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TTIP – ein neues Geschäftsmodell? – aus: Die Anstalt vom 25.5.2016 – großzügig fortgesponnen

Unsere öffentliche Gerichtsbarkeit akzeptiert als Schaden nur real eingetretene ursächliche Verluste, die nachgewiesen werden können.  Hier könnten z.B. die Energieversorger nur realisierte Verluste einklagen, die zudem auch noch der Verjährung unterliegen können. Die private Gerichtsbarkeit des TTIP scheint hier andere Ansätze zu verfolgen und offensichtlich auch potenzielle Verluste zu akzeptieren, deren Herkunft aufgrund ihres hypothetischen Charakters sowohl der Höhe als auch des Grundes nach fragwürdig sind und deren Eintrittswahrscheinlichkeit hochgradig von der ‚guten‘ Argumentation der Streitparteien lebt.

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Unter diesen Voraussetzungen gibt es eine begründete Erwartung, dass es unter der Regie von TTIP eine neues Geschäftsmodell geben könnte: Innovative Investoren gründen in einem Land eine Firma mit einem Geschäftsmodell, das nach den dortigen nationalen Gesetzen verboten oder nur stark eingeschränkt durchführbar ist (w/ Umweltschutz, w/Gesundheitsschutz u.ä. national durchaus sinnvollen Maßnahmen). Folglich untersagen die nationalen Institutionen Aktivitäten des neugegründeten Unternehmens, was das Unternehmen regelmäßig zum Anlass nimmt, den Staat wegen hypothetischer, aber natürlich nie realisierter Verluste auf hohe Schadenersatzsummen zu verklagen. Das Unternehmen ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine Briefkastenfirma, hat gewöhnlich noch keine Mitarbeiter und hat noch nicht einen ‚müden‘ Euro für sein eigentliches  Geschäftsmodell aufgewendet und verklagt den Staat, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, entweder auf Millionen oder Milliarden Schadenersatz oder greift den Gesichtspunkt einer drohenden (potenziellen) Enteignung auf (wobei man sich fragt, was da denn enteignet werden könnte, wenn noch kein nennenswertes Eigentum existiert bzw. die Investition in der Kenntnis erfolgte, dass aufgrund des Geschäftsmodells gar kein Eigentum gebildet werden kann).

Das wäre doch die perfekte Gelddruckmaschine für Investoren und ihre Anwälte, wobei die Anwälte gleich das Geschäftsmodel mitliefern würden. Sie werden regelmäßig dann mindestens 50% der Entschädigung kassieren, da ja zumindest die juristische Vorarbeit (fürstlich) bezahlt werden muss. Die anderen 50% fallen den Investoren (ansässig in einer Steueroase und deshalb steuerfrei) über das Geschäftsmodell in den Schoß. Nach erfolgtem Prozess wird die Gesellschaft geschlossen, man geht ein Land weiter und beginnt das gleiche Spiel von neuem – die juristischen Schriftsätze sind nur in geringem Umfang zu ändern. Selbst der Richter, der zur Urteilsfindung berufen wird (es gibt nicht so viele, bei denen das Argument der Befangenheit ganz außer Betracht gelassen werden kann) kennt den Fall natürlich schon und kennt auch die Argumentationslinien und wird seine eigenen Entscheidungsgrundlagen von den letzten Fällen (oder die der Kollegen) doch nicht in Frage stellen wollen. Auch er wird höchst zufrieden dieses ‚ehrenwerte‘ Verfahren schließen können.

Nur peinlich, wenn das TTIP dann nicht kommt – die Hoffnung aber stirbt zuletzt.

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Erstarken des Rechtspopulismus – eine Überraschung?

DIE ZEIT (25.05.2016) stellt auf ihrer Titelseite fest, dass die Rechtspopulisten in ganz Europa gemeinsam um die Gunst des „kleinen Mannes“  kämpfen. Er soll sie an die Macht bringen. Diese Feststellung wirft die Frage auf, ob unsere gegenwärtig bestehenden politischen Institutionen den „kleinen Mann“  und seine Bedürfnisse in den letzten Jahren nicht sträflich vernachlässigt haben.

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Sie haben versucht, ihre Macht allein dadurch zu festigen, indem sie sich mit den „Geldmächtigen“ gemein gemacht, deren neoliberale Argumente unüberlegt als einzig richtig aufgegriffen und den „kleinen Mann“ (das Volk) als uninteressant übersehen haben. Nun kommt der vernachlässigte „kleine Mann“ über den Rechtspopulismus mit seinen Befindlichkeiten plötzlich zu Wort und in Grenzen auch offensichtlich zur Macht. Dabei ist das Problem nicht in erster Linie der Rechtspopulismus, den es ja schon immer gab, sondern das Versagen unserer Eliten in Bezug auf Volkes Stimme.  Sie haben sich einseitig der ökonomischen Sichtweise der ‚Geldes‘ alternativlos unterworfen. Damit verbunden ist die Neigung des ‚Geldadels‘, den „kleinen Mann“ aus seiner Sicht als politisch irrelevant abzufertigen, weil man wohl glaubt, ihn letztlich „mit Geld einfach kaufen zu können“. Die Reaktion auf diese verächtliche Haltung sucht sich ein Ventil und hat mangels Alternativen dieses im Rechtspopulismus gefunden.

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Ökonomische Zusammenhänge – Versuch über eine unpopuläre Darstellung

Der Versuch, ökonomische Zusammenhänge so zu formulieren, dass sie auch Laien verständlich sind, ist bisher nicht so recht gelungen. Der Neoliberalismus verwendet vielfach simple Bilder und erklärt Zusammenhänge, wo oft keine sind. Also versuchen wir auch für unsere Botschaft, einfache Bilder zu verwenden, wohl wissend, dass dadurch die Aussage u.U. leidet.

Ausgangspunkt ist ein betrieblicher Bezug, den wir (zugegeben unvollständig) in einen volkswirtschaftlichen Rahmen stellen. Den Anfang macht eine verkürzte betriebswirtschaftliche Ertragsrechnung, um deutlich zu machen, wo Unternehmen in der Zukunft die Politik bedrängen wird, um Ertragsspielräume für sie zu schaffen.

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Vom Umsatz, den ein Unternehmen am Markt erzielt, werden die damit in Verbindung stehenden Aufwendungen mit Ausnahme der Personalkosten abgezogen und ergibt eine Bruttoertragsziffer, die die Betriebswirtschaft i.d.R. nicht so gerne verwendet. Diese Ertragsziffer repräsentiert den Gewinn eines  Unternehmens vor Personalkosten, vor Zinsen und Steuern und macht deutlich welche Anforderungen der so definierte Bruttogewinn im Folgenden noch befriedigen muss:

  • die Forderungen der Mitarbeiter (einschließlich Vorstand) – d.h. ein Teil dieses so definierten Bruttogewinns fließt den Mitarbeitern in Form von Lohn und Gehalt zu.
  • Die Zinsforderungen sind der Anteil des Bruttogewinns, der den Fremdkapitalgebern vertraglich zusteht.
  • Die direkten Steuerforderungen sind der Anteil des Bruttogewinns, der dem Staat gesetzlich zusteht. (Die indirekten Steuern werden hier nicht erfasst, weil diese nicht das Unternehmen belasten, sondern letztlich vom Kunden bezahlt werden. Der Betrag wird vom Unternehmen aber für ihn abgeführt.)
  • die Nettogewinnforderung des Eigenkapitals – der üblich und gebräuchliche Gewinnbegriff der veröffentlichten Gewinn- und Verlustrechnung. Dieser kann (nach Verrechnung mit Verlusten) ganz oder teilweise ausgeschüttet oder einer Rücklage zugeführt werden.

Wir haben bewusst mit der Unternehmensrechnung begonnen, weil das jene Zusammenhänge sind, in denen die meisten in der Wirtschaft Tätigen zu denken gelernt haben. Nun versetzen wir uns in die Lage der Geschäftsleitung eines solchen Unternehmens und betreiben ein paar simple Gedankenspiele:

Umsatz ergibt  sich aus dem Verkauf von Produkten der Unternehmen, die ihre Abnehmer auf Märkten finden sollen. Wenn die nationalen Märkte zu eng und zu wettbewerbsträchtig werden, glaubt man die globalen Märkte für eine weitere Ausdehnung des Umsatzes bzw. des Wachstums nutzen zu können. Neben den Zugangsrestriktionen (Kosten, Manpower, Knowhow) haben sich da schon die Konzerne etabliert und sorgen dafür, dass die Zugangsrestriktionen für Newcomer hoch bleiben.

Ein anderer Ansatz versucht neue „Märkte“ in Bereichen zu schaffen, die klassisch keine Märkte sind (wie z.B. der Versuch die Grundversorgung der Bevölkerung zu „vermarkten“). Die immer wieder angeheizte Privatisierungsdiskussionen muss man vor dem Hintergrund global schrumpfender Markt- und Wachstumschancen sehen und verstehen. Es geht nicht mehr darum, ob die Grundversorgung nicht doch besser vom Staat wahrgenommen wird, es geht darum, dass dem global organisierten kapitalistischen System die originären Märkte ausgehen. Selbst der technologische Wandel, der sonst immer die ‚Rettung‘ darstellen soll, hilft vielfach nicht mehr. Oder wie soll man die Energiewende interpretieren: die technische Möglichkeit einer weitgehend dezentralen Produktion von Strom wurde von dem Oligopol der Energiewirtschaftskonzerne übersehen (vielleicht auch verschlafen) und nun stellen sie mit Schrecken fest, dass ihnen ihr ‚altes‘ Geschäftsmodell mit ausschließlich zentralen und großen Energieversorgungeinheiten auf Basis alter Technologie unter den Fingern zerbröselt. (Und dafür wollen sie dann noch Schadenersatz beanspruchen.)

