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Aphorismen aus der ‚Business Welt‘

Der Kolumnist und erfolgreiche Autor Martin Suter (geboren am 29.02.1948) analysierte schon vor Jahren mit spitzer Feder die sogenannte ‚Business Class‘. Hier einige seiner Ausführungen zu dieser besonderen ‚Klasse‘ von Menschen:

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CEO (Chief  Executive Officer): „Hinter dieser Anhäufung von Superlativen steht nichts anderes als ein Angestellter, der das große Wort führt, ein paar Entscheidungen trifft, die Untergebene für ihn erarbeitet haben, und der keinerlei persönliches Risiko trägt. Das Testosteron geschwängerte, hohle, Epauletten behangene der wilhelminischen Epoche findet sich heute wieder in der Großmannssucht des Spitzenmanagements. Mit dem Unterschied vielleicht dass sich die Leader von heute nach Niederlagen nicht mehr erschießen, sondern mit millionenschweren Abfindungen auf die Fettlebe im Alter einrichten.“

„Dort oben hin, wo es keine Kontrolle mehr gibt und man alle Fehler machen darf, streben die mittleren Chargen … und dafür zahlen sie jeden Preis, und töten jeden Anstand, jede Selbstachtung in sich ab. … (Die) Betriebswirte und Controller werden durch die Zumutungen, die ihnen der Aufstieg abverlangt, so beschädigt, dass sie, oben angekommen, nur noch Charaktermasken sind.“

„CEOs beherrschen ihren Job nicht, weil sie nicht dafür qualifiziert sind. CEOs wissen nur, wie man CEO wird. Davon, wie man CEO ist, haben sie keine Ahnung. Woher auch? Der Kampf um die Position verlangt ganz andere Qualitäten als die Position selbst. Da hat man jahrelang Mitbewerber ausgetrickst, sich auf Kosten anderer profiliert, Verantwortung abgewälzt und Erfolge für sich beansprucht, opportune Entscheidungen getroffen und richtige vermieden (…) und plötzlich ist man am Ziel und weiß nicht, was man dort zu tun hat.“

Wann immer Sie in Gefahr sind, dem eindrucksvollen Auftritt dieser ‚Klasse‘ von Managern mental zu erliegen, so erinnern Sie sich einfach an die Worte von Martin Suter oder stellen Sie sich die Person in einer aus der Zeit gefallenen Badehose vor – das hilft i.d.R. vor falscher Ehrerbietigkeit. Wenn Sie ihn Ihre mangelnde Ehrfurcht spüren lassen, dürfen Sie aber nicht auf Gnade hoffen, denn Sie zerstören ein entbehrungsreich aufgebautes Image, von dem mancher Spitzenmanager glaubt, es beschreibe seine Identität.

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Arme Justitia

Die Zahl der Wirtschaftsfälle, an denen die Justiz scheitert, obwohl erkennbar große Schäden verursacht wurden, ist erschreckend. Manche der Gazetten kommen dabei zu dem Schluss, dass die Gesetzgebung die Komplexität der Fälle nicht mehr erfassen kann. Das mag bei einzelnen neuen Sachverhalten durchaus richtig sein, aber der eigentliche Grund liegt vermutlich ganz woanders.

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Schauen wir uns doch diese Frage aus dem Blickpunkt eines frischgebackenen exzellenten Anwalts an. Früher gingen solche Leute ins Richteramt. Heute wird der Kandidat so mit Angeboten der Wirtschaft bombardiert, dass er diese Option schnell fallen lässt. Es beginnt bei den Arbeitsbedingungen im Amt und endet beim Einkommen als beamteter Richter.

Beginnen wir bei den Arbeitsbedingungen. Neben der Frage nach der unterstützenden Technik, die meist schon viele Jahre in der Anwendung ist und die die letzten Updates nicht erreicht haben, ist die Frage, wie gearbeitet wird. Stehen die notwendigen Arbeitskräfte zur Verfügung, die qualifiziert zuarbeiten können? Ertrinkt der Kandidat in Fällen, die schon sein Vorgänger bei vielen Überstunden nicht bearbeiten konnte? Die personelle Ausstattung lässt grundsätzlich zu wünschen übrig.

