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Man kann es nicht oft genug sagen!

Kapitalismus und Marktwirtschaft sind zwei Begriffe, die im Grund nichts miteinander zu tun haben, obwohl sie gerne gemeinsam marschieren. Einige knappe Ausführungen von Ulrike Herrmann aus einem Vortrag im Jahre 2014 verschaffen u.U. mehr Klarheit.

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Unser Wirtschaftssystem vor dem Kapitalismus war handwerklich geprägt. Selbst große Bauvorhaben wie die Sakralbauten der Gotik (in den Jahren 1150 ff.) wurden durch handwerklich geprägte Wirtschaftsformen errichtet. Es gab zwar mechanische Unterstützung (Kräne und andere Hebewerkzeuge), um die Kraft des Menschen zu vervielfachen. Aber Grundlage des Handelns blieben die menschliche Arbeitskraft und deren intelligenter Einsatz.

Auf den vorkapitalistischen Märkten trafen sich viele Anbieter und viele Konsumenten. Der Markt war die regionale Plattform, auf der sich Angebot und Nachfrage trafen. Da diese Märkte im heutigen Sinne relativ ‚vollkommen‘, sie also transparent, relativ atomistisch und für jedermann überschaubar waren, bildeten sich Preise, die der Mehrzahl der Marktteilnehmer ein Auskommen sicherten, aber die Schaffung von Vermögen war nur langfristig und in kleinen konsequenten Schritten möglich, weil in nahezu ‚vollkommenen‘ Märkten keine außergewöhnlichen Renditen zu erzielen sind. Dazu waren diese Märkte viel zu transparent.

Trotzdem gab es schon in jener Zeit sehr reiche Kaufleute (z.B. die Fugger, die Welser u.a.). Die Erklärung könnte darin liegen, dass diese Familien zweifelsohne ihre Anfangsvermögen und ihren gesellschaftlichen Einfluss über die Märkte aufgebaut haben. Ab einer gewissen Höhe des Vermögens und des damit ausgeübten Einflusses wurden diese Großkaufleute für die damalig Mächtigen interessant, weil sie den Eindruck vermitteln konnten, deren ehrgeizige Projekte (meistens Kriege) finanzieren zu können. Die dort zu erzielenden Renditen waren (wie auch heute) mit den Renditen der klassischen Märkte nicht zu vergleichen und wer zu diesem ‚Macht-Spiel‘ Zugang hatte und die Regeln beherrschte, konnte Vermögen anhäufen, die für damalige (und auch heutige) Vorstellungen außergewöhnlich waren. Man sieht schon hier, dass der Reichtum dieser ‚Leuchttürme‘ der Wirtschaftsgeschichte mit dem Markt nur am Rande zu tun hat. Der regionale Markt war der Tummelplatz für die nichtpriviligierten Teilnehmer des täglichen Wirtschaftsgeschehens. Wer es sich leisten konnte, mied diesen Markt als zu arbeitsintensiv, zu wettbewerbslastig und zu wenig rentabel.

Ulrike Herrmann verlegt in einem Vortrag den Beginn des Kapitalismus in die Jahre um 1760. Ihre Begründungen für diese Feststellung sind technologischer Natur. Die Erfindungen zur Energiegewinnung und die technischen Erfindungen der Mechanik, die nur durch die Energiebereitstellung zur Entfaltung kommen konnte, verändern die wirtschaftliche Landschaft grundlegend. Nach der Sklavenarbeit der ‚Unfreien‘ wurden die ersten technischen ‚Energiesklaven‘ (ein Begriff von Niko Paech) geschaffen, indem man menschliche Arbeitskraft durch externe Energiezufuhr und die menschliche Geschicklichkeit  durch präzise mechanisch-repetitive Abläufe ersetzte oder zumindest äußerst wirksam ergänzte.

Die Beschäftigung von Menschen war und ist nicht besonders kapitalintensiv. Alle handwerklichen Aktivitäten reduzieren sich auf eine Kombination von Mensch und Material im Zeitpunkt der Leistungserstellung. Die Vorleistungen sind gering. Erst die neue Technologie, die Großanlagen erforderte, verlangte nach einer anderen Vorgehensweise. Die finanziellen Startsummen, die sich zur Bewältigung solcher Projekte als notwendig erwiesen, erforderten Finanzmittel, die nur mit staatlicher Unterstützung z.B. in Form von Abnahmegarantien denkbar und möglich waren. Sonst wäre niemand im Lande bereit gewesen, diese hohen Risiken bei völlig neuen Strukturen einzugehen.

Hier beginnt die bis heute andauernde Symbiose von Staat und Kapitalismus. Es wird dabei deutlich, dass es zwar Märkte gibt, sie aber mitnichten dazu dienen, Preise festzulegen. Dieser öffentlich gestützte Großanlagenbau ähnelte eher einem Monopol, bei dem die Preise durch den Produzenten frei festgelegt bzw. deren Preise eine gewisse Abhängigkeit zum angestrebten Umsatz aufwiesen. Die Monopole haben aber durch die Skaleneffekte aufgrund des erstmals realisierten Massengeschäftes und durch die Abnahmegarantien des Staates so günstige Gestehungskosten umsetzen können, dass trotz der Monopolstruktur die Preise so attraktiv niedrig waren, dass sich im Lande Unternehmen entwickeln konnten, die auf dieser Energie-Grundversorgung aufbauen und ihre industriellen Produktionen schrittweise in alle Zweige der damaligen Industrie übertragen konnten.

Die Umsetzung der neuen Technologie benötigte Kapital in einem Umfang, dass es nachvollziehbar ist, dass Kapital zu dieser Zeit als knapp eingestuft wurde. Man verfügte über ausreichend natürliche Ressourcen, Arbeitskräfte und Know-how. Einzig das Kapital war der Engpass. Die Institutionen, die zu dieser Zeit über Kapital verfügten, verlangten für die Bereitstellung von knappem Kapital einen entsprechenden hohen Preis. Aus dieser Zeit rührt die Vorstellung des Kapitalismus, dass das Kapital grundsätzlich als knapp zu betrachten sei. Als Folge entwickelt sich zu diesem Zeitpunkt auch das Verständnis, dass das Kapital gegenüber allen anderen Ressourcen zur Bewältigung einer wirtschaftlichen Aufgabe eine Bevorzugung verdiene. Der Kapitalist hatte sich damit in Stellung gebracht und hat diese Position bis zur heutigen Zeit halten können, obwohl die Bevorzugung nicht mehr nachvollziehbar ist, insbesondere in einer Zeit, in der Geldkapital im Überfluss um den Erdball schwappt.

Der Kapitalist baute im Gegenteil seine Stellung noch weiter aus. Da die (vorgebliche) Knappheit des Kapitals die Wirtschaftsprozesse etwa zwei Jahrhunderte lang dominierte, hat der Kapitalist die Möglichkeit genutzt, innerhalb der wirtschaftlichen Kombinationsprozesse seine Einzigartigkeit entsprechend herauszustellen und klarzumachen, dass das Kapital so knapp sei, dass er, der dieses knappe Gut bereitstellt, legitimer Weise auch den Löwenanteil aus der Wertschöpfung der Wirtschaftsprozesse beanspruchen könne.

Ergänzt wird dieses Argument, dass er im kapitalistischen System in Vorleistung gehe und damit ein besonderes unternehmerisches Risiko trage. Vorleistung heißt dabei, dass er sein Vermögen heute einsetzen muss, um künftige, aber tendenziell unsichere Erträge erwirtschaften zu können. Diese Sichtweise ist theoretisch nicht falsch, vernachlässigt aber die Tatsache, dass die Kapitalvertreter natürlich immer bemüht sind, Absprachen zu treffen und Einfluss zu nehmen, um dieses Risiko zu minimieren. Da es sich bei den großen Unternehmen tendenziell um Monopolisten handelte, war auch immer sichergestellt, dass der Staat stützend und schützend im Hintergrund mitwirkte.