Aus den wenigen Beispielen soll deutlich werden, dass die Erweiterung des Umsatzes bzw. des Wachstums cum grano salis äußerst aufwendig geworden ist. Das Wachstum unserer Standorte in der westlichen Welt läuft trotz der Flutung der Märkte mit billigem Geld gegen Null. Hier baut sich ein gewaltiger Druck auf und er wird kontinuierlich zunehmen, solange man das wirtschaftliche Heil ausschließlich im Wachstum sucht.

Wenn also die Umsatz- bzw. die Absatzseite sich zunehmend risikoreicher gestaltet, richtet sich eine wendige Geschäftsleitung oder volkswirtschaftlich ausgedrückt, richten sich die Unternehmen danach aus, wo sie denn glauben, noch über Spielräume zu verfügen. Und hier tun sich aus der unternehmensstrategischen Sicht wenigstens drei Aktionsfelder auf. Der oben etwas unorthodox definierte Ertrag eines Unternehmens fließt ja in vier klar unterscheidbare Taschen:

  • in die Taschen der Eigentümer oder Aktionäre als Kapitalverzinsung,
  • in die Taschen der Belegschaft als Arbeitsentgelt,
  • er fließt an die Fremdkapitalgeber für die Bereitstellung der Finanzierung und
  • an den Fiskus (für die Infrastruktur), soweit direkte Steuern erhoben werden.

Wenn man davon ausgeht, dass die Kapitalverzinsung der Eigentümer im Sinn der Shareholder’s Value-Ideologie als Parameter eher nicht zur Disposition steht, so bleiben die drei oben verbleibenden Aktionsfelder.

Personalkosten

Die Zahl der Arbeitnehmer übersteigt schon lange den eigentlichen Bedarf an Arbeitnehmern mit der Folge, dass entweder die Zahl der Arbeitslosen zunimmt (was die Politik scheut) oder dass das Entgelt für jene Arbeit, die wirtschaftlich entbehrlich erscheint, deutlich herabgesetzt wird (was die Verbände der Politik wohl nahegelegt haben). Das Ergebnis ist der Niedriglohnsektor, in dem inzwischen etwa 12 Mio. Menschen beschäftigt sind.   Eine etwas weniger auffällige Gestaltung richtet sein Augenmerk auf die Leiharbeit. Hier werden Beschäftigungsspitzen mit Leiharbeitskräften zu deutlich herabgesetzten Löhnen und Gehältern und reduzierten Rechten abgefedert. In das gleiche Horn stößt die Verlagerung der Sozialbeiträge zu Lasten der Beschäftigten. All diese Maßnahmen wurden unter dem Primat einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft behandelt. Dieses Argument scheint vordergründig zu stimmen. Die Verhandlungspartner schieben dabei aber die Erkenntnis weit von sich, dass durch diese Maßnahmen ein Problem heute kosmetisch kaschiert wird und spätestens in 15 bis 20 Jahren den Handelnden wieder in Form von heftig ansteigender Altersarmut auf die Füße fallen wird und wir nicht wissen, unter welchen Bedingungen wir dann nach einer Lösung suchen müssen. Die Politik hat die Unternehmen aus der Verantwortung entlassen, gibt ihnen durch Kostenentlastung eine einseitig vereinbarte Gewinnchance, ohne sie für die erkennbaren Folgen zu nachhaltigen Zugeständnissen zu verpflichten. Der Spielraum, der 

Zinsen

Aufgrund der Flutung sehen wir die Folgen heute: der Zins ist aufgrund des Überangebots bei etwa Null angekommen. Das Geld ist mit anderen Worten extrem billig, vielleicht sogar im Grunde ‚wertlos‘. So wird das ‚System‘, das durch einen Forderungsschnitt eventuell in Gefahr geraten wäre, nun durch andere Zusammenhänge genauso in Frage gestellt. Der eingeschlagene Weg, das System zu fluten, hatte nur den Vorteil, dass Zeit gekauft werden konnte, die dazu genutzt wurde, dass sich die großen Vermögen aus der Affäre ziehen konnten und dann der Staat bzw. der Steuerzahler stellvertretend letztlich die Zeche bezahlt.

Der niedrige Zins erspart den Unternehmen (und insbesondere dem Staat) erhebliche Zinsaufwendungen und macht die hohe Verschuldung erträglich. Folglich wird – wo immer möglich – umgeschuldet, um Zinsaufwand zu sparen und damit die oben genannte Ertragsziffer der Unternehmen zugunsten des Bruttogewinns zu stärken. Aber hier ist der Handlungsspielraum im Wesentlichen ausgeschöpft. Negative Zinsen sind zwar denkbar, aber stellen m.E. einen Systembruch mit unübersehbaren Folgen dar.

Steuern

Die direkten Steuern der Unternehmen sind von nahezu 50 % vor etwa 30 Jahren auf inzwischen etwa 30% gefallen. Zusätzlich wurde unter Helmut Kohl die Vermögensteuer ausgesetzt und einige Jahre später die Veräußerungsgewinne von Unternehmen so gestaltet, dass man sie mit wenig Aufwand steuerfrei halten kann. Kaum ein ‚Otto Normalverbraucher‘ hat begriffen, dass jenseits des Vorstellungsraumes des „kleinen Mannes“ hier legale Steuerdeals eingefädelt wurden, bei denen Gewinne u.U. steuerfrei erzielt werden können, die für den ‚keinen Mann‘ gar nicht vorstellbar sind. Diese Maßnahmen haben offensichtlich noch immer nicht die Gewinnerwartungen erfüllen können, also gehen manche Unternehmen nach Luxemburg, in die Schweiz, zur Deutschen Band oder nach Guernsey, Isle of Wight oder gleich auf die Bahamas. Auch Panama hat sich offensichtlich hier hervorgetan, um Vermögen anonymisiert besitzen zu können – denn, wo kein Steuersubjekt identifizierbar ist, da gibt es im Inland keine Besteuerung. Wenn all dieses Geld, das in den Kanälen der Geldindustrie versackt ist, ordentlich zu Versteuerung käme, – unvorstellbar! Herr Schäuble würde in Freudentränen ausbrechen, seine fixe Idee von der schwarzen Null würde plötzlich problemlos Realität werden können.

Fazit

In den letzten 30 Jahren wurden riesige Ertragstransferprogramme (letztlich Subventionen) für die Unternehmen losgetreten (Agenda 2010, Fremdkapitalzinsen gegen Null, Steuervergünstigungen für Unternehmen und deren Eigentümer).  Wenn man diesem Berg an Vergünstigungen jenes Häufchen gegenüberstellt, das den Otto Normalverbraucher zufriedenstellen soll, dann tut man sich schwer, die kleine Unebenheit des gemeinsamen Grundes, auf dem wir alle stehen, erkennen zu können. Da gibt es nichts von Bedeutung, auf das es sich lohnt, sein Augenmerk zu richten.

Da der Druck auf den Umsatz bzw. auf das Wachstum künftig nicht geringer wird, lässt sich anhand unseres kleinen Modells erkennen,  wo der Druck im ökonomischen System weitergegeben wird. Bei den Zinsen wird es schwierig, sie unter ‚null‘ rutschen zu lassen. Das sollten sich Politik und Wirtschaft gründlich überlegen. Der Druck bleibt also auf Personalkosten und Steuern, solange das Ziel in einer endlichen Welt unverändert Wachstum heißt.

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Negative Zinsen

„Negative Zinsen“ sind ein Begriff, der ein Widerspruch in sich selbst ist. So ähnlich wie „Nullwachstum“ oder „Minuswachstum“. Zinsen sind der Aufwand, den der Schuldner dem Gläubiger für die Überlassung eines Geldbetrages auf Zeit schuldet. Es heißt nicht positive Zinsen, sondern schlicht Zinsen. So war das seit mindestens 150 Jahren. So hat es auch seinen Niederschlag im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 488 BGB) gefunden. Die jüngste Entwicklung spricht nach einer Senkung der Zinshöhe auf Null nun von „negativen Zinsen“, also von einer Entwicklung, bei der der Zahlenstrahl des Zinses über Null hinaus ins Negative verlängert wird. Das ist die mathematische Beschreibung, aber was bedeutet das konkret?

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Zum Verständnis beginnen wir unseren Erklärungsversuch mit den (positiven) Zinsen, die wir seit Jahrzehnten kennen. Der Schuldner muss für die Gewährung eines Darlehens dem Gläubiger über die Laufzeit einen Zinsbetrag zahlen. In dem Zins ist ein Marktzinsanteil verrechnet, ein Risikozuschlag und eventuell ratierliche Gebühren. Der Zins kann periodisch fällig sein oder wird bei kurzfristiger Gewährung als Einmalbetrag mit der Auszahlung verrechnet und heißt dann Diskont.  Reduziert sich  der Marktzinssatz auf Null, so fallen eben nur noch der Risikozuschlag und die Gebühren an, d.h. der zu zahlende Betrag des Schuldners ist immer noch positiv.

