewohner sich den Planeten als Region vorstellen kann, weil es eben nur den einen Planeten gibt, ist das Konzept ein psychologisches „Unterseeboot“, das uns oberflächlich etwas vorgaukelt, was es aber gar nicht sein will. Es ist auch kein Markt im eigentlichen Sinne gleichberechtigter Partner. Die Globalplayer sorgen schon dafür, dass die Zugangsbarrieren so hoch sind, dass ein regelmäßiger Wechsel nicht in Frage kommt. Man bleibt bewusst unter sich und hat sich auf vertraglicher Basis eine besondere und „geschützte Spielwiese“ geschaffen.

Es wird deutlich, dass Globalisierung auch ähnlich funktioniert wie die Kolonialisierung vor knapp 200 Jahren. Globalisierung ist unverändert ein Herrschaftsspiel und kein Versorgungsspiel. Versorgung wird vorgeschoben, weil es besser klingt und es wird mit den vorteilhaften Produktionsbedingungen in Fernost oder sonst wo auf der Welt begründet. Die direkten Konsumkosten können mit der damit verbundenen Ausbeutung vorerst in Europa und USA verhältnismäßig niedrig gehalten werden.

Globalisierung steht und fällt mit einem funktionierenden Transportsystem. Der klassische Export bezieht sich schwerpunktartig auf Fertig- oder Endprodukte. Wenn nun Zwischenprodukte über weite Entfernungen zur Wahrnehmung von billigen Produktionsbedingungen hinzukommen, wächst die Bedeutung der Logistik überproportional für den Erfolg von Globalisierung. Die Voraussetzung für das Weiterbestehen einer funktionsfähigen Globalisierung ist ein billiges Logistiksystem. Die Kosten des Gütertransports müssen in dem Geschäftsmodell vernachlässigbar gering sein. Die angestrebten Ziele des Pariser Klimagipfels machen deutlich, dass absehbar die Logistikkosten wegen des CO2-Ausstosses rasant steigen werden. Heute stehen 25 Euro /to CO2 zu Buche, die jüngste Gesetzesänderung hat diesen Wert vor wenigen Tagen schon auf 45 Euro/to erhöht. Viele Kenner der Materie rechnen mit einem mittelfristigen Preis von 200 Euro/to CO2. Dann sind die Logistikkosten allein wegen der CO2-Belastung nicht mehr vernachlässigbar gering. Mit der Klimawende werden sich auch die Kalkulationsmethoden ändern. Die einzuberechnenden „externen Effekte“ werden die Logistikkosten zusätzlich hoch treiben. Vor diesem Hintergrund ist das Geschäftsmodell „Globalisierung“ früher oder später zum Scheitern verurteilt. 

China und Indien bauen gegenwärtig in schnellen Schritten ihren „Mittelstand“ auf, der dazu führen wird, dass der lokale Konsum wächst und dass das Interesse dieser Staaten an Billig-Export (mit geringer nationaler Wertschöpfung) für diese Länder deutlich sinken wird. Noch investieren die Globalplayer direkt in diesen Ländern. Aber die dort angesiedelten nationalen Mitgesellschafter und Zwischenhändler werden zahlreicher, deren Gewinnerwartungen steigen und damit werden auch die Importvorteile für Europa und den USA absehbar sinken.

Die Mängel der Globalisierung fielen uns zum ersten Mal erkennbar auf die Füße als wir feststellen mussten, dass eine Reihe von einfachen Bedarfsartikel nicht verfügbar waren, weil die Produktionsstätten in Billiglohnländer verlagert wurden und als dort mit der Pandemie auch der eigene Bedarf sprunghaft anstieg, der lokale Markt primär bedient wurde. Globale Probleme kann Globalisierung nicht lösen!

Das „schöne“ Bild von der Globalisierung wird mit friedlichem, zollfreiem Warenverkehr gemalt. Der aufkeimende Nationalismus in UK und USA ebenso wie in der EU zeigt dabei u. a. nationalistische Entwicklungen, die die Idee der „friedlichen“ Globalisierung zerstören. USA hat einen neuen Präsidenten, aber die schon seit Jahrzehnten (seit ca. 1920) geltende Devise „America first“ hatte nur in Trump einen besonders auffälligen Vertreter gefunden. Die Devise gilt schon immer und wurde von den jeweiligen Präsidenten nur moderater vorgetragen. Wenn aber das Bild von dem Austausch unter Gleichen auf Augenhöhe durch die nationalen Egoismen so klar in Frage gestellt wird, dann verkommt die „blauäugige“ Globalisierung zu einem schlichten Instrument verdeckter Machtpolitik.

Was ist denn gemeint, wenn von Globalisierung die Rede ist?

Von freiem Handel etwa? Das kann nicht sein: Wir hatten schon bei Einführung des Begriffs einen sogenannten Freihandel bei 98% der internationalen Umsätze! Was ist denn wirklich neu an der Globalisierung? Hierzu müssten wir wissen, wer den Begriff überhaupt ins Leben gerufen hat: das sind nicht die lokalen Produzenten, das sind auch nicht die mittelständischen international tätigen Produzenten, es sind ausschließlich die sogenannten „Globalplayer“(Großkonzerne). Das sind Firmenkonglomerate, die weltweit aktiv sind und denen die Eigenwilligkeiten und Besonderheiten der nationalen bzw. regionalen Märkte ein Dorn im Auge sind, weil sie ihnen erhebliche Kosten verursachen. Diese Kosten versuchen sie durch das Konzept einer Globalisierung der Märkte auszuräumen. Alles soll möglichst so gestaltet sein, dass die Globalplayer ihre Marktmacht ungehindert ausüben können. Der direkte Durchgriff ist das Ziel. Aus einem differenzierten, vielgestaltigen Marktgeschehen auf diesem Planeten soll eine radikale Vereinfachung der Abläufe und Vereinheitlichung der Produkte erzielt werden.

Ein wichtiger Gesichtspunkt der Globalisierung ist die Zerlegung der Produktion in Zwischenprodukte, in kleine abgrenzbare Einzelschritte, die man dann global dort ausführen lässt, wo die Kosten den Globalplayers am günstigsten erscheinen. Man nennt das Verfahren ‚verlängerte Werkbank‘. Die günstigen Kosten sind oft nur durch Minderung der Verarbeitungsqualität zu erkaufen; mit der Folge eines erhöhten Kontrollaufwandes oder der Akzeptanz von schlechter Verarbeitung. Das eine verursacht zusätzliche Kosten und das andere kostet Reputation (sofern man hier noch etwas zu verlieren hat). Bleibt man bei der verlängerten Werkbank, kann man grob abschätzen, welche Preisdifferenzen hier erzielt werden. Man kann Zwischenprodukte um die ganze Welt schicken und hat offensichtlich immer noch einen wirtschaftlichen Vorteil. Den Begriff der Ausbeutung wird man hier wohl nicht von der Hand weisen können. Man muss sich weiter vor Augen führen, wie oft die diversen Produktteile einen (weiten) Transport erfahren, von dem wir wissen, dass er viel zu billig vonstattengeht, weil er weltweit auf einer fehlerhaften Kalkulation basiert. Wichtige Rand- und Nebenkosten, die sogenannten „externen Effekte“, werden in die Kalkulation nicht einbezogen. Globalisierung zu echten Kosten und bei fairem Handeln wäre nie ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Globalisierung existiert auf Kosten der jetzigen und künftigen Lebensverhältnisse auf unserem Planeten.

Wir haben aktuell noch eine erfreuliche Markt- und Produktvielfalt. Globalisierung strebt aber „Einfalt“ an. Alles muss, so das Ziel, über den gleichen Leisten geschlagen werden können. Auch die Rechtsgrundlagen sollen vereinheitlicht werden – deshalb gibt es in Teilen eine private Rechtsprechung und es gibt private Handelsgerichte, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit u.a. in Washington tagen, deren Beschlüsse weder veröffentlicht noch öffentlich kommentiert werden. Die Globalplayer haben sich mit Hilfe von Investitionsschutzabkommen ihren eigenen Rechtsraum geschaffen, indem die Globalisierungsvertreter bestrebt sind, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gewissermaßen ein „Nebenregime“ auf Basis rein wirtschaftlich orientierter Normen auszubauen.

