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Die Ironie des Schicksals ?

Wenn man die in „Wirtschaft 4.0“ und „Kapitalismus 4.0“ getroffenen Feststellungen auf sich wirken lässt, so können Gedanken entstehen, die heute vielleicht noch keine Relevanz haben, aber unwillkürlich nach Beachtung streben.

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Der Kapitalismus bot den Technologien von Anfang an einen Rahmen, der ihre Entfaltung beförderte. Dabei gelten seit dem Beginn die gleichen ökonomischen Strategien des Eigentums, des Wettbewerbs und der laufenden Effizienzsteigerung. Die wesentlichen Innovationen in der Entwicklung des Systems stammen nicht aus dem Kapitalismus selbst, sondern wurden von ihm aus der Welt der Technik überaus geschickt adaptiert.

Heute müssen selbst die Kritiker des Systems zähneknirschend feststellen, dass das kapitalistische System der Gesellschaft einen Wohlstand bescherte, der bei allen vorhandenen Systemmängeln über die Jahrzehnte als bemerkenswert klassifiziert werden muss. Dabei bleibt die Frage offen, ob die Wohlstandsteigerungen dem Kapitalismus als solchem oder der technologischen Entwicklung zu verdanken sind. Eigentum, Wettbewerb und Effizienz können im Grunde nur dann erfolgreich zum Zuge kommen, wenn etwas vorhanden ist, das Gegenstand eines Wirtschaftsprozesses sein kann. Und das ist in meinen Augen der technologische Input. Fehlt er, laufen Eigentum, Wettbewerb und Effizienz ins Leere und können auch keine Dynamik entwickeln.

Etwa zeitgleich mit der Einführung von Wirtschaft 3.0 (ca. 1970 ff.) entwickelte der Kapitalismus die einzige mir bekannte wahrhaft kapitalistische Innovation. Es ist die Erkenntnis, dass man – losgelöst vom realen Wirtschaftsprozess –  Geld aus Geld machen kann. Der technisch orientierte Unternehmer verfolgt mit seinem Unternehmen regelmäßig eine technische Vision. Geld spielt eine wichtige, aber eher dienende Rolle. Der kapitalistische Unternehmer dagegen versteigt sich in die ‚alchemistisch‘ anmutende Vision, Geld aus Geld machen zu können. Dabei besitzt Geld keinen Wert sui generis, es stellt lediglich eine gesellschaftliche Übereinkunft dar, dass diesen ‚Scheinchen‘ ein Wert beizumessen ist. Wenn man anstrebt, Geld aus Geld zu machen, ist es zweitrangig, womit man dieses Ziel erreicht: mit Technik, mit Müll, mit Schrott oder mit Kartoffeln. Die Krönung dieser Denkart ist der Wunsch, die einschränkenden Bedingungen der Realwirtschaft vollständig hinter sich lassen zu können. Die Finanzkrise von 2007/2008 ist dann ein erster Rückschlag, der deutlich machte, dass dieses von jeder Produktion losgelöste Denken so abgehoben ist, dass es den ‚Connaisseuren‘ dieser Denkweise zwar den Weg zum globalen Casino eröffnet, aber auch den Weg zum erfolgreichen legalen Betrug im großen Stil.

Unter dem Begriff ‚Wirtschaft 4.0‘ betritt plötzlich eine neue Technologie die Bühne des Kapitalismus. Das klingt so anonym und so naturgemäß: Dahinter stehen aber, wie immer im Wirtschaftsleben, handfeste finanzielle Interessen. Wirtschaft 4.0 oder die Digitalisierung droht mit einer Entwicklung, die sowohl die Erwartung Geld aus Geld zu machen als auch die realen Grundlagen unseres Wirtschaftssystems in Gefahr bringt. Wurde die letzten 200 Jahre (ca. 1760 – 1970) der Kapitalismus von der technologischen Entwicklung durch Produktivitätsfortschritte vorangetrieben, so beginnt jetzt erstmals die anstehende Technologie die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft in Frage zu stellen.

Bei aller Technologie war in der Vergangenheit der Mensch das tragende und führende Element. Die Rationalisierungseffekte waren eindrucksvoll, schienen aber über die großen Zeiträume gut verkraftbar zu sein. Wenn jetzt die neue Technologie gezielt den Menschen aus den Prozessen dauerhaft zu eliminieren versucht und deren Einführung dann auch noch von den klassisch kapitalistischen Werkzeugen wie Wettbewerb und Effizienz begleitet wird, dann entsteht im System ein Bruch, der kaum aufzufangen ist. Erstmals in der jüngeren Geschichte werden, ausgelöst durch eine Technologie, nicht mehr nur Produktivitätsfortschritte zu beobachten sein. Stattdessen wird systematisch die weitgehende Eliminierung des Menschen aus dem ganzen Erstellungsprozess angestrebt. Dieser Vorgang wird zu Arbeitslosenzahlen führen, die beängstigend hoch ausfallen werden. Für die Menschen, die über diese Technologie freisetzt werden, bestehen im Grunde keine Chancen mehr, in den Prozess wieder eingegliedert zu werden. Die absehbaren sozialen Verwerfungen werden das kapitalistische System an seine Grenzen führen.

Noch ein Wort zu der interessengeleiteten Einführung der neuen Technologie: Auf der einen Seite ergeben sich für einen kleinen Kreis von potenten Investoren mit der Umsetzung der Technologie gewaltige Gewinnchancen. In einem zweiten Schritt zerstört dieselbe Investorengruppe die eigenen Geschäftsgrundlagen. Was nützen ‚gewaltige Gewinnchancen‘, wenn sie mittel- bis langfristig ein erfolgreiches Folgegeschäft verhindern. Wer sollte denn mittel- und langfristig nach Umsetzung der Technologie noch in der Lage sein, genügend Massenkaufkraft zu entwickeln, um die künftige, digital basierte Produktion abzunehmen? Was nützt eine Gewinnchance, wenn die Umsetzung der Technologie politisch und sozial instabile Verhältnisse hervorbringt. Gewinne aus solch zweifelhaften Geschäfte binden am Ende so viel Ertrag und soziale Energie, dass es sich als wirtschaftlich große Dummheit herausstellen könnte, die Technologie mit dieser menschenverachtenden Ausrichtung forciert zu haben.

Und nun die Ironie des Schicksals: Der Kapitalismus wuchs durch die geschickte Anwendung von Technologie zu einer wirtschaftlichen Macht heran. Er entwickelt sich dann zunehmend zu einer politischen Macht, weist den gewählten politischen Vertretern die zweite Reihe zu und überlässt  ihnen die Funktion von Erfüllungsgehilfen. Parallel entwickelt das System, zumindest vorübergehend, die perverse Möglichkeit, mehr Geld aus viel Geld zu machen. Die Wirtschaftsvertreter glauben sich durch die enge Verzahnung von Politik und neoliberalem Gedankengut auf der Höhe ihrer Macht.

Und dann kommt ‚von hinten heimlich still und leise eine neue Technologie, deren wirtschaftliche und soziale Auswirkungen für die Gesellschaft als so heftig erwartet werden, dass die Funktionsgrundlagen des Kapitalismus und deren bisherige Machtbasis in Frage stehen werden. Mit der Zunahme der Arbeitslosen entsteht ein Potenzial an Unzufriedenen und offensichtlich ‚Abgehängten‘, denen nichts anderes übrig bleibt als sich schnell und radikal (an die Wurzel gehend) zu politisieren. Damit einher geht ein rasanter Verlust von Kaufkraft, den das System kaum verkraften wird, weil damit eine der wesentlichen Stützen des kapitalistischen Systems zusammen zu brechen droht. Die künftige Gesellschaft steht vor zwei gravierenden Herausforderungen: die Frage nach der künftigen Massenkaufkraft und die soziale Frage, die beide über die in Aussicht stehende Digitalisierung eng verknüpft sind.

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Kapitalismus 4.0

Die Entwicklung, die sich mit der Umsetzung des Regierungs-Projektes ‚Wirtschaft 4.0‘ abzeichnet, ist eine hochgradig technologische Thematik, die künftig  – so die These hier  – mit dem Kapitalismus in Konflikt stehen wird. Dieser Konflikt wird im Folgenden mit dem Begriff ‚Kapitalismus 4.0‘ bezeichnet.

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Die Entwicklung des Kapitalismus beginnt etwa 1760 als die ersten großen technologischen Erfindungen gemacht und umgesetzt wurden. Die Landarbeiter strömten als Folge in die Fabriken und schufen trotz ihres Elends durch ihr Einkommen eine Kaufkraft, die die ins Leben gerufene Massenproduktion absorbieren konnte und so die Wirtschaftsentwicklung vorantrieb. Die Bevölkerung wuchs und das reale Wachstum unterstützte den Trend. Es zeichnet sich aber ab, dass zwischen dem Kapital und der Arbeit eine unauflösbare Beziehung besteht: die Arbeit trug einerseits nicht unwesentlich zur Warenproduktion bei; andererseits waren die erwirtschafteten Arbeitseinkommen die Kaufkraftbasis zur Konsumtion der produzierten Güter. Alles was produziert wird, muss  – soll es Gewinn bringen – einen Abnehmer finden. Wer ist in der Lage, diese Funktion zu erfüllen: das ist in erster Linie die Massenkaufkraft der abhängig Beschäftigten, die Kaufkraft des Staates, die (eher unbedeutende) konsumtive Kaufkraft des Kapitals und der Unternehmen und die Effekte des Exportüberschusses. Exportüberschuss ist dabei ein anderes Wort für die Inanspruchnahme der Kaufkraft anderer Nationen.