Was beutet jetzt „negativer Zins“? Der Gläubiger zahlt den Darlehens- oder Kreditbetrag aus zuzüglich einer regelmäßigen (periodischen) Zahlung zugunsten des „Schuldners“ in Höhe des „negativen Zinses“. (Klingt verrückt, weil die Begrifflichkeit aus den Fugen gerät.) Bis dato schuldete der Schuldner eine regelmäßige Zinszahlung zuzüglich der erwarteten Rückzahlung des Grundbetrages. Es wäre denkbar, dass der Gläubiger im Falle „negativer Zinsen“ statt eine regelmäßige Auszahlung vorzunehmen, den negativen Zinsbetrag gegen das Darlehen oder den Kredit bucht, also die Rückzahlungssumme ständig reduziert. Das gilt natürlich nur für den Anteil des Marktzinses und nur bedingt für den Risikozuschlag und die Gebührenanteile, die nach wie vor – solange die Gesamtsumme von negativem Marktzins, positivem Risikozuschlag und den Gebührenanteilen nicht negativ wird, zu Zahlungen des Schuldners an den Gläubiger führen werden. Fällt der „negative Zinssatz“ (er wird also absolut höher und damit noch negativer), dann wird der Saldo aus Zinssatz(-), Risikozuschlag(+) und Gebührenanteilen(+) insgesamt negativ und führt zu Auszahlungen des Gläubigers an den Schuldner. Der Schuldner wird ihm aber am Ende der vereinbarten Laufzeit nur den ursprünglichen Auszahlungsbetrag zurückzahlen. Wenn der Marktzins negativ ist und vereinbarungsgemäß gegen den Auszahlungsbetrag läuft, wird nur der reduzierte (quasi abgeschriebene) Auszahlungsbetrag gegenüber dem Gläubiger fällig.

Unter der Voraussetzung, dass die Vorgänge richtig erfasst wurden, d.h. die bisherige Zinspraxis richtig im Nullpunkt des Zinszahlenstrahles gespiegelt wurde, so stellt sich eine Reihe von einfachen Fragen:

  1. Man erwartet nun von den Schuldnern, dass sie bei diesem „Schnäppchen“ richtig zugreifen. Wo hatte man jemals die Chance, mit eigenen Schulden so einfach Geld zu verdienen? Die Frage bleibt, ob der „Schuldner“ das Geld überhaupt (nutzt) investiert und nicht einfach liegen lässt, weil es ja laufend für den „Schuldner“ ohne eigene Leistung Erträge erwirtschaftet. Das scheint die wundersame Geldvermehrung zu sein – die gibt es aber nicht.
  2. Wenn das Geld so ‚auf der Straße‘ liegt, wie wird der „Schuldner“ damit umgehen, abgesehen vom Horten. Letzteres ist schwierig – die negativen Zinsen gelten auch für seine angestrebten Guthaben – er ist dann mit seiner Einlage Gläubiger der Bank und unterliegt den gleichen Regeln wie der ursprüngliche Geldgeber. M.a.W. er muss das Geld unter das Kopfkissen legen, um dem negativen Zins zu entfliehen.
  3. Damit wird aber auch klar, warum die Banken das Bargeld abschaffen wollen. Wenn die Menschen gezwungen werden sollen, ihr Geld bei den Banken bei negativem Zins einzulegen, dann wird der Bank als „Schuldner“ die Einlage mit „negativen Zinserträgen“ versüßt. Der negative Zins muss nicht einbezahlt werden, sondern der „negative“ Zinsbetrag wird ggfs. mit der Einlage verrechnet, d.h. der bei der Bank hinterlegte Sparstrumpf wird mit der Zeit in Höhe der „negativen Zinsen“ immer kleiner.
  4. Dieser Gedanke ist nicht neu. Silvio Gesell hat unter völlig anderen Voraussetzungen diesen Grundgedanken ausführt (Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, Berlin 1920). Sein Ziel war für das Tauschmittel Geld das Horten zu unterbinden, um das damals knappe Geld in ständigem Umlauf zu halten.
  5. Es hat den Anschein, dass dieser Gesichtspunkt auch heute wieder eine Rolle spielt. Nach unterschiedlichen Aussagen lagern ungefähr 6 Billionen Euro in Deutschland auf Geldkonten. Mit der Einführung eines „negativen Zinses“ würden diese Bestände ständig quasi automatisch abgebaut, d.h. der Druck, dieses Geld zu investieren oder zu konsumieren, würde drastisch zunehmen.
  6. In einer Wirtschaftssituation, die kaum noch Wachstum aufzuweisen hat, glaubt die ökonomische Orthodoxie unverändert, dass dieses „leichte“ Geld zu einem Impuls für mehr Wachstum führen wird. Sie vergisst dabei, dass die Institutionen schon seit Jahren dieses Mittel propagieren, und durch die Druckerpresse in die Tat und in noch mehr Schulden umsetzen, ohne dass sich ein Erfolg einstellen will. Fehlendes Geld scheint also nicht das Problem zu sein.
  7. Die Zinseszins-Maschine, die unser System für jene bereit hält, die über ‚Ersparnisse‘ verfügen, vermehrt gewöhnlich den eingesetzten Betrag expotenziell und schafft Vermögen unter Inkaufnahme von einem gewissen Risiko ohne weitere eigene Arbeitsleistung. Diese Maschine macht ‚Reiche‘ regelmäßig reicher und ‚Arme‘ haben einfach keinen Zutritt. Das gilt in der Regel für positive Zinsen. Was ist mit „negativen Zinsen“? Gilt hier die Zinseszins-Maschine gleichermaßen, also negativ – das eingezahlte bzw. in Geld gehaltene Vermögen wird expontenziell Jahr für Jahr weniger? So gesehen wäre der „negative Zins“ ein einfaches Mittel, die erhebliche Ungleichverteilung von Vermögen tendenziell auszugleichen. Es bleibt aber die Frage, in wessen Taschen das Geld wieder auftaucht? Geld geht meist nicht kaputt, sondern wechselt nur den Inhaber.
  8. Bisher ging man davon aus, dass überschüssige Liquidität in einem kapitalistischen System zu Inflation führt, diese mit steigenden positiven Zinsen bekämpft wird und wenn das nichts nützt, der radikale Schnitt oder eine allgemeine Vermögensabgabe das Gebot der Stunde sein kann. Nun gibt es scheinbar noch ein zusätzliches Instrument: „negative Zinsen“.  Alles was heute an zu hoher Liquidität vorhanden ist, lässt sich auf Staatsschulden zurückführen, weil jeder gedruckte Euro jemandem als Schuld zugeordnet ist. Wie wir oben gesehen haben, erhält aufgrund der negativen Zinsen der Schuldner eine regelmäßige „negative“ Zinszahlung, die natürlich im Falle der Staatsschulden dann auch beim Staat landen wird.
  9. Wenn das System schlüssig ist, könnte sich der Staat auf diese Weise elegant refinanzieren ohne sich in politische Diskussionen stürzen zu müssen. Statt Inflation, die dazu führt, dass wir immer weniger mit unserem Geld kaufen können, haben wir dann „negative“ Zinsen, die dafür sorgen, dass unser verfügbare Geldsumme mit dem Zeitablauf immer kleiner wird -was ja das Gleiche ist. Je mehr Geldvermögen man vorhält, desto heftiger schlägt der „negative“ Zins zu.
  10. Man stelle sich jetzt eine Bank vor. Sie würde Einnahmen erzielen, wenn sie genügend Einlagen von privten und industriellen Bankkunden verwaltet. Der Gläubiger, also u.a. wir, die wir Geld bei der Bank deponieren, müssen bei der Gültigkeit von negativen Zinsen die Bank mit Erträgen versorgen. Die andere Seite des Bankgeschäftes wäre die Ausgabe von Darlehen und Krediten, für die die Bank je nach Höhe der (negativen) Zinsen den Schuldnern regelmäßige Guthaben zuschreiben müsste. Welche Veranlassung hätte eine Bank, Darlehen auszureichen, wenn sie dafür negative Zinsen berappen müsste? Da scheint nicht nur der Kreditmarkt in Schwierigkeiten zu kommen, da bricht auch so manches klassiche Bank- und Versicherungsgeschäftsmodell in sich zusammen.  Der Effekt der unkontrollierten Geldschöpfung, der von den Banken excessiv genutzt wird, würde mit negtiven Zinsen durch die Hintertür aufgehoben, denn jeder zusätzliche Kredit würde in Höhe der negativen Zinsen für die Bank zusätzliche Ausgaben schaffen.  Es bleibt abzuwarten, ob negative Zinsen angesichts der heftigen Auswirkungen wirklich eingeführt werden und wie deren Ausgestaltung sich entwickelt.

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Erben ist ungerecht

Anmerkungen zu einem SZ-Artikel mit gleicher Überschrift von Guy Kirsch und Volker Grossmann vom 21.03.2016:
Kirsch und Grossmann kommen in dem Artikel zu der Auffassung, dass Erben als ungerecht einzustufen ist und begründen diese Einschätzung aus liberaler Sicht: „Wer den Einzelnen ernst nimmt, muss es geradezu als Ärgernis empfinden, wenn die Söhne und Töchter reicher Väter im Zweifel nur deshalb besser als andere durchs Leben gehen können, weil sie reiche Eltern haben.“ Ob das Argument die Sache so richtig trifft, wollen wir hier nicht weiter untersuchen.

