3Sat hat am 8.11. einen bemerkenswerten Beitrag gesendet. Das Besondere daran ist, dass Carmen Losmann, die Autorin, nicht den üblichen Gedankengängen der Volkswirtschaftslehre nachspürt, sondern aus einigen wenigen Beobachtungen einfache und nachvollziehbare Fragen aufwirft, und dann versucht, die Antwort auf diese Fragen aus der Mitte der Wirtschaft zu erhalten. Dabei gibt es im Hintergrund einen Kommentator, der die Fragen und Antworten etwas lenkt und interpretiert; zum Ende hin wird auch eine Wertung abgegeben.
» weiterlesen
Das für mich Faszinierende an dem Beitrag ist die Tatsache, dass Frau Losmann ein Modell präsentiert, dass die Aussicht hat, die Realität deutlich besser abzubilden als es die klassischen Gleichgewichtsmodelle der Makroökonomie können. Wenn wir andauernd von Wachstum sprechen, sprechen wir immer über Veränderung. Da fällt das Ziel eines Gleichgewichts einfach aus der Zeit.
Die Hypothesen, die der Beitrag zur Diskussion stellt, bilden ein vorläufiges Modell der Erklärung, warum Wachstum geschieht und welche Treiber letztlich Wachstum auslösen. Wenn man diese Zusammenhänge versteht und plausibel machen kann, so ergibt sich erstmals die Chance, sich ernsthaft zu fragen, wo müssen wir angreifen, um eine ökologisch tragfähige Transformation einleiten zu können ohne im Chaos zu landen. Hier wurde ein Stück Theorie geleistet, das ich von der offiziellen Ökonomie erwartet hätte.
Frau Carmen Losmann hat gewagt, sich außerhalb der Ökonomie ein Bild zu machen und hat nebenbei gezeigt, dass wir nur bedingt auf die Vertreter der Big Player in diesem Prozess rechnen können. Es wurde deutlich, dass die Hirne dieser Klientel in Mehrzahl der herrschenden Ideologie verfallen sind. Sie hat aus ihren Erkenntnissen ein schlüssiges Narrativ gestrickt, das im ersten Schritt einfach versucht, die Zusammenhänge frei von den üblichen Annahmen zu beschreiben und zu verstehen.
Ausgangspunkt ihrer Recherche waren die Zahlen zur Höhe des Privatvermögens und zur Höhe der staatlichen Verschuldung. Beide „Bestände“ sind in den letzten Jahrzehnten fast explosionsartig gewachsen. Und beide Bestände sind auch in etwa gleich groß. Und Carmen Losmann wirft die Frage auf: Gibt es da einen begründbaren Zusammenhang?
Die Ausführungen sind nicht quantifiziert. Bisher liegt nur eine m.E. gut begründete Argumentationskette (Narrativ) vor. Die Ausführungen beginnen mit der Finanzierung (als künftige Verschuldung) geplanter Investitionen und der Transmissionsriemen zum Privatvermögen (als Gegenpol) ist in ihrer Darstellung das Wachstum. Wachstum messen wir über die Veränderung des Bruttoinlandsproduktes und erfassen damit indirekt die Entstehung von Einkommen (Privatvermögen). Wichtig erscheint dabei, dass Frau Losmanns Beitrag die Geldmenge als ein wesentliches Element in das makroökonomische Narrativ einführt. Geld spielt in den mir bekannten makroökonomischen Lehrbuchmeinungen (die sind schon etwas in die Jahre gekommen) keine Rolle. Es gibt parallel wohl eine Geldtheorie, die sich seit meiner Studienzeit stark verändert haben dürfte, weil sich auch das Geld-Verständnis nach Bretton Woods (mit Aufgabe des Goldstandards) grundlegend veränderte.
Erklärend ist ohne Frage die Aussage, dass das bestehende Geld-System nur auf Vertrauen beruht; es ist eine Abmachung zwischen den Betroffenen. Seit den 1990iger Jahren wurde dann in einem weiteren Schritt die Geldschöpfung, die bisher ausschließlich bei den Zentralbanken lag, im Rahmen des Neoliberalismus auf die Geschäftsbanken übertragen. Das gilt in der Masse für die privaten Geschäftskredite, die bei Kreditaufnahme die Geldmenge erhöhen und bei kompletter Tilgung wieder aus der Geldmenge ausscheiden. Bei der öffentlichen Verschuldung werden Staatsanleihen vom Staat ausgegeben, die von Banken übernommen und dem Kapitalmarkt zugeführt werden. Diese Schulden werden in der Regel prolongiert, aber nur selten getilgt. Sie stellen also den wesentlichen Teil der jeweils bestehenden Geldmenge dar. Aufgrund dieser Entwicklung wird in dem Beitrag die m.E. richtige Aussage getroffen, dass der Staat insoweit als „Vermögensquelle“ angesehen werden kann.