Die Verfassungen der nationalen Territorien und insbesondere die bürgerlichen Grundrechte als auch demokratische Verfahren stören das globale Geschäft. Deshalb werden diese öffentlichen Institutionen über eine private Rechtsprechung und entsprechend über eine eigene, zur Verschwiegenheit verpflichtende Gerichtsbarkeit ausgespielt. Das macht die überschaubare Zahl der Globalplayer unter sich aus. Sie verklagen ohne jeden Skrupel Staaten, wenn die Staaten sich in sogenannten Investitionsschutzabkommen auf bestimmten Rechtsgebieten leichtfertig den Regeln dieser Klientel unterworfen haben.

Konkret geht es gegenwärtig z.B. um den ETC-Vertrag, den 53 Staaten vor Jahren unterzeichnet haben, um den globalen Energieunternehmen vor staatlicher Willkür und Korruption einen Schutz zu bieten. Angesichts des legitimen und demokratisch gestützten Wandels in der globalen Energiepolitik im Rahmen der Klimakrise wenden die Energieunternehmen diese Vereinbarung nun an, um aus den absehbaren und wohl auch unabwendbaren Marktveränderungen durch die Klimakrise maximalen Profit zu schlagen, indem sie sich angeblich staatlicher Willkür ausgesetzt sehen. Die Verfahren laufen vor privaten Gerichten und sind überaus kostenintensiv. (RWE gegen Niederlande, Vattenfall gegen die BRD) Allein die Verfahrenseröffnung soll Kosten bis zu 8 Mio. Euro pro Fall auslösen. Welche nationale oder supranationale Institution sieht sich angesichts dieser vertraglichen Situation in der Lage, diesen Kreis von global agierenden Unternehmen öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen, ohne die Vertragsgrundlage aus dem Schutzabkommen zu verletzen?

Man fragt sich, warum niemand bei Vertragsabschluss des ETC-Vertrages die Brisanz dieses Vertragswerkes erkannt hat. Über die Gründe kann man streiten: m.E. ist dieses Vertragswerk eine Folge eines falschverstandenen Wirtschaftsliberalismus, nach dessen Verständnis immer alles richtig ist, was aus der Mitte der Wirtschaft entwickelt wird ohne die jeweilige Fragestellung mit einem guten Schuss Skeptizismus und Realismus zu Ende zu denken. Manche sprechen dann auch von der Tyrannei der kleinen Entscheidungen. Der Liberalismus kennt wie auch die davon stark beeinflusste ökonomische Theorie keine Machtfaktoren. Jeder solcher Verträge kann sich in sein Gegenteil kehren, also muss es immer eine relativ kurzfristige Ausstiegsmöglichkeit geben. Der ETC-Vertrag sieht hier 20 Jahre vor; im ökonomischen Umfeld kommt dies einer ‚Ewigkeit‘ gleich! Folgt man den Zielen der Bundesregierung, so wollen wir in ca. 20 Jahren klimaneutral sein! Wie soll das gehen, wenn man sich in der Vergangenheit zu solchen Verträgen hinreißen ließ. Da steht die Regierung sich doch selbst im Wege! Und zahlen muss das wieder mal der Steuerzahler!

Staatliche Führung und wirtschaftliche Führung

Noch ein weiterer Gesichtspunkt kommt zum Tragen: Das politische System, dass in Europa und in den USA über Verfassungen und demokratische Verfahren entscheidet und handelt, steht einem selbstgeschaffenen System der Globalplayer gegenüber, dem jede demokratische Legitimierung fehlt und das von Strukturen beherrscht ist, die man wohl als hierarchisch – autokratisch bezeichnen muss und dessen ausschließliche Orientierung auf finanziellen Erfolg den Einfluss des Systems systematisch prägt. Soziale Fragen, Fragen der Gerechtigkeit, Verteilungsfragen, Umweltfragen binden viele politischen Kräfte, aber für das Handeln dieser Unternehmen gewinnen diese Fragen – wenn überhaupt – nur marginale Bedeutung.

Mit anderen Worten, das System der Globalplayer ist aufgrund seiner Kapitalausstattung sehr machtvoll, aber auch sehr risikoanfällig, weil Logistikketten aus vielerlei Gründen zusammenbrechen können: denken wir nur an die Pandemie, wenn Flugzeuge plötzlich nicht mehr fliegen, ganze Industrien wegbrechen (Tourismus, Schiffsbau, Automobilbau, Maschinenbau), weil plötzlich alles stillsteht.

Globalplayer können nur auf die Macht ihres Kapitals vertrauen, denn unternehmerische Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zählen aufgrund ihrer Größe und Struktur definitiv nicht zu ihre Stärken. Deshalb stehen sie auch schnell auf der Matte, wenn das politische System in Notzeiten seine „Spendierhosen“ anzieht, um den ‚notleidenden‘ Industrien finanziell unter die Arme zu greifen. Meist versuchen sie ihre Marktmacht dahingehend auszuspielen, dass die Fälle von Veränderungen, in denen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefordert wären, erst gar nicht auftreten. Dieses Verhalten drückt natürlich entscheidend auf die wirtschaftliche Dynamik, die man kapitalistischen Systemen so gerne nachsagt.

Fazit

Mancher wird mir nun vorwerfen, als Gegner einer Globalisierung hätte ich etwas gegen internationalen bzw. freien Handel. Das wäre ein komplettes Missverständnis: solange der Handel fair und vielfältig vonstattengeht, hat er meine volle Unterstützung. Wenn es aber darum geht, den Markt zu strangulieren, einzudämmen, einfacher zu gestalten, damit das Kapital sich einseitig leichter durchsetzen kann, halte ich dagegen. Man muss auch sehr aufpassen, was die jeweilig andere Seite unter „Markt“ versteht. Der Markt der Theorie ist eine Veranstaltung unter Gleichen und Gleichgroßen, die sich auf Augenhöhe abspielt. Machtausübung ist diesem Marktmodell nicht vorgesehen. Es wird behauptet, diesbezüglich bestehe ein „Gleichgewicht“ oder so etwas Ähnliches, so dass man naiver Weise diese Einflussgröße vernachlässigen könne. Realiter ist der Markt aber genau der Ort, an dem heute die unterschiedliche Marktmachtfaktoren (Kapitalkraft, Marktanteil, Preisgestaltung, Werbepotenzial, u.a.) gnadenlos zwischen den Kontrahenten ausgespielt wird; und das geschieht nicht zum Vorteil des Konsumenten: Seine Rolle wird uns so verkauft, als ob er König sei, dabei ist er nur der naive Spielball im Spiel der Mächtigen.

Was könnte eine Alternative sein? Zurück zum menschlichen Maß könnte sich mit dem Leitgedanken einer Regionalisierung verbinden lassen. Darüber sollte man ernsthaft nachdenken.

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Verantwortungseigentum – eine Wende im politischen Diskurs?

Das Wort ‚Verantwortungseigentum‘ verbindet zwei ideologiebeladene Begriffe: einmal das Eigentum, das nahezu uneingeschränkt Grundlage unserer Wirtschaftsweise ist und zum anderen den Begriff der Verantwortung, dessen Definition und Inhalt deshalb fragwürdig ist, weil jeder darunter etwas anderes versteht oder verstehen will. Die Aussage „Verantwortungseigentum“ weist den Leser auch sofort auf seinen Gegenspieler: Es müssen offensichtlich und nicht nur vereinzelt verantwortungslose Eigentumsverwendungen existieren, sonst macht die Wortschöpfung keinen Sinn. Da sie politisch einigen Wirbel ausgelöst hat, scheint man damit einen wunden Punkt getroffen zu haben.

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Es geht mir im Folgenden nicht um die rechtstechnische Seite, die den Begriff Verantwortungseigentum in einem Gesetzesentwurf zur „GmbH mit gebundenem Vermögen“ konkretisiert hat. Die Initiatoren hatten eine Stiftung Verantwortungseigentum gegründet und sind im Jahr 2020 mit einem ersten, von Fachleuten entwickelten, Gesetzesentwurf an die Öffentlichkeit getreten. Die Medien haben diesen Vorgang aber kaum aufgegriffen. Die inhaltlichen Diskussionen haben dann im Mai 2021 zu einer überarbeiteten Version des Entwurfes geführt, die im Internet verfügbar ist. Der neue Entwurf hat möglicherweise wegen des Wahlkampfes die nötige mediale Beachtung gefunden.