Diese oben genannte Vorleistung war dann der Ausgangspunkt für die Entwicklung des kapitalistischen Systems und seinen besonderen Eigenheiten. Wenn der Kapitalist nicht schon aus anderen Quellen über Vermögen verfügt, muss er die Vorleistungen über Kredit finanzieren. Das Produkt enthielt nach Fertigstellung anteilige Kosten aus Vorleistungen, die Materialkosten, die Löhne und Gehälter usw. Auf diese Kosten schlug der Unternehmer seine Gewinnerwartungen auf und ging mit diesem Preis auf den Markt. Wer waren seine Abnehmer? Es waren die anderen Unternehmer und die abhängig Beschäftigten mit ihren Masseneinkommen. Aufgrund der Kalkulation wissen wir, dass die Löhne und Gehälter aber nur einen Bruchteil des Produktpreises ausmachen. Wenn der Unternehmer also seine komplette Produktion zu seinem angestrebten Preis zu Geld machen will, fehlt systematisch ein Betrag, der nach landläufiger Vorstellung durch Verschuldung der Abnehmer gedeckt werden muss. So wie der Kapitalist u.U. einen Kredit aufnehmen musste, um seine Vorleistungen zu finanzieren, muss jetzt der Konsument einen Kredit aufnehmen, um die Ware abnehmen zu können und stellt dadurch sicher, dass der Kapitalist als erstes Glied in der Kette den Kredit für seine Vorleistungen zurückzahlen kann. Damit wird der kapitalistische „Schuldentanz“ eröffnet. Es bleibt immer eine Lücke, die durch Schuldaufnahme eines Folgegliedes in der Kette temporär gedeckt werden muss. Hier taucht erstmals der Begriff Wettbewerb auf. Die Kapitalisten stehen bei der Schuldendeckung wechselseitig im Wettbewerb um die zahlungsfähigen Abnehmer. Bei der systembedingten Lücke werden immer einige scheitern müssen. Den Letzten beißen die Hunde!

Diese Sichtweise erklärt einerseits die Dynamik des Kapitalismus, aber andererseits auch die Tatsache, dass der Kapitalismus aus dieser Falle nicht herauskommt. Die Schulden müssen im System immer weitergegeben werden. Die Schuld wird erst dann gelöscht, wenn am Ende eines der Kettenglieder bereit und fähig ist, die Schuld aus bestehendem Vermögen auszugleichen. Denn immer, wenn eine Schuld kontrahiert wird, gibt es mindestens einen Schuldner und einen Gläubiger und letzterer bekommt das Geld ausbezahlt. Das erklärt, warum die Vermögensverteilung sich so rasant und schief entwickelt. Auf der einen Seite steigen laufend die Schulden beim Staat und bei den Nichtpriviligierten (Bezieher von Masseneinkommen), während die damit verbundenen Gelder bei den Vermögenden kumuliert werden können. Solange die Schuldenlast als erträglich verstanden wird, werden Staat und Nichtpriviligierte immer ärmer und die Vermögenden immer reicher. Das läuft bis zu einem Kulminationspunkt, an dem der Staat und die verbleibenden ‚Habenichtse‘ die Waffen strecken müssen. Dann muss ein Schnitt vorgenommen werden, dort, wo das Geld sich aufgehäuft hat. In der Vergangenheit bezeichnete man so etwas als ‚Lastenausgleich‘.

Es gibt Aussagen, dass in kapitalistischen Systemen etwa alle 70 Jahre dieser Schnitt ansteht, wenn nicht Kriege oder vergleichbare Auseinandersetzungen diese Frage anderweitig lösen. Die 70 Jahre gelten inzwischen als abgelaufen und es gibt zahlreiche internationale Versuche, den Schnitt abzuwenden, indem man nicht den Lastenausgleich anstrebt, (der für die Vermögenden schmerzhaft, aber gesellschaftlich fair wäre); stattdessen leitet man seit den 90iger Jahren Schritt für Schritt die kriegerische Option ein. Dazu muss man die betroffenen Menschen hinführen, indem durch die Betonung des Rassismus (wir sind die Besseren), durch globale Bedrohungsszenarien (Terror und Stellvertreterkriege) und die aggressiv geführten Verhandlungen zwischen den Machtblöcken und ihren Vasallen Feindbilder aufbaut.

Was dem geneigten Leser vielleicht aufgefallen ist: Vom Markt war hier eigentlich selten die Rede. Wenn der Markt definitionsgemäß der Ort ist, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen, so ist der Markt so selbstverständlich, dass sich daraus keine normativen Sollstellungen ableiten lassen. Der ‚vollkommene‘ Markt der Theorie, der sich wohl noch in kleinen Nischen halten kann, hat aber für die Wirtschaft in keiner Weise preisbildende Funktion. Er hat diese Funktion wohl praktisch auch nie gehabt, auch nicht als wir noch von einer sozialen Marktwirtschaft gesprochen haben. Die Preise bestimmen die Konzerne als quasi Monopolisten untereinander anhand ihrer individuellen Umsatzbedürfnisse und alle anderen Marktteilnehmer richten sich danach aus und suchen ihre Chancen wahrzunehmen.

Selbst wenn wir ein anderes System anstelle des Kapitalismus verwenden würden, würde das nicht zwangsläufig einen Einfluss auf den Austausch von Angebot und Nachfrage (auf den Markt) haben. So wie das handwerklich geprägte vorkapitalistische Wirtschaftssystem funktionierte und seine Märkte besaß, so wird deutlich, dass auch eine postkapitalistische Wirtschaftsform mit ziemlicher Sicherheit Märkte verwenden wird, weil es eine Form der Kommunikation ist, auf die wir nicht verzichten können und wollen.

Ein anderes Problem ist die zunehmende Kommerzialisierung zwischenmenschlicher Transaktionen. Märkte funktionieren über Preise. Jedes gehandelte Wirtschaftsgut hat oder erhält einen Preis, der Grundlage der Transaktionen ist. Wenn nun Wirtschaftskreise im Kapitalismus zu der (begründeten) Auffassung gelangen, dass die bestehenden Märkte keine nennenswerte Volumensteigerung mehr zulassen (also Wachstum ausbleibt), dann kommen sie konsequenter Weise auf die Idee, den Markt nicht mehr nur auf die geschaffenen Wirtschaftsgüter zu beziehen, sondern den Markt auf Sachverhalte auszuweiten, die sich bisher einem Markt bewusst oder unbewusst entzogen haben. Diese Kreise versuchen nun Märkte zu schaffen, wo niemand die Notwendigkeit von Märkten vermutet. Man geht hin und versucht Sachverhalte ‚knapp zu reden‘, um Wettbewerb auszulösen, denn wenn die Dinge nicht als knapp darstellbar sind, sind sie markttechnisch und finanziell uninteressant.

Und hier verknüpfen sich jetzt der Markt als Marktwirtschaft und das kapitalistische System. Der Kapitalismus verkörpert das ständige Streben nach mehr (mehr, schneller, höher), um der Schuldenfalle zu entkommen. Wenn die bestehenden Märkte ausgereizt sind, droht die Kapitalismus-Falle zu zuschnappen. Der Kapitalismus hat nun zwei Alternativen: a) er weitet gezielt den Marktgedanken zur Marktwirtschaft auf Dinge und Sachverhalte aus, die z.B. bisher keinem Markt unterliegen oder b) er manipuliert seinen potenziellen Abnehmerkreis in einer Weise, dass sie glauben, mehr konsumieren zu müssen. Die zweite Alternative ist mit hohen Kosten verbunden und der Erfolg ist nicht gesichert. Die erste Alternative richtet sich z.B. schwerpunktmäßig auf die heute noch mehrheitlich öffentliche Grundversorgung, die unter öffentlicher Verwaltung steht. Das ist die medizinische Versorgung, das ist der Auf- und Ausbau von Infrastruktur, das ist der Bildungssektor und das ist in Teilen auch der Kulturbetrieb. Das Argument der Marktwirtschaftsvertreter ist dabei nicht der Hinweis auf das fehlende Wachstum in den angestammten Märkten, sondern eine alte Leier: „Wir können es besser und billiger.“ Den gültigen Beweis sind sie aber bis heute schuldig geblieben.

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Innovation durch Großkonzerne ?

Jörg Häntzschel hat in der Süddeutschen Zeitung vom 16.8.2016 einen lesenswerten Artikel zur Mobilität veröffentlicht. Danach könnte hinsichtlich des künftigen Verständnisses der Mobilität ein Systemwechsel anstehen. Die deutsche Automobilindustrie jedoch pflegt immer noch unverändert die alten, im Grunde überholten Leitbilder von der großen Freiheit und vom schnellen Fahren. Die Wirklichkeit zeigt, dass die öffentlichen Verkehrsmittel heute nicht nur auf langer Strecke dem Automobil überlegen sind, sondern auch im Kurzstreckenverkehr der Großstadt. Dabei wird nicht nur das Fahren zum Problem, sondern der ruhende Verkehr (das Parken) nimmt zunehmend dem fahrenden Verkehr den Raum weg.