Das steht im eklatanten Widerspruch zu dem in der Politik gehegten Narrativ, dass Staatsschulden etwas Negatives sein sollen. Wir haben die Regel der schwarzen Null eingeführt und sind offensichtlich ganz stolz darauf. Die schwarze Null bedeutet aber, dass gegenwärtig nur in Ausnahmefällen neue Staatsschulden aufgebaut werden dürfen. Wenn die Staatsschulden als „Vermögensquelle“ ausfallen, müssen die Privaten dafür einstehen, was ganz entscheidend den Vermögens-Status des privaten Sektors negativ treffen würde. Wenn die Privaten die Geldmengenlücke nicht ausfüllen können (oder wollen), sinkt die Geldmenge und es ist erwarten, dass so wie die Geldmengenausweitung Wachstum schafft, ein Rückgang der Geldmenge ein Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes auslösen wird.
Gegen Ende des Beitrags fasst der Kommentator seine Aussagen zusammen und kommt zu klaren Wertungen. (Die folgenden Ausführungen sind eine eigene Mitschrift dieser Ausführungen, ab 1:12 h[1]):
„Im Zentrum des Kapitalismus steht die fortlaufende Kapitalmehrung. Wenn das Kapital mehr wird, muss die Geldmenge ausgeweitet werden. Deshalb braucht sie immer neue Investitionsmöglichkeiten. Das Problem dabei ist: Investiert und reinvestiert wird nur in profitorientierte Unternehmungen. Beispiel: Sie wollen ein Stück Wald kaufen. Wenn sie vorhaben, ihn einfach in Ruhe zu lassen, bekommen sie dafür keine Finanzierung. Es gibt nur dann eine Finanzierung, wenn sie den Wald „bewirtschaften“, d.h. dass sie zumindest Teile des Waldes abholzen und das Holz zu Geld machen. Solange der Wald vorhanden ist, scheint die Logik des Profits völlig unproblematisch. Aber das Ganze stößt irgendwann an Grenzen.
Aktuell befinden wir uns in einer zwiespältigen Situation: wer kollabiert zuerst – unser Ökosystem Erde oder der Kapitalismus, der ein bisher nie erreichtes Spannungsfeld zwischen Vermögen und Verschuldung aufgebaut hat. (Anmerkung VF: Das ist nur die eine Seite. Zwar schafft offensichtlich immer mehr Verschuldung via Wachstum privates Vermögen, aber wo führt das hin? Eine Verschuldung kann möglicherweise weiteres Wachstum schaffen, aber wir untergraben durch weiteres Wachstum die Lebensgrundlagen dieses Planeten. Der Pimco-Vertreter sieht uns hinsichtlich der Verschuldungsproblematik in der „zweiten Halbzeit“, aber noch nicht im letzten Viertel unserer „Spielzeit“.)
…
Jeder, der genauer hinschaut, merkt, dass es nicht richtig funktioniert. Es ist ein Glaubensgebäude. Man steckt in dem System drin, es ist nicht logisch, man muss nur irgendwie weiter funktionieren.
…
Es hat sich die Idee durchgesetzt, dass sich Staaten am Kapitalmerkt verschulden sollen. Damit sind Staaten dem Willen und der Bewertung privater Kapitalgeber unterworfen und die Staaten sind damit genötigt, Wirtschaftswachstum zu fördern, um damit ihre Steuereinnahmen zu erhöhen oder Staatseigentum zu privatisieren, wenn die Schulden zu hoch sind. Das hat zu der Situation geführt, in der wir heute sind. Nämlich, dass viele (öffentliche ) Projekte nicht mehr finanzierbar sind, einfach, weil sie nicht mit den Renditeerwartungen privater Kapitalgeber übereinstimmen. Das könnte z.B. die Bekämpfung von hohen >Arbeitslosenzahlen betreffen oder ausreichend Geld für Bildung, für Pflege, für Infrastruktur, nicht zuletzt die Transformation in Richtung einer ökologisch tragfähigen Wirtschaft: Leider nicht finanzierbar, weil unrentabel!