Für mich als Beobachter der Wirtschaftsszene ist es viel überraschender, feststellen zu können, dass plötzlich (wieder) Begriffe erfolgreich zur Diskussion gestellt werden, die leider Jahrzehnte durch komplett andere Vorstellungen überdeckt waren:

Eigentum ist und war die „heilige Kuh“ des Kapitalismus. Kapitalismus ohne das Rechtsinstitut des Eigentums ist m.E. nicht denkbar. Zwar sagt unsere Verfassung in Art. 14,II GG, dass „Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen (soll)“, aber unsere reale, dem Kapitalismus zugewandte Wirtschaftsauffassung hat diesen Gesetzesauftrag in den letzten Jahrzehnten gerne und leichtfüßig übergangen. Jede Einschränkung des Eigentumsgedanken wurde weit von sich gewiesen. Mit Eigentum als Ausdruck einer absoluten Herrschaft über Dinge kann jeder verfahren, wie es ihm beliebt; auch zum Nachteil der Allgemeinheit, denn es bräuchte eine gewichtige Institution, die aufsteht und sich traut, vor dem Verfassungsgericht gegen den Missbrauch der ‚geheiligten‘ Eigentumsrechte zu klagen. Der Wortlaut des Grundgesetzes ist so allgemein gefasst, dass eine juristisch notwendige Präzision schwerfällt. Ich kenne keinen Fall, bei dem das Verfassungsgericht auf der Sozialbindungsnorm des Art. 14, II GG Eigentumsverwendungen nachhaltig eingeschränkt hätte.

Verantwortung, so meint man, sei eigentlich ein Wort aus einer fernen Vergangenheit. Das Merkwürdige ist, dass das Wort im 20-bändigen Meyers Konversationslexikon von 1921 keine Erwähnung findet. Auch im dreibändigen Dudenlexikon aus den 1970er Jahren findet sich hierzu kein Hinweis. Die englische Sprache kennt nur das Wort „responsibility“ (Verantwortlichkeit, Haftung). Erst in der deutschen Wikipedia taucht das Wort Verantwortung auf und die Erklärungen hierzu sind so schwurbelig (Zugriff Mai 2021), dass man nach dem Lesen mehr Fragen hat als vorher. (bei einem erneuten Zugriff am 30.9. erschien ein neuer Artikel)

Könnte es sein, dass dieses oft benutzte ‚gewichtige‘ Wort „Verantwortung“ gar keinen Inhalt hat? Was meint man denn mit Verantwortung? Man meint vermutlich den Sachverhalt, den das Wort „Verantwortlichkeit“ erschöpfend umschreibt! Man sagt gerne, dass er oder sie Verantwortung hat oder trägt. Aber was hat oder trägt man konkret? Kenner des Zen würden empfehlen: Wenn du Verantwortung trägst, dass stell sie bitte vor mir ab. Das führt den Begriff ins Absurde oder ins Leere und da gehört er m.E. auch hin.

Dann bleibt als Konkretisierung der Verantwortung nur Verantwortlichkeit. Und dieser Begriff findet sich dann sowohl bei Meyers‘ als auch im Dudenlexikon. Offensichtlich bewegen wir uns dann wieder auf ‚festem‘ Grund. Und Verantwortlichkeit ist schlicht Zurechenbarkeit. Wenn jemand eine Aufgabe übernimmt, dann wird er verantwortlich gemacht. Und wenn es fair geschieht, weiß er, wem er verantwortlich ist, wo seine Verantwortlichkeit sachlich beginnt und wo sie endet. Und in der Aussage ist auch die Erwartung enthalten, dass der Verantwortliche weiß, für was er verantwortlich ist. Und über dem Ganzen schwebt die Tatsache, dass man für Fehlverhalten ggfs. auch verantwortlich gemacht werden kann.

Was ist daran neu oder anders als bisher? Eigentum verpflichtet – sagt Art 14, II GG, mit Eigentum ist eine Verpflichtung oder sagen wir eine Verantwortlichkeit verbunden, die sich aus dem Wohl der Allgemeinheit ableiten lässt. Die Sache darf ich nicht einfach nur egoistisch als mein Eigentum ansehen und damit verfahren, wie ich will, sondern muss neuerdings anerkennen, dass Eigentum eine Klasse für sich ist, dass es eine Sache ist, deren Wert auch darin besteht, dass es möglichst lange bestehen bzw. erhalten bleiben soll. Es soll nicht Spielball kurzfristig wechselnder Interessen sein. Die Dauerhaftigkeit ist ein gewichtiger Teil der Nachhaltigkeit.

Wie war das bisher? Bei der Frage nach der Verantwortlichkeit wurde im ökonomischen Denken und Handeln auf den „Markt“ und auf die Devise der „kurzfristigen Gewinnmaximierung“ verwiesen. Das Handeln erfolgt marktrational und ist damit auf Kurzfristigkeit, einfachster Logik und völliger Verantwortungslosigkeit gegenüber den Marktteilnehmern aufgebaut. Ein marktlogisches Handeln kümmert sich nicht um die eventuell dysfunktionalen Folgen des momentan durch die Marktlogik hervorgebrachten Handelns. Solange der Handelnde sein Verhalten der Marktideologie unterwirft, ist er alle Verantwortlichkeit los. Solange er systematisch die kurzfristige Gewinnmaximierung verfolgte, wurde ihm signalisiert, du bist auf der richtigen Spur. Solange du einseitig den „shareholder‘s value“ für deine Aktionäre zur Richtschnur deines Handelns machst, bist du der ‚Held des Tages‘. Auf die Idee, dass dieses neoliberale Handlungsmuster u.U. verantwortungslos sein könnte, wären die Personen nie gekommen, es sei denn, sie hätten immer schon Zweifel an der Marktideologie gehabt. Aber man kommt i.d.R. nicht in die oberen Etagen der Wirtschaft, wenn man an dem Sinn seines wirtschaftlichen Handelns zweifelt. Dafür sorgt schon der Wettbewerb unter den vielen Kandidaten, die das gleiche Ziel verfolgen. Nachdenklichkeit ist im täglichen Wirtschaftsleben kein Erfolgsfaktor.

Das neue Konzept soll in erster Linie für den Mittelstand gelten, weil es für die börsenorientierte Finanzwirtschaft noch nicht denkbar ist. Die gegenwärtige Struktur der Finanzwirtschaft ist, so könnte man meinen, das glatte Gegenteil, weil die neue Gesellschaftsform der GmbH die Fungibilität von Gesellschaften einerseits und von Gesellschaftsanteilen andererseits grundsätzlich einschränkt bzw. darauf zielt, einen Handel mit Anteilen weitgehend zu unterbinden. Die neue Gesellschaftsform weist u.a. folgende Eigenschaften aus:

  • Anteile können nicht frei vererbt werden, sondern die Weitergabe benötigt die Zustimmung  der anderen Gesellschafter;
  • Im Grundsatz gilt: es können nur natürliche Personen Gesellschafter werden.
  • Wenn man als Gesellschafter ausscheidet, bekommt man so viel heraus, wie man ursprünglich als Einlage gezahlt hat, ähnlich wie bei Genossenschaften.
  • Gewinne werden reinvestiert oder gespendet, nicht ausgeschüttet. Wird die Gesellschaft aufgelöst, wird das Kapital gespendet oder geht an andere Gesellschaften des neuen Modells.
  • Investments sind weiter möglich, aber (nur) als Verträge. Investoren werden nicht primär Gesellschafter, sondern können sich nur schuldrechtlich oder vertraglich beteiligen über Genussrechte oder Nachrangdarlehen. Damit gilt auch: sie können (oder müssen, VF) irgendwann wieder aussteigen. (Übernahmen durch „Heuschrecken“ sind ausgeschlossen).
  • Gewinnabhängige Investmentvergütungen sind begrenzt und die Marktüblichkeit muss sichergestellt sein. Das Unternehmen darf nicht über Finanzierungsinstrumente oder Vertragskonstruktionen ausgenommen werden.
  • Gleiches gilt für Gehälter von Geschäftsführern oder Anreizprogramme. Sie müssen einem Drittvergleich standhalten[1].

Wer sich damit detaillierter auseinandersetzen will, kann im Internet die Stiftungsseite (https://stiftung-verantwortungseigentum.de/) aufrufen. Dort sind auch alle Gesetzesentwürfe erfasst und ausreichend kommentiert.

Für mich als Beobachter ist entscheidend, dass sich offensichtlich eine beachtliche Zahl von wirtschaftlich Interessierten durch diese neue auf Verantwortlichkeit gerichtete Sicht auf die Wirtschaft angesprochen fühlen. Eine Allensbach-Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass 72% der mittelständischen Familienunternehmen diese neue Rechtsform befürworten. Das ist für mich ein konkret gefasster Anfang zur Transformation unserer Wirtschaftsweise zu mehr Nachhaltigkeit. Aber zugegeben, es ist noch ein weiter Weg!