Der Staatsapparat soll nach der neoliberalen Doktrin schlank und effizient sein. Man kann dabei den Eindruck nicht unterdrücken, dass die Politik sich als Büttel der Wirtschaft gemüßigt sieht, viele rechtlichen Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben statt die Frage zeitnah und treffend (gerade weil es wehtut) zu behandeln und zu entscheiden. Folgerichtig wird die Personalausstattung in der Justiz auf einem Minimum gehalten. Überlastete Mitglieder der Justiz ‚rödeln‘, um den Terminen hinterher zu hecheln.

Was ist die Folge? Der „Brain Drain“ von guten Juristen in die Wirtschaft lässt die Justiz in der Tendenz qualitativ immer schlechter werden. Die Spitzenleute entwickeln jene Modelle, mit denen sich dann, wenn die ersten Modelle an der ökonomischen Wirklichkeit gescheitert sind, die Justiz befassen darf ohne zuvor jemals etwas von diesen halbseidenen Wegen der Wirtschaft erfahren zu haben. Es ist nicht darstellbar, dass die Creme des Berufsstandes dauernd auf Schulungen zu finden ist, um die neuesten Entwicklungen zu lernen und umzusetzen. Gleichzeitig muss es in der Justizverwaltung Abteilungen geben, die ebenfalls in solchen Schulungen sitzen und sich vorausschauend gezielt auf die kritische Würdigung solcher Konstruktionen einstimmt. Die Wirtschaft hat die Perspektive, wie können wir vermeintlichen Freiraum gewinnen und die Justiz hat die verdammte Aufgabe, im Vorfeld schon Strategien zu entwickeln, wie diese Ideen justiziabel werden können. Wenn es sich herausstellt, dass das mit dem gegenwärtigen Handwerkszeug nicht zu machen ist, ist der Gesetzgeber aufgefordert, hier die Lücke sinnvoll zu schließen. Die Gesetzteslücke soll dann auf politischer Ebene genau von den Juristen (der großen Kanzleien) geschlossen werden, die zuvor die Idee der Lücke entwickelt haben. Ob sie wirklich ein Interesse haben, ihre eigenen Modelle zu konterkarieren? Das erscheint nicht sehr wahrscheinlich. Das Ergebnis der jüngeren Gesetzgebung scheint die Erwartung allzu oft zu bestätigen.

Wenn der Hypo-Alpe-Adria-Fall jetzt nach 10 Jahren geschlossen wird, ist es betrüblich, dass die Akten zu einem Schaden von insgesamt ca. 40 Mrd. Euro mit einer Geldbuße von ein paar zehntausend Euro abgewickelt werden. Es erfolgt zwar kein Freispruch, sondern ein Ende des Prozesses durch Zeitablauf. Er hat sich also totgelaufen und ist an Auszehrung gestorben. Aus den Kommentaren der Gazetten war zu entnehmen, dass die Justiz es in zehn Jahren nicht geschafft habe, den Fall so aufzubereiten, dass hier am Ende Klarheit herrscht und ein Urteil gesprochen werden könnte. Die Geldstrafe spielt dabei keine Rolle. Geld ist jener Faktor, über den diese ‚Klasse‘ von Beschuldigten in aller Regel in einem Umfang verfügt, dass die Strafe unter den Begriff des „Peanuts“ fällt. Wichtig wäre eine Schadenersatzforderung zu entwickeln und ein Urteil, das das Verhalten der jeweils in Frage kommenden Manager angemessen verurteilt. Der vorliegende Fall wird wieder die Auffassung über unser Justizsystem fördern: Die Kleinen hängt man, und die Großen werden verschont.