Wenn es nicht mehr der Staat ist, der Schulden macht, weil die Kapitalgeber eine „schwarze Null“ bevorzugen und die Staatsausgaben in Folge dessen gesenkt werden, dann müssen z.B. die privaten Haushalte einspringen und die Schulden übernehmen, z.B. für die Ausbildung ihrer Kinder, die nicht mehr vom Staat finanziert wird, oder durch höhere Mieten, weil staatlich (geförderter) Wohnraum privatisiert wurde.
Wäre es da nicht sinnvoller, wir als Staat übernehmen diese Schulden direkt und machen uns so von den privaten Kapitalgebern unabhängig?
Demokratische Regierungen können also nicht mehr frei entscheiden, was sie finanzieren, sondern, sie können nur in ihren Haushaltsentwürfen vorschlagen, was sie finanzieren möchten und dann müssen private Kapitalgeber dem zustimmen. Und deshalb ist es eine hochbrisante politische Frage: Sollten wir als demokratische Gesellschaft nicht selbst entscheiden, welche Ausgaben wir für sinnvoll finden. Und dann erzeugt (schöpft) der Staat einfach das Geld für diese Ausgaben? Wieso sollten wir als Staaten nicht das gleiche Privileg haben wie gewinnorientierte private Banken.
Frage aus dem Off: Wie soll das insgesamt weitergehen?“ (die Antwort bleibt letztlich offen)
Konsequenzen
Soweit der Beitrag „Oeconomia“ mit der Versuch, die Treiber unserer Wirtschaftsform im Zusammenhang zu beschreiben. Es wird durch diese Form der Beschreibung klar, dass wir uns auf einen unkalkulierbaren Endpunkt zu bewegen. Die Verschuldung muss irgendwann ihr Ende finden und damit fällt der wesentliche Treiber des Wachstums aus, der in der Geldmenge identifiziert wurde. In der anstehenden Transformation unseres Wirtschaftssystems geht es darum, den Endpunkt erst gar nicht zu erreichen und vorher (und zwar möglichst rasch) eine Ausweg aus der sich abzeichnenden Sackgasse zu finden.
Der Fernsehbeitrag macht m.E. deutlich, dass das alles bestimmende Moment im Begriff der Rendite konzentriert ist. Dabei ist Rendite durch den simplen Quotienten von Ertrag zu eingesetztem Kapital bestimmt. Trifft die Rendite nicht die Erwartungen, so sind wir i.d.R. geneigt zu akzeptieren, dass das geplante Projekt auch nicht realisiert wird. Wichtig ist dabei, dass dieser Punkt ganz am Anfang jedes wirtschaftlichen Prozesses beurteilt wird, zu einem Zeitpunkt, an dem außer ein paar erklärende Skizzen noch keine weiteren Entscheidungen gefallen sind. Jeder spätere Zeitpunkt erhöht die Komplexität dramatisch und macht die Suche nach Alternativen schwierig und teuer.
Die oben als Kriterium angeführte „Rendite“ ist eine ausschließlich durch die Ökonomie geprägte Kennzahl. Andere Kriterien kennt der Renditebegriff nicht. Angesichts der Probleme, die uns die Ökonomie hinsichtlich unserer Zukunft bereitet, wäre es logisch, den engen monetären Renditebegriff der Ökonomie in Sinne eines Denkens in Kreisläufen mit dem Ziel der Nachhaltigkeit zu erweitern. Dieser erweiterte Renditebegriff kommt aber nicht von selber. Er muss durch „Leitplanken“ politisch definiert und begründet werden.
Ein einfaches fiktives Beispiel: Ein Investor will ein Bauobjekt realisieren. Seine klassische Rentabilitätsrechnung lässt ihn auf eine „angemessene“ Rendite hoffen. Es ist aber zuvor ein etwa gleichgroßer alter Baukörper abzureißen. Die Abrisskosten sind in seiner Rentabilitätsrechnung erfasst.