Klimawandel oder besser Klimakrise ist ein Thema, das lt. Medienberichten die Union gerne aus dem Wahlkampf heraushalten will. Es hat mir aber den Anschein, dass genau das Thema den Wahlkampf und insbesondere seinen Ausgang bestimmen wird. Wie das dann aussehen kann, haben wir an den jüngsten, wenig qualifizierten Äußerungen von Friedrich Merz erleben können. Es wird wohl eine ziemlich schmutzige Schlacht mit offenem Ausgang und vielen persönlichen Beschädigungen auf allen Seiten. Dabei wäre es viel sinnvoller, nach vorne zu blicken und problemorientiert zu handeln.

Wir leben gerade (Mai 2021) in einer Zeit des beginnenden Wahlkampfs und es wird nach wenigen Äußerungen der politischen „Granden“ offensichtlich, dass sich schon jetzt mindestens zwei gegensätzliche Lager „eingraben“: Die Grünen und die SPD sind angetan und fühlen sich durch das Konzept in ihrem Handeln bestätigt und die Union und die FDP wursteln lieber weiter wie bisher und warten auf die große Erleuchtung, wenn ihr Wahlkampfprogramm dann irgendwann herauskommt.


[1] Vgl. SZ vom 05.05.2021, S. 9

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Wachstum, „steady state“ und die Finanzen

Meine letzten Ausführungen haben einige Rückfragen ausgelöst. Offensichtlich ist vielen nicht klar, was sich hinter den täglichen Floskeln verbirgt, die oft leichtfertig verwendet werden. Ein großer Punkt war das Wachstum. Es ist verständlich, dass dieser zentrale Begriff im Zusammenhang mit einem „steady state“ zu Erklärungsbedarf führt. Wachstum gilt als der große Heilsbringer und niemand will ernsthaft bestreiten, dass diese Auffassung in gewissen Grenzen seine Berechtigung hat. Aber genau die Grenzen stehen jetzt zur Diskussion.

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Manchen ist nicht klar, dass unser Wachstumsbegriff ein expotenzielles Wachsen unterstellt. Wenn wir bei 100 starten und 1 Prozent Wachstum unterstellen, so ist der Bestand nach eine Jahr auf 101 gewachsen und ist jetzt wiederum Grundlage für 1 Prozent Wachstum auf der neuen Basis. Damit steigert sich die Grundlage auf 102,01 u.s.f. – und das ist eine Expotenzialformel in der Form f (xy). Das erklärt auch, warum Europa bzw. Deutschland nur noch in Ausnahmefällen hohe Wachstumsraten darstellen können – die Basis (unser finanzielles Wohlstandsniveau) ist inzwischen so hoch, dass hohe prozentuale Wachstumsraten unsere wirtschaftlichen Realzuwächse explodieren ließen bzw. unserem Wohlstand (was nicht gleichbedeutend mit Wachstum ist) aufgrund offensichtlicher ökologischer Fehlentwicklungen schaden würde.

Expotenzielles Wachstum ist in unserer Biosphäre nicht vorgesehen und führt, wenn es dennoch in simulierten Ausnahmesituationen zum Tragen kommt, zum Auslöschen der Population. Es wird in diesen Fällen eine gute Umwelt geboten und die beispielhafte Insektenpopulation vergrößert sich exponentiell wegen der guten Lebensumstände bis der Punkt (der „Peak“) kommt, an dem die Population so gewachsen ist, dass die vormals guten Lebensumstände in ihr Gegenteil umschlagen. Die Population stürzt genauso, wie sie expotenziell gewachsen ist, noch schneller expotenziell in sich zusammen, weil die Versorgungsgrundlage erschöpft ist. Die Population hat sich selbst ausgelöscht.

Dieses Experiment gelingt nur in einem geschlossenen System. Sobald das System offen ist, ist das nicht vorstellbar, weil dann andere Einflussgrößen hinzukommen und das Wachstum der Population beeinträchtigen. Gute Nahrungsgrundlagen ziehen Fressfeinde an und damit reguliert in einem offenen System sich die Sache von allein.

Betrachten wir unseren Planeten, so können wir feststellen, dass dieser Planet energetisch aufgrund der Sonneneinstrahlung ein offenes System darstellt, aber biologisch können wir diesen Planeten als geschlossenes System anzusprechen. Und wir sind dabei, Schritt für Schritt die „Peaks“ zu reißen. Das was im Experiment mit der Insektenpopulation innerhalb einer sehr kurzen Frist (innerhalb von Tagen) geschieht, dauert auf dem Planeten Generationen. Aber wenn wir weiter expotenzielles Wachstum zulassen, ist unser Schicksal als Art unter den heute bekannten Bedingungen ziemlich eindeutig. Alle Ausflüchte, die hierzu vorgebracht werden, wie Technologie, wie Innovation u.ä. übersieht, dass der Ressourcenverbrauch dadurch nicht zurückgenommen werden wird.

Und nun kommt der „Steady State“ ins Spiel. Vernunft und der Hinweis auf das Experiment nutzen wenig bis gar nichts. Diejenigen, die in der Wachstumsideologie ihre klaren Vorteile sehen, sind auch mit dem Hinweis auf die Problematik der kommenden Generationen nicht von ihrer Ideologie abzubringen. „Es ist ja bisher immer gut gegangen“ – dieser unbegründete Optimismus erschreckt und ist rational nicht nachzuvollziehen.

Wenn wir Wachstum also begrenzen wollen und müssen, so hat es wenig Sinn, an die Vernunft der Einzelnen zu appellieren. Das ist m. E. illusorisch. Das haben offensichtlich auch die vielen Wissenschaftler, die mit dem Thema befasst sind, erkannt und haben deshalb den CO2-Ausstoß als ‚die‘ markante Größe herausgestellt. Eine Reduzierung oder Plafondierung  dieses Ausstoßes, so die Überlegung, könnte auf die Wachstumsideologie durchschlagen und zur Abwendung des allmählichen Zusammenbruchs führen. Ergänzt wird diese Betrachtung durch einen Zertifikathandel, der schon aufgebaut wurde, um mit zusätzlichem Druck den Plafond des CO2-Ausstoßes der Wirtschaft als auch der Gesellschaft in kleineren oder größeren Schritten zu senken. Das Senken des Plafonds hat natürlich einen direkten Zusammenhang mit dem Wachstum: Wachstum ohne CO2 – Ausstoß ist zwar denkbar, aber absehbar nicht sehr realistisch. Steady State würde für eine Region oder sogar letzten Endes global den Ausstoß begrenzen. Unter dem vereinbarten Niveau ist wirtschaftliches Wachstum in kleinem Rahmen denkbar, denn der Plafond begrenzt ja nur den Gesamtzuwachs. Darunter sind durchaus Veränderungen zulässig und auch vorstellbar. Nur wenn der Deckel insgesamt sich hebt, wird es teuer und für die Wirtschaft sehr unattraktiv.

Das große Problem bleibt der Plafond. Er müsste nach unserem politischen Verständnis durch die Parlamente beschlossen werden. Und hier zweifele ich ernsthaft an der Fähigkeit unserer Politiker, diesen Plafond nachhaltig durchzudrücken und auch gegen die Macht der Konzerne und ihrer Lobbyisten durchzusetzen. Die Politiker stecken in einem selbstgeschaffenen System von fragwürdigen Abhängigkeiten, die in solchen Situationen der Legislative die Hände binden. Es geht ja nicht nur um die Einführung des Plafonds, es geht ja auch um dessen ständige Senkung bis auf einen Wert, den die Wissenschaft (und nicht die Politik) für unbedenklich für die weitere Entwicklung hält. Dabei müssen diese Senkungen frühzeitig bekannt gemacht werden, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich darauf einzustellen und sich anzupassen.

Die Vorstellung, dass man nur laut genug dagegen wettern muss, damit die Legislative den Widerspruch hört, kann und darf nicht mehr ziehen. Die ökologischen Freiheitsgrade, die wir vielleicht noch vor 50 Jahren hatten, haben wir im Laufe der letzten Jahrzehnte verspielt. Unser Handlungsspielraum ist deutlich enger geworden. Die Freiheit, in Grenzen das Tun und Lassen zu können, was einem Spaß, Erfolg oder Geld bringt, wird nicht grundsätzlich aufgehoben, es wird nur schwierig, den Spielraum zukunftsverträglich zu definieren. Und hier haben wir einen beträchtlichen Teil an Freiheit im wahrsten Sinne des Wortes „verspielt“, weil ich nicht den Eindruck habe, dass das mit dem nötigen Ernst mit Blick auf die kommenden Generationen erfolgt.