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Als Folge schlagen die beiden vor, dass „der Nachlass reicher Menschen … zu hundert Prozent besteuert werden (soll)“. Reich ist relativ: es wäre also vorteilhaft, hier etwas konkreter zu werden. Zum anderen bin ich mir nicht sicher, ob das Pferd nicht von der falschen Seite aufgezäumt wird.

Das Vererben ist eine Folge von angehäuftem Vermögen, und kein solitärer Vorgang. Wenn etwas vererbt werden soll oder kann, so muss Vermögen geschaffen worden sein. Das Institut des Vermögens ist aber eine Folge unserer Eigentumsordnung. Man kann sie in Frage stellen, aber hat man dann die Ungerechtigkeitsfrage beantwortet? Ungerecht erscheint uns gegenwärtig nicht die Eigentumsfrage per se, ungerecht ist ganz offensichtlich die Vermögensverteilung. Wenn das Erben, – wie die Herren Kirsch und Grossmann darstellen – ungerecht ist, so ist das doch eine unmittelbare Folge der ungerechten Vermögensverteilung. Könnte es dann nicht sein, dass der Ansatz, das Problem mit dem Vererben lösen zu wollen, garnicht zielführend ist?

Weitere Gedanken knüpfen an der Eigentumsordnung an. Wenn der Nachlass zu hundert Prozent konfisziert wird, so löst man möglicherweise eine Ungerechtigkeit ab, aber bringt neue Probleme auf den Tisch: Im Grund findet eine Enteignung statt. Diese Vorgehensweise steht im Konflikt mit der Eigentumsordnung. Ganze Staatsrechtskommentare befassen sich mit der Frage wann eine zulässige Enteignung möglich ist. M.a.W., wer an das Eigentumsstatut heran will, wirbelt viel grundsätzlichen Staub auf, der sich in den letzten 100 Jahren etwas gelegt hat. Aus meiner Sicht kann man nicht den Erbfall aus der Eigentumsordnung herausnehmen, ohne die Eigentumsordnung selbst in Frage zu stellen.

Es wird schon seit Jahrzehnten und ausgiebig die Frage diskutiert, ob der nicht vermehrbare Grund und Boden im privaten Eigentum sein soll oder darf. Grund und Boden ist eigentlich so etwas wie Wasser und Luft, kann als ein Gemeingut angesehen werden und sollte folglich  nicht privaten Investoren vorbehalten sein. Wir haben den Grund und Boden, der ehemals ausschließlich dem Landesherrn zu stand und als Lehen vergeben wurde, erst über die letzten 200 Jahre Schritt für Schritt zu einem privat verfügbaren Wirtschaftsgut gemacht.

Die Herren Kirsch und Grossmann führen dann auch in Ansätzen aus, wie sie sich die Vorgehensweise bei der Konfiszierung des Erbes vorstellen. Die Kürze des Artikels lässt hier wenig Raum für Details, aber der Verwaltungsaufwand erscheint gigantisch. Dabei besteht ja schon eine eingespielte (Steuererhebungs-)Behörde. Also warum noch etwas Neues schaffen? Die Fonds, die das Vermögen dann ad interim verwalten, werden riesige Vermögen übernehmen müssen, um sie dann wieder – nach welchen Regeln? – unter die Erben oder unter die Leute zu bringen. Denken Sie an die großen quasi öffentlichen Vermögen, deren Manager sich (viel zu selten) der Korruption und des Machtmissbrauchs zu verantworten haben – ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Erbschaftsfonds keine vergleichbaren Begehrlichkeiten auslöst. Der Fonds muss ein klares operationales Ziel haben, dem gegenüber sich die Fondsleistung verpflichten muss. Und dessen Einhaltung muss dann regelmäßig extern und wirkungsvoll überprüft werden. Da wird ein Moloch geschaffen (denken wir nur an die Treuhandanstalt bei der einmaligen Abwicklung der alten DDR) und es stellt sich die Frage, ob man nicht das Ungerechtigkeitsproblem eleganter auf eine andere Weise lösen könnte.

Hier scheint mir Thomas Piketty (Das Kapital im 21. Jahrhundert, Vierter Teil) eine angemessenere Lösung gefunden zu haben. Er schlägt eine jährliche Kapitalsteuer (ähnlich einer Vermögensteuer) ohne programmierte Schlupflöcher vor. Ergänzend könnte man bei Erbschaften so abschöpfen, dass ein möglicher Vorwurf der Enteignung ins Leere geht. Gleichzeitig könnte man Schenkungen vom Tarif her begünstigen, aber keinesfalls steuerfrei stellen. Das ließe sich im bestehenden System vom Grundsatz her umsetzen. Die Widerstände dürfen aber auch hier nicht unterschätzt werden. Wenn diese Schritte eingeleitet sind, wird man sehen, dass die Schere der Ungleichheit rückläufig sein wird und damit das Problem der Ungleichgewichtigkeit der Vermögen schrittweise auf ein erträgliches Maß reduziert wird. Mehr scheint mir unter den gegebenen Bedingungen auch nicht erreichbar.

Dieser Vorschlag unterstellt, dass der wirtschaftlich volatile Zustand unseres Wirtschaftssystems fortgeführt werden kann. Wenn das fraglich wird, ist der nächste Schritt dann der Schnitt, bei dem alle, die haben, Teile der Vorteile der letzten 30 Jahre, die sie sich angeeignet haben, wieder abgeben müssen. Man nennt so etwas auch Lastenausgleich. Auch hier ist eine 100% Abschöpfung im Grunde nicht denkbar. Nach meiner Kenntnis bewegt sich die Diskussion der Höhe eines Schnitts bei 5% bis 10% der jeweils wirklich großen Vermögen. Die kleinen Vermögen fallen aus der Umlage heraus. Das Ziel wäre die Befreiung der öffentlichen Stellen von ihren Schulden, in die sie gedrängt wurden, damit in Zeiten eines respektablen Zinses die vermögende private Seite auf dem Finanzmarkt einfach und sicher Geld verdienen konnte.
Ob dann das ‚Spiel‘ von neuem beginnt, steht in den Sternen und hängt von der gesamtwirtschaftliche Lage ab. Vielleicht bewegen uns dann nicht mehr Begriffe wie Wachstum und Wettbewerb, sondern eher Begriffe wie Suffizienz (Genügsamkeit), Subsistenz (Reduzierung der Arbeitsteilung) und Resilienz (Stärkung der regionalen Wirtschaft), Qualität und Reparaturfähigkeit der angebotenen Investitionsgüter.

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Eine private Rente für alle ?

Ulrich Schäfer plädiert in der SZ vom 13./14. Februar 2016 (S. 25) für eine private Rente für alle. Eine Begründung für seine Ansicht liefert er nicht. Weder sagt er, dass das öffentliche Rentensystem schlecht oder unzureichend sei, noch macht er deutlich, ob das private ‚Riester‘ Rentensystem auch nur im Entferntesten die Erwartungen erfüllt, die an das System gerichtet sind.

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Dabei kann es nicht um die Sicht der Politik und der Versicherungswirtschaft gehen, sondern um die Sicht der Einzahler (Sparer oder Anleger), die von dem Versicherungssystem irgendeinen Nutzen für den Einzahler erwarten. Dieser Nutzen steht ernsthaft in Frage.

Herr Schäfer, bevor Sie eine private Rente fordern, haben Sie sich mal den gegenwärtigen Zustand der Lebensversicherungsbranche genauer angesehen. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst verglichen mit den Zahlen vor 30 Jahren. Der Absatz ganz normaler Lebensversicherungen geht stark zurück, weil dieses Produkt, egal an was man es anhängt, keine vernünftigen Renditen bei überschaubarem Risiko abwirft und die präsentierten Hochrechnungen vermarktungstechnische Traumzahlen vorgaukeln, die diese Institutionen absehbar nie erreichen werden. Es ist ein Wahnsinn, einem Arbeitnehmer mit geringem Einkommen eine solche private Versicherung „aufzuschwätzen“, wenn heute schon erkennbar ist, dass das Risiko, das dieser privaten Versicherungsart absehbar inne wohnt, unkalkulierbar sein wird.

Herr Schäfer, lassen Sie ihren wirtschaftlich geschulten Blick schweifen: die ganze Versicherungswirtschaft ist, insbesondere dann, wenn es sich um Kleinverträge handelt, mit solchen Verträgen schlicht überfordert. Und es ist auf lange Sicht und bei dem immanenten Risiko der Altersversorgung ein Frevel, hier einer privaten Versicherung das Wort zu reden. Norbert Blüm sagte damals, von vielen belächelt: „Die Rente ist sicher“ und das ist eine Aussage, die immer noch stimmt. Und sie wird auch noch in 20 Jahren stimmen, weil man die Millionen Rentner politisch nicht im Regen stehen lassen kann – anderes ist gar nicht durchsetzbar. Die demographische Studie, die diesen „Mist“ vor über 10 Jahren ausgelöst hat, war vermutlich von der Versicherungswirtschaft bezahlt und hanebüchen schlecht recherchiert. Sie hatte nur ein Ziel, die Bürger kräftig zu verunsichern und das öffentliche System als unfinanzierbar madig zu machen.