Im Rahmen eines erweiterten Rentabilitätsbegriffs müsste man sich jetzt u.a. die Frage stellen, ob das Projekt auch die Rahmenbedingungen einer Nachhaltigkeit erfüllt. Dabei muss man davon ausgehen, dass der abzureißende Altbau bei seiner Errichtung CO2 freigesetzt hat. Auf dem Gebäude ruhen je nach umbautem Raum viele tausend Tonnen CO2, die man sinnvollerweise über die gesamte ehemals geplante Lebensdauer des Altbaus verteilen müsste. Ein vorzeitiger Abriss hätte zur Folge, dass das restliche CO2-Paket, das mit der Restlebensdauer des Altbaus verbunden, dem Neubau zuzuschlagen wäre. Diese CO2-Belastung würde den Neubau erheblich belasten, vorausgesetzt, die CO2 – Bilanz wäre Teil der öffentlichen Beurteilung des geplanten Bauprojektes und der CO2-Verbrauch würde sich dann z.B. kostenpflichtig in den Baukosten wiederfinden.
Eine denkbare Alternative wäre die Grundsanierung des Altbaus. Das CO2-Paket des Altbaus könnte jetzt auf die CO2-Bilanz der Grundsanierung angerechnet und der damit unvermeidbar verbunden CO2-Freisetzung z.B. gutgeschrieben werden. Damit könnte dem „Ex und Hopp“ vieler Investoren ein Riegel vorgeschoben werden.
Das Bauen wird sich dadurch ändern. Wenn die Grundstrukturen von Gebäuden auf Langfristigkeit ausgelegt werden, rücken Sanierungen auf die vorderen Plätze, weil sinnvoll und zweckmäßig.
Damit kommen wir zu einem weiteren Aspekt der Erweiterung des Renditebegriffs. Wir müssen dem Kapitalismus die Langfristigkeit vermitteln. Das oben angesprochene „Ex und Hopp“ muss ein Ende haben. Neben die Mindest-Lebensdauer für Gütern einer bestimmten Preisklasse muss die einfache Reparaturfähigkeit der Güter treten. Das hätte zur Folge, dass der Produzent nicht nur ein Produkt verkaufen, sondern auch regelmäßig Ersatzteile bereitstellen müsste. Der Wettbewerb geht nicht mehr um die niedrigsten Verkaufspreis (um das Verramschen), sondern wird auf das ganze Paket erweitert (Produkt, Reparaturfähigkeit und Ersatzteilgarantie). In der Gestaltung sind der Phantasie des Marktes kaum Grenzen gesetzt. Dadurch, dass die Produktleistung, die Reparaturanfälligkeit und die Ersatzteile zu einem Paket geschnürt werden, wird dann auch offensichtlich, was wirklich preisgünstig und im Sinne der Kunden ein klarer Vorteil ist.
Schwieriger erscheint mir der Fall des Recyclings. Der Begriff Recycling ist m.E. irreführend, bisher werden keine 20 % des Mülls recycled. Wir verwalten den Müll (und ersticken daran), in der Hoffnung, dass wir irgendwann mal eine technische Lösung für das Müllproblem finden, die es m.E. realistisch nicht gibt. Müll ist eine Folge unseres Lebensstils. Alles was in unser Wirtschaftssystem als „nutzlos geworden“ ausscheidet, bildet den gewaltigen Strom des Mülls. Müllverwaltung (das Wort Entsorgung geht mir nur schwer von den Lippen) ist von ihrer Masse her der größte Industriezweig in Deutschland, weil hier alle materiellen „Exkremente“ (Systemausscheidungen) zusammenlaufen. Durch die vielgestaltige Struktur und Abhängigkeiten ist die Branche aus meiner Sicht hochgradig intransparent.
Wir müssen Müll bei seiner Entstehung vermeiden und nicht erst dann, wenn er alle Stufen der „Verdauung“ des Wirtschaftssystems (Konsumtion) durchlaufen hat. Dann ist es zu spät und der Prozess ist auch nicht mehr gestaltbar.
Diese wenige Beispiele sollen den Gedanken vermitteln, dass im Rahmen der Transformation nicht unbedingt in den Wirtschaftskreislauf unmittelbar eingriffen werden muss. Es muss nur klar sein, welche erweiterten Renditevorstellungen künftig allgemein verbindlich gelten sollen. Hierzu muss – so schwierig es ist – der Begriff der Nachhaltigkeit in vorerst groben Strukturen und mit seinen unstrittigen Grundelementen operationalisiert werden. Das wird nicht auf den ersten Wurf reibungslos funktionieren. Aber wir müssen die Lernkurve erst einmal Realität werden lassen und dann über die Jahre immer besser feinjustieren.
[1] https://www.3sat.de/film/dokumentarfilmzeit/oeconomia-100.html (bis 7.2.2022)
» weniger zeigen