Der regelmäßige Einwand gegen diese Vorstellungen (insbesondere von Wirtschaftsvertretern thematisiert, die dabei auf Zeit spielen wollen) wird von jenen vorgebracht, die meinen, man müsse warten bis eine deutliche Mehrheit der Staaten dieser Erde für diese Form der Reduzierung gewonnen werden kann. Das ist keine Option. Wir können den Schwellen- und Entwicklungsländern nicht vorschreiben, auf etwas zu verzichten, das wir bis zur bitteren Neige ausgekostet haben. Also müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Als Folge werden viele CO2-lastige Produktionen dorthin verlagert werden, wo dieser CO2-Plafond noch nicht wirkt. Aber wenn diese Waren und Dienstleistungen dann auf unseren Märkten auftauchen, werden die CO2-Kosteneinsparungen der Produktionsverlagerung in Form von Importsteuern wieder aufgeschlagen. Es kann nicht sein, dass die Einsicht in den vernünftigen und richtigen Weg dazu führt, dass wir eine Mehrzahl der Produzenten verlieren. Die Globalisierung wird, wenn nicht schon jetzt, so künftig keine reale Option mehr sein. Deshalb ist es wichtig, die Regionen, die gemeinsam den Weg in eine CO2-reduzierte Zukunft einschlagen, möglichst groß und damit lebensfähig zu machen.

Die Billigproduktionen in Fernost müssen in Frage gestellt werden. Alles, was von dort zu uns kommt, wird künftig einer Importsteuer unterliegen müssen. Ob das dann noch so kostengünstig ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden und ist auch eine Frage der Größe der Region, die sich unter dem CO2-Plafond zusammenfinden wird. Je größer die Region, desto mehr Nachfrage-Macht und wirtschaftlichen Einfluss auf die Märkte wird der neue Weg künftig erhalten.

Wenn wir erkennen müssen, dass die Erwartung ewigen Wachstums der Vergangenheit angehört, werden wir künftig auch auf den Finanzmärkten eine Veränderung feststellen können. Noch gilt mit jeder Faser im Finanzmarkt das Postulat des Wachstums, das sich klar in der spekulativen Erwartung von Kurssteigerungen ausdrückt. Der Gedanke der Kurssteigerung hat sich im Finanzsystem so eingenistet, dass Dividenden bei Wachstumswerten nicht mehr zur Diskussion stehen bzw. dort, wo sie noch gezahlt werden, in die Kurssteigerungen hinein verrechnet werden. Schaubilder zu den Verläufen von Aktien erwähnen mit keinem Wort die Tatsache, dass immer noch eine beachtlich große Anzahl von Börsenunternehmen auch Dividenden ausbezahlen. Man kann sogar unterschwellig feststellen, dass das Zahlen von Dividenden mit wenigen Ausnahmen in den Augen der Analysten eher als „Schwäche“ (im Sinne von veralteten Geschäftsmodellen) ausgelegt wird, weil man glaubt, nur die Spekulation sei das Huhn, das letztlich goldene Eier legt. Wenn durch den CO2-Plafond die Wachstumschancen generell gedeckelt werden, ist natürlich auch die Spekulation als eine Ausdrucksform von Wachstum davon betroffen. Einmal muss das Narrativ der Geldanlage in Aktien und vergleichbare Papiere neu geschrieben werden, weil die Hoffnung auf ein ewiges Wachstum nicht mehr ernsthaft vertreten werden kann. Zwar werden dem Wachsen der Finanzwirtschaft keine unmittelbaren Grenzen gesetzt, aber die Realwirtschaft, auf der die Finanzwirtschaft letztlich aufsetzt, lässt die Erwartungen schlicht schrumpfen. Bei dieser Gemengelage erscheint mir eine Renaissance der Dividende eine (zwar bescheidene, aber sichere) Alternative zur Spekulationsrendite zu sein. Niemand weiß, wie sich die Renditenerwartungen verändern werden. Dass sie sich aber als Folge der CO2-Plafondierung verändern werden, kann als sicher angenommen werden.

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Ist Wirtschaften unter „steady state“ möglich?

Die Frage wurde im „Real-World Economics Review Nr. 95“ aufgeworfen und der Autor Theodore P. Lianos, Athen, hat versucht, die Frage unter sehr eingeschränkten Modell-Bedingungen für ein kapitalistisches System zu beantworten. Die Modelle, mit denen er in dem Artikel arbeitet, sind hoch abstrakt und haben mit der „real world“ m.E. nichts mehr zu tun.

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Daraus eine Antwort auf die oben angeführte wichtige Frage ableiten zu wollen, erscheint mir aufgrund des fehlenden Realitätsbezugs und der Verwendung weniger hochaggregierter Variablen sehr vermessen. Es bleibt die Frage, ob diese Aggregationen überhaupt in der Lage sind, eine differenzierte Aussage zu treffen, bei der nicht nur die „schönen“ Modelle verifiziert werden, sondern harte Fakten und reale Zusammenhänge erkennbar werden.

Das gleiche Problem trifft auch die Mainstream-Ökonomie, die nicht müde wird, zu behaupten, dass das bestehende Wirtschaftssystem angeblich ohne Wachstum nicht funktionieren kann. Auch hier werden Begründungen aufgrund von Modellen ‚gebastelt‘, die bei näherer Betrachtung so nicht stimmen können. Die Lösung, auf die der Mainstream bei allem Modell-Gerassel insgeheim hofft, ist die Abkopplung des Wachstums vom Ressourcenverbrauch.

Das ‚Märchen vom Abkoppeln‘ wird schon seit dreißig oder vierzig Jahren erzählt. Die Hoffnung ist aber unbegründet, weil physikalisch nicht darstellbar. Eine leichtfertig positive Beantwortung wäre zudem fahrlässig, weil die richtige Einschätzung mittelfristig für die künftigen Generationen existenziell wird.

Seit mindestens 40 Jahren bemüht sich die Ökonomie die vermeintlichen Fesseln der Politik erfolgreich abzustreifen. Das Bemühen lief und läuft unter der Fahne der „Freiheit vom politischen Imperativ“. Die Ökonomie glaubt sich zusätzlich in der Lage, die Aussage treffen zu können, dass ewiges Wachstum möglich ist. Und nun wird dieses „Königreich“ mit der banalen Frage konfrontiert, ob es sich auf „steady state“ reduzieren könne. Das muss den Hohepriestern der Ökonomie wie Blasphemie in den Ohren klingen. Eine Lösung dieser Frage stellt so viele Dogmen der Ökonomie in Frage, dass man nicht erwarten darf, dass ein sinnvoller Lösungsvorschlag von Seiten der Ökonomie möglich ist.

Unter „steady state“ versteht man allgemein ein Fließgleichgewicht eines definierten Systems. Zuflüsse und Abflüsse saldieren sich mit geringer Schwankungsbreite. Konkret würde das in einem kapitalistisch wirtschaftenden System bedeuten, dass das System tendenziell über den Zeitverlauf kein Wachstum aufweist. Die von Theodore Lianos aufgeworfene Frage ist angesichts der ökologischen Begrenzungen des Wachstums eine sehr berechtigte Frage, von deren richtiger Beantwortung unsere weitere wirtschaftliche und existenzielle Entwicklung abhängt.

Ich halte es für überflüssig die Frage ausschließlich durch die Brille des real bestehenden Kapitalismus zu betrachten. Die Herausforderung liegt doch nicht darin, eine kapitalistische oder eine sozialistische Lösung zu finden. Bei der allgemeinen Ratlosigkeit wäre es zielführend, primär überhaupt eine Lösung zu entwickeln, die den Namen verdient. Da ein existenzielles Problem gelöst werden soll, kann doch die Frage, ob die Lösung eher kapitalistisch, sozialistisch oder sonst wie gefärbt ist, nur Nebensache sein.

Wenn sich konkret herausstellen sollte, dass ein Nullwachstum mit einer kapitalistischen Vorgehensweise nicht vereinbar ist, dann ist es so. Es geht nicht um die Erhaltung eines unreflektierten Systemanspruchs, es geht um die Menschen. Dieser Anspruch scheint in den wirtschaftspolitischen Diskussionen völlig verloren zu gehen. Wir machen vielfach den Fehler und setzen „Begriffe an die Stelle der Wirklichkeiten, Gedanken an die Stelle der Erfahrung, das System an die Stelle des Lebens.“ (D. T. Suzuki, Leben aus Zen, S.38)

Wirtschaften ist ein sozialer Prozess und kann auf vielerlei Weise erfolgen. Der soziale Prozess war und ist immer durch Menschen gestaltet. Das mögen jene, für die das gegenwärtige System des Wirtschaftens große Vorteile bringt, nicht gerne hören. Sie versuchen der staunenden Zuhörerschaft zu vermitteln, dass das bestehende System eine „Schöpfung der Natur“ sei und die Prozesse in dem System deshalb nicht verändert werden dürfen.