Alle diese privaten Kleinverträge werden irgendwann die Versicherungswirtschaft in den Wahnsinn (oder in den Ruin) treiben. Nur verhältnismäßig wenige Verträge werden zu Ende geführt, die Stornoquoten sich hoch. Ich habe mal frech behauptet, dass die Versicherungswirtschaft uns (der Solidargemeinschaft) eines Tages diesen „Schrott“ vor die Füße legen wird und dem Staat die Pistole auf die Brust setzt: Subventioniere unsere Verwaltungsaufwendungen oder wir legen diese Pakete der Bundesrentenanstalt vor die Tür: Wir können und wollen uns nicht mehr um den wenig lukrativen Kleinkram kümmern.
Soviel zur privaten Rente. Dabei geht es nur um den „kleinen Mann“. Die anderen gehen sowieso andere Wege und haben schon lange verstanden, dass der Riester-Weg keinen Erfolg verspricht. Nur die in Aussicht gestellten Subventionen zwingen den kleinen Sparer in diese ‚Missgeburt‘ von privater Riester Rentenversicherung, weil sonst keine seriösen, für sie finanzierbaren Alternativen offen stehen.

Wenn nun der von Ihnen ins Gespräch gebrachte Staatsfonds realisiert wird, dann frage ich mich, was daran privat sein muss? Was unterscheidet den Staatsfonds von der öffentlichen Rente? Die öffentliche Rente wird durch die Beiträge der jeweils aktiven Arbeitnehmerschaft solidarisch gedeckt, während der Staatsfonds vermutlich erst Geld sammelt und dann verteilt. Die Verteilung wird aber vermutlich nicht solidarisch aufgebaut, sondern, wie bei der privaten Versicherungen üblich, individualistisch ausgerichtet – keiner kriegt mehr als er einbezahlt hat. Und wenn er in Schwierigkeiten kommt, so ist das sein Pech. Hat einer viel verdient, kann er viel einbezahlen; ist er ein armer Schlucker, dann bleibt er das auch im Alter. Warum versucht man jetzt ein System aufzubauen, das einer Ideologie der sogenannten Freiheit folgt, wenn sich das alte bestehende Rentensystem mit einigen Anpassungen bewährt hat? Zumal die Demographiestudie, nach der die Deutschen „aussterben“ sollen, von fehlerhaften Prämissen ausgeht. Muss es wieder so sein, dass das neue System einen privatwirtschaftlichen Anstrich bekommt, öffentlich administriert eine große Zahl von dubiosen privaten Geschäftsmodellen Tor und Tür öffnet, die Vertreter des schnellen Geldes sich mit großen, meist leeren Versprechungen bedienen dürfen und der „kleine Mann“ mal wieder die berühmte „A(rsch)“-Karte zieht.

Der Staatsfonds wäre wieder ein großes politisch motiviertes Projekt, vielleicht so groß wie die auf trügerischen Prämissen durchgeführte Einführung der Atomkraft, von der Ihr Kollege Balser heute (SZ, 16.2.2016) trocken feststellt, immer dann, wenn eine politisch gewollte Sache wirtschaftlich ausgelutscht ist, dann darf es der Bürger wieder richten: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste. Ist dieses Ergebnis am Ende der Lohn der sogenannten wirtschaftlichen Freiheit?

Es gibt Staaten, die diese Art Fonds schon betreiben. Die Erfahrungen dieser Fonds mit der Finanzkrise sind aber sehr unterschiedlich. Einige sind aufgrund der Zinssituation in ernsten Schwierigkeiten, andere haben sich schlicht verzockt. Müssen wir mal wieder – nur um der Ideologie der Privatisierung blindlings zu folgen – die gleichen Fehler wiederholen? Es geht um sehr viel akkumuliertes Geld und privatwirtschaftlich verwaltete Summen Geldes ziehen magisch die Korruption an und fordern den Egoismus heraus. Die Geschäfte werden dann sehr schnell nicht mehr zum (Gemein-)Nutzen der Vielen gemacht, die die Beiträge leisten, sondern es geht dann nur noch um den Nutzen der Wenigen, die die Fäden solcher privater Einrichtungen im Hintergrund ziehen.

Alle diese Überlegungen, Herr Schäfer, könnten Sie mit Ihrer Expertise viel schöner ausführen, wenn Sie sich von der Ideologie des vorgeblich effizienten privatwirtschaftlichen Ansatzes freimachen könnten und pragmatisch das Machbare und das Nützliche gegeneinander abwägen würden. Gewichtete, gut recherchierte Informationen sind im Mainstream dringend notwendig, aber keine ideologisierenden Meinungen! Davon gibt es schon viel zu viel.

Ein Medienbeitrag ähnlichen Inhalts und vergleichbarer Zielsetzung  findet sich in ZEIT Online vom 18.2.20216. Haben sich die Vertreter des Mainstreams möglicherweise  abgesprochen? Ist das jetzt der neue Hype, der nun durch mediale Dorf getrieben werden soll?

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Postwachstumsökonomie (I)

Wenn man Alternativen zum Neoliberalismus sucht und diskutiert, so wird man an der Postwachstumsökonomie als Alternative nicht vorbei gehen können. Dabei muss klargestellt werden, dass meine bisherig diskutierten Alternativen eher unter der Rubrik „Reparatur des bestehenden Systems“ laufen und weniger als neue Ansätze verstanden werden können.

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Wenn ich das Rechtssystem justiere, den Finanzmarkt stark reguliere, die Werbung einschränke, Steuerprivilegien rückgängig mache, eine Boden- und eine Marktstrukturreform favorisiere, eine breitere Zielfunktion im Sinne eines Wohlstandskompasses und dann noch ein Grundeinkommen fordere, so stelle ich zwar liebgewordene Gewohnheiten in Frage, aber bis dato nicht das komplette System. Klar muss auch sein, dass ein System, das die Mehrzahl meiner Vorschläge aufgreifen würde, natürlich kein kapitalistisches System heutiger Provenienz mehr wäre. Da aber meine Vorschläge bisher weder Wachstum noch Wettbewerb explizit aufheben, bleiben die bisher genannten Vorschläge im gegenwärtigen Rahmen.

Postwachstumsökonomie, ein Begriff, den ich mit Niko Paech, einem Ökonomie-Professor an der Universität Oldenburg, verbinde, geht gerade davon aus, dass Wachstum seinem absehbaren Ende entgegenläuft. Dabei ist der oben angeführte Wettbewerb nur die Rückseite der Wachstumsmedaille – Wettbewerb beflügelt ebenso wie Wachstum Differenzen, „deren Beseitigung neues Wachstum notwendig macht“ (Paech, Befreiung vom Überfluss, 2012, S.112). Postwachstumsökonomie ist ein Versuch, ein Szenario zu entwerfen, wie wirtschaftliche Aktivität aussehen wird oder könnte, wenn Wachstum zumindest in der entwickelten westlichen Welt keine (dominierende) Rolle mehr spielen kann, weil – wie Paech darlegt – die Ressourcenlage absehbar so verheerende Züge annehmen wird, dass Wachstum im heute definierten Sinne nicht mehr darstellbar ist.

Wir alle kennen das „Peak Oil“, das die Vorstellung beschreibt, dass der maximale Ausstoß oder die maximal mögliche Förderung von Rohöl seinen Höhepunkt schon überschritten habe. Die seit etwa dreißig Jahren führende Ideologie des Neoliberalismus hat eine Beschleunigung des allgemeinen Ressourcenverbrauchs ausgelöst, die Paech davon zu sprechen veranlasst, dass hinsichtlich der Ressourcenlage eigentlich „Peak Everything“ Grundlage der Diskussion sein müsste. Viele Ökonomen hoffen oder glauben aber immer noch, dass Wachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln sind. Niko Paech vermittelt hier Einblicke, die dieses Vorhaben weitgehend Lügen strafen.

Dabei setzten die Entkopplungsökonomen bevorzugt auf den sogenannten technischen Fortschritt mit der kindlich naiven Begründung, noch immer hätte die Menschheit eine Lösung für solche drängenden Daseins-Fragen gefunden. Sie vergessen jedoch, dass der technische Fortschritt bisher immer zusätzliche Energien gebunden hat und dass gerade ein weiterer Energieverbrauch unweigerlich mehr Ressourcenverbrauch nach sich ziehen wird. Hier beißt sich also die Katze in den Schwanz.

Selbst dort, wo auf den ersten Blick keine Ressourcen im Spiel sind, gibt es ‚kulturelle Wachstumstreiber‘ (vgl. Paech, a.a.O, S, 110ff.) die über soziale Distinktion (Unterscheidung), auch aus sozialem Prestige dazu führen, dass „die Wiedererlangung oder gar Steigerung einer sozialen Position, (….) somit ständig neue Kaufhandlungen voraus(setzen)…“.