Das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit wurde im Lauf der Jahrzehnte humaner gestaltet und bis zum Ende der Wirtschaft 2.0 (etwa bis 1970) war die Entwicklung des Kapitalismus trotz einige Krisen und Kriege für die Volkswirtschaften insgesamt positiv und von Prosperität gekennzeichnet. Mit Beginn der Wirtschaft 3.0 (der flächendeckenden Einführung von Computertechnologie und dem Ausbau der IT) zeigten sich ziemlich schnell die Auswirkungen der neuen 3.0 – Technologie. Die Zahl der Arbeitslosen stieg auf über 5 Mio. Menschen. Der Grund lag sicherlich auch in schwankenden Konjunkturen, war aber zu einem wesentlichen Teil durch den Abbau von Personal begründet, deren Aufgaben jetzt Schritt für Schritt der Computer übernahm. Insbesondere einfachere Tätigkeiten wurden mit Hilfe dieser Technologie ersetzt. Die Arbeitslosenquote wurde politisch als so beunruhigend empfunden, dass die Voraussetzungen für einen Niedriglohnsektor geschaffen und eine Reihe von Beschönigungen an der Arbeitslosenstatistik vorgenommen wurden. Die Agenda 2010 hat dann dazu beigetragen, dass die Reallöhne in den letzten zwei Jahrzehnten nicht gewachsen sind. Die dadurch ausfallende Kaufkraft wurde durch erhöhte Exportüberschüsse kompensiert.  Die EU-Mitglieder sehen den Exportüberschuss Deutschlands mit gemischten Gefühlen: Deutschland nutzt seine niedrige Reallohnsituation, um in den Nachbarländern der EU aufgrund der eigenen fehlenden Kaufkraft zu ‚wildern‘.

Die Politik hat das Projekt Wirtschaft 4.0 nicht ganz freiwillig ausgerufen – der Wettbewerb zwischen den Nationen erzwingt mehr oder weniger diese Vorgehensweise. Die Digitalisierung steht vor der Tür und die Prognosen zur Anwendung dieser Technologie kommen gegenwärtig zu dem Ergebnis, dass in vielen Branchen bis zu 50% der Arbeitskräfte im Laufe der nächsten 20 Jahre freigesetzt werden. Bei technologischen Prognosen ist die Trefferquote relativ gut. Die technologischen Grundlagen existieren, sie müssen (wie seiner Zeit bei der Gentechnik) nicht erst noch gefunden oder gar erfunden werden. Deshalb kann man im Folgenden davon ausgehen, dass die Prognosen in ihrer wesentlichen Aussage eine plausibel wahrscheinliche Zukunft beschreiben.

Was heißt das für das gegenwärtige genutzte Wirtschaftssystem? Die Forcierung der Digitalisierung kommt in einem ersten Schritt einem Investitionsprogramm gleich. Also ist aus dieser Sicht mit einer allgemeinen Belebung der Wirtschaftsaktivitäten zu rechnen. Parallel führt aber die zunehmende Digitalisierung zur Freisetzung einer steigenden Zahl an Arbeitsnehmern. Erst werden nur die Angst und die Sorge um den Arbeitsplatz zu einem restriktiveren Ausgabenverhalten führen. Greift der konkrete Arbeitsplatzverlust, so rutschen die davon Betroffenen in eine Situation, bei der ihre Kaufkraft ein Minimum erreichen wird. Wenn der Kaufkraftschwund dann auf den Konsum durchschlägt, befindet sich die Volkswirtschaft schlagartig im rasanten Sinkflug. Bei der in Aussicht gestellten großen Zahl von Arbeitslosen und dem anhaltend hohen Grad an fortschreitender Digitalisierung ist keine Chance erkennbar, diese ‚Massen‘ zeitnah sinnvoll zu integrieren. Man kann sogar so weit gehen, dass in Abhängigkeit von der Zahl der Arbeitslosen und dem damit verbundenen Kaufkraftverlust das kapitalistische System zu kollabieren droht. Das digitalisierte System soll (Angabe gemäß) hochflexibel sein, aber es ist überaus kapitalintensiv und braucht deshalb einen hohen Durchsatz, um die Skaleneffekte der Kostendegression sinnvoll nutzen zu können. Wenn nun die Hälfte der Kaufkraft entfallen würde, lässt sich  – cum grano salis – auch nur noch die Hälfte der gegenwärtigen Produktmengen absetzen. So jedenfalls funktionierte das System in der Vergangenheit, indem zwischen Absatz und Kaufkraft eine relativ enge Abhängigkeit unterstellt werden kann.

Die Technologie der Digitalisierung würde die im Kapitalismus konstituierende Beziehung zwischen Masseneinkommen und Kaufkraft dadurch in Frage stellen als sie eine Mehrzahl der Menschen aus dem System ‚kegelt‘, damit den Konsum dramatisch schwächt und dem kapitalistischen System seine Funktionsgrundlage entzöge. Das kapitalistische System könnte daran zerbrechen, insbesondere als nicht nur Deutschland betroffen wäre, sondern im etwa gleichen Zeitraum die ganze Nordhalbkugel. Also würde die in Deutschland beliebte ‚Krücke‘ Export keine Wirkung zeigen können.

Es gibt immer unverbesserliche Optimisten. Merkwürdigerweise jedoch stellen sie nicht die prognostizierten Freisetzungen und Umwälzungen am Arbeitsmarkt in Frage. Sie gehen stattdessen optimistisch davon aus, dass sich durch die Digitalisierung so viele neue Chancen auftun werden, dass das Szenario seinen Schrecken verlieren soll. Das Problem ist nur, dass diese Hoffnung außer Wunschdenken wenig konkrete Substanz besitzt.

Es steht außer Zweifel, dass mit der Digitalisierung neue Arbeitsplätze entstehen werden. Es bleibt aber die Frage, wieviel und auf welchem Niveau? Es ist nicht zu erwarten, dass diejenigen, die freigesetzt werden, in Gänze keine Beschäftigung mehr finden. Der Bodensatz der Arbeitslosigkeit wird aber über einen längeren Zeitraum dramatisch wachsen und eine Größenordnung annehmen, die den sozialen Frieden der Gesellschaft sprengen kann.

Den Optimisten muss auch verdeutlicht werden, dass ihr Ansatz nur deshalb positiv aussieht, weil sie ihre Argumentationskette mit der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen aufhören lassen. Aber die Digitalisierung hört doch dann nicht auf – sie greift doch auch die neu geschaffenen Arbeitsplätze an.  Die Freisetzung von Menschen endet doch nicht, wenn die besagten 50 % erstmals erreicht sind. Es werden beliebig viele neue Arbeitsplätze geschaffen, von denen doch wieder bis zu 50% durch die Digitalisierung aufgelöst werden, u.s.w. (ad infinitum). Der mathematisch versierte Leser wird hier für jeden Zuwachs eines Jahres eine ‚geometrische Reihe‘ feststellen können, deren Grenzwert gegen Null läuft. D.h. konkret, die Auswirkung der Digitalisierung wird mit den Jahren alle künftigen Arbeitsplatzzuwächse, die die Optimisten heute als Lösungsstrategie ins Feld führen, in seinen Grundzügen zunichtemachen. Darüber spricht aber keiner. Für diejenigen, die diese Aussage zu formal und suspekt erscheint, noch einmal anders: Jeder neu zu schaffende Arbeitsplatz im Zeitalter der Digitalisierung steht doch immer vor dem Vorbehalt, einen Menschen einzustellen oder die Aufgabe gleich zu digitalisieren. Also ist es richtig, dass die Digitalisierung viele neue Aufgaben geschaffen wird – aber sie werden doch größtenteils digitalisiert und verbessern die Arbeitslosenquote überhaupt nicht.

Das ‚Schneller, Höher, Weiter‘ – Syndrom des Kapitalismus führt zur forcierten Einführung einer Technologie, die ein zusätzliches und neues Risiko aufbaut, das in den Betrachtungen der Ökonomie nicht so richtig erfasst werden kann. Die neue Risikokategorie leitet sich nicht unmittelbar aus typisch kapitalistischen Defiziten ab, wie aus überzogenen Effizienzerwartungen, oder aus der fatalen Verherrlichung des Egoismus und seinen Gewinnerwartungen, oder aus einem falsch konzipierten Markt, sondern aus Gründen einer Technologie, deren Einführung im Rahmen des inszenierten Wettbewerbs der Nationen als unabwendbar gilt.