Wenn im Stadium eines „Steady State“ auf nationaler Ebene (oder globaler Ebene) kein Wachstum stattfinden soll, so heißt das nicht, dass in dem gedeckelten System jegliche Dynamik des Wirtschaftens „erlahmt“. Es gibt unterhalb der nationalen (globalen) Ebene Branchen, die „brummen“ und es gibt Branchen, die harte Zeiten erfahren. All das zusammen ist dann die statistische Aggregation Bruttoinlandsprodukt und Grundlage zur Messung von Wachstum. Wachstum ist im Kern eine schlichte Formel, die (i.d.R.) positive Veränderung des Bruttoinlandsproduktes (BiP) des laufenden Jahres gegenüber dem BiP des Vorjahres in Prozent ausgedrückt, mehr nicht.

Wenn wir Wachstum begrenzen wollen oder müssen, um einen nachvollziehbares Fließgleichgewicht (Steady State) herbei zu führen, müssen wir dem Begriff des Wachstums näher rücken und stellen fest, dass der Begriffsinhalt sich in einer simplen Formel erschöpft. Wachstum ist also kein Begriff, der zur Definition eines Fließgleichgewichts taugt. Wir müssten inhaltlich auf das Bruttoinlandsprodukt zurückgreifen und stellen auch da fest, dass es sich nur um einen kategorialen Sammelbegriff handelt, der bei seiner Analyse in so viele Einzelhandlungen zerfällt, dass eine gezielte Reduktion auf ein Fließgleichgewicht zu gewaltigen Durchführungs- oder Umsetzungsproblemen führen wird. Damit ist die Ökonomie m. E. am Ende mit ihren Beiträgen.

Ein entlastender Beitrag könnte aus der naturwissenschaftlichen Ecke kommen. Die Ökonomie denkt (leider) immer nur in ihren selbstgeschaffenen ‚Denkschachteln‘. Let‘s think out of the box: Was gilt als ein wirklich kritischer Wert hinsichtlich unserer ökologischen Entwicklung? Das ist nach heutiger Erkenntnis z.B. die CO2-Freisetzung, die wir aus guten Gründen glauben, drastisch einschränken zu müssen. Und die absehbare Lösung sieht die Plafondierung und die einvernehmlich planvolle Absenkung des CO2 Kontingents für die Wirtschaft vor.

Dabei könnte eine marktwirtschaftlich orientierte Methode helfen: Über den Zertifikatehandel, als Markt konzipiert, verbunden mit einer strikt sinkenden Plafondierung des national zulässigen Maximalausstoßes von CO2, wird das klassische Wachstum laufend teurer gemacht. Dabei laufen zwei Entwicklungen zusammen: Die planmäßige Reduktion des absoluten Ausstoßes von CO2 durch die Politik lässt bei zunehmender Knappheit der Zertifikate den Preis der CO2-Zertifikate stark, schnell und nachhaltig steigen.

Wer unter den neu geschaffenen Bedingungen „wachsen“ will, muss am besten kein CO2 ausstoßen oder muss sein Wachstum zu ständig steigenden CO2-Preis finanzieren. Wachstum als Maßstab des wirtschaftlichen Erfolgs könnte sich auch als überflüssig erweisen, weil die Wirtschaft in Anpassung an die neu entstehende Situation andere, eventuell sogar sinnvollere Parameter entwickeln wird, um künftig ökonomischen und ggfs. sogar ökologischen Erfolg allgemein messbar und beschreibbar zu machen.

Die Gewinnmaximierung wird dann eine Strategie sein, die bei den beschriebenen Randbedingungen (der Plafonierung) viel zu hohe Kosten und ein zu hohe Risiko auslösen wird, um dieses Ziel weiter zu verfolgen. Ohne das ausdrückliche Gewinnmaximierungsziel wird auch der überzogene Wettbewerbsgedanke auf ein „menschliches“ Maß zurückgehen. Das menschliche Maß pflegt neben dem Wettbewerb insbesondere die Kooperation, (die wir bisher gar nicht messen können oder wollen, weil sie nicht ins Konzept des gegenwärtigen Wettbewerbsverständnisses passt).

Die allgemeinen Renditeerwartungen werden drastisch sinken, weil die Maßnahmen zur Vermeidung von CO2 zusätzlich hohe Kosten auslösen werden. Die Lebensdauer von Investitionen wird sich im Gegenzug wegen der steigenden Kosten deutlich verlängern. Reparaturen werden wieder attraktiv und lassen sich zu einem Geschäftsmodell ausbauen. Damit schält sich so etwas heraus, was einer Vorstellung von ökologischer Nachhaltigkeit nahekommt. Lediglich bei der Effizienz scheinen unverändert hohe Ansprüche bestehen zu bleiben, weil durch die veränderte Kostenstruktur nur dann ein Überschuss erzielbar scheint, wenn effizient, d.h. kostengünstig, gearbeitet wird.

Wir haben oben damit begonnen, einen „Steady State“ Zustand als Ziel ins Auge zu fassen. Wir haben weiter festgestellt, dass die Ökonomie sich aufgrund der Art ihrer meist statistischen Variablen schwertut, eine sinnvolle Lösung aus ihrem Werkzeugkasten heraus zu entwickeln. Ein sinnvoll erscheinender Lösungsbeitrag stammt letztlich aus der Physik und ist konkret genug, das Problem in seien Auswirkungen zu beschreiben. Die Umsetzung des Lösungsbeitrages im Rahmen des bestehenden Systems erscheint dann wieder in der wirtschaftlich effektiven Form der Zertifikate möglich.

Es sollte aber niemand glauben, dass bei diesem Umbau mittelfristig alles beim Alten bleiben wird. So wie ich es versucht habe, darzustellen, dass die Ideologie der Gewinnmaximierung fallen wird, werden auch andere „heilige Kühe“ des Kapitalismus geschlachtet werden müssen. Ob das im Ergebnis noch der Kapitalismus ist, den wir seit Jahrzehnten so ’folgenreich‘(!) betreiben, erscheint mir fraglich.

Durch die Plafondierung des Zertifikatvolumens als Maßnahme der Politik (wer sollte es sonst tun können) wird künftig von dort das Ziel des Wirtschaftens neu bestimmt. Die heutige Annahme der Wirtschaft, dass ewiges Wachstum möglich und sinnvoll ist, wird mit der Plafondierung offiziell aus dem Verkehr gezogen. Und die Politik bekommt die einmalige Chance, das verlorene politische Terrain in der Ökonomie wieder erfolgreich zu besetzen. Ob sie den Machtzuwachs im Sinne des Gemeinwohls sinnvoll zu nutzen weiß, bleibt abzuwarten.

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Die Welt neu denken (3)

Die Welt neu denken heißt auch, die Art und Weise, wie wir wirtschaften, einer grundlegenden Kritik zu unterziehen, um Ansatzpunkte zu finden, wo eine Lösung liegen könnte. Aus der Vielzahl von möglichen Ansätzen nur ein paar Gesichtspunkte:

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Was verstehen wir unter ‚wirtschaften‘? Rückblickend war Wirtschaften ein kluges Haushalten mit den Dingen, die wir der Natur entnehmen können. Klug zu handeln bedeutete, nicht mehr zu entnehmen als nachwächst. Das gilt insbesondere für die Zeit, als Wirtschaft wesentlich durch Landwirtschaft und Handwerk bestimmt war. Der Mensch war dabei das Maß aller Dinge.

Diese Epoche endete um 1750 mit Beginn der technologischen Entwicklung einerseits und der kapitalistischen Wirtschaftsweise andererseits. Beide Entwicklungsstränge bedingen einander. Der Aufbau großer Anlagen lassen große (Klumpen-)Risiken entstehen und erfordern enorme Finanzmittel. Der Staat war einer der Garanten dieser Entwicklung.

Als dritter Faktor kommt die Aufklärung hinzu, eine intellektuelle Befreiung vom Joch der Religion, das im Übrigen zwar breite Kreise der Gebildeten „befreite“, aber von der Mehrzahl der Bürger gar nicht verstanden wurde. Die Lücke, die der Wegfall der Religion riss, wurde auf intellektuellem Gebiet durch die Philosophie mit teilweise fragwürdigen Konzepten geschlossen.