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Das Paradoxe dabei ist, dass das Automobil als langjähriges Mittel zur Mobilität die Funktion der Mobilität zunehmend einschränkt. Häntzschel macht plausibel, dass u.a. die bisher strikte Trennung von öffentlichem und privatem Verkehr als überholt anzusehen ist. Wir stehen vor der Herausforderung, ein neues Verständnis von Mobilität entwickeln zu müssen.

Das Verhalten der ‘Jumbos‘ in der Automobilindustrie scheint ein Stück weit mit der Situation der Energie-‚Jumbos‘ vergleichbar zu sein. In dem Energie-Markt hatte sich (mit Unterstützung der Politik) ein Oligopol breit gemacht. Die unheilvolle Allianz der großen und punkuellen, aber auch energetisch oft ineffizienten Großanlagen der alten Energiewirtschaft wurde durch eine Technologie überrascht, die eine dezentrale Energiegewinnung möglich macht und so viel Strom bereitstellt, dass der Strompreis (dank der Einrichtung der Strombörse) soweit sinkt, dass die Großanlagen ihre Wirtschaftlichkeit einbüßen. Die Entscheidung der Politik, angeblich ausgelöst durch Fukoshima, die Kernkraft aufzugeben, muss heute als Vorwand dafür herhalten, dass die Energiewirtschaft trotz vieler Warnungen bedauerlicherweise die Entwicklung in ihrem Markt verschlafen hat.

Droht durch die Neuformulierung unserer Mobilitätsvorstellungen dieses energiewirtschaftliche Debakel auch den ‚Jumbos‘ der Automobilindustrie? Die hohe Zahl der Automobile auf unseren Straßen lässt die Fahrgeschwindigkeit sinken, die Zahl der Staus kostet uns Millionen produktiver Stunden und der ruhende Verkehr verstopft abends die Wohn- und tagsüber die Gewerbeviertel. Zunehmend mehr Großstädter lehnen es ab, sich ein Auto anzuschaffen, weil der Parkraum nicht zu vertretbaren Kosten zur Verfügung gestellt werden kann und die Alternative, der ÖPNV, in vielen Großstädten so komfortabel geworden ist, dass ein Wechsel problemlos funktioniert.

Die Technologie des Automobils marschiert stramm in Richtung Autopilot und selbstfahrenden Einheiten. Wer glaubt denn, dass die Algorithmen dieser Systeme noch einen Begriff  von „Freiheit“ entwickeln oder „die Sau“ rauslassen – nein, sie werden mit ihrer intelligenten Vernunft uns sicher und entspannt durch einen Verkehr manövrieren, der hochverdichtet ist. Heute braucht ein Fahrzeug eines Beschäftigten mindestens zwei Parkplätze (einen zu Hause und einen in der Arbeitsstelle). Ein intelligentes Fahrzeug, das einen Beschäftigten künftig zur Arbeit bringen kann, ist auch intelligent genug, das Automobil wieder zuhause abzustellen. Das spart einen Parkplatz, und wenn dann die Ehefrau damit Einkaufen fahren könnte, eventuell auch den Zweitwagen. Wenn der Autopilot fährt, hat der Fahrer keinen Einfluss mehr auf seine Geschwindigkeit – was sollen dann all die überflüssigen Pferdestärken, über die heute noch PKWs verkauft und nachgefragt werden?

Alexander Dobrindt meint: „Wir erleben eine Entwicklung, bei der wir nicht wissen, ob die Top-Hersteller von heute noch die Top-Hersteller in zehn Jahren sein werden.“ Wir werden beobachten können, ob der Autoindustrie die gleiche Falle droht, in der sich die Energie-Jumbos gegenwärtig verfangen haben.

Was könnte man als nüchterne Konsequenz daraus ablesen? Große Unternehmen, und insbesondere Großkonzerne sind kaum in der Lage, auf ihren Markt zu hören, weil sie sich allzu oft gewöhnt haben, ihren Markt durch gezieltes Marketing zu ‚gestalten‘. Großkonzerne sind i.d.R. auch keine Technologieunternehmen mehr. Ihren relevanten ‚Markt‘ sehen sie woanders: Sie sind börsengetriebene Finanzunternehmen, die jede wirtschaftliche Fragwürdigkeit begehen, wenn sie nur (kurzfristig) Ertrag bringt und den Shareholder Value in den Augen der Börsen hebt. Das hat mit (technologischer) Innovation überhaupt nichts zu tun. Deshalb findet dieses Thema auch in den Chefetagen der Automobilindustrie bisher wohl keine Priorität.

Die Technologien rund um das Automobil sind relativ alt. Schauen Sie sich deshalb mal die großen Unternehmen der Internetbranche als Vertreter einer relativ jungen Technologie an. Das waren in den Anfängen des Internets mehrheitlich  Technologieunternehmen, die über die Innovationen des Internets groß geworden sind. Google hat sich dann innerhalb von einem knappen Jahrzehnt von einem Technologieunternehmen in ein nach finanzwirtschaftlichen Grundsätzen geführtes, börsendominierten Beteiligungsunternehmen verändert. Es trägt zur technologischen Innovation selber nichts mehr bei, es hat nur noch die Funktion einer ‚Gelddruckmaschine‘ und ist an der Mehrung und Absicherung seines wirtschaftlichen Einflusses interessiert. Die ‚Innovation‘ dieser großen Einheiten beschränkt sich auf neue Finanzprodukte bei Börsentransaktionen, die einseitig den Aktionären monetäres Wachstum versprechen. Wir werden nur warten müssen, bis sich in der Technologie des Netzes irgendwo etwas Entscheidendes verändert, um feststellen zu können, dass dann diese ‚Jumbos‘ wegen fehlender Flexibilität oder mangelnder Innovationsfähigkeit in derselben Falle stecken werden wie die Energie-Jumbos heute.

Großunternehmen sind riesige Bürokratien und verstecken ihre mangelnde Fähigkeit zu Innovation und Flexibilität hinter dem Kauf- und Verkauf von Unternehmen. Die Innovationserwartung werden  auf die Neuerwerbe projiziert, die sie aus eigener Kraft nicht realisieren können.

Die Großkonzerne produzieren nur noch Geld, kaum Arbeitsplätze und wenn ihr Investitions-Interesse sich neuen Ufern zuwendet, hinterlassen sie i.d.R. Unternehmen, die in ihrem wirtschaftlichen Potenzial völlig zerstört und ausgelutscht sind. Wo liegt der Nutzen dieser ‚Jumbos‘ für die Gesellschaft? Wie lässt sich ein solches Verhalten politisch rechtfertigen? Würde im Spektrum der wirtschaftlichen Aktivitäten wirklich etwas fehlen, wenn Konzernagglomerationen ab einer gewissen Größe nicht mehr zugelassen und bestehende in kleinere, wendigere und innovativere Einheiten aufgelöst würden? Das würde aber bedeuten, dass dem Primat der Politik wieder Rechnung getragen werden müsste, denn so viel wirtschaftliche Vernunft mit einer längerfristigen Perspektive ist von kapitalistischen Wirtschaftsfunktionären systembedingt nicht zu erwarten.

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Kampf um die Demokratie

Die ZEIT (Nr. 33) hat diesen „Krieg“ so thematisiert – mal sehen wer hingeht. Die Artikel rund um das Thema befassen sich mit den populistischen Führern und ihren persönlichen Defiziten. Offensichtlich spielt dabei die Arroganz (der Macht) eine wichtige Rolle, aber die Arroganz der gegenwärtigen Eliten fokussiert sich auf die Wahrnehmung der populistischen Repräsentanten. Die Eliten seien angeblich zu arrogant gewesen, um die Repräsentanten ernst zu nehmen. Das ist der falsche Ansatz.