Aus meiner Sicht ist die klare Darstellung und Unterscheidung von subjekt- und objektbezogener Sichtweise auf die Ressourcenfrage richtungsweisend. Wir sind gewohnt bei unserm Handeln und insbesondere auch dann, wenn es um sogenanntes nachhaltiges Handeln geht, auf die Technik der uns umgebenden Dinge zu verweisen. Alle Hoffnungen richten sich darauf, dass die Dinge (die Objekte) mit Hilfe der Technik das Problem für uns lösen, mit der Folge, dass wir uns als Handelnde exkulpieren, weil wir ja intensiv nach technischen Lösungen suchen. Dieser Lösungsansatz kann aber nicht zum Erfolg führen, wenn wir immer nur Veränderungen in unserer Umwelt erwarten, selber aber als Subjekt des Handelns glauben, in unserem gewohnten Wohlstandshabitus verharren zu können.

Der Lösungsansatz der Postwachstumsökonomie lässt die Technik nicht aus ihrer Verantwortung, packt aber das Subjekt und fordert vom ihm eine veränderte Haltung, die als „Befreiung vom Überfluss“ vermittelt wird. Paech zeigt dem Individuum die Chancen, die darin liegen, dass man sich von der Umklammerung der ‚10.000 Dinge‘ befreit und er ist in der Lage, dieses Befreiungsgefühl plausibel zu vermitteln. Die Postwachstumsökonomie ist m.E. der erste, mir bekannte Ansatz, der sich nicht auf die Technologie allein stützt, sondern deutlich macht, dass die Zahl unserer Alternativen so geschrumpft ist, dass wir beginnen müssen, auch im Subjektiven, also bei uns Handelnden, nach neuen Lösungswegen zu suchen.

Dabei spielen ein paar Begriffe eine wichtige Rolle, die den Leser leicht abschrecken können: Paech plädiert für eine Reduzierung der Arbeitsteilung, die er als Voraussetzung für die zunehmende Fremdversorgung und Globalisierung erkennt. Fremdversorgung hat zur Folge, dass man für jede kleine Einheit einen Service erwerben kann, obwohl viele dieser Dienstleistungen auch selbst verrichtet werden könnten. Die Zunahme der Arbeitsteilung war darüber hinaus eine Voraussetzung für die Globalisierung, weil erst eine immer feinere Spezialisierung es möglich macht, Prozessteile dort bearbeiten zu lassen, wo nach herkömmlicher Rechnungsweise die größte Effizienz zu erwarten ist. Dass dabei die Wegekosten unvollständig ermittelt sind, verstärkt den Trend. Dass damit weiterhin regelmäßig ein Geschäft mit der Armut anderer gemacht wird, interessiert den Ökonomen gewöhnlich nicht. Soziale Fragen sind nicht seine Baustelle. Paech will die Fremdversorgung als einen wesentlichen Faktor der Abhängigkeit und damit der Unfreiheit zurückfahren. Ein Argument ist dabei die Subsistenz, der Vermittlung von mehr Selbstversorgung als Ausdruck für eine deutlich geringere Arbeitsteilung. Mit im Spiel ist dabei natürlich eine veränderte Strategie der Technologie: kein Wegwerfen, sondern die Befähigung zur Reparatur und zur gezielten Verlängerung der Lebensdauer von Produkten, was auch unter Entschleunigung erfasst werden kann.

Ein weiterer Aspekt seines Ansatzes ist die Suffizienz, die mit der Befreiung vom Überfluss Hand in Hand geht. Genügsamkeit ist ein Wert für sich, der sich erst dann einstellen kann, wenn das veränderte Bewusstsein und das Gefühl der Befreiung vom Überfluss sich im täglichen Leben des Einzelnen durchgesetzt haben. Paech macht sehr deutlich, dass es ihm bei der Suffizienz nicht um Verzicht geht, sondern um Befreiung von Überflüssigem. Suffizienz bedeutet auch Entschleunigung, weil das Zeitintervall zwischen den Kaufhandlungen vergrößert wird. Dieses Verhalten steht natürlich im krassen Gegensatz zu unserem gegenwärtigen Konsumverhalten nach der globalen Devise: „besitzen jetzt – zahlen später“, wobei „zahlen“ nicht nur den monetären Aspekt der Transaktion meint, sondern auch die Lastenverteilung zwischen den Generationen.

Drei Gesichtspunkte bestimmen heute, allgemein gefasst, unser ökonomisches Verhalten:
• die zeitliche Entgrenzung (siehe oben: Haben jetzt – zahlen später)
• die physische Entgrenzung (Entlastung der menschlichen Arbeit durch sogenannte „Energiesklaven“. Ersetzen der menschlichen Leistung durch erhöhten Einsatz von Energie)
• die räumliche Entgrenzung (führt über eine hohe Arbeitsteilung und –spezialisierung direkt in die Globalisierung bei unrealistisch kalkulierten Wegekosten)

Diesen drei Gesichtspunkten entsprechen die Gegenkonzepte der Postwachstumsökonomie:
Die Suffizienz (Genügsamkeit) arbeitet gegen die zeitliche Entgrenzung, indem seltener konsumiert und mehr repariert wird. Die Subsistenz (der Gedanke einer erhöhten Selbst- und Gemeinschaftsversorgung) reduziert die physische Entgrenzung und ihren steigenden Energieaufwand. Eine Reduzierung der Arbeitsteilung und der Spezialisierung hebt die scheinbaren Vorteile der räumlichen Entgrenzung auf und plädiert für die Nutzung lokaler bzw. regionaler Bezüge.

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Postwachstumsökonomie (II)

Das Konzept hat natürlich Konsequenzen. Die erste Frage, die sich stellt, ist die Frage nach dem Übergang von einer spätkapitalistischen (globalen) Wirtschaftsweise auf eine Wirtschaftsweise im Rahmen der Postwachstumsökonomie. Der Prozess lässt sich am einfachsten als ein Prozess mit der Spannweite von einem geplanten Übergang (design) bis zu einem Umbruchsscenario (desaster) denken.

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Dabei stehen die Chancen auf einen geplanten Übergang eher gering, weil jene Teile der Gesellschaft, die am Status quo ihre Vorteile ausspielen können, sich mit Händen und Füßen dagegen wehren werden, eine zwar vernünftige, aber für sie nicht zu überschauende Änderung der Verhältnisse zuzulassen. Auch die Hoffnung auf demokratisch eingeleitete Prozesse würde ich begraben, weil den ‚Vielen‘, die hier ihre Unterstützung einbringen müssten, ein solch komplizierter Prozess kaum zu vermitteln ist. Die Medien, die mehrheitlich in der Hand derer sind, die heute aus dem Status quo deutliche Vorteile ziehen, werden intensiv dafür sorgen, dass die ‚Vielen‘ keinen hinreichenden Konsens finden werden, um vernünftig und machtvoll zu agieren.

Als Alternative bleibt eigentlich nur der Umbruch, der sich vermutlich weniger aus gesellschaftlichen Gründen entwickeln wird, denn aus dem schrittweisen Verlust wichtiger Ressourcen. Dabei wird deutlich, dass diese Entwicklung vermutlich kein Big Bang, sondern eher ein schleichender Prozess ist, bei dem schrittweise die gegenwärtige globale Wachstumsindustrie erodiert. Warum? Wenn es „eng“ wird, neigen die Menschen dazu, ihre regionalen und lokalen Bezüge zu stärken, sie suchen nach Rückbezug. Dann vermittelt ihnen die abstrakte Globalisierung kein Wert mehr, für den es lohnt, sich einzusetzen. Wenn auch den letzten Verfechtern des Status quo klar wird, dass ihre Ära zu Ende geht, wird der Prozess möglicherweise in Teilen einem geplanten Übergang ähneln. Da aber der optimale Zeitpunkt zur Veränderung verstrichen ist, wird es sich dabei eher um Camouflage handeln, um das Gerangel um die besten Plätze für den Start in die neue Ära eines Postwachstums zu kaschieren. Das Gerangel repräsentiert dabei ein Verhalten des Spätkapitalismus (also einer dann vergangenen Periode). Ob es sich im Rahmen der Postwachstumsökonomie dann auszahlt, bleibt abzuwarten.

Es ist sehr schwer abzuschätzen, welche Ressource wann mit welcher Folge für das Gesamte nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Dass dieser Mangel auftreten wird, erscheint ausreichend belegt. Lediglich der Zeitfaktor ist gegenwärtig nicht abzuschätzen. Ebenfalls nicht abschätzbar sind mögliche Überkreuz-Abhängigkeiten: z.B. wäre es denkbar, dass nicht fehlender Kraftstoff den Individualverkehr lahmlegen, sondern irgendein kleiner, bisher unbeachteter Rohstoffmangel, der Teile betrifft, die für den Bau eines Automobils unverzichtbar und auch nicht ersetzbar sind. Um es in den Kategorien der Postwachstumsökonomie auszudrücken: die zeitliche Entgrenzung ist aufgehoben, die Suffizienz hält erzwungenermaßen Einzug. Das gleiche Scenario können wir auch auf Mobiltelefone übertragen, deren Produktion von Seltenen Erden abhängig ist. Viele werden jetzt darauf verweisen, dass ja recycelt wird – das ist richtig, aber zu welchem mittelfristigen Preis, wenn aller Welt klar wird, dass die Ressource knapp geworden ist. Mobiltelefone leben davon, dass sie ein Massenphänomen sind. Wenn aber der Rohstoffpreis auf den Verkaufspreis durchschlägt, wird es sicherlich weiterhin Mobiltelefone geben, aber wird es ein Massenphänomen bleiben können? Es ergibt sich Suffizienz, nicht aus Vernunft, sondern aus finanziellem Unvermögen.