Es geht letztlich nicht um Geld. Es geht nicht um die Verteilung von Vorteilen. Es geht schlicht um die Frage, warum und zu welchem Zweck betreibt eine Gesellschaft ein solches System? Warum müssen wir uns unkritisch einer Technologieumsetzung aussetzen, die den Menschen auf breiter Basis keinen Wohlstand versprechen kann, sondern den Menschen wie ‚Ausschuss‘ und ‚Verschnitt‘ in eine Randrolle zu drängen droht?  Wenn auf dem Weg zur vollen Digitalisierung nahezu die Mehrzahl der Menschen faktisch als überflüssig gebrandmarkt werden, was müsste dann das politische Ziel sein? Haben wir hierfür überhaupt ein Ziel? Wohlstand – aber wessen Wohlstand?  Kann die Bereicherung weniger Mitspieler das Ziel einer Gesellschaft sein? Und wie können wir unter diesen Umständen die Würde der betroffenen Menschen sicherstellen? Das wird sehr spannend! Das verlangt geradezu nach Einmischung, um der Entwicklung eine menschlich verträgliche Wendung zu geben.

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Wirtschaft 4.0

Unter dem Begriff Wirtschaft 4.0 versucht die Bundesregierung einen künftigen wirtschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Zustand zu beschreiben und anzustreben. Er soll sich durch die neuen Möglichkeiten einer umfassenden Digitalisierung auszeichnen. Dabei wird der Mensch als Arbeitnehmer in einem hohen Maße für die Produktions- und Dienstleistungsprozesse überflüssig werden.

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Dieser wirtschaftliche Umbruch wird vielfach als so radikal beschrieben, dass er die wirtschaftlichen Umwälzungen der letzten 200 Jahre in den Schatten stellen soll. Dabei hat man den vergangenen und gegenwärtigen Entwicklungssprüngen die Nummern 1.0 bis 4.0 zugewiesen, um sie leichter beschreiben zu können. Es wird damit ein Bezug zu Programm -„Releases“ in der digitalen Welt hergestellt.

Die erste Umwälzung (Wirtschaft 1.0) kam am 1800 mit der Einführung der maschinellen Massenproduktion.  Die nachfolgende Stufe (Wirtschaft 2.0) ist durch die Einführung von Akkord- und Fließbandarbeit gekennzeichnet. Die Wirtschaft 3.0, deren Beginn in den 1970er Jahren gesehen wird, lässt sich mit der Automatisierung durch Computer und eine umfassende Einführung von IT  beschreiben. Die nun verheißene Wirtschaft 4.0, auch als „Zeitalter der Digitalisierung“ umschrieben, nutzt die Vernetzung und Digitalisierung weiter Bereiche der Wirtschaft, um im Sinne des Kapitalismus noch schneller und noch effizienter zu werden. Wenn man sich die Zeitverläufe der jeweiligen Veränderungen anschaut, fällt sofort ins Auge, dass sich die Zeitintervalle innerhalb der Stufen rasend verkleinert haben.

Die Protagonisten der künftigen Technologie beschreiben deren Entwicklung in den höchsten Flötentönen und versuchen uns das Bild einer Welt zu Füßen zu legen, in der nur noch Milch und Honig fließen. Es ist gut nachzuvollziehen, dass technikaffine Menschen diesem Charme und den sirenengleichen Lockungen dieser Darstellungen erliegen. Es ist ohne Frage ein Sprung des menschlichen Geistes und seiner Ingenieurkunst, der manchem den Atem raubt. Die Entwicklung scheint auch so weit fortgeschritten, dass die Prognosen zu dieser neuen Technologie in ihren Grundzügen auch Realität werden können. Dafür steckt einerseits zu viel geballtes Geld dahinter und andererseits braucht der globale Kapitalismus als Wirtschaftsform ein neues Entfaltungspotenzial. Sonst würde der Mangel an neuem Potenzial m.E. umgehend sein Niedergang einläuten. Da sich aber die allgemeinen Randbedingungen nicht verändert haben (die ökologischen Fragen, der Raubbau der Ressourcen, der Niedergang der Demokratie, u.v.a.m.), kann man davon ausgehen, dass die neue Entwicklung das System nur kurzzeitig beleben wird. Letztlich wird das System wieder vor den gleichen ungelösten Fragen stehen, die auch schon in den letzten 15 Jahren gelten und nicht gelöst wurden. Neben diesen alten Fragen werden neue zusätzliche Probleme auftauchen.

Wie könnte denn die Kehrseite der Medaille im Zeitalter der Digitalisierung aussehen? Das ist deutlich schwieriger zu beschreiben als die Vorzüge einer digitalen Technologie zu preisen. Die Kehrseite ist einer Mehrzahl von Menschen gar nicht klar. So wie viele mit dem Begriff „4.0“ nichts verbinden, umso weniger sind sie sich über die Folgen dieses Technologiewandels im Klaren. Die ersten Anzeichen zur Umsetzung der Technologie sind aber schon festzustellen, werden jedoch selten mit der Technologie in Verbindung gebracht.

Der Bankensektor (ausgenommen der Investmentbankensektor) als auch der Versicherungssektor unterliegen z.B. gegenwärtig einer radikalen Umwälzung, wobei sich zwei Gründe die Hand geben: Zum einen – und das wird stark herausgestellt – ist es die schwierige, politisch gewollte Zinssituation. Als Folge sinkt die Ertragsfähigkeit zum Teil dramatisch. Zum anderen die Fragestellung, warum muss der Zahlungsverkehr immer noch über Banken abgewickelt werden und warum muss der Kunde dafür ein unverhältnismäßig großes Entgelt entrichten? Für welche Dienstleistung? Für die Bereitstellung eines Kontos und eines Internetzugangs? Diese Entwicklung trifft insbesondere die Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Man sieht die Bank monatelang nicht und bezahlt trotzdem deren überdimensionierte Infrastruktur, die noch vor wenigen Jahrzehnten als richtig und sinnvoll erkannt und ausgebaut wurde. Viele Filialen werden schließen und Geldautomaten übernehmen die Bargeldausgabe. Mit anderen Worten: für ihr Basisgeschäft brauchen die Banken nur noch einen Brauchteil des Personals, das heute noch dort beschäftigt ist. Die fortschreitende Digitalisierung führt also dazu, dass offensichtlich wird, dass in dieser und anderen Branchen zu einem hohen Prozentsatz zu viel Personal unterhalten wird. Das ist aber nur die Kostenseite.

Was werden die Unternehmen tun, um sich hier „wettbewerbsfähig“ aufzustellen: sie werden Schritt für Schritt Personal entlassen. Da der Bankensektor insgesamt betroffen ist, werden die „freigesetzten“ Banker kaum eine reelle Chance haben, in ihrem angestammten Kompetenzfeld eine neue Aufgabe zu finden. Diesem Problem sehen sich nicht nur die Banker gegenüber.  – Auch die Autoindustrie wird unter dieser Entwicklung leiden. Hier trifft die Digitalisierung mit der Umstellung auf E-Mobilität zusammen: Die Digitalisierung wird die Werkshallen weiter leeren und die E-Mobilität benötigt technisch einfachere Fahrzeuge in geringerer Stückzahl. Einerseits führen sich nicht nur die PKWs in den vielen Staus und bei der Parkplatzsuche ad absurdum. Es sind einfach in den Ballungszentren zu viel Automobile. Andererseits zeichnet sich ein Trend ab, dass das Auto seinen sozialen Status verliert. Das Automobil verliert seine Exklusivität. Das Auto reduziert sich schlicht auf ein Mittel zur Mobilität. Und das Thema Mobilität lässt sich auch mit anderen Mitteln darstellen.

Eine lange Geschichte auf einen kurzen Nenner gebracht: Die Zahl der Menschen, die in den nächsten zwanzig Jahren ihre angestammte Arbeit durch Digitalisierung verlieren werden, wird laufend zunehmen. Die unterschiedlichen Prognosen kommen auf Freisetzungen von bis zu 50% der gegenwärtig beschäftigten Arbeitskräfte. Wenn man davon ausgeht, dass in Deutschland gegenwärtig über 40 Mio. Arbeitnehmer in Lohn und Brot stehen, dann könnten künftig (in etwa 20 Jahren) bis zu 20 Mio. und mehr Menschen aus der Beschäftigung herausfallen. Das Szenario gilt nicht nur für Deutschland, das gilt im Prinzip für alle entwickelten und differenzierten Gesellschaften auf der Nordhalbkugel. Über die Effekte, die sich für die Südhalbkugel hierdurch ergeben, schweigen sich die Prognosen aus.

Die Prognosen erschrecken nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Auch die sogenannten Eliten oder jene, die aufgrund ihres Einflusses und ihres Vermögens die Geschicke des Landes informell lenken, sind genauso verschreckt. Dabei spielt die soziale Komponente nur eine geringe, eher nachgeordnete Rolle. Ihre Sorge gilt ihrem Vermögen und ihrem Einfluss. Wenn um die 20 Mio. Arbeitslose auf der Straße stehen, kann man sich leicht ausrechnen, gegen wen wird sich der Unmut der Arbeitslosen richten wird – gewisslich nicht gegen das abstrakte Phänomen der Digitalisierung. Dieses Szenario macht Angst. Und diese Angst der Eliten ist auch recht gut zu beobachten. Nun ist Angst ein extrem schlechter Ratgeber, zwingt aber manchmal die verbohrtesten Teilnehmer in dem Prozess zum Einlenken und einer moderaten Haltung.