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Die Repräsentanten der populistischen Bewegungen greifen doch nur etwas auf, was keiner der Artikel so recht ansprechen will: In unseren formalen Demokratien hat sich unterhalb der Wahrnehmung der Eliten ein Heer von Menschen und Wählern versammelt, das sich durch die Eliten in keiner ausreichenden Weise mehr vertreten fühlt. Das ’Heer‘ scheint zu der Auffassung gekommen zu sein, die Eliten haben diese Wähler aus den Augen verloren und sie fühlen sich „verachtet“, weil sie nicht so ticken, wie es die Eliten glauben vorgeben zu können. Ihre Bedürfnisse sind nicht die der Eliten. Diese Wählergruppe hat nun für ihre Bedürfnisse Sprachrohre gefunden, die der Mainstream ‚Populisten‘ nennt, weil sie sich eines Vokabulars bedienen, das die Eliten als überwunden glaubten. Die Eliten meinen ein Recht auf die richtige Meinung zu haben, denn sie haben die Wähler in den letzten Jahrzehnten wunderbar im Griff gehabt. Teile dieser Wähler waren in der Vergangenheit jene Verfügungsmasse, die die Eliten in einer sich demokratisch darstellenden  Herrschaftsform benötigten, um ihre Ziele als Teil des Neoliberalismus ohne viel Federlesen durchsetzen zu können. Es scheint, dass die Zustimmung dieser Verfügungsmasse durch ungeschickte (Management-)Fehler der Eliten verloren gegangen ist und die Teilnehmer dieser Massen die subtile Führung durch die Eliten zumindest teilweise durchschaut haben.  Plötzlich wird sich die Verfügungsmasse ihrer eigenen Macht bewusst, die sich in demokratischen Strukturen durch Abstimmungsverhalten ausdrückt. Das ‚Heer der Abgehängten‘ hat offensichtlich noch nicht die Mehrheit, aber sie verschafft sich zunehmend lautstark Gehör. Sanders in USA und Corbyn in UK sind nur deshalb stark geworden, weil sie begriffen haben, welche Macht in diesem Heer der Abgehängten steckt. Selbst der wirre Trump lebt davon.

Statt die Populisten als ‚arme Irre‘ darzustellen, wäre es von Vorteil, wenn die ‚Eliten‘ und hier insbesondere die Politik begännen, darüber nachzudenken, was da wohl in ihrem Beritt schief gelaufen sein könnte. Man nennt so etwas Selbstreflexion und die wird gegenwärtig insbesondere durch die Mächtigen vehement abgelehnt. Man glaubt sich im Besitz der alleinigen Wahrheit, aber nicht mehr lange und es könnte sein, das man zwar noch die ‚Wahrheit‘ besitzt, aber nicht mehr die Mehrheit.

Wenn also das Bild von der entgleitenden Führung  der Wählermassen durch die Eliten die Verhältnisse hinreichend treffend beschreibt, so kann man feststellen, dass die Verfügungsmassen offensichtlich aufwachen und sich der Gängelung durch die Eliten ein Stück weit entziehen. Das wäre ohne Zweifel ein demokratischer Gewinn. Sie werden sich plötzlich der Macht ihrer Anzahl bewusst. Da die Eliten sehr bemüht waren, diesen Teil der Verfügungsmasse immer möglichst ungebildet zu lassen, dürfen sie sich jetzt nicht wundern, wenn die Führer dieser Bewegung unreflektiert politische Äußerungen von sich geben, die vielleicht nicht auf der Höhe der Zeit sind. Da Verfügungsmassen immer Führung verlangen, die Führung der Eliten aber aus gutem Grunde abgelehnt wird, übernehmen diese Aufgabe sogenannte „Populisten“, die in das Machtvakuum stoßen und ihre Chance wittern. Allein mit der Stichwort „Lügenpresse“ hat die Verfügungsmasse der alten Elite in Deutschland eines ihrer wirksamsten Führungsmittel aus der Hand geschlagen. Über die Medien hat die Führung der Eliten bisher recht erfolgreich stattgefunden. Mit dem emotionsgeladenen Begriff der „Lügenpresse“ wird klar, dass dieser ‚Zügel‘ bei diesem Klientel nutzlos geworden ist.  Deshalb wird ja der Begriff auch von den Eliten heftigst bekämpft – er ist Ausdruck der Erkenntnis des An-der- Nase-herum-geführt-seins und  überzeichnet als Kampfbegriff die Wirklichkeit.

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Zur Rentenproblematik

Die Rentenfrage droht wieder einmal im Hinblick auf das kommende Wahljahr zum Spielball der Politik zu werden. Die letzte ‚Orgie‘ auf diesem Gebiet ist etwa 12 – 13 Jahre alt, war durch eine fehlerhafte Demographiestudie ausgelöst und hat vor etwa einer Dekade dann in die Einführung  sogenannter Riester-Verträge geführt. Dabei ist die Politik den Lobbyisten der Versicherungswirtschaft wohl auf den Leim gegangen.

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Nicht, dass behauptet werden kann, die Riester-Verträge seien betrügerisch, aber sie wurden genau zu der Zeit mit der ideologische Begründung einer notwendigen Privatisierung der Altersversorgung eingeführt als Fachleute schon begannen, vor dem Niedergang der Lebensversicherungsbranche zu warnen. Die Renditen sanken damals schon und vielleicht haben die Politik oder die Lobbyisten geglaubt, eine neue Massenvermarktung der Riester-Verträge könne den Niedergang der Branche vermeiden oder zumindest hinauszögern. Wenn jetzt wieder die Altersversorgung zur Diskussion steht, sollte man aus der Vergangenheit mindestens zwei Schlüsse ziehen:

  • Der Riester-Ansatz vor etwa einer Dekade hat (höflich ausgedrückt) für die Versicherten noch nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht, aber der Finanzdienstleistungsbranche sehr wohl.
  • Es ist zu erwarten, dass die Branche wieder ihre Lobbyisten aktiviert, um neuerlich ein (kurzfristig orientiertes) Produkt aus dem Hut zu zaubern, das für die Branche finanziell vorteilhaft ist, der Politik gefällt und von den betroffenen Massen (oder dem Staat) letztlich bezahlt wird, ohne dass für den Versicherten der langfristig erwartete Versorgungserfolg hinreichend sicher eintritt.

 

Die Frage nach seiner angemessenen Altersversorgung muss man in den Grundlagen immer auch selbst beurteilen. Der größte Fehler, den man machen kann, ist, sich unkritisch in die Hände von sogenannten „Experten“ zu begeben. Das kostet mit Sicherheit ein kleines Vermögen. Dagegen hilft aber u.U. eine zweite „Experten“-Meinung. Aber auch dann kommen Sie nicht darum herum, sich eine eigene, möglichst begründete Meinung zu bilden.

Jede Altersversorgung sollte in jungen Jahren auf die Schiene gebracht werden. Altersversorgung lebt davon, dass das gewählte Konzept 30 – 40 Jahre (oder länger) ‚reifen‘ kann. Nur dann ist eine Versorgung mit relativ kleinen Geldbeträgen darstellbar. Der Mensch hat in einem Alter von rd. 20 Jahren aber selten ein Verständnis fürs Alter (was ist das?), um dafür auch noch Rücklagen zu bilden. Damit tickt eine Bombe. Mit jedem verstrichenen Jahr reduzieren sich die Freiheitsgrade für eine einfache und sinnvolle Entscheidung.

Wer Glück hat, wird als junge(r) Angestellte(r) automatisch in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen und gewinnt dadurch eventuell etwas Freiheit zurück, weil es jetzt nur darum geht, ob die Rentenzusage als Altersversorgung künftig ausreichen wird oder nicht. Aus heutiger Sicht wird diese Versorgung wohl nicht ausreichen. Also ist damit umrissen, wo das Problem liegt. Aber muss die Lösung wieder privatwirtschaftlich sein?  In einer Zeit, in der die Zinsen so niedrig bleiben, werden sich die Lebensversicherungen nicht erholen. Also wird  die privatwirtschaftliche Lösung mit Hinweis auf den Kapitalmarkt erfolgen – eine Weg, die angesichts der volatilen Märkte einerseits und dem Sicherheitsbedürfnis der Versicherten andererseits von jedem seriösen Finanzberater abgelehnt werden müsste, weil das infrage stehende Portfolio viel zu klein ist. Also wird gepoolt wie bei Fanny May und ein Urteil einer Ratingagentur eingeholt , d.h. die Gelder werden anonymisiert und in den großen Finanzmarkt hineingepumpt, in der Hoffnung, dass die Diversifikation das Risiko ausreichend streut. Das ist genau die Vorgehensweise, die im Rahmen einer Altersversorgung auf wenig Verständnis stoßen wird.