Im Rahmen der Kapitalismus stützt sich die Entwicklung schwerpunktartig auf den Utilitarismus, der sich vereinfacht als „Kaufmannsethik“ (R. D. Precht) eng mit dem wirtschaftlichen Handeln verknüpfte und den umfassenden Gedanken des ‚klugen Haushaltens‘ unter den Primat eines schieren Nutzens einzelner Individuen stellt. Der Nutzen gilt als die Größe, deren Menge angeblich mit der Höhe des menschlichen Glücksempfindens korreliert. Vereinfacht ausgedrückt: Viel Nutzen schafft nach dieser Auffassung viel Glücksgefühl. Glück ist danach kein besonderer Ausnahmezustand mehr, sondern gilt schlicht als reproduzierbar.

Der Nutzen ist ein abstrakter Begriff. Im täglichen Leben wird er gewöhnlich in der Maßeinheit des Geldes gemessen. Als Folge kann man den Schluss ziehen, dass Nutzen, Glück und Geld nur die verschiedenen Seiten der gleichen Aussage darstellen. Ob diese Entwicklung ein sinnvoller Ansatz ist, lohnt sich hier nicht zu diskutieren; die Auffassung hat sich leider faktisch durchgesetzt.

Mit dem klugen Haushalten war eng die Erwartung verknüpft, die Menschen mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Und es brauchte Geld in seiner Funktion als Tauschmittel, um den Warenverkehr zu erleichtern. Wenn diese Erwartungen für breite Bevölkerungsschichten gesichert werden konnten, war eine wesentliche Voraussetzung für Wohlstand erreicht. Man kann dieser Form von Wirtschaften den Begriff einer ‚Versorgungswirtschaft‘ zuordnen.

Eine Versorgungswirtschaft kommt dann an ihr Ziel, wenn sichergestellt werden kann, dass alle oder doch eine Mehrzahl der Bürger mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen versorgt sind. Solange Hunger oder offene Armut in einer Versorgungswirtschaft auftritt, kann das Ziel des allgemeinen Wohlstands nicht erreicht sein.

Der Kapitalismus kennt das Ziel einer Versorgung nicht; Versorgung ist eher ein unvermeidliches Kuppelprodukt, das die kapitalistische Wirtschaftsform nebenbei hervorbringen soll. Auch Wohlstand ist aus dem Blickwinkel des Kapitalismus kein anzustrebendes Ziel. Der Kapitalismus hat sich komplett von einer ethischen Ziel-Qualität entfernt und preist im Rahmen der Kaufmannsethik nur quantitative (rechenbare) Ziele: Wachstum, Wettbewerb, Effizienz und Rendite. Der Wohlstand wird auf eine drittklassige Forderung heruntergestuft: Er soll angeblich über den Trickle-down-Effekt bedient werden. Die breiten Bevölkerungsschichten sollen sich mit den ‚Brosamen‘ vom Tisch der ‚Reichen‘ zufrieden geben. Es gibt aber keinen Nachweis dafür, dass das jemals funktioniert hätte. Es ist ein ‚nettes‘ und oft scheinbar überzeugendes Narrativ, mit dem man die Gemüter seit Jahrzehnten immer wieder beruhigen und auf eine unbestimmte, aber ‚goldene‘ Zukunft vertrösten kann.

Statt dem ‚klugen Haushalten‘ in einer ‚Versorgungswirtschaft‘ hat sich der Zweck des kapitalistischen Wirtschaftens grundlegend geändert: Die Wirtschaft versorgt nicht mehr primär mit Gütern und Dienstleistungen, sondern die Wirtschaft hat ein System geschaffen, an dem man teilhat, um in erster Linie Geld zu verdienen (egal womit). Vermittels des Geldes wird dann ggfs. eine Versorgung sichergestellt: wer kein Geld hat, egal aus welchem Grund, hat keine Versorgung, d.h. konkret, er kann am Markt gar nicht teilhaben. Ich würde deshalb unser gegenwärtiges System als eine Form der ‚Geldwirtschaft‘  bezeichnen. Insbesondere deshalb, weil nicht mehr die Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Vordergrund steht, sondern das Geld neben seiner Rolle als Tauschmittel selbst zur Ware geworden ist. Das System benutzt gezielt das Geld als Mittel, um daraus mehr Geld zu machen.

Eine Versorgungswirtschaft ist immer Realwirtschaft. Es braucht Ressourcen und es braucht ein Wissen um die Umstände und Grenzen der Produktion. Geldwirtschaft in eigentlichen Sinne braucht als Rohstoff nur Geld, und das wird bei Bedarf gedruckt oder durch Buchungssätze geschaffen. Geld hat aber keinen ‚inneren‘ Wert. Geld ist nur eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten, dass Geld einen bestimmten Wert haben soll. Wenn die Vereinbarung aus irgendeinem Grunde platzt, ist das Geld schlagartig nicht mehr existent bzw. wertlos. Das kann im Grunde sehr leicht geschehen, wird aber wegen seiner verheerenden Folgen für die Gesellschaft zu verhindern versucht (siehe die letzten Wirtschafts-Crashs).

Realwirtschaft ist an einen klaren Ressourcenbedarf gebunden. Hier ist die Endlichkeit erkenn- und vermittelbar. Wenn wir aber Geldwirtschaft betrachten, so vermittelt sie das Gefühl, es gebe keine Grenze – das ist der trügerische Traum vom unendlichen Wachstum, abgekoppelt von jeder Endlichkeit, denn Geld drucken geht prinzipiell immer. Es braucht nur einen Schuldner (denn einer muss zumindest pro forma dafür gerade stehen) und die öffentlichen Hände stehen hier trotz Schuldenbremse wohlfeil zur Verfügung, weil die kurzfristige Sorge eines Crashs die Frage, wer das Geld mittelfristig wieder zurückzahlen soll, an die Wand drückt.

Das neu geschaffene Geld oder besser – die Schuld, die entstanden ist, müsste nach herkömmlichen Grundsätzen zurückgezahlt werden. Aber von wem und von was? Die öffentlichen Hände haben das geschuldete Geld für Infrastruktur oder Krisenabsicherung in den Wirtschaftskreislauf gepumpt und dort diffundiert das Geld langsam, aber sicher von den unteren Einkommensschichten in die oberen Einkommensschichten. Ist es „oben“ angekommen, sollte es idealerweise investiert werden (so die ‚Theorie‘), es wird aber in praxi gehortet oder ins Finanzkasino überführt. Auf diese Weise schafft das zusätzliche Geld keine volkswirtschaftlich sinnvolle Produktivität, die für alle eine Chance bereithalten könnte, sondern verschafft den Wohlhabenden nur eine Chance auf eine signifikante finanzielle Zusatzrendite.

Thomas Piketty schlägt deshalb vor, genau diese Vermögen mit einer moderaten, aber progressiven Steuer zu belegen. Sie müsste einen erheblichen Freibetrag aufweisen (z.B. 2 Mio. Euro p.P.) und würde somit nur große Vermögen besteuern. Die Bewertung sollte künftig zu Marktwerten erfolgen. Die abgeschöpften Beträge könnte der Staat ggfs. zur Tilgung der Schulden verwenden bzw. für investive und insbesondere nachhaltige Infrastrukturaufgaben zur Verfügung stellen.

Die damit fälligen Steuererklärungen würden es möglich machen, die Vermögensstatistik in Deutschland wieder auf eine reelle Grundlage zu stellen. Die gegenwärtigen Zahlen fußen auf Vermögenserfassungen aus den 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts als die Vermögensteuer ausgesetzt wurde. Seit dieser Zeit weiß man in Deutschland nichts Genaues über die vermögende Klientel.

Die Ausführungen des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung würden seinem Namen dann besser gerecht werden können und die Wirkungen der ‚Umverteilungsmaschinerie‘ unseres Systems (von unten nach oben) würden einfacher nachweisbar und vermittelbar werden. Das ist nicht unbedingt der Wunsch dieser vermögenden Klientel. Es könnte so mancher Wirtschaftsmythos entschleiert werden.