Wie stellt man sich nun Lösungen vor?  Diejenigen, die ihr Glaubensbekenntnis auf den Kapitalismus abgelegt haben, sprechen von „Kreativer Destruktion“ und beziehen sich auf eine Idee von Joseph Schumpeter aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Das klingt alles sehr nett und vielversprechend. Sein Konstrukt der Zerstörung und des Neubaus wurde aber noch nie in einer Situation realisiert, in der der soziale Sprengstoff so groß sein wird wie im Rahmen einer realisierten Digitalisierung. Weiterhin kann man trotzdem annehmen, dass viele dieser Arbeitslosen neue Dienstleistungen entwickeln und sogenannte ‚Solounternehmer‘ werden. Das gibt es schon heute und das Problem ist nicht gelöst, weil diese Solounternehmer mehrheitlich in Altersarmut versinken werden – das erzielte Einkommen reicht zum Leben, aber eben nicht für eine vernünftige Absicherung im Alter.  Man wird diese große Zahl von Arbeitslosen nicht ohne heftige politische Gegenwehr in den Niedriglohnsektor pressen können. Andere Arbeit steht in ausreichendem Umfang aus heutiger Sicht nicht zur Verfügung. Das ist letztlich unverändert eine bedrohliche Kulisse.

Ich war ganz verwundert in einem Kreis illustrer Persönlichkeiten plötzlich den Hinweis auf das ‚unbedingte Grundeinkommen‘ aufzuschnappen. Man wischt sich vor Verwunderung die Augen. Bisher galt dieser Ansatz in diesen Kreisen als „sozialistisch“, als „Gleichmacherei“ oder als schlicht unfinanzierbar. Plötzlich wird der Gedanke salonfähig. Aber nicht, weil den „armen Arbeitslosen“ geholfen werden müsste, sondern ausschließlich zur  Absicherung der eigenen Vermögensverhältnisse. Man macht in einer ziemlich ausweglosen Situation gerne finanziell  Zugeständnisse als die Gefahr zu laufen, das Vermögen und den Einfluss in einer nicht mehr steuerbaren Situation gänzlich zu verlieren.  Ähnlich denken die Unternehmen: 20 Mio. Arbeitslose sind ein kaum aufzufangender Ausfall an künftiger Kaufkraft. Also favorisieren viele Unternehmen eine Lösung des ‚unbedingten Grundeinkommens‘ mit dem Ziel, den Kaufkraftverlust so gering als möglich zu gestalten.  Da das Problem global zu verkraften sein wird, ist auch die umstrittene Politik der ‚Exportmaximierung‘ keine tragfähige Lösung.

Die oben gemachten Ausführungen versuchen in dürren Worten die wesentlichen Zusammenhänge darzustellen, wie sie heute von einer Mehrzahl von Fachleuten gesehen wird. Es gibt noch weitere Herausforderungen: Wir haben uns alle die letzten Jahrzehnte über unsere Arbeitskraft und über die Leistungsfähigkeit als Mitglied dieser Gesellschaft definiert. Angesichts der Problematik, dass schlicht ein großer Teil von leistungsfähigen und leistungswilligen Menschen künftig keine Verwendung finden wird, stellt unser Selbstverständnis als Bürger in Frage.  All die hohlen Versprechungen von der Leistungsgesellschaft sind heute schon fraglich, künftig wird diese Aussage einfach lächerlich. Für viele Menschen ist ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellbar. Es ist bei diesen Menschen mit ähnlichen psychischen Auswirkungen zu rechnen, wie man sie bei längerfristigen Arbeitslosen beobachten kann. Wenige werden einen Ausgleich im Ehrenamt oder in der Nachbarschaftshilfe finden können. Aber das ist keine Lösung für alle!?

Wir haben ein Steuersystem, das u.a. das Arbeitsentgelt zur Bemessungsgrundlage hat. Wenn etwa die Hälfte der Arbeitnehmer künftig kein Arbeitsentgelt mehr bezieht, greift die Steuer ins Leere. Der Staatsapparat kommt ins Stottern, weil wesentliche Teile seiner Einnahmen wegfallen. Statt der Arbeitnehmer müssen dann vermutlich die Einrichtungen besteuert werden, die sie ersetzen. Da es bei diesem Ansatz kein Arbeitsentgelt geben wird, wäre eine Besteuerung der Wertschöpfung dieser Einheiten ein adäquater Ausgleich.

Das Fatale der umrissenen künftigen Situation ist ein schwieriger, kaum beherrschbarer gesellschaftlicher Prozess. Wenn es um eine schlichte Umverteilung ginge, also um ein einfaches Strukturproblem, könnte man hier einen (lastenausgleichenden) Schnitt machen und hat eine neue Ausgangssituation. Aber Geld wird bei einem mit einem künftigen Grundeinkommen versorgten Arbeitslosen nicht das Problem sein: er will sich als geschätztes Mitglied dieser Gesellschaft fühlen können und das kann Geld nicht leisten. Die Anerkennung muss aus der Mitte einer gewandelten Gesellschaft kommen. Und damit wird aus einer „tollen“ Technologie ein möglicherweise unbeherrschbares Gesellschaftsproblem. Das Wort „toll“ gewinnt dabei eine doppelte Bedeutung.

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Utopien braucht das Land

DIE ZEIT hatte kurz vor Weihnachten in der Ausgabe zum 15.12.2016 einen Aufmacher mit dem Begriff „Utopie“. Der Beitrag ist mir nicht mehr im Detail geläufig. Der Referent des dazugehörigen Artikels nahm Bezug auf Thomas Morus. Seine gesellschaftliche Utopie wurde vor etwa 500 Jahren entwickelt. Man ist sich nicht sicher, ob nicht Teile davon als gesellschaftsbezogene Ironie zu verstehen sind. Ich fand den Artikel der ZEIT unbefriedigend, weil er – so meine Erinnerung – den Gedanken der Utopie entwertet.

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Die selbstgestellte Frage, ob die Gesellschaft noch Utopien braucht, wird vom Autor negativ beantwortet. Für einen Aufmacher-Artikel hätte ich mir da schon ein wenig mehr Analyse erwartet. Ohne Utopien leben zu wollen, kommt der fatalen Aussage gleich, das Ende der Geschichte erreicht zu haben. Manche Neoliberale werden ihm hier wohl zustimmen. Sie sehen mit der Realisierung einer „marktgerechten“ Gesellschaft das für sie denkbare Optimum erreicht und halten aus ihrer Sicht natürlich weitere Utopien für überflüssig.

Ich komme dagegen zu der Meinung, ohne Utopien kann unsere Gesellschaft gar nicht überleben. Was der Artikel aus meiner Erinnerung überhaupt nicht anspricht, ist die Tatsache, dass die Mehrzahl unseres Denkens und Handelns ständig von Utopien geprägt ist. Also von Vorstellungen, die wir für wünschenswert halten, die unser Denken und Handeln leiten, die aber nie, noch nicht, oder noch nicht ausreichend realisiert wurden. Konkrete Beispiele: die Utopie der Gerechtigkeit, die Utopie einer Herrschaft des Volkes, und die Utopie des guten Menschen. Und ich will den Sack der religiösen Utopien gar nicht öffnen, nur einen Blick hineinwerfen: die Utopie vom ewigen Leben, die Utopie der Wiederauferstehung, die Utopie vom Jüngsten Gericht und andere Vorstellungen mehr, deren Realisierung überaus fraglich sind, aber das Leben und Verhalten vieler Menschen trotzdem beeinflussen.

In der Utopie drückt sich in der Mehrzahl der Fälle eine Hoffnung aus. Utopien sind für ihre Anhänger optimistische Beschreibungen künftiger realer oder intellektueller Zustände. Wenn wir sie generell als wertlos betrachten, brechen mühsam gebastelte Lebenskonstruktionen (auch Lebenslügen genannt) zusammen. Wenn das Dasein zum Fürchten ist, gibt manche Utopie einen milde stimmenden Ausblick.

Utopien haben die Eigenschaft, dass sie allzu oft Utopien bleiben. Das was Utopien ausdrücken, lässt sich selten in Gänze erreichen. Die Utopie der Gerechtigkeit beschäftigt uns Menschen mindestens seit der Antike. Offensichtlich haben wir es in 2.500 Jahren nicht geschafft, diese Utopie zu realisieren. Und sie wird uns noch die nächsten Jahrhunderte beschäftigen. Hätten wir aber diese Utopie nicht, dann müsste man sie erfinden. Utopien haben dabei zwei Seiten in ihrer Anwendung: einerseits drückt die Utopie die Sehnsucht z.B. nach Gerechtigkeit aus, andererseits ist die Utopie ein wunderbares Mittel der Machteliten, den Menschen in kleinen Häppchen so etwas wie ein Gerechtigkeitsbemühen zu verkaufen, um damit von der allgemeinen drückenden Ungerechtigkeit erfolgreich abzulenken.