Wenn man sich dann noch klarmacht, dass die gesetzliche Rente mit einem Kostensatz von etwas unter 2 Prozent auskommt, verglichen mit einem Kostensatz von 10 – 20 Prozent bei der privaten  Vorsorge, so stellt sich die Frage: Was könnte die Privatwirtschaft für Renditen bieten, wenn sie den privatwirtschaftlichen Kostensatz in die Nähe des Kostensatzes der gesetzlichen Versorgung drücken könnte? Das Geld ist ja offensichtlich da, nur nicht in den Taschen der betroffenen Versicherten. Es gab vor vielen Jahren Formen von Versicherungsgesellschaften, die nicht zum Wohle des Shareholders‘ Values arbeiteten, sondern in einer Art Genossenschaft oder als Verein auf Gegenseitigkeit attraktive Angebote unterbreiten konnten. Der Ertrag dieser Versicherungen wurde den Versicherten mehrheitlich rückvergütet. Diese Gesellschaftsformen sind an der aggressiven Kapitalmarktideologie der letzten Jahre weitgehend gescheitert.

Die gesetzliche Rentenversicherung hat den Vorteil, „sicher“ zu sein, wie Norbert Blüm stets mit Recht behauptet hat. Oder können Sie sich vorstellen, dass die Politik die dort Versicherten (ihr Wahlvolk) im Regen stehen lassen kann, ohne das Risiko eingehen, ihre Machtbasis zu verlieren. Bei dieser Versorgungsvariante steht immer der Druck der Straße im Hintergrund. Dieser oder ein vergleichbarer Druck steht Ihnen als Versicherter einer privaten Einrichtung nicht zur Verfügung. Sie sind und bleiben ‚Einzelkämpfer‘ mit der einzigen Disziplinierungswaffe, die sich aus dem Vertragsrecht ableitet – und auf hoher See und vor Gericht sind Sie in Gottes Hand, sagt ein altes Sprichwort.

Zudem kommt hinzu, dass der private Anbieter immer einen Weg finden wird, sich ggfs. aus dem Staub zu machen, wenn er den Spaß an der Erfüllung des Vertrages verliert. Sie werden dabei – wie es juristisch so schön heißt – („natürlich“) nicht schlechter gestellt, aber wenn das für Sie zur Unzeit geschieht, sind Ihre Freiheitsgrade bei der Entscheidung für eine alternative Versorgungsform so eingeschränkt, dass Ihnen doch ein Folgeschaden entstehen wird. Jeder neue Vertrag wird gezilmert, d.h. die Marketing- und Teile der Verwaltungskosten werden gleich zu Beginn mit dem Vertrag verrechnet. Der Finanzsaldo des Vertrages rutscht für die ersten Jahre der Laufzeit automatisch und gesetzlich zulässigerweise in Negative.

Darüber hinaus ist (unabhängig vom inhärenten Versicherungsrisiko) das ergänzende Risiko nicht auszuschließen, dass das Versicherungsunternehmen aus dem Markt ausscheidet. Diese schwammige Formulierung umfasst alle Formen von der Insolvenz bis zu dem Punkt, dass das Unternehmen einen anderen Markt gefunden hat, der für ihn lukrativer ist und der jetzt bestehende Vertrag, der den Versicherer an sein altes Geschäftsmodell bindet,  ihm lästig wird. Folglich erfährt der Vertrag bzw. der Versicherte auch eine entsprechende Behandlung. Aber wie der Versicherer sind auch Sie an diesen inzwischen ungeliebten Vertrag gebunden. Eine vorzeitige Beendigung ist möglich, kostet aber den Versicherten richtig Geld und für einen Neustart ist dann der Zug häufig abgefahren. Sie sind jetzt zu nahe am Zeitpunkt ihres geplanten Ruhestandes und können kaum mehr hoffen, in relativ kleinen Schritten sinnvoll eine Versorgung aufzubauen. Das ist ja die Krux der Riester-Verträge – sie sind für jene aufgesetzt, die mit kleinen Beträgen eine Versorgung aufbauen sollen. Ob sie das Ziel aber erreichen oder vorher von den Kosten gefressen werden, bleibt abzuwarten. Sie sind an den Vertrag aber gebunden. Wenn Sie raus wollen, verliert man richtig Geld. Eine zusätzliche Alternative können Sie parallel auch nicht aufbauen, denn mehr Ersparnisse stehen einfach nicht zur Verfügung. Der Versicherte hat oft also keine Freiheitsgrade mehr, wogegen wir der Unternehmensseite zu jeder Zeit zubilligen, sich neuerliche Freiheitsgrade zu verschaffen.

Die öffentliche Rentenversicherung ist ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag gewissermaßen „auf Lebenszeit“ verbunden. Sie sucht nicht ständig nach attraktiveren Geschäftsfeldern. Sie ist eine Institution mit einer gesellschaftlichen Aufgabe und einer Verpflichtung zur Nachhaltigkeit. Unternehmen kennen so etwas nicht – hier dominiert die ‚Hit-and-Run‘- Attitüde.

Das Problem beim Aufbau einer Altersversorgung ist die Langfristigkeit des Projektes. Kein privatwirtschaftlicher Ansatz ist meiner Ansicht nach dieser Anforderung wirklich gewachsen. Wir sind inzwischen ökonomisch zwar so gepolt, dass wir stets glauben, in kürzester Zeit den maximalen Erfolg anstreben zu müssen. Mit dieser Einstellung kommen wir aber in die Altersversorgung mit der großen Zahl der Betroffenen nicht weiter. Hier braucht es einen längeren Atem und eine andere Erwartungshaltung. Sicherheit geht hier eindeutig vor Rendite! Ihr unbedingtes Sicherheitsbedürfnis darf nicht der Spielball einer Renditeerwartung für Versicherungsunternehmen werden.

Deshalb muss die Entscheidungsgrundlage für Personen mit geringem (oder noch geringem) Vermögen die Sicherheit sein. Im unteren Einkommensbereich haben Sie nicht die Möglichkeit „die Pferde im Galopp“ zu wechseln. Hier muss das Konzept, weil es aus so vielen kleinen Beiträgen sich entwickelt, beim „ersten Schuss“ sitzen – einen zweiten Schuss haben Menschen in diesen Einkommenskategorien i.d.R. nicht. Also muss man primär für eine Verbesserung oder einen Ausbau der gesetzlichen Rentenleistungen plädieren, ehe die Politik diese Klientel wieder der Gier der privaten Versicherungswirtschaft ausliefert.

Was geschieht aus heutiger Sicht mit der absehbaren Altersarmut, weil heute die Minijobs und vergleichbare Anstellungsverhältnisse keinen Raum bieten, eine zusätzliche Altersversorgung aufzubauen. Man wird von Staats wegen, so wie heute auch, diesem Personenkreis helfen müssen. Das Verrückte dieser Situation ist, dass man den Leuten erst klar macht, dass sie länger arbeiten müssen und dass sie deshalb bei gleichbleibendem Rentenalter immer weniger erhalten werden, um dann, wenn es soweit ist, deren gekürzten Renten wieder auf eine Grundversorgung anzuheben. Wir werden uns der Frage stellen müssen, ob unsere Gesellschaft noch ausreichend auskömmliche Arbeit anzubieten haben, oder ob wir nicht auch angesichts der Ersetzung von menschlicher Arbeit durch immer mehr „Energiesklaven“ bei der Altersversorgung noch an der richtigen Stelle ansetzen, um einen Versorgungsanspruch zu bestimmen.

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Finanzkrise und Globalisierung als kumulative Risiken

Entgegen den aus der Politik zu vernehmenden Meinungen ist die Finanzkrise 2008 noch in keiner Weise beendet oder gar gelöst. Die Politik weigert sich standhaft, anzuerkennen, dass diese Krise nicht durch technische Tricks wie Gelddrucken, sondern nur durch zweifelsohne schmerzhafte Schritte bzw. Schnitte  zu lösen ist. Man muss irgendwann akzeptieren, dass Fehler der Vergangenheit einfach Konsequenzen auslösen, die umso schlimmere Auswirkungen haben werden, je länger man sich weigert, die Realität anzuerkennen.

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Der angedachte Schnitt träfe jedoch primär jene Bevölkerungsschichten, die gegenwärtig durch die Gelddruckerei begünstigt sind – denn jeder Schuld, die entsteht, steht auch ein Geldbetrag gegenüber, der nur darauf wartet, vereinnahmt zu werden. Die Vereinnahmung erfolgt aber nicht beim berühmten „kleinen Mann“, sondern dort, wo schon große Vermögen existieren. Jeder Schnitt träfe also jene großen Vermögen in besonderem Maße. Das ist vermutlich ein wesentlicher Grund, warum konkrete Schritte mit allen Mitteln von den sogenannten ‚Eliten‘ verhindert werden.