Die Besteuerung ist der Lösungsansatz mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, weil keine neuen Ideen verwirklicht, sondern nur etwas durchaus Bewährtes (mit ein paar notwendigen Anpassungen) wieder aktiviert wird. Eine progressivere Lösung läge darin, die Realwirtschaft zu Lasten der Geldwirtschaft zu fördern. Dazu müsste man das allgemeine Spekulationsrisiko in der Geld- bzw. Finanzwirtschaft künstlich erhöhen, ähnlich dem Verhalten des Kasinos, indem dafür gesorgt ist, dass mehrheitlich die Bank (hier das Gemeinwesen) ‚gewinnt‘ und die ‚Spieler‘ das erhöhte Risiko achselzuckend in Kauf nehmen müssen (und viele zocken trotzdem). Diese Vorgehensweise würde die Auswüchse in der Finanzwirtschaft eindämmen und für die großen Vermögen die Chancen auf schnelle und hohe Zusatzrenditen reduzieren. Es könnte dazu beitragen, dass diese Vermögen für die Allgemeinheit wieder produktiv werden, was letztlich das Ziel sein müsste.

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Die Welt neu denken (2)

Die Aufforderung, die Welt neu zu denken, geht ja nicht davon aus, dass wir uns eine neue Welt ausdenken sollen, sondern stellt sich die Frage, ob wir die Welt, wie wir sie zu erkennen glauben, nicht auch unter einer anderen Perspektive sehen können. Dabei gibt es mindestens zwei diametrale Ansätze: einerseits das klassische „Weiter so“ (in den gewohnten Bahnen) einer eher konservativen Haltung (und der vagen Hoffnung, die Technologie wird uns schon vor dem Schlimmsten bewahren) und andererseits einen Ansatz, der sich aus der Erkenntnis ergibt, dass wir die Erhaltung eines lebenswerten Planeten unter der Prämisse: „weiter so“ nicht werden erreichen können.

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Die Wissenschaft und eine Mehrzahl der Bürger haben begriffen, dass das „Weiter so“ schlicht keine Option sein kann. Der große Lösungsansatz wird mit ‚Nachhaltigkeit‘ umschrieben, wobei über den Inhalt des Begriffs je nach politischer Couleur und/oder finanziellem Interesse eine wilde Auseinandersetzung tobt.

In einer Diskussion fiel so nebenbei eine Bemerkung von Maja Göpel, dass wir über das Ziel weniger im Dissens sind als über die Maßnahmen, wie das Ziel erreicht werden kann. Wir können davon ausgehen, dass sich unsere gegenwärtige Wirtschaftsform und Nachhaltigkeit weitgehend ausschließen. Das liegt u.a. an der Kurzfristigkeit überzogener Gewinnerwartungen und einem überdrehten Wettbewerbsverständnis einerseits und andererseits an der kurzfristigen Wahrnehmung der politischen Aufgaben, die selten bewusst über einen Horizont einer vier- oder fünfjährigen Wahlperiode hinausreicht, gleich gar nicht für die nächste(n) Generation(en).

Es gibt aber überall erfolgversprechende Ansätze, bei denen Nachhaltigkeit systematisch praktiziert wird. Damit diese Sonderfälle erkannt und verstanden werden, erwartet gegenwärtig die Politik unsinnigerweise, dass diejenigen, die mittelfristig den ‚richtigen‘ (weil nachhaltigen) Weg gehen, sich einer Zertifizierung unterziehen lassen müssen, verbunden mit einem erheblichen Finanz-, Zeit- und künftigen Kontrollaufwand.

Diejenigen, die „konventionell“ (nach der Devise: weiter so) arbeiten, sind frei von jeder Überwachung und frei von zusätzlichen Aufwendungen. Selbst unsere Grenzwerteüberwachungen werden im Hinblick auf die konventionelle Landwirtschaft extrem lax gehandhabt. Wenn wir etwas als richtig erkannt haben (wie „Nachhaltigkeit“), so wäre es doch auch politisch überaus sinnvoll, diejenigen, die dieser Strategie bewusst folgen, zu belohnen und jene, die unverändert am Falschen festhalten, von der Belohnung auszusparen?

Was heißt das konkret? Betrachten wir das, was wir unter ‚Bio‘ oder ‚Öko‘ in der Landwirtschaft verstehen. Der Bio-Landwirt, der im Grunde das nachhaltig Richtige veranlasst, muss sein Bio-Label zertifizieren lassen, muss Geld in die Hand nehmen, um seinen Hof umzustellen und wird regelmäßig kostenpflichtig kontrolliert. Der konventionelle Landwirt, der sich hinsichtlich Nachhaltigkeit zu nichts verpflichtet, bleibt unbehelligt. Ist das eine richtige und akzeptable Priorität?

Müsste es nicht so sein, dass derjenige, der die Nachhaltigkeit wahrnimmt und lebt, der künftige Normalfall sein müsste. Der konventionell arbeitende Landwirt müsste sich konsequenter Weise für jede Anwendung von Mitteln der Agrochemie eine Lizenz ziehen und müsste jeweils regelmäßig begründen, warum er welche Menge von Chemie auf seinen Feldern ausbringt. Er ist doch derjenige, der unsere Zukunft in Frage stellt, nicht der Biolandwirt.

Wir müssen die Wahrnehmung von Problemen „stürzen“ (vom Kopf auf die Füße stellen): Nicht der Biobauer muss sich mühsam für seinen eingeschlagenen Weg erklären (dessen Weg der grundsätzlich richtige ist), sondern diejenigen, die die Nachhaltigkeit leichtfertig in Frage stellen, müssten erklären, warum sie die Nachhaltigkeit nicht wahrnehmen wollen oder können.

Es gibt im Übrigen eine beachtliche Zahl von Landwirten, die ihren Hof nachhaltig bearbeiten ohne, dass sie ein Bio-Label oder Vergleichbares aufzuweisen haben. Der Normalfall muss der „nachhaltig arbeitende Landwirt“ sein und der ‚konventionell‘ arbeitende Landwirt kann grundsätzlich weiter arbeiten, hat aber die Erschwernis, regelmäßig Lizenzen ziehen zu müssen, um Agrochemie in seinem Betrieb einsetzen zu können. Und er hat die Pflicht, bei seinen Produkten darauf hinzuweisen, dass er Agrochemie verwendet, bzw. dass er nicht nachhaltig wirtschaftet.

Damit wäre die nachhaltige Landwirtschaft der Normalfall (egal ob wir sie Bio nennen oder nicht) und die nicht nachhaltigen Landwirtschaftsbetriebe hätten den Aufwand der Deklaration und Lizensierung (über Zertifikate) ihrer nicht nachhaltigen Produktionsweise und deren ständiges Rechtfertigungsbedürfnis und natürlich auch die damit verbundenen Kosten.

Die Rechnung haben wir dabei leider ohne die Agrochemie gemacht, die sich natürlich mit allen ihr legal und illegal zur Verfügung stehenden Mittel gegen eine solche Perspektivenveränderung wehren wird. Aber wenn das Geschäftsmodell dieser Industrie wegen fehlender Nachhaltigkeit nicht mehr in die politische Landschaft passt, müssen sie sich ein neues Geschäftsfeld suchen oder verschwinden. So läuft unser Wirtschaftsmodell seit etwa 200 Jahren und sie wären nicht die ersten, die hierdurch herausgefordert sind.

Der Nachhaltigkeitsbegriff, von dem wir hier angenommen haben, dass er für die Landwirtschaft hinreichend konkretisiert ist, ist wenig konkret – der Begriff treibt es für Geld mit allen und jedem. Der Brundtland Report hat Nachhaltigkeit „als ein Entwicklungskriterium definiert, die die Bedürfnisse der Gegenwart berücksichtigt ohne für die künftigen Generationen die Fähigkeit einzuschränken, ihre eigenen Bedürfnisse zu leben.“ (sinnbemäße Übersetzung)

Damit kann man keinen Blumentopf gewinnen, weil diejenigen, die hier berechtigte Ansprüche anmelden könnten, noch gar nicht geboren sind und deshalb auch keine Forderungen stellen können. Den gegenwärtigen selbsternannten Stellvertretern der künftigen Generationen fehlt es an Macht und Einfluss, weil die politischen Prozesse die künftigen Generationen nicht repräsentieren können und wohl auch nicht wollen.

Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft erscheint hinreichend definierbar zu sein. Die Folgen der fehlenden Nachhaltigkeit liegen im Artensterben, in der Boden- und Wasserverseuchung, im Insektensterben, u.ä. offen zutage. Man glaubt deshalb, hier einen validen Gegensatz aufbauen zu können. Was ist aber mit anderen Branchen und Geschäftsmodellen? Können wir davon ausgehen, dass Nachhaltigkeit eineindeutig und in sich widerspruchsfrei bestimmbar wird? Das erscheint eine Herkulesaufgabe zu sein, deren Strukturen nur geahnt werden können.

Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die strikte Fixierung auf den Nachhaltigkeitsbegriff des Brundtland- Berichtes eine Sachgasse darstellt. Wir sollten offen blieben für Neues.

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