Diese Ausführungen müssen reichen, um die mit der Postwachstumsökonomie einhergehenden Phänomene anzureißen. Der ökonomischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, aber Vorsicht – die Dinge werden in Umbrüchen oft komplexer als man sich das vorher ausdenken kann. Unser Denken ist meist linear orientiert und Umbrüche folgen einer anderen Logik.

Wenn unterstellt wird, dass die Wachstumsindustrie weltweit erodiert, was bedeutet das für die Menschen, die auf Beschäftigung angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten? Die Nachfrage nach Arbeitskräften wird dramatisch sinken. Die Folge ist nach herkömmlichem Verständnis Arbeitslosigkeit. Schon heute ist der Niedriglohnsektor nur dadurch zu erklären, dass wir im Grunde mehr Arbeitnehmer beschäftigen als wir realiter benötigen. Einfache Rechnungen, die die gesamte erbrachte Arbeitsleistung in Deutschland auf alle Arbeitsnehmer verteilt, kommt zu dem Schluss, dass eigentlich eine Wochenarbeitszeit von deutlich weniger als 40 Stunden pro Woche ohne Produktionseinbußen erzielbar wäre.
Paech hat einen etwas anderen Ansatz: er schlägt vor, sich vom Überfluss zu befreien, kehrt also das Problem um und sagt aber nicht, schränkt euch ein, sondern verbreitet die Botschaft: Befreit euch von all dem Wohlstandmüll, der nur dazu diente, die Wachstumsmaschine am Laufen zu halten. Letztere ist mit Wirksamwerden der Postwachstumszeit logischerweise zusammengebrochen – also ändert eure Wertperspektiven.

Was für Folgen können wir für den Staat, für das Gemeinwesen unterstellen? Da wir in der Zeit des Postwachstums nicht weniger Menschen sein werden, werden aber die Unternehmen, und hier wohl zuerst die großen Einheiten mangels Absatz kollabieren. Bei weniger Unternehmen und damit auch weniger Beschäftigten können wir unterstellen, dass die Steuereinnahmen des Staates sinken werden. Heute würde das bedeuten, dass Kürzungen bei den Sozialleistungen im Fokus stehen. In einer Wirtschaftsform, in der Wachstum keine dominierende Rolle mehr spielt, ist auch diese neoliberale Ideologie an ihrem Ende.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Politik des Neoliberalismus, je schwieriger die Ressourcenlage vor dem Umbruch wird, ihre Angebotspolitik durch ‚Geld fluten‘ und ‚Subventionen erhöhen‘ bei gleichzeitiger Kürzung der Sozialleistungen solange als möglich beibehalten wird. Mit anderen Worten, nach dem Ende des Wachstums müssen erst mal die Schäden (Schulden) bezahlt werden, die diese Politik in den letzten Jahren (Jahrzehnten?) vor dem Umbruch ausgelöst hat. Die Situation wird nach dem Umbruch vermutlich gesellschaftlich so heikel sein, dass man erkennt, dass jetzt statt der Sozialleistungen die Subventionen der Unternehmen drastisch gekürzt werden müssen, um eine ausreichende  finanzielle Manövriermasse zu schaffen. Die andere Frage ist, ob in der allgemeinen Umbruchssituation der Staat ganz allgemein ausreichende Finanzmittel einnimmt, um Subventionen grundsätzlich aufrecht zu erhalten. Ergänzend stellt sich die Frage, ob nicht der Umbruch dazu führt, dass man an all die Budgets geht, die bisher als „heilige Kühe“ der Vermögenden betrachtet wurden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Staat sich der Frage stellen muss, warum sollen 99% der Bevölkerung die Schulden ausgleichen, deren Gegenwert die 1% aufgrund ihrer Vermögenszuwächse ‚eingenommen‘ haben. Wie oft in solchen Situationen, wird sich der Staat durch Abbau von Schulden Handlungsfreiheit verschaffen müssen und was liegt da näher als einen „Lastenausgleich“ zwischen den Vermögenden und dem Rest der Bevölkerung zu Gunsten einer Abfertigung öffentlicher Schulden anzustreben. Das Geld, das den Schulden entspricht, ist ja durch Fluten der Finanzmärkte und durch Subventionen in irgendwelchen privaten Taschen gelandet, also holt sich das Gemeinwesen in einer nationalen Notlage zumindest einen Teil des Geldes wieder zurück, um den Neustart angemessen finanzieren zu können.

Niko Paech schneidet dieses Thema Lastenausgleich nur an, aber es ist ihm durchaus klar, dass diese Herausforderung einer Lösung harrt. Paech widmet sich ausführlicher der Frage, wie das Leben als Arbeitnehmer aussehen könnte und auf welchen Sektoren Unternehmen (die es ja weiter geben wird, vermutlich in der Mehrzahl nur kleiner als bisher) bevorzugt Chancen finden können.
Der einzelne wird sich in Suffizienz üben müssen. Es bleibt die große Frage, ob die Mehrzahl der Bürger darin eine Befreiung vom Überfluss sehen kann. Ich persönlich kann mir das gut vorstellen, aber darf bezweifeln, ob all die vielen Konsumjunkies darin eine Befreiung sehen.
Letztlich ist Konsum auch eine Folge von Langeweile. Die neuen, vielleicht auch schwierigen Lebensumstände werden mit einiger Sicherheit alles andere als langweilig zu klassifizieren sein. Also wird diese Frage durch die Umstände teilweise gelöst werden.

Das Einkommen der Bürger wird sich an der reduzierten Arbeitszeit ausrichten. Wenn alle Arbeit erhalten wollen, wird man neue Arbeitsmodelle erfinden müssen. Die Folge wird mehr Freizeit sein bei knapperen finanziellen Möglichkeiten hinsichtlich des verfügbaren Einkommens. Das erhöhte Freizeitkontingent sucht nach Bindung. Da nicht mehr so viel Geld im Umlauf ist, erwartet Paech im Freizeitbereich verstärkten Leistungsaustausch ohne monetäres Entgelt (Nachbarschaftshilfe i.w.S.).

Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Herausforderung, der Schere von geringerem monetären Einkommen und tendenziell teureren Warenangeboten zu entkommen. Die Waren können mehrheitlich nicht mehr unter Plünderung der Armutsländer billig produziert werden(Globalisierung) oder sich rühmen, preislich subventioniert zu werden (Landwirtschaft, Energiewirtschaft u.a.). Sie werden künftig mehr regional oder auch lokal hergestellt werden müssen. Dafür sollten aber ihre Qualität (z.B. ihre Lebensdauer) und ihre Reparaturfähigkeit deutlich zunehmen. Der Konsum wird sich umstellen müssen: nicht mehr ‚kaufen und später zahlen‘, sondern ‚erst sparen, dann kaufen‘- eine durchaus hauswirtschaftlich sinnvolle Vorgehensweise, die aber vielfach in Vergessenheit geraten ist.

Wenn man davon ausgeht, dass die großen globalen Einheiten zuerst verlieren, weil ihnen der hohe Durchsatz mit den damit verbundenen Skaleneffekten (Kostendegression) verloren geht, so kann man durchaus davon ausgehen, dass Unternehmen, die regional eingebunden, über keine globalen Ambitionen verfügen und meist auch kleiner sind, diese Veränderung aufgrund geringerer Arbeitsteilung (Ausbau einer längeren variablen Inhouse – Wertschöpfungskette) ganz gut überstehen werden. Insbesondere dann, wenn ihr Abnehmerkreis im Umland sitzt. Globale Einheiten sind unflexible, auf hochgradige Arbeitsteilung angewiesene Unternehmen, die ihre Effizienz nur bei großen Stückzahlen nahezu gleicher Artikel ausspielen können. Wenn es kein Wachstum gibt, ist diese Unternehmensgröße in der Mehrzahl der Fälle wohl obsolet.

Wer sich mit der Frage einer Postwachstumsökonomie detaillierter beschäftigen möchte, dann verweise ich auf „Niko Paech, Befreiung vom Überfluss, München, 2012“ oder auf seine diversen Youtube-Beiträge aus den letzten paar Jahren.

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Das Globalisierungs-Paradox (?)

Die Überschrift wurde von dem Samstagsessay von Alexander Hagelüken in der Süddeutschen Zeitung vom 30. Januar 2016 übernommen. Seine Gedanken kreisen um das nachlassende, angeblich durch Globalisierung ausgelöste Wachstum, das sich nach seinen Aussagen gegenüber den letzten Dekaden halbiert habe. Neben einer unzureichend begründeten Unterstützung von TTIP kommt er dann auf sein Paradoxon zu sprechen: „Im Boom, der die Weltwirtschaft seit Ende der Neunzigerjahre im Schnitt mit vier bis fünf Prozent wachsen ließ, haben die Staaten nicht etwa ihre Kassen gefüllt. Sondern sie sind höher verschuldet als zuvor.“ Wo die von ihm zitierten Wachstumszahlen herkommen, ist nicht nachzuvollziehen.