Ein ergänzender Grund könnte auch darin liegen, dass bei fortgeschrittener Globalisierung ein Schnitt viel unbarmherzigere Wirkungen erwarten lässt als sie z.B. im Rahmen der großen Wirtschaftskrise von 1929 auftraten: Die Arbeitsteilung hat sich seit 1929 dramatisch erhöht. Die Industrie jener Zeiten war primär national oder sogar regional orientiert und verfügte über lange Wertschöpfungsketten in den Unternehmen. Heute besteht eine hochgradig arbeitsteilige Struktur. Denken wir nur an die vielen logistischen Prozesse, die nur dann zu bewältigen sind, wenn kein Glied in der Prozesskette ausfällt. Je arbeitsteiliger wir den Prozess im Rahmen einer Globalisierung gestalten können, umso anfälliger werden die Strukturen. Zwar hat es den Anschein, dass durch die Arbeitsteilung kosteneffizient gearbeitet werden kann, aber die Effizienz wird durch ein vielfach erhöhtes Prozessablaufrisiko erkauft. Solange man davon ausgehen darf, dass es global im Wesentlichen friedlich bleibt, dass die Transportwege ungerechtfertigt billig und insbesondere auch sicher bleiben, mag das Risiko in den Augen der betroffenen Unternehmen als überschaubar gelten. Aber die Risiken der nicht bewältigten Finanzkrise und die zunehmenden Risiken der Globalisierung kumulieren sich zusehends.

Wenn morgen an irgend einer Stelle des Systems für eine hinreichend informierte Mehrheit erkennbar wird, dass mit der ständigen Schuldenausdehnung nur heiße Luft (ohne realen Wert) produziert wird, wenn es dann zudem in den Köpfen der Leute Klick macht, weil sie zu begreifen beginnen, dass Kapital, das keinen Zins auslöst, auch keinen ‚Wert‘ darstellt, – denn nach der Logik des Kapitalismus gilt: was nichts kostet (keinen Preis hat), kann auch nichts Wert sein! Wenn dann hinzukommt, dass die Leute, d.h. konkret die Steuerzahler eventuell verstehen lernen, dass das gegenwärtig angewendete System der wundersamen Geldvermehrung so konstruiert ist, dass sie für diesen Wahnsinn, (der keine nachhaltigen Werte zu bilden in der Lage ist) am Ende aufkommen müssen, ist die Globalisierung für die Menschen und für die Wirtschaft keine sinnvolle Option mehr. Jay Kawatsky (Kommentator auf www.finanzen100.de) führt dazu aus: “Denken Sie über zwei einfache Dinge nach: Erstens sind die Lieferketten viel länger  und erheblich stärker verwoben als vor 85 Jahren (also 1929). Wenn die Lieferketten wegen Pleiten auseinanderbrechen, erreichen die Güter des täglichen Bedarfs nicht jene Menschen, die sie brauchen. Zweitens: Im Vergleich zu 1929 müssen (heute) Milliarden mehr Menschen  ernährt werden, während es immer weniger Menschen gibt, die wie Landwirte, tatsächlich wissen, wie Güter des täglichen Bedarfs produziert werden. Notenbanker können zwar Geld drucken, aber nicht Lebensmittel, Energie oder andere Rohstoffe bereitstellen, die lebensnotwendig sind.“

Damit gewinnen Begriffe wie Subsistenz und Resilienz eine Bedeutung, die man bisher großzügig der Postwachstumsökonomie überlassen hat. Wenn die globalen Risiken einerseits als auch die Risiken aus der unbewältigten Finanzkrise andererseits zusammen kommen, so erhalten die Begriffe auch für jene Bedeutung, die sie bisher weit von sich gewiesen haben. Subsistenz meint im Kern eine Reduzierung der Arbeitsteilung (Verlängerung der Wertschöpfungskette im Unternehmen). Aus der Reduzierung der Arbeitsteilung würde eine Reduzierung des Risikos folgen, das sich aus der globalen Arbeitsteilung und ihrer inhärenten Logistik ergibt. Als Folge wäre möglicherweise eine Kostenerhöhung unvermeidbar, aber viel schlimmer – wir haben möglicherweise verlernt, die anstehenden Arbeitsschritte inhouse effizient durchzuführen. Man müsste ja wieder klassisch produzieren. Dazu braucht es Know-how, das wir leichtfertig vor Jahren in ferne Länder transferiert haben und es dort lassen müssen, weil Arbeitskräfte mit diesen Fähigkeiten u.U. gar nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die öffentliche Wahrnehmung von Resilienz hätte zur Folge, dass wir beim Ausbau unserer Versorgungsstrukturen darauf achten, unsere Prozesse nicht so überaus verwundbar zu gestalten – insoweit gehen Subsistenz und Resilienz Hand in Hand. Wussten Sie, dass es ernstzunehmende Szenarien gibt, nach denen ein Zusammenbruch unseres Logistiksystems dazu führen würde, dass nach nur drei Tagen sich in den Großstädten Hunger ausbreiten wird, weil die Supermärkte dann ausverkauft sind und keinen Nachschub erhalten werden. Großstädte müssten sich deshalb aus Gründen der Resilienz hinsichtlich des Grundbedarfs prinzipiell und gezielt aus ihrem Umland versorgen können, um die Abhängigkeit von den wachsenden logistischen Risiken im Rahmen der Globalisierung eingrenzen zu können.

Zudem scheint der Zug der Zeit kriegerischer zu werden. Das „Säbelrasseln“ kommt wieder in Mode. Ist den Herren der Macht klar, dass damit das Konzept der Globalisierung grundsätzlich gefährdet wird? Wenn die Transportwege unsicher werden, scheitert zu allererst das globale Konzept. Die Sicherungsmaßnahmen, wie nötig wären, um das Konzept in ‚unruhigen Zeiten‘ aufrecht zu erhalten, sind anders als die extern ausgelösten Umwelt- und Armutseffekte der Globalisierung, eindeutig bezifferbar und drohen das Konzept an den verursachten Kosten scheitern zu lassen.

Die Globalisierung als Produkt einer einseitigen Marktstrategie der Großkonzerne nimmt sich viel zu wichtig. Ist Ihnen aufgefallen, dass wir hier zwar von Risiken sprechen, aber noch mit keinem Wort die kapitalistische Ikone „Profit“ in den Mund genommen haben? Solange man die Globalisierung aus der einseitigen Perspektive des Profits diskutiert, (und das tun wir gegenwärtig bis zum Erbrechen,) die inhärenten Risiken aber nicht offen ansprechen, kommen wir zu fatal falschen Schlüssen. Fakt ist, dass die Welt absehbar nicht friedlicher wird, die USA, die sich als führende Nation versteht, mit ihrem Führungsanspruch und ihrer geostrategischen Ideologie sich nicht zu einem bedingungslosen Frieden verpflichtet fühlt, so wird deutlich, dass durch die Globalisierung nicht Profit und Wachstum zunehmen, sondern primär die Risiken dieser Marktstrategie. Globalisierung ist hochgradig ein Politikum und kann nicht nur mit lächerlichen ökonomischen Forderungen nach ‚mehr Profit‘ und ‚mehr Markt‘ diskutiert und begründet werden wie das im Rahmen von TTIP gegenwärtig immer wieder versucht wird.

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Seneca und die Kommerzialisierung

Seneca (4 v.- 65 n.Ch.), Philosoph und Politiker im antiken Rom, führte in den Anfangsjahren der Herrschaft des Kaisers Nero dessen Staatsgeschäfte zur allgemeinen Zufriedenheit. Angesichts der Höflinge und Günstlinge (heute würde man wohl von Lobbyisten sprechen) sowie der üblichen Korruption seiner Zeit kommt er zu der folgenden Aussage: „Es gibt Menschen, die Anständigkeit zu einem Handel machen und Tugend ohne Lohn nicht wollen gelten lassen, obwohl sie  nichts großes mehr an sich haben, wenn sie käuflich sind. Was ist denn schändlicher, als einem Menschen vorzurechnen, um welchen Preis er zu einem Ehrenmanne wird?“ …

Hat sich in den letzten zweitausend Jahren hier so etwas wie Fortschritt eingestellt?      Oder sind möglicherweise nur die Preise gestiegen?