Die Staatsanwaltschaft hat sich inzwischen auch mit dem Cum-Ex-Betrug befasst. Dabei kommt auch Mr. Cum-Ex, einer der führenden Rechtsvertreter in diesem Fall, ins Scheinwerferlicht. Lt. SZ sieht er sich als Kämpfer für bürgerliche Freiheitsrechte. Eine merkwürdige Einstellung – Cum-Ex ist Betrug am Steuerzahler, egal ob hier eine Gesetzeslücke herrschte oder nicht. Einen Betrag durch einen „Trick“ grundlos mehrfach zu kassieren, ist auch dann, wenn es nicht ausdrücklich verboten ist, eine Schweinerei. Offensichtlich versteht er unter ‚Freiheit‘ die Aufhebung des ‚Jochs‘ der Redlichkeit. Anstand sieht anders aus und nicht alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt. Diese eher angloamerikanische Rechtsauffassung unterscheidet sich diametral von unserer europäischen.

Es ist sehr beruhigend, feststellen zu können, dass im Rahmen des Dieselskandals die Mühlen der Justiz bereits mahlen – aber werden Staatsanwaltschaften eingesetzt, die personell wirklich in der Lage sind, mit solchen „Klienten“ umzugehen? Sind sie in der Lage deren Tricks zu kontern und sind sie so ausgestattet, dass man innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne eine fundierte Anklageerhebung erwarten darf? Und einen Prozess, der dann nicht wieder heimlich und leise durch Zeitablauf mit einer Minimalstrafe von ein paar „Kröten“ geschlossen wird.

Wäre es nicht sinnvoll, dass die Justiz sich für solche (sich sicherlich häufenden) Großfälle eine Spezialstaatsanwaltschaft zulegt, deren Mitglieder nicht mit Kleinkram befasst sind und auf Augenhöhe mit den Konzernspitzen umzugehen lernt? Sie müssten von ihrer Aufgabe her so dotiert sein, dass mancher Anwalt in der Wirtschaft ins Grübeln kommt, ob er auf der richtigen Seite steht und nicht die Seiten wechseln sollte. Wenn eine solche Einheit aus tarifrechtlichen Gründen nicht darstellbar ist, dann schafft eine „öffentliche“ Kanzlei an, die als Dienstleister außerhalb des Tarifrechts steht und exklusiv der Staatsanwaltschaft zuarbeitet. Es geht darum, eine „Waffengleichheit“ zwischen den beteiligten Parteien herzustellen.

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Ein öffentliches Ärgernis?

„Nach den Debatten um ausufernde Kosten für öffentlich-private Partnerschaften geraten damit  auch öffentlich geplante Bauprojekte in die Kritik.“ – so Markus Balser in der SZ vom 14. September 20217. Sicher besteht bei der öffentlichen Projektplanung Raum für Verbesserung. Aber wie sind 80 Bauprojekte mit Kostenüberschreitung zu werten? Wieviel Projekte wurden denn insgesamt abgewickelt?

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Da hier keine Angaben gemacht werden, darf man in einem politischen Umfeld getrost davon ausgehen, dass die 80 Projekte im Rahmen des Bau-Gesamtvolumens der öffentlichen Hand einen wesentlichen Anteil haben. Womit die Zahl erschreckend hoch ist. Von ‚Ausrutschern‘ kann da nicht die Rede sein.

Da werden systematisch Fehler begangen und -. Schlimmer noch – sie werden ständig wiederholt. Das System scheint nicht lernfähig zu sein. Und das ist besonders ärgerlich. Aber es ist nicht recht einsichtig, dass die betreffenden Bauleitungen so unfähig sind – es erscheint eher wahrscheinlich, das sich die mangelnde Lernfähigkeit aus der politischen Handhabung heraus entwickelt (siehe unten das Beispiel, das einer tatsächlichen Abwicklung nachempfunden ist).