Um die unterschiedliche Wahrnehmung von Utopien gegeneinander zustellen, sei auf den Wahlkampf in den 70iger Jahren von Willi Brandt und der SPD mit dem Slogan „mehr Demokratie wagen“ verwiesen. Das war der Versuch, die Realisierung einer Utopie ein Stück weit voranzutreiben. Ungefähr zur gleichen Zeit erging in USA ein Auftrag aus straff konservativen Kreisen an einen Think Tank, doch bitte eine umsetzbare Studie zu entwickeln, wie eine angeblich ‚ausufernde‘ Demokratie ‚effizienter‘ gestaltet werden kann. Hier bekommt die Angst der vermögenden Eliten plötzlich ein Gesicht. Denn mehr Demokratie wagen, hätte auch bedeutet, die Macht und den Einfluss der damaligen Eliten ein Stück weit in Frage zu stellen. Heute reden wir darüber leider nicht mehr. Demokratie erscheint aufgrund der komplexen Prozesse schwerfällig, ineffizient und – noch viel schlimmer in einer Zeit des allgemeinen Kontrollwahns – sie erscheint unkontrollierbar und das gilt allgemein als Risiko, nicht als Chance.

Oder greifen wir die Utopie der sozialistischen Gesellschaft und ihre Realisierungsversuche auf. Der reale Sozialismus ist an seiner eigenen Unfähigkeit und Inflexibilität zusammengebrochen, aber wurde deshalb auch die dahinter stehende Utopie der Menschen zerstört?

Konservative Kreise neigen dazu, die Utopie im Bausch und Bogen wegen ihres irrealen Charakters abzulehnen. Sie sehen sich als die wahren Realisten, die solche Phantastereien nicht nötig hätten. Doch was ist konservativ? Es ist das irrationale Bestreben, den Status quo festhalten zu wollen. Es ist die Utopie des Status quo. Die Welt verändert sich mit und ohne Utopie. Die, die den Status quo vergöttern, wollen den Lauf der Zeit anhalten. Sie merken nicht, wie sie orientierungslos durch die Umstände Schritt für Schritt verändert werden.

Unsere gegenwärtige Politik des „Weiter so“ ist wohl ein Kind der Utopie des Status quo. Eine Utopie, die in die Zukunft weisen oder die gestaltend eine Vision eines erwünschten Zustandes beschreiben könnte, fehlt. Da die Utopie fehlt, ist es überaus schwierig, eine Strategie zu entwickeln, wie man zu einem gewünschten Zustand kommt. Strategisches Handeln setzt ein Ziel voraus und wo keine Strategie existiert, wird alles Handeln taktisch und verliert seine Richtung – das politische Handeln ähnelt dann einer Kakophonie, denn einer erkennbaren Zielstrebigkeit. Insoweit hat der ZEIT-Artikel leider recht, wenn er davon ausgeht, dass Utopien gegenwärtig keine Chancen haben, weil die Utopie des Status quo allzu übermächtig das kurzfristige politische Handeln bestimmt.

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Eine Idee schwächelt

Bis zur Inauguration von Donald Trump war Globalisierung wirtschaftspolitisch eine ‚heilige‘ Kuh. Danach verliert dieser Begriff schlagartig an Glanz. Man kann in den Zeitungen plötzlich Argumente zur Globalisierung hören, die jahrelang als nicht opportun galten. Im Folgenden werden einige Gesichtspunkte aufgegriffen, die sich rund um die Globalisierung ranken.

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Globalisierung galt lange als eine Jobmaschine. Es kursierten ‚wilde‘ Zahlenspiele, um die Vorteilhaftigkeit der Globalisierung zu demonstrieren. Interessant an diesen Zahlenspielen waren ihre positive Einseitigkeit, obwohl der Informierte sich schon immer fragen musste: Kann es sein, dass angeblich Millionen Arbeitsplätze durch die Globalisierung geschaffen wurden, aber das Wirtschaftswachstum eher stagniert?  Oder müssen wir erkennen, dass hier nur Arbeitsplätze auf dem Globus von teuer nach billig verschoben wurden? Diese Fragen, so meint man, müssten doch durch ein paar einfache Statistiken nachgewiesen werden können. Das will nicht gelingen – es ist überaus schwierig, Globalisierung überhaupt zu definieren und abzugrenzen. Das wäre doch der erste Schritt, um beobachtbare Sachverhalte mit dem Begriff in Beziehung zu setzen.

Man kann davon ausgehen, dass diese theoretisch klare und saubere Vorgehensweise gar nicht angestrebt wird. Hier tun sich sofort politische Widerstände auf – je unklarer der Begriffsinhalt der Globalisierung, desto besser lässt sich der schwammige Begriff vermarkten. Globalisierung ist kein Begriff, von dem der Bürger eine konkrete Vorstellung entwickelt. Niemand von uns Bürgern kann mit Globalisierung irgendetwas Lebensnotweniges verbinden.

Die Politik und die Medien versuchen uns Globalisierung als Freihandel zu verkaufen, aber Freihandel ist ein schon lange vor der Globalisierung eingeführter Begriff und steht für Im- und Exportaktivitäten ohne Zölle und andere Abgaben. Als der Begriff Globalisierung geschaffen wurde, gab es schon Jahrzehnte Freihandel. Man spricht davon, dass bei Einführung der Globalisierung schon 95 – 97 Prozent des Welthandels unter die Kategorie ‚Freihandel‘ fielen. Aber was fügt denn nun die Globalisierung zu diesem Vorgang hinzu?

Die Idee zur Globalisierung stammt von den Großkonzernen, die für ihre optimale Marktdurchdringung nicht nur ‚Freihandel‘ benötigen, sondern auch noch einen ‚stromlinienförmigen‘ Globalmarkt. Was heißt das? Alle nationalen Vorschriften für Waren und deren Verkehrstauglichkeit hatten im Freihandel unverändert Gültigkeit und die Globalplayer mussten sich von Markt zu Markt darauf einstellen. Das kann im großen Stil teuer und mühsam werden. Und hier setzt  nun die Globalisierung ein. Globalisierung zielt darauf, alle Märkte zu vereinheitlichen – alle nationalen Besonderheiten sollen der Globalisierung geopfert werden.

Die Großkonzerne haben noch eine weitere Front: den Konsumenten, der sich ehemals ebenfalls nach nationalen Präferenzen richtete. Hier sind die Werbung und die Imagepflege zwischenzeitlich so erfolgreich, dass der Geschmack der Massen schon weitgehend vereinheitlicht werden konnte. Auch das ist Teil der Globalisierungsstrategie. Eine einheitliche Werbe- oder Imagekampanie, die im globalen Rahmen durchgeführt werden kann, spart Geld, sichert den Umsatz und macht das Überleben dieser Konzerne sicherer und einfacher.

Globalisierung als vom Kunden und insbesondere von der Politik anerkannte Idee stützt die Verbreitung des Begriffs. Nun können wir feststellen, dass die Globalisierung durch Donald Trumps Vorstellungen einen deutlichen Knacks erhalten hat. Und das bezeichnende ist: niemand steigt auf die Barrikaden. Das macht u.a. deutlich, wieviel Überflüssiges diesem Begriff inne wohnt. Es macht auch deutlich, wieviel medialer Hype mit dem Begriff verbunden war und wie schnell dieser vormals ‚unverzichtbare‘ Gedanke in der Klamottenkiste versenkt wird.

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Globalisierung und Donald Trump

Anlässlich des Präsidentenwechsels in den USA sehen viele Kommentatoren die Globalisierung in Gefahr. Sie rühmen dabei die Vorteile der Globalisierung und es werden Argumente verwendet, die die Verwirrung eher fördern als klären. Es mag richtig sein, dass die Öffnung der Welt ein Erfolgsmodell ist. Aber das hat mit der Globalisierung wenig zu tun. Wir erleben hier ein grundlegendes Missverständnis.

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Globalisierung baut auf der Öffnung der Welt und auf dem Freihandel auf. Beides hatte die Welt schon vor der Einführung des Begriffs der Globalisierung erreicht. Die Öffnung der Welt und der Freihandel sind eine Folge technologischer und wirtschaftlicher Entwicklungen. Sie haben im ersten Schritt mit der Globalisierung überhaupt nichts zu tun. Erst als die technologischen Voraussetzungen geschaffen waren, konnte die Idee der Globalisierung ins Leben gerufen werden. Sie gipfelt nun in der Forderung der Globalplayer und der damit verbundenen staatlichen Administrationen, aus den vielen nationalen Märkten einen einzigen globalen Markt zu schaffen. Letztere Forderung ist der Kern der Globalisierung. Es ist der Freihandel, der nur eine Voraussetzung darstellt, die Forderung nach Globalisierung zu formulieren.

Die schiere Größe der wenigen Globalplayer erfordert große und weitgehend einheitlich strukturierte Märkte, um die Macht der Größe monopolitisch erfolgreich ausspielen zu können. Die Strategen haben erkannt, dass die vielseitigen Besonderheiten der kleineren nationalen Märkte der Entfaltung der Marktmacht der Globalplayers entgegenstehen. Damit wurde die Globalisierungs-Strategie geboren. Es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, diesen globalen Markt zu schaffen. Diese Entwicklung hat die US-Administration erkannt und hat (möglicherweise durch geschickte Lobbyarbeit) die Zielsetzung für ihre Zwecke übernommen. Globalisierung, wie sie die US-Administration verstand, war ein Ansatz, der sicherstellen sollte, dass exklusiv die westliche und hier insbesondere die US-amerikanische Sichtweise Grundlage der Entwicklung wurden.

Wenn man genau hinschaut, haben die Vorgänger Trumps sehr wohl den Grundsatz „America first“ und „Make America great (again)„ ständig befolgt. TTIP und vergleichbare Ansätze waren keine Maßnahmen zur Herstellung von Freihandel (den gab es schon vorher), nein – es war der Versuch, der Welt Schritt für Schritt die Werte und systemischen Grundlagen in der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der US-amerikanischen Sichtweise aufzudrücken. Kraft der ‚gemeinsamen‘ Vereinbarungen sollte der Einfluss der amerikanischen Politik auf die globalisierte Welt sichergestellt werden.

Die Strategie hatte – wie so oft – einen kleinen Haken. Die Akteure waren so verliebt in ihre Strategie, dass sie nicht bemerkten, dass ihr oft geheimes Handeln einen Verdacht aufkommen ließ. Im amerikanischen Mutterland als auch bei den betroffenen Europäern wurde der Verdacht genährt hat, dass diese Globalisierung zum Nachteil eines großen Teils der nationalen Gesellschaften stattfindet. Es gibt genügend Stimmen, die die Euphorie der Globalisierung nicht teilte. Sie brachten klar zum Ausdruck, dass diese Strategie im Wesentlichen den Globalplayern nutzen würde und den entstehenden Kollateralschaden die nationalen Gesellschaften zu tragen hätten. Das Volk verlor seine Zuversicht in die rosigen Vorteile der Globalisierung und ‚murrte‘. Aber nicht laut genug, dass es die Strategen auch gehört hätten. Und das war die Stunde der Populisten beiderseits des Atlantiks.

Donald Trump als Vertreter der USA und bisher erfolgreichster Populist hat seinen Erfolg der Tatsache zu verdanken, dass er das Unbehagen in der US-amerikanischen Gesellschaft populistisch zielsicher und ohne jeden intellektuellen Skrupel aufgriff und den Strategen die Deutungshoheit in wirtschaftspolitischen Fragen entzog. Alles was er bisher zu erkennen gibt, bricht mit der wirtschaftspolitischen ‚Tradition‘ der letzten dreißig Jahre. Er wischt die Globalisierung einfach vom Tisch. Ob das alles umsetzbar ist, ob es für Amerika gut ist, muss sich herausstellen. Alle, die der alten Agenda folgen, sehen ein Desaster auf sich zukommen. Dafür spricht einiges. Aber andererseits wurden durch diesen Handstreich die wirtschaftsideologischen Uhren wieder auf Anfang gestellt. Die alten Ideologien haben ihre Verbindlichkeit weltweit verloren. Diese Lücke bietet eine große Chance auf Veränderung. Die Politik sollte sie nutzen.

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Grundeinkommen als Horrorvision?

Angeregt von einem Artikel zum Grundeinkommen von Heinrich Alt, (ehemaliges Vorstandsmitglied der Bundesanstalt für Arbeit), den er mit dem Begriff „Horrorvision“ überschrieben hat, will man wissen, was ihn zu dieser Einschätzung bewog (SZ, 11.1.2017).

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Man kann erkennen, dass ihm die gegenwärtigen politischen Herausforderungen vertraut sind. Aber seine Argumente lösen keines der anstehenden Probleme. Eher gewinnt man den Eindruck, er stellt Forderungen auf, die einen sinnvollen Lösungsbeitrag eher schwieriger machen.

Sein erster Vorwurf ist, dass wir zwar sehen, was wegfällt, ohne zu erkennen, was Neues entsteht. Er bezieht sich dabei auf die Transformation in der Digitalisierung (Industrie 4.0) mit dem damit verbundenen Verlust von zahllosen Arbeitsplätzen. Er meint, dass in keiner Weise erkennbar ist, wieviel Arbeitsplätze dann z.B. im Gegenzug im Bereich der Cybersicherheit neu entstehen. Das mag mittelfristig nicht verkehrt sein. Aber diejenigen, die in naher Zukunft durch die Geschwindigkeit der Transformation ihre Arbeit verlieren, werden wohl nicht wieder am darauf folgenden Montag in der Cybersicherheit auftauchen können. Für sie bricht erst einmal eine Welt und eine Lebensperspektive zusammen.

Alt spricht dann von einem Allzeithoch der Erwerbstätigkeit. Dieses Argument hat zwei Seiten: erstens wirkt sich die Transformation in Deutschland noch nicht aus – manche sagen, das Land habe diesen Trend verschlafen und es wird deshalb verzögert um den Schlaf gebracht. Die andere Seite des Arguments ist die Tatsache, dass wir zur Erwerbstätigkeit auch einen riesigen Niedriglohnsektor zählen, in dem niemand von seiner Arbeit wirklich leben, geschweige denn eine Altersvorsorge aufbauen kann. Letzteres Problem wird den Niedriglohnbereich stracks in die Altersarmut führen. Hier müssen Lösungen her und das Grundeinkommen wäre eine solche Alternative.

Wenn die Transformation so kommt, wie sie an die Wand gemalt wird, haben wir kein Demographieproblem mehr. Die Herausforderung, die sich durch die Demographie ergeben soll, liegt ja darin, dass immer weniger Menschen in Arbeit für immer mehr Menschen sorgen müssen, die das Arbeitsleben hinter sich gelassen haben. Wenn aber vereinfacht ausgerückt immer mehr „Maschinen“ die Arbeit des Menschen übernehmen, so werden letztlich die Maschinen mit ihrer Wertschöpfung den Beitrag erwirtschaften müssen, den unter anderen Bedingungen die Menschen erwirtschaftet haben. Wir dürfen jedoch davon ausgehen, dass die „Maschinen“ in der Mehrzahl ihres Einsatzes wesentlich effizienter sind. Dieser Produktivitätsvorteil sollte ja wohl zum Teil darauf verwendet werden, die Menschen ohne Arbeit oder im Ruhestand zu unterstützen und zu finanzieren. Es kann ja nicht sein, dass diese Transformation ausschließlich das Vermögen der Aktionäre steigert und dann für die Verlierer achselzuckend festgestellt wird: selbst schuld! – Das würde dem neoliberal verordneten Selbstbild der abhängig Beschäftigten durchaus entsprechen. Darüber spricht aber Herr Alt nicht.

Worüber Herr Alt auch nicht spricht: Alle die Menschen, die „freigesetzt“ werden, fallen bei minimaler Versorgung ganz allgemein als künftige Konsumenten aus. Da die Digitalisierung aber nicht nur in Deutschland ihre Wirkungen ausleben wird, sondern auch in den Ländern, in die wir ‚weltmeisterlich‘ exportieren, bricht durch die Transformation möglicherweise im großen Stil der Absatz unserer Industrie 4.0 weg. Da nützt es dann wenig, hoch digitalisiert zu sein – irgendjemand muss die Produkte letztlich auch kaufen wollen und muss dazu finanziell in der Lage sein können. Wenn das nicht mehr gewährleistet werden kann, ist unser Wirtschaftssystem am Ende – egal, ob mit oder ohne Transformation.

Herr Alt bringt dann noch eine Reihe von Argumenten, die zwar nicht verkehrt sind, aber eben aus der „alten“ Kiste vor der Transformation stammen. Und die Transformation droht sich in einer Weise durchzusetzen, bei der diese „Werte“ möglicherweise überrannt werden. Herr Alt meint dabei, dass das Grundeinkommen die Wirtschaft gegenüber den Erwerbsfähigen von jeder Verantwortung freikauft. Ist das nicht schon heute ohne Grundeinkommen eine gerne verschwiegene Tatsache? Die „Industrie 4.0“ hat doch das Ziel, den Menschen soweit als möglich überflüssig zu machen. Wo soll denn da eine Verantwortung bestehen oder sich entwickeln. Je mehr wir auf die Verantwortung pochen, umso schneller wird die Transformation voranschreiten. Und das Argument hat absolut nichts mit dem noch einzuführenden Grundeinkommen zu tun. Hier wird das Grundeinkommen für Sachverhalte verantwortlich gemacht, die aus komplett anderen Gründen entstehen werden.

„Jeder hat einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung.“ Beteiligungsgerechtigkeit sei angeblich ein konstitutives Element unserer Wirtschaftsordnung. Herr Alt, wo leben Sie? Das sind politische Sprüche aus der Zeit meiner Jugend, die seit 30 Jahren auf dem Rückzug sind. „Jeder wird gebraucht.“ Das würde ich gerne unterschreiben, aber unsere Wirtschaftsordnung ist gerade dabei, diesen Satz ad absurdum zu führen. Wir werden jeden brauchen, aber nicht in der Wirtschaft. Diese Aussage kann auch die Wirtschaft nicht erfüllen, hier ist die Gesellschaft gefragt, die jene Werte hervorbringen und stützen muss, die unsere Wirtschaft rücksichtslos aufgrund ihrer Effizienz-Logik Tag täglich verheizt.

Und erst jetzt kommen wir zum Grundeinkommen. Denn die Tatsache, dass sich auch hohe Wirtschaftsfunktionäre mit dem Grundeinkommen beschäftigen, ist keine Folge übertrieben sozialer Anwandlungen. Es ist schlicht die Erkenntnis, dass man die Massen, die durch die Transformation aus der Arbeit gedrängt werden, auffangen muss. Man hat hier vielleicht die Verhältnisse der zweiten Transformation in England vor Augen, als die unbeschäftigten Massen vom Land in die Städte strömten auf der Suche nach einer realen Überlebenschance. Man kann jetzt unterstellen, dass wir heute kultivierter seien als 1830 in England, aber das ist nicht das auslösende Moment: es geht den Wirtschaftsfunktionären ausschließlich darum, die kapitalistische „Kiste“ am Fliegen zu halten. Und hierzu braucht es die Kaufkraft dieser Massen. Sie muss erhalten werden und dafür sucht die Wirtschaft Verbündete, um die sich daraus ergebenden Lasten Dritten, bevorzugt dem Staat, auf zu bürden. Es ist bisher nicht zu erkennen, ob die Wirtschaft selber Beiträge zu leisten bereit ist.

Ein andere Argument für das bedingungslose Grundeinkommen ist in ‚gehobenen Kreisen‘ auch schlicht die um sich greifende Angst vor heftigen Umwälzungen. Man ist sich der wachsenden Staatsverschuldung, die primär den ‚kleinen Mann‘ trifft und der teilweise obszönen Einkommens- und Vermögensverteilung sehr wohl bewusst und fürchtet schlicht um seinen Besitz. Man ist aus dieser Sorge heraus bereit, einen ‚kleinen‘ Teil seines Vermögens eventuell zu opfern, damit der Status quo möglichst lange erhalten bleibt. Die Freiheit, die Vermögende in Europa genießen können, wird von ihnen angesichts der ‚gated areas‘ in USA, der hohen Unsicherheit in Russland, in Brasilien und anderen Ländern, wo man sich nur noch in gepanzerten Limousinen bewegt, sehr geschätzt. Und als Geschäftsleute ist ihnen sicher auch klar, dieses Privileg wird á la longue auch etwas kosten müssen. Und in diesem Sinne muss man die Haltung dieser Klientel zum Ansatz des Grundeinkommens verstehen – und letzten Endes bei der geplanten Umsetzung dieses Eingeständnis dann auch nutzen.

Es muss auch jedem klar sein: Denjenigen, die das bedingungslose Grundeinkommen ins Leben gerufen haben, waren diese Gedankengänge vermutlich fremd. Sie haben ein Problem erkannt und wollten hierfür eine Lösung anbieten. Wie so oft, kommt dann dieser wohltätige Ansatz in das Räderwerk des wirtschaftlichen Denkens und man könnte verzweifeln – aus dem netten Baby wird möglicherweise ein ‚Monster‘, dafür werden sich aber die Umsetzungschancen der Idee dramatisch erhöhen. Jetzt geht es darum, die Ausgestaltung primär sozialverträglich voran zu treiben. In etwa 10 Jahren könnte es dann soweit sein. Vielleicht ist es das, was Herr Alt als Horrorvision erkennt.

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Handlungsalternativen V (Zusammenfassung)

Man könnte die Liste der Maßnahmen beliebig weiter ausbauen, aber wenn man an allen Stellschrauben dreht, die sich drehen lassen, besteht die Gefahr, dass man die Kontrolle über den Prozess verliert. Es sind hier in dem Zusammenspiel der Akteure einige wichtige Bedingungen zur  Veränderung vorgeschlagen.

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Im ersten Schritt wird die Finanzwirtschaft entschleunigt und auf ihre ursprüngliche Aufgabe, die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen, reduziert. Man könnte auch noch einen Schritt weiter gehen und die Geldschöpfung wieder der Zentralbank anzuvertrauen. In einem weiteren Schritt würde die Zielsetzung der Realwirtschaft von einer kurzfristigen auf eine längerfristige Handlungsperspektive umgestellt. Das Anreizsystem wird radikal umgestellt. Geld darf nicht mehr der alleinige Motivator sein. Der Shareholder Value Gedanke mit seiner strikten kurzfristigen Gewinnmaximierung wird aufgegeben. Der entschleunigte Finanzmarkt wird mit dazu beitragen, dass die Gewinnmaximierung aus dem Fokus verschwindet.

Dann müssen wir dem Rechtsgedanken einen neuen Impuls verleihen. Recht soll nicht dazu dienen, kreative Lösungen zu seiner Umgehung zu finden – Recht soll die Grundlage im Umgang miteinander darstellen und wer das nicht verstehen will, sollte dies auch konsequent spüren. Es kann auch keine juristischen Deals mehr geben, die ja überproportional zunehmen, je einflussreicher die Prozessbeteiligten sind. Es muss umgekehrt geregelt werden: Je kleiner der Fall, desto eher kann man auf Großzügigkeit hoffen, aber je grundsätzlicher und öffentlich bedeutsamer die Fälle sind, umso weniger ist dort Raum für ein cleveres Geschäft mit dem Gericht. Dann muss der Fall zu seinem bitteren Ende gebracht werden, sonst verliert das Publikum zunehmend seinen Glauben an die Gerechtigkeit.

Da wo der Staat ein Recht zum Eingriff hat, hat er dieses Recht auch ohne Ansehen der Person zum Wohle der Gemeinschaft auszuüben – da sollte man doch in der Lage sein, auf steuerlich illegale „Standortvorteile“ zu verzichten. Seriöse Unternehmer sind für solche Mätzchen sowieso nicht zu gewinnen. Unternehmen heißt nicht, Gewinne durch möglicherweise unseriöse Steueroptimierung zu erzielen, sondern erfolgreich ein Geschäft zu betreiben. Dazu gehört auch Steuern zu bezahlen – die Gegenleistung für Infrastruktur. Sie wird ja auch gerne und klaglos in Anspruch genommen.

Unser Rechtverständnis als nicht quantifizierbare Qualität wird durch seine Kommerzialisierung zerstört. Man hat sich auf den Pfad der Untugend eingelassen, halbseidene Aussagen als Rechtens zu zulassen. Aber es gibt nur eine Aufrichtigkeit und die ist unteilbar, denn alles was nicht der Qualität der Aufrichtigkeit entspricht, ist tendenziell Betrug. Das Halbseidene und deren Verhaltensweisen lassen sich vermutlich nicht ganz eliminieren, aber dieses Verhalten als rechtsgrundsätzlich zu akzeptieren, führt direkt in die Korruption. Zunehmend glauben wir als „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck), die Gefahr rechtlich zur Rechenschaft gezogen zu werden, als schlichtes Nutzen-Kostenrisiko betrachten zu können: ein bestimmtes  Verhalten ist zwar legal nicht zu tolerieren, aber das Risiko, zur Rechenschaft gezogen zu werden, gilt im Vergleich zum Nutzen dieses Verhalten als „unternehmerisch vertretbar“. Das Recht muss sich in wesentlichen Teilen diesem Kalkül entziehen bzw. wenn wir die Anwendung des ökonomischen Kalküls hierbei tolerieren, verlieren wir unsere letzte Glaubwürdigkeit.

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Handlungsalternativen IV (Dem Recht eine Chance)

Es geht bei einer Rechtsreform nicht um neue Gesetze oder noch flexiblere Paragraphen, es geht darum, den Sinn und Zweck des Rechts wiederzubeleben. Es kann nicht sein, dass Recht ökonomisiert wird, indem man glaubt, ein wenig mehr Effizienz mit einer kleinen Reduzierung auf dem Gebiet der Gerechtigkeit einkaufen zu können. Die Produktion von Gerechtigkeit  i.w.S. kann als qualitative Größe nicht gegen eine quantitative Effizienzverbesserung aufgerechnet werden. Das führt direkt in die Käuflichkeit rechtlicher Entscheidungen.

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Besonders deutlich wird dieses Verhalten im Lebensmittelrecht, wo sich der normale Bürger fragt, wie weit die vom Gesetz gedeckte „Verscheißerung“ eigentlich reicht. Sind wir dort nicht schon längst über dem Rubikon angelangt, wenn einer Industrie von Gesetzes wegen gestattet wird, den Rest von Aufrichtigkeit hinter sich zu lassen und dem Konsumenten legal zu betrügen? Die Politik hört auf die Sirenenlaute der Lobbyisten, statt dem „Volk aufs Maul“ zu schauen. Wer sich betrogen fühlt, wird in aller Regel auch tatsächlich betrogen. Egal, wie das dann ein vom Kommerz getriebenes  Gesetz beurteilt.

Wir verfügen über ein Grundgesetz, um dessen Qualität uns viele beneiden. Aber gilt es auch noch dort, wo es nicht dem „Mainstream“ entspricht. Ohne Frage verändern sich Gesellschaften, aber dann bitte mit einer öffentlichen Diskussion der damit verbundenen Rechtsvorschriften. Der Eigentumsbegriff des Grundgesetzes mit seiner Sozialverpflichtung wurde im Rahmen der letzten dreißig Jahre unter der Herrschaft der neoliberalen Ideologie völlig vernachlässigt. Eigentum ist die Grundlage unseres gegenwärtigen kapitalistisch geprägten Systems. Dabei erscheint die Sozialbindung als lästig vernachlässigt worden zu sein. Hier müssen wir wieder zurück zum Wortlaut des Grundgesetzes oder diskursiv zu einer anderen Sicht der Zusammenhänge – aber das Grundgesetz einfach permanent zu ignorieren, ist keine Lösung, die der gesellschaftlichen Entwicklung positiv dienen kann.