Der Postkapitalismus des Paul Manson

Donald Gillies (University College London) hat in ‘Real World Review’ Nr. 73 (p.110 – 119) das Buch von Paul Manson (Postcapitalism – A Guide to Our Future (2015)) rezensiert. Neben theoretischen Ausführungen ist eine zentrale These des Buches der Niedergang des Kapitalismus,  der innerhalb weniger Dekaden durch ein komplett neues sozio-ökonomisches System, den Postkapitalismus, ersetzt werden soll. Diese These überrascht angesichts des aktuell tobenden Neoliberalismus, der den Eindruck vermittelt, dass der Kapitalismus sich in voller Fahrt befindet. Mansons Argumentation jedoch vermag zumindest in Teilen zu überzeugen oder nachdenklich zu stimmen.

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Der Kapitalismus hat zwar seine ‚klassischen‘ Gegner überlebt. Es mehren sich aber für den differenzierten Beobachter die Anzeichen, dass sich in den Märkten Veränderungen vollziehen, die nach Manson mit dem kapitalistischen Handlungsansatz nicht kompatibel sind. Manson richtet dabei sein Interesse auf die Märkte für digitale Produkte. Die Digitalisierung hat seit den 1980ern nicht nur ein Heer von Arbeitslosen, Minijobern und sogenannten marginalen ‚Selbständigen‘ freigesetzt und im Gegenzug vielleicht für 1/10 der Beschäftigten neue auskömmliche Arbeitsstellen geschaffen. Das ist der Kapitalismus, wie wir ihn kennen.

Manson richtet seine Aufmerksamkeit auf die digitalen Produkte, die sich dadurch auszeichnen, dass sie auf einer öffentlichen Website platziert werden, und dann von jedermann, der Zugang zur Website hat, (kostenlos) heruntergeladen werden können. Das Problem dabei ist die Eigentumsfrage oder anders ausgedrückt: Eigentum zeichnet sich dadurch aus, dass der Halter des Eigentums alle anderen Marktteilnehmer von der Nutzung ausschließen kann. Das ist eine der wichtigsten Säulen des Kapitalismus. Das gelingt bei dem ständig wachsenden Markt für digitale Produkte gegenwärtig nicht oder nur in Teilen. Das Produkt, das bisher der Erfolgsträger war, wird ja praktisch unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Es bildet damit kein Markt im Sinne des Kapitalismus, der von der durch Eigentum (oft künstlich) hervorgerufenen Knappheit des Wirtschaftsgutes existieren könnte.

Warum machen dann Unternehmen wie Google trotzdem Geschäfte mit dem Internet? Der digitale Markt braucht Produkte, die aber Google nicht unbedingt zur Verfügung stellt oder stellen kann. Die Suchmaschinen stellen einen Service zur Verfügung, der mit dem Produkt im Grunde nichts zu tun hat. Die Suchmaschine nimmt den Benutzer an die Hand und führt ihn scheinbar (kostenlos) durch das Chaos, verkauft dann aber ungefragt die dabei erhobenen Marketing-Informationen an Interessenten. Das ganze ‚Spiel‘ kann aber auf Dauer nur aufrechterhalten werden, wenn es kontinuierlich ‚digitale Produkte‘ gibt, für die keine Entlohnung existiert und bei der die Eigentumsrechte sofort mit der Veröffentlichung verloren gehen. Das derivative Geschäft des Services wird also nur solange funktionieren, solange immer wieder interessante digitale Produkte geschaffen werden, die Interessenten aufsuchen wollen.

Um das plastisch werden zu lassen, verweist Manson auf Wikipedia. „Gegründet in 2001 verfügt die in Zusammenarbeit geschriebene Enzyklopädie (zur Zeit des Abfassens des Artikels) 26 Millionen Seiten und 24 Millionen Leute, die registriert sind und Beiträge beisteuern.  … Wikipedia hat 208 Mitarbeiter. Die Tausende, die Beiträge liefern, tun es kostenlos. … Wenn es als kommerzielles Unternehmen geführt würde, so eine Schätzung, könnte Wikipedia einen Umsatz pro Jahr von 2,8 Mrd. $  darstellen. Aber Wikipedia macht keinen Gewinn. Und mit dieser Tatsache macht Wikipedia es für jedermann unmöglich in diesem Markt Gewinn zu erzielen.“(p.114)  Wikipedia ist „in einer dezentralen und auf Zusammenarbeit fußenden Art organisiert, bei der Wikipedia weder den Markt noch Managementhierarchien nutzt.“ Die gleiche Botschaft vermitteln  andere Beispiele aus der „free software“-Bewegung (Worldpress, Linux u.a.).

Der Rezensent kommt zu dem Schluss, dass diese Beispiele die postkapitalistische Produktionsweise der Zukunft beschreiben. Er weist jedoch darauf hin, dass alle die Beiträge für die digitalen Produkte kostenfrei erstellt sind und damit auch kein Einkommen auf der Produzentenseite generieren. Die Frage bleibt offen , wie sich die Beiträge dann auf längere Sicht finanzieren sollen. Die heutige Mischung von Job mit einem Einkommen und einer unentgeltlichen Produktion von digitalen Produkten kommt irgendwann an ihr Ende. Wie in vielen Veröffentlichungen der letzten Zeit kommt auch hier der Grundgedanke eines bedingungslosen Einkommens in die Diskussion. Dieser Grundgedanke drängt sich generell angesichts der zunehmenden Altersarmut auf, ausgelöst durch Mindestlohn, Minijobs, geringfügig Beschäftigte und Solo-Selbständige, die regelmäßig keine ausreichende Einkommensgrundlage bereitstellen, um eine auskömmliche Altersversorgung sicherzustellen. Am Ende muss dann doch die Gemeinschaft die Aufgabe bewältigen. Warum dann nicht gleich ein Grundeinkommen für alle?

Der Postkapitalismus von Manson, wie er in der Rezension beschrieben wird, ist ein großer Sprung mit viel Wunschdenken und großen weißen Flecken auf der Landkarte. Aber er macht auch die Verwundbarkeit des neoliberalen Kapitalismus deutlich, die ihm durch die Technologie des Internet und deren dezentrale Verarbeitung droht. Jede Form des Produzierens und jede Form des Marktes als Ort des Austausches, die sich von den Dogmen des Kapitalismus (Eigentum und Knappheit) befreien kann, hemmt damit die rasende Entwicklung des neoliberalen Wirtschaftens samt ihrer negativen Wirkungen auf Natur, Ressourcenverbrauch und ungerecht einseitige Vermögensmehrung einzelner zulasten der Vielen. Aber darin mehr erkennen zu wollen als eine Hemmung der ungebremsten Entwicklung  erscheint aus heutiger Sicht noch fraglich.

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Tod einer Ideologie – leider eine verfrühte Hoffnung

DIE ZEIT vom 02.06.2016 zitiert als Aufmacher unter der oben angeführten Überschrift den Internationalen Währungsfonds, deren Vertreter offensichtlich eingeräumt hat, „dass die Entfesselung der Marktkräfte die Wirtschaft in vielen Fällen nicht wie erhofft gestärkt, sondern vielmehr geschwächt habe.“ Die Politik „hat sich von der Arroganz  (des Neoliberalismus) blenden lassen, statt die neoliberale Theorie als das zu behandeln, was sie in ihrem Kern ist: eine von vielen möglichen Sichtweisen auf die Welt. DIE ZEIT findet diese Aussagen deshalb bemerkenswert, weil der Internationale Währungsfonds gemeinhin als einer der Hüter des neoliberalen Denkens gilt.

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Wenige Tage später wird in DIE WELT vom 10.6.2016 eine ähnliche Aussage von OECD – Vertretern zitiert: „Wir hatten die lockerste Geldpolitik aller Zeiten, … Aber die Produktivität verbessert sich nicht, die Volkswirtschaften wachsen kaum … und es gibt keine Anzeichen, dass die Inflation zurückkehrt.“ An anderer Stelle wird ausgeführt: „Nach sieben Jahren immer aggressiverer geldpolitischer Maßnahmen, wird zunehmend deutlich, dass sie (die EZB) die langfristige Stabilität der Eurozone riskiert, wenn sie weiter der aktuellen Lehrmeinung folgt und auf eine breite quantitative Lockerung und negative Zinsen setzt.“ Auch die OECD wird gewöhnlich zu den neoliberalen Gralshütern gezählt und die angeschlagenen Töne aus deren Munde irritieren.