Aber zurück zu den ‚Debatten‘ um die öffentlich-privaten Partnerschaften:
Dort wo die Verwaltung verantwortlich zeichnet, wissen wir wenigsten von den Problemen und Herausforderungen. Bei den öffentlich-privaten Partner-Projekten weiß die Öffentlichkeit gar nichts, denn die dort üblichen Verträge im Rahmen dieser ‚Partnerschaft‘ enthalten mit hohen Strafzahlungen bewehrte Verschwiegenheitsklauseln, die sicherstellen, dass die Öffentlichkeit (die Medien, die politischen Gremien u.a.) keine Informationen erhalten. Damit ist der politischen Öffentlichkeit jede Chance genommen, festzustellen, ob die von den Lobbyisten so gelobte Partnerschaft zwischen Privat und öffentlicher Hand wirklich eine „Win-win-Situation“ darstellt oder schlimmstenfalls im Desaster ertrinkt (siehe die jüngsten Pressemeldungen über die drohende Insolvenz des Betreibers der A1 oder der unerlaubte Griff privater Partner in die gemeinsame Kasse bei einem anderen ÖPP-Projekt).

Die Vorstellung, dass der private Partner automatisch Bau-Projekte besser realisiert, ist reichlich naiv. Diese Projekte sind in ihrer Durchführung komplex und anspruchsvoll und erfordern ausgewiesene Fachleute. Der private Partner schätzt natürlich die Mitwirkung der öffentliche Hand: einmal wegen der Finanzierungssicherheiten (wenn es schief geht, ist immer noch die öffentliche Hand im Spiel mit dem Druck der öffentlichen Meinung) und zum anderen scheint die öffentliche Hand sich nur schwer auf die privatwirtschaftlichen Usancen einstellen zu können, was dem privaten Partner oft zum Vorteil gereicht. Wenn zwei Unternehmen Aktivitäten gemeinsam angehen, so wissen beide Partner von vornherein, dass das ein Balanceakt wird und beide ziehen dem gemeinsam zu gestaltenden Prozess enge Korsettstangen ein, um sicherstellen zu können, dass die Risiken dieses Geschäftes wirklich gleichmäßig verteilt bleiben. Konkret heißt das, dass jede Seite regelmäßig ihre jeweiligen Controller losschicken, um ‚Nachlässigkeiten‘ aufzuspüren. Tiefes wechselseitiges Misstrauen bestimmt den Alltag der ‚Partnerschaft‘.

Im Gegensatz dazu vertraut man im öffentlichen Raum darauf, sich auf die strikte Einhaltung der Verträge verlassen zu können. Es ist ihnen nicht vermittelbar, dass der Vertrag nur immer insoweit gilt, als die Vertragsklauseln in der täglichen Praxis immer wieder neu eingefordert werden. Dazu braucht es einen Controller (einen „Wadelbeißer“), der kontinuierlich darauf achtet, dass sich der ‚Partner‘ auch nach Vertragsabschluss vertragsgemäß verhält. Die Vorstellung der öffentlichen Hand, man könne ja immer noch den Klageweg einschlagen, verkennt die schnelllebige Praxis – klagen ist zu aufwändig, zu zeitraubend und im Ergebnis viel zu unsicher.

Es fällt auch auf, dass Alexander Dobrindt 2014 in der Presse die Auffassung vertrat, dass ein bestimmtes ÖPP-Projekt 40 % einspart hätte. Im Gegensatz dazu stellt dann der Bundesrechnungshof fest, dass bei diesem Projekt eine Kostenüberschreitung von 28% vorliegt. Die Differenz in den Aussagen von 68 % bedeutet, dass entweder Herr Dobrindt lügt oder das er möglicherweise von einer anderen Projektdefinition ausgeht. Alexander Dobrindt rechnet sich das Projekt vermutlich schön, indem er nur Teile des Projektes betrachtet. Und der Rechnungshof begutachtet natürlich das fertige und komplette ‚Werkstück‘.