Es kann nicht sein, dass die partielle Nichtanwendung von gesetzlichen Vorschriften durch Abbau des dafür notwendigen Personals als „Standortvorteil“ angesehen und auch politisch so (hinter vorgehaltener Hand) vermarktet wird. Wie kann es möglich sein, dass NRW wegen seiner Datenkäufe gerügt wird, aber dann die „freiwilligen“ Selbstanzeigen einen Sumpf von Hinterziehungen offenlegen, das aber kaum einen Politiker veranlasst, ins Grübeln zu kommen. Das ist doch immer nur die Spitze des Eisbergs. Könnte es sein, dass die horrende Ungleichheit in Deutschland nicht nur, aber auch eine Folge mangelhafter Steuerehrlichkeit sein könnte, die wir einfach als gegeben hinnehmen. Die Regierungen der letzten Jahre haben die Vermögenden dieses Landes in den letzten Jahrzehnten so unrealistisch begünstigt, dass man sich fragt, ob dann nicht wenigstens diese Windfallprofite auch legal versteuert werden.

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Handlungsalternativen III ( Unternehmen)

Da Aktionäre im Grundsatz einen Anspruch auf den ausgewiesenen Gewinn eines Geschäftsjahres haben, kann man dank der Shareholder Value-Attitüde davon ausgehen, dass den Aktionären auf dieser Grundlage der maximale Gewinn zusteht. Dabei ist man sich einig, dass es sich hier um den kurzfristigen (einjährigen) Gewinn des Unternehmens handelt. Dieser Anspruch lässt sich sogar juristisch durchsetzen.

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Mit anderen Worten: eine andere als eine kurzfristig orientierte maximale Gewinnausbeutung ist durch die gegenwärtige Unternehmensverfassung kaum umsetzbar ohne dass sich die Unternehmensleitung möglichen Schadenersatzansprüchen von Seiten der Aktionäre aussetzen. Was wäre ein alternativer Ansatz? Die Vorstände der börsennotierten Unternehmen sind alle auf die Durchsetzung maximaler Gewinnerzielung ausgerichtet. Also müssen die Unternehmensverfassungen einen anderen Gewinnbegriff zulassen. In solchen Fällen springt der Begriff der Nachhaltigkeit ins Auge. Aber was bedeutet Nachhaltigkeit konkret? Das ist ein Wortungetüm ohne Inhalt bzw. da packt jeder Verwender den Inhalt hinein, den er für relevant zu erkennen glaubt. Es wäre sinnvoller, die Unternehmen und ihre Vorstände auf eine langfristige Perspektive von 5 – 10 Jahren in ihrem Handeln zu verpflichten. Ziel ist die langfristige Entwicklung und Erhaltung des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze. Wenn eine kurzfristige Perspektive mit dem langfristigen Ziel im Konflikt steht, so ist es Aufgabe des Vorstandes, sich langfristig zu orientieren. Diese Perspektive ist im Geschäftsbericht jährlich fortzuschreiben und zu erläutern. Die Verträge der Vorstandschaft sind dementsprechend anzupassen. Sowohl Tantiemen als auch Sonderzahlung werden an diese Perspektive angepasst und auch nur bei anhaltendem und nachgewiesenem Erfolg über Raten in voller Höhe ausbezahlt.

Es ist zu überlegen, ob nicht die Verträge der Vorstände einen längeren Zeitraum umfassen sollten. Damit wird das Risiko der Auswahl des Personals zwar größer, aber wenn man von langfristiger Perspektive in der Unternehmensführung spricht, so muss es den Vorständen auch möglich sein, den längerfristigen Erfolg (oder Misserfolg) in ‚Amt und Würden‘ zu erleben. Ob die Riege der Vorstände wirklich ihr Geld wert ist, kann oft gar nicht festgestellt werden, weil sie vorher schon weggelobt wurden und anderen Orts die gleichen Fehler begehen können. Eine klassische Rückkopplung zur Beurteilung der echten Leistungsfähigkeit wird dadurch unmöglich gemacht.

Vorstand und Aufsichtsrat

Vorstand und Aufsichtsrat bei börsennotierten Unternehmen bilden das, was man einen ‚closed shop‘ nennen könnte. Das ist ein exklusiver Club und der Zugang ist überaus selektiv. Die Selektionskriterien sind aber nicht Leistung, Fachwissen oder ähnliches, das Kriterium sind bei einer Vielzahl der Fälle die Herkunft und die dort gepflegten Netzwerke.

Vorstände sollen durch den Aufsichtsrat kontrolliert werden, so die Theorie. Im Aufsichtsrat sitzen aber mehrheitlich Personen, die in anderen börsennotierten Unternehmen wiederum aktive Vorstände sind. Wenn es nun gilt, das Gehalt samt Nebengeräuschen eines Vorstandes zu fixieren, haben all diese Kontrolleure ihre eigene Gehaltssituation im Hinterkopf und werden nicht in den Fehler verfallen, dem Einkommensvorschlag des Vorstands leichtfertig zu widersprechen, egal wie unrealistisch hoch er ist. Über die kursierenden Vergleichslisten, die die Aufsichtsräte zur Rechtfertigung ihrer schwer nachvollziehbaren Entscheidungen führen werden, wird auch die jetzt zu treffende Entscheidung die nächsten Gehaltsverhandlungen in einem anderen Vorstand positiv beeinflussen. Der neue hohe Wert geht in die berüchtigte Liste ein und schafft damit einen Bezugspunkt, auf den sich der nächste Vorstand gegenüber seinem Aufsichtsrat beziehen kann. Und dann beginnt das Spiel von neuem.  Das macht vielleicht erklärlich, warum die Vorstandsgehälter selbst in rezessiven Perioden ungeniert überproportional wachsen und von der jeweiligen Unternehmenssituation völlig losgelöst bestimmt werden.

Die gegenwärtige Entwicklung wird man aus Gründen der erforderlichen Manpower kurzfristig nicht ändern können. Soviel Personen mit einem entsprechenden Erfahrungshintergrund kurzfristig austauschen zu wollen, ist unrealistisch. Also muss man für diese Art von Managementaufgaben eine offizielle Regel finden, wie die Rahmen für die Vergütungen festgelegt werden können. Viele Vorschläge sehen vor, die Vergütung an einem Vielfachen des durchschnittlichen Arbeitsnehmereinkommens im Konzern oder im Unternehmen auszurichten. Das Vielfache variiert dabei vom 10- bis 30-fachen des Durchschnittgehaltes. Da Vorstandgehälter als auch die Gehaltssumme der Mitarbeiter Kosten darstellen, sind die bilanzierten Personalkosten Grundlage des Vergleichs. Gehen wir davon aus, dass 70 T€ p.a. (Brutto plus AG-Anteil) ein realistischer Durchschnitt in einem Unternehmen wären (ohne Vorstandsvergütung), so könnte die Vorstandvergütung zwischen 700 T€ (bei einem Vielfachen von zehn) oder 2,1 Mio. Euro (bei einem Vielfachen von dreißig) schwanken. Hinzu kämen für den Vorstand dann noch der Dienstwagen, eventuell auch die Dienstwohnung. Die Pensionszusage orientiert sich dann an den gleichen Kriterien, die auch für die Belegschaft gelten. Die Tantiemenzusage muss sich am Gewinn orientieren und, wie oben angeführt, künftig langfristige Perspektiven angemessen bedienen. Die Tantiemenauszahlung erfolgt dann über einen Zeitraum von z.B. fünf Jahren, wobei in den Folgejahren eventuell entstehende Verluste anteilig gegengerechnet werden. Die Erfolgsbeteiligung steht damit unter dem Druck ‚nachhaltig‘ zu sein. Es kann durchaus geschehen, dass es bei der Tantieme in den Folgejahren zu keiner Auszahlung mehr kommt, weil die wiederholbaren Erfolge ausbleiben und die anteiligen Verluste den positiven ratierlichen Tantiemenanteil auflösen. Das Argument, dass durch die Beschränkung der Gehaltsentwicklung die Vorstände weniger leisten würden, überschätzt den geringen und flüchtigen Motivationswert von Geld bzw. von mehr Geld – wer nicht für seine Aufgabe ‚brennt‘, dem entlocken auch noch so viele Millionen keine bessere Leistung.

Vorstände verstehen sich gegenwärtig als Vollstrecker des Aktionärswillens. Grundlage für diese Anschauung ist das neoliberale Shareholder Value Denken, das etwa seit der Jahrtausendwende durch die Köpfe spukt. Dieser Gedanke ist zugunsten einer Haltung aufzulösen, die davon ausgeht, dass der Vorstand „erster Diener“ des Unternehmens (und nicht der Investoren) ist und damit ein Handeln an den Tag zu legen hat, das allen an der Unternehmensentwicklung beteiligten Kreisen gerecht wird.

Bei einer Maximierung des Gewinns der Anteilseigner ist es möglich, eine weitgehend eindeutige und einheitliche Interessenlage zu unterstellen. Sobald die Zusammenhänge auf Grund des Stakeholdermodells differenzierter gesehen werden müssen, werden auch die Zuteilungen von Vor- und Nachteilen aus Unternehmensentscheidungen komplexer und zwangsläufig mehrdeutig. Darin ist kein grundsätzlicher Nachteil zu erkennen. Nur die Kommunikation zwischen den Interessenvertretern wird eine neue Qualität gewinnen.

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