Weiterhin interessant ist die Tatsache, dass solche den Grundsatz unserer gegenwärtigen Wirtschaftspolitik betreffenden öffentlich gemachten Erkenntnisse von der Mehrheit der Medien überhaupt nicht aufgegriffen werden. Man könnte auch zu der Feststellung kommen, diese Art Nachrichten werden systematisch ignoriert.

Es ist Im Übrigen dem Verfasser dieser Zeilen nicht gelungen, die Auffassung der beiden Blätter bei den Veröffentlichungen des Währungsfonds oder der OECD nachzuvollziehen. Es wird viel veröffentlicht, aber die oben angeführten Aussagen stehen da eher allein auf weiter Flur. Zwar geben die beiden Artikel die allgemeine Wahrnehmung der interessierten Öffentlichkeit zutreffend wieder, aber die Erwartung, dass diese Wahrnehmung auch Teil der Handlungsmaxime der Institutionen geworden sein könnte oder auch nur in Zukunft sein würde, lässt sich leider nicht bestätigen. Eher herrscht hier immer noch die Maxime des ‚Augen zu und durch‘. Also wird der ‚Tod dieser Ideologie‘ zwar immer wahrscheinlicher, weil ihre Defizite immer deutlicher werden, aber noch lebt sie!

Es verdienen zu viele an den realen Auswirkungen dieser Ideologie und die, die diese Verdienste erwirtschaften müssen, sehen sich mangels Konsens nicht in der Lage, dagegen aufzumucken. Es gibt zwar politische Anzeichen, dass eine Änderung nicht ausgeschlossen ist, aber ob diese zarten sozialen Ansätze sich durchzusetzen vermögen, bleibt abzuwarten.

Ideologien sterben im Übrigen langsam. Die Vertreter der Ideologie immunisieren sich gegen berechtigte Einwände. Da kann kommen was will, es lassen sich immer Gründe finden weiterhin der Ideologie zu folgen. Ideologien beginnen erst zu sterben, wenn ihre Hauptvertreter biologisch das Zeitliche segnen oder die politischen Folgen der Ideologie so verheerend werden, dass ihr Versagen jedermann offensichtlich wird. Dann wird Platz für eine neue Idee zu sein. Ob sie eine offene Idee bleibt oder zur Ideologie verkommt, ist eine Frage, was wir politisch zulassen. Der Neoliberalismus ist dazumal auch nicht vom Himmel gefallen, wir haben uns durch seine scheinbaren Erfolge blenden lassen und die damals schon absehbaren Konsequenzen ignoriert.  Die gesellschaftlichen Umverteilungen von Arm nach Reich und die sozialen Defizite der Altersversorgung, der Bildung, und der Gesundheitsvorsorge, die der Neoliberalismus verursacht hat, werden uns noch über Generationen nach seiner Abschaffung beschäftigen.

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Neues Erbschaftsteuergesetz

Es mutet an, als ob die Politik bei der Herausgabe des neuen Erbschaftsteuergesetzes (wieder mal) den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist, um die Auflage des Verfassungsgerichtes ohne jeden politische Gestaltungswillen zu erfüllen.

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Wie Herr Gabriel sich ausdrückte, sollte das Gesetz Geld in die öffentlichen Kassen spülen, aber sonst bitte keine Wellen. Die Veröffentlichung des Gesetzes als auch die (mangelnden) Reaktionen der Öffentlichkeit auf den Entwurf lassen erkennen, dass hier keine Gestaltung vorgenommen wurde, sondern nur eine Auflage des Gerichts mehr recht als schlecht, lieblos und ohne rechte Lust auf eine Vision erfüllt wurde. Kein Aufschrei, keine Empörung, keine Talkshows – der Entwurf des neuen Erbschaftsteuergesetzes ist die gleiche taube Nuss wie das Gesetz zur Mietpreisbremse – ein Käse voller Löcher und Beliebigkeiten der Interpretation, verbunden mit dem schwachen Trost etwas getan zu haben. Vermutlich wurde der Entwurf auch noch von Lobbyisten geschrieben, um deren mögliche Kritik im Keime ersticken zu können. Ein Meisterstück der Unauffälligkeit – damit bewirkt das Gesetz auch nichts und ist überflüssig wie ein Kropf.

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Brexit

Das Phänomen Brexit hat viele Gesichter. Die  jungen Menschen in Großbritannien, die eher Europa als ihre Heimat ansehen denn ihren jeweiligen Nationalstaat, nutzen ohne viel nachzudenken die Vorteile der EU  und werden sich verwundert die Augen reiben, wenn sie bei der Einreise in die EU plötzlich als Ausländer behandelt werden, ihre berufliche Freizügigkeit verlieren und ihr Regelaufenthalt auf drei Monate beschränkt wird. Die Entwicklung macht aber auch deutlich, dass es mindestens zwei unterschiedliche Strömungen in den Ländern der EU gibt: Die europäische Fraktion, die das Zusammenrücken akzeptiert und die nationale Fraktion, die zurück zu irgendwelchen alten Zeiten möchte, weil die EU ihnen keine ausreichende Identifikation bietet.

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Das Phänomen wird noch deutlicher und gravierender, wenn wir die Fragestellung auf die Ebene der Globalisierung heben. Globalisierung ist eine Idee der Großkonzerne und deren Strategen, um die teilweise sehr individuellen Teil-Märkte für ihre Bedürfnisse zu gestalten und insbesondere zu vereinheitlichen. Globalisierung wird uns als ein Produkt für die Menschen verkauft. In Wahrheit spielt der Mensch als Konsument nur die Rolle des Statisten und des nützlichen Idioten. Wenn eine Abstimmung über die Globalisierung stattfinden würde, würde diese Abstimmung mit hoher Wahrscheinlichkeit (in Deutschland) eine Ablehnung hervorrufen. Kein Mensch fühlt sich in einer globalisierten Welt wohl oder angekommen, er ist dort immer auf der Durchreise. Alle sozialen Bindungen, sei es Heimat, Region, Nachbarschaft, soziale Kontakte, ehrenamtliche Aufgabenwahrnehmung, sich Einbringen in die Gemeinschaft, entfallen auf globaler Ebene. Das globale Arbeiten steht einer Familiengründung, dem Drang zur Sesshaftigkeit, des Wurzelschlagens schlicht entgegen. Die globale Welt fasziniert für eine Weile, bis klar wird, welchen hohen Preis man dafür zu bezahlen hat. Spätestens dann beginnt die Suche nach Identität und dabei bietet die globale Welt keine menschlichen Alternativen, man ist Sklave einer fixen Idee und sucht mangels Alternativen nach seinen Wurzeln.

Aus dieser Perspektive kann man auch das Ergebnis von Brexit interpretieren. Ein großer Teil der britischen Wähler, und insbesondere der älteren Generation, hat ihre Identifikation mit der Idee Europa verloren oder hat sie vielleicht auch nie gehabt. Sie träumt lieber den identitätsstiftenden Traum der Großmacht Großbritannien, die sich insbesondere von Brüssel an der Nase herumgeführt fühlt. Unsere Politik muss diesem Phänomen aber Rechnung tragen. Wenn der Abstand des Bürgers zum Entscheider zu groß wird, wird die ‚Leitung‘ von Seiten des Bürgers gekappt und man wendet sich jenen politischen Einheiten zu, die Identität versprechen. Das sind möglicherweise  die ewig gestrigen Aussagen der rechtspopulistischen Parteien und es sind die Regionen, in der sich der Bürger angekommen und zuhause fühlt. Das erscheint etwas kleinkariert, aber in einer durch große wirtschaftliche Unsicherheiten geprägten Zeit wollen die Menschen die Gemeinschaft spüren, das Eingebundensein und nicht die Anonymität großer leerer Organisationen. Manchmal spitzt sich dann dieses Bedürfnis auf ‚Britain first‘ zu.

Es wird die Aufgabe der Politik sein, ernsthaft zu hinterfragen, ob ihr Handeln in der EU diesem Empfinden und der Suche nach Identität ausreichend Rechnung trägt. In einer Zeit, in der man glaubt, alles kaufen zu können, verkörpert die Suche nach Identität eine neue Qualität. Identität kann man nicht kaufen, es gibt sie nicht beim Kaufmann um die Ecke. Und das macht die Sache in einer Welt des Überkonsums und deren scheinbar simplen Regeln nicht einfacher.

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