Diese seltsame (ausschnittsweise) Betrachtungsweise hat im politischen Alltag leider Methode. Auf diese Weise kommen vermutlich auch die eingangs von der SZ genannten z.T. unverständlichen Kostenüberschreitungen bei öffentlichen Aufträgen zustande. Das schließt aber nicht aus, dass von Fall zu Fall auch technische Abwicklungsfehler aufgetreten sind.

Ein einfaches, möglicherweise symptomatisches Beispiel für die politische Behandlung von Projekten mag der folgende Sachverhalt umschreiben: Die Projektumsetzung wird in einer ersten seriösen Kostenschätzung der planenden Ingenieure mit 250 Millionen Euro angesetzt. Das Entscheidungsgremium der Politik (z.B. ein Ausschuss) kommt zu der Auffassung, dieses Volumen könne man dem Plenum so nicht vorlegen – das Projekt würde dann angeblich keine Mehrheit finden. Also ergeht der an sich schon unseriöse Auftrag an die Ingenieure, es billiger zu rechnen. Die zucken mit den Achseln und machen deutlich, das geht nur dann, wenn das Projektvolumen reduziert wird – z.B. Außenanlagen weglassen, Betriebsvorrichtungen weglassen u.s.w.. Der neue niedrigere Kostenvoranschlag findet dann die Zustimmung des Gremiums und das unvollständig erfasste Projekt wird fälschlicherweise unter dem unverändert gleichen Namen dem Plenum vorgestellt und dort auch genehmigt. Keiner im Plenum merkt, dass er nur einem rudimentären Rumpf-Projekt zugestimmt hat.

Aufgrund der Zustimmung wird gebaut und siehe da, die Kosten des fertiggestellten Projektes belaufen sich am Ende aller Tage auf rd. 250 Millionen Euro. Verglichen mit dem Kostenansatz der Plenumsentscheidung liegt eine gewaltige Kostenüberschreitung vor, weil natürlich der volle Umfang des ‚Werkes‘ (mit Außenanlagen, mit Betriebsvorrichtungen u.ä.) letztlich gebaut wurde. Das Projekt wäre ja sonst eine Bauruine geworden. Und wenn es angefangen wurde, ist es politisch nicht zu vertreten, dass es nicht fertiggestellt wird. Man nennt so etwas Salami-Taktik. Also wird mit politischem Groll im Herzen nachfinanziert.

Und dieser politisch induzierte Unsinn führt dann zu dem medienwirksamen Aufschrei: Die öffentliche Hand sei nicht in der Lage, kosteneffizient zu bauen. Es stellt sich heraus, dass der ursprüngliche Kostenansatz der Ingenieure völlig richtig ermittelt wurde, aber die politischen Gremien so lange an dem Kostenansatz (ohne die Baumassen ausreichend zu beachten) ‚herumgedoktert‘ haben, bis das rauskam, was sie für ihre politischen Zwecke benötigten – und für die Kostenüberschreitung sind sie nicht haftbar zu machen (und wer weiß, wer dann zu diesem Zeitpunkt an deren Stelle sitzt). Die Ingenieure wiederum haben das gebaut, was ursprünglich geplant und funktionell sinnvoll war, aber eben zu Kostenüberschreitungen gegenüber dem „politischen Ansatz“ geführt haben. Wenn die Medien nach der Fertigstellung des Projektes die Ingenieure gefragt hätten, hätten diese stolz berichtet, sie haben das Projekt plus minus zehn Prozent in dem Rahmen vollendet, den ihre sachverständige Bewertung bei sorgfältiger Schätzung vorausgesagt hatte. Für die Politik fühlen sie mit Recht nicht zuständig. Aber sie kommen ständig zwischen die politischen Mühlsteine und müssen mit den oft substanzlosen Vorwürfen der Medien leben, die sich nicht die Mühe machen, das politische Ränkespiel zu durchschauen. Das ist zweifelsohne das größere öffentliche Ärgernis!!

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Die Qual der Wahl

Wir sollen wieder mal wählen. Es könnte sein, dass der eine oder andere dieses Ansinnen aufgrund des ‚rasanten‘ Wahlkampfs noch gar nicht bemerkt hat.

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Die Strukturen sind seltsam – die CDU/CSU mit knapp 40 % der Stimmen (so die Voraussagen) glaubt sich auf einem Höhepunkt ihrer Deutungshoheit. Die SPD mit etwas mehr als 20% hat sich in den letzten 10 – 15 Jahren in ihrer Bedeutung halbiert und hat die Deutungshoheit zu aktuellen politischen Problemstellungen völlig abgegeben und versucht mit krampfhaften Klimmzügen Aufmerksamkeit zu erzielen. Die anderen kleineren Parteien folgen ihr auf diesem Strategiepfad. Keiner dieser potenziellen ‚Verlierer‘ – mit Ausnahme der Linken – hat genügend ‚Substanz‘ in der Hose, um die Deutungshoheit der CDU/CSU und ihrer neoliberalen Gefolgschaft auch nur anzugreifen. Das funktioniert nicht, indem man fein ausdifferenziert darstellt, wo die Unterschiede liegen. Das muss sich aus der Art des Wahlkampfes und der dort bearbeiteten Themen von selbst ergeben.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Mehrzahl der im Bundestag vertretenen Parteien die Sichtweise der CDU/CSU übernommen hat. Mutti Merkels „Uns geht es gut“ ist hier der Grundtenor. Alle Herausforderungen und Probleme werden dadurch erstickt. Es ist auch klar, dass die SPD als Mitglied der großen Koalition immer wieder das Totschlag-Argument zu hören bekommt: Das haben wir doch gemeinsam beschlossen! Und im Wahlkampf wirkt das besonders lähmend.

Für die nachgeordneten bürgerlichen Parteien gilt allgemein: Alle hängen sie an dem neoliberalen Tropf und dessen Selbstverständnis. Keine der Parteien ist intellektuell in der Lage und unabhängig genug, diese Phalanx zu durchbrechen. Sie alle kämpfen mit den im Prinzip gleichen Argumenten um die Gunst des Wählers. Um aber Aufmerksamkeit in einer Gesellschaft zu finden, in der die Mehrheit dem intellektuellen Einfluss des digitalen Entertainments erliegt, müsste man bewusst und konkret andere Wege beschreiten.

Stellen Sie sich vor, die kleineren bürgerlichen Parteien (einschließlich SPD) würden sich in einem ersten Schritt von der Herrschaft der PR-Agenturen freimachen. Statt die Frage nach der Öffentlichkeitswirkung als erste Priorität zu akzeptieren, wäre es hilfreich, erstmal eine weitgehende Analyse der bedeutenden Problemfelder in der deutschen Politik zu identifizieren und in ihren vielfältigen Bezügen zu beschreiben. Wenn man die Zusammenhänge erfasst und die möglichen konkreten Maßnahmen verstanden hat, wählt man daraus die wichtigsten Fragestellungen aus und lässt sie auch ggfs. kontrovers aufbereiten. Mit dieser Ideen-Vorgabe wird die PR-Agentur ‚gefüttern‘, um sich diesen Ansatz mediengerecht gestalten zu lassen. Es bedarf dringend eines frischen Windes, um den kleinkarierten Mief der letzten Jahrzehnte zu vertreiben.

Gegenwärtig scheint es so, dass die Parteien immer wieder ihre alten anspruchslosen Aussagen aus der Kiste von vor vier Jahren ausgraben, die zur gegenwärtigen Problematik nur bedingt passen. Die Sprüche werden an die PR-Agenturen geleitet, in der Hoffnung, dass ihnen die Agentur mediengerecht Inhalte vermittelt. Aber, verehrter Leser, wo nichts drin ist, kann auch eine PR-Agentur nur schwer etwas hineininterpretieren.

PR-Agenturen sind