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Wachstum in Europa?
Europa hat in diesem Zeitraum Wachstumszahlen präsentiert, die selten über 1,5 % gelegen haben. Piketty spricht von 1,9 % in den letzten dreißig Jahren und dabei hat die Anfangsdekade dieses Dreißigjahreszeitraumes wohl den größeren Beitrag zu dem Durchschnitt geleistet als die letzten Dekaden. Was an der steigenden Verschuldung dann paradox sein soll, verstehe wer will: Die Steuern wurden gesenkt (Steuererleichterungen in der Erbschaftsteuer, Vermögensteuer ausgesetzt, Firmenverkäufe steuerfrei gestellt, u.v.a.m.), mit anderen Worten, der ‚schlanke‘ Staat der neoliberalen Ideologie wurde ein Stück weit umgesetzt. Von der Erhöhung der Subventionen will ich gar nicht sprechen. Was Hagelüken als paradox anspricht, ist doch nur die Realisierung der neoliberalen Strategie der letzten Dekaden. Mit anderen Worten: die Politik hat die Wirtschaft und dabei insbesondere die Globalplayer mit Milliarden Vergünstigungen (man könnte auch sagen: „Konjunkturprogrammen“) ‚‘gepampert‘ und hat trotzdem nur etwa 1,5% Wachstum erzielt – mission incompleted!
Das Paradoxon liegt vielmehr in einer Umkehrung der Zusammenhänge: Warum haben die Milliarden der riesigen „Konjunkturprogramme“ der Regierungen in den letzten Jahren nur so wenig Wachstum generiert?

Jetzt sind wir an dem Punkt, wo es knackt. Müssen wir nicht endlich erkennen, dass unsere Wirtschaftspolitik einer Schimäre nachgerennt – immer mehr Finanzmittel in eine Wirtschaft zu pumpen, nur um festzustellen, dass die Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg auslöst? Neben der Tatsache, dass es generell schwer ist, auf einem Stand des Vermögens, wie er bei uns herrscht, noch eins draufzusetzen, damit dann irgendwelche zum Fetisch erhobenen Prozentsätze erreicht werden, bei deren realwirtschaftlichem Umfang das Wachstum eines Schwellenlandes explodieren würde, weil dort eine Vermögensbasis zugrunde liegt, die weit unter unserer liegt. Mit dem Gegenwert von fünf Prozent Wachstum aus einem Schwellenland könnte sich in Europa kein Wirtschaftspolitiker sehen lassen, das würde bei uns rechnerisch vielleicht ein Wachstum von kleiner 0,5% (also vernachlässigbar) auslösen. Der Maßstab ist einfach veraltet und das, was er misst, ist vielleicht auch eine Kategorie, die uns seit Jahren in die Irre führt.

Regional versus Global
Ein anderer Zusammenhang könnte als Paradoxon angesehen werden (und das spricht Hagelüken nur indirekt an): Je mehr das Trommelfeuer der medialen Werbung für eine strikte Globalisierung (z.B. im Sinne von TTIP) die Bürger erreicht, desto mehr wenden sich immer mehr Menschen dem regionalen Bezug zu. Das könnte man als ein Paradoxon beschreiben – je mehr politischer Druck in Richtung einer Akzeptanz der für den Bürger völlig abstrakten Globalisierung gemacht wird, desto mehr gewinnt der regionale Bezug an Bedeutung. Wie Region abgegrenzt wird, ist dabei sehr unterschiedlich: das können Wirtschaftsräume oder Sprachgrenzen (Dialektgrenzen) sein, es können Länder sein („Wir können alles. Außer Hochdeutsch“). Auch die Nation kann im Verbund Europas eine solche Region in Abhängigkeit von der jeweiligen Fragestellung sein. Kein Mensch – oder treffender – kein Bürger kann sich aber mit einer globalen Region identifizieren. Und deshalb ist die Globalisierung ein theoretischer Konstrukt, dem jede emotionale Unterstützung durch die Bürgerschaft (wer wäre denn das im Falle der Globalisierung?) fehlt und auch zukünftig fehlen wird. Europa liegt uns viel näher, aber schon hier verlässt uns die Identifikation. Seit Jahrzehnten versuchen wir Europa identifizierbar zu machen – und es will nicht gelingen. Was im „Kleinräumigen“ nicht gelingt, warum sollte das im globalen Rahmen gelingen? Europa als ‚Schicksalsgemeinschaft‘, als ‚Block‘ in der Weltpolitik ist für gebildete Bürger noch wahrnehmbar, aber wenn es – wie bei der Globalisierung nur darum geht, noch bessere Geschäfte machen zu können, warum sollte da die Globalisierung Anhänger finden, die insbesondere mit Herz und Verstand eine solche Idee unterstützen könnten. Die Globalisierung hat nur einen Zweck: Geld aus Geld zu machen. Emotional geladene Begriffe wie Frieden, Gleichheit, Menschenwürde, Mäßigung, Nachhaltigkeit u.a. sind nicht mit der Globalisierung zu verbinden – aber die Menschen (und insbesondere die gebildeten Schichten) brauchen solche quasi religiösen Symbole, um ein Mindestmaß an Identifikation herstellen zu können. Ziele wie Geld, Erfolg oder Wachstum lösen vielleicht Gier nach Mehr aus, haben aber noch nie Identifikation geschaffen.

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TTIP und der ‚Islamische Staat‘: Ein Märchen wie aus 1001 Nacht?

Ausgangslage:
Der ‚Islamische Staat‘ (IS) wird aufgrund seiner Vorgehensweise und seiner Statuten als Gegner des Westens gebrandmarkt. Ob die Zusammenhänge so einfach sind, wie sie uns öffentlich vermittelt werden, soll hier nicht diskutiert werden. Es geht im Folgenden um eine Fiktion, ein Märchen, das aber durchaus Realität werden könnte und die seltsamen Wege unserer von der Politik künftig angestrebten Wirtschaftsregeln ins Licht der Aufmerksamkeit rücken soll.

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Der IS finanziert sich über Rohöl, das er auf dem Weltmarkt verkauft. Da er dringend und ständig Geld benötigt, um seine „Krieger“ bei der Stange zu halten, verkauft er das Öl, das in seinem Einflussgebiet gefördert wird, mit einem etwa 50% Preisabschlag vom Weltmarktpreis. So jedenfalls lassen sich verschiedenen Pressemitteilungen interpretieren. Der Kauf dieses Öls ist für die Konzerne ein sehr rentables Geschäft, weil sie den 50% Nachlass natürlich nicht weitergeben müssen – und es sind nur die Öl-Konzerne, die über die notwendigen Transport- und Raffineriekapazitäten verfügen, um mit dem IS Handel zu treiben.

Nun wäre es ein relativ einfacher Schritt, den Geldzufluss des IS versiegen zulassen, wenn sich die Politik einig werden könnte, den Konzernen die Abnahme dieser Öl-Mengen zu untersagen. Da es m.W. keine globale Gesetzgebung für solche Fälle gibt, müsste demnach jeder Staat die in seinem Land ansässigen Öl-Multis verpflichten, dieses Öl nicht mehr zu kaufen oder zu verwenden. Ob aber die gegenwärtige Rechtslage in den beteiligten Ländern ein derartiges Vorgehen zulässt, muss hier offen bleiben. Man könnte aber öffentlichen Druck ausüben, der u.U. wirksamer als ein Gesetz wäre. Der Erfolg dieser Maßnahmen läge auf der Hand. Bei ausreichender Solidarität würde innerhalb von wenigen Wochen der gewünschte finanzielle Austrocknungsprozess Wirkung zeigen. Die bis hierher dargestellte Entwicklung ist hinsichtlich Ursache und Wirkung – so scheint mir – klar und einfach zu überschauen.

TTIP und die Folgen
Wenn eine derartige Umsetzung erfolgen würde, käme umgehend das TTIP bzw. eine seiner Vorgängervereinbarungen ins Spiel – und jetzt „beißt sich der Hund in den Schwanz“ oder sagen wir, die bestehenden Abkommen arbeiten für den IS :
Die Öl-Multis werden sich nämlich ganz schnell der Investoren-Regeln des TTIP oder seiner Rechtsvorgänger entsinnen. Diese Regeln sehen vor, dass ein Staat, der durch seine hoheitlich-staatlichen Entscheidungen das Geschäftsmodell eines Konzerns stört oder gar zerstört, dafür vor einem geheimen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Das Verfahren ist teuer, aber die mögliche 50% Reduktion des Einkaufspreises multipliziert mit großen Mengen an Rohöl lassen den Prozessaufwand klein erscheinen, wenn hier, wie immer wieder angedeutet wird, gegenwärtig trotz der Preisreduktion Milliarden Dollar umgesetzt werden.
Die Öl-Multis würden es sich zweimal überlegen, ob sie ihren Namen mit einem solchen Prozess verknüpfen lassen würden, wenn diese Prozesse öffentlich und damit für jedermann erkenntlich wäre, welche Motivationslage den Kläger eigentlich treibt. Da die Angelegenheit aber geheim ist, wird man von dem Prozessverlauf nur durch Zufall oder eventuell durch ‚whistleblower‘ erfahren.
Als Konsequenz ist vielleicht der IS-‚Sumpf‘ am Ende aller Tage finanziell ausgetrocknet, aber den Preis für diese Aktion zahlen die Steuerzahler der am Boykott beteiligten Staaten, indem sie den Gewinnausfall der Öl-Konzerne (eventuell in Milliardenhöhe?) zu ersetzen haben.
Ob diese märchenhaften (hypothetischen) Verknüpfungen auch bei den so geheimen TTIP-Verhandlungen diskutiert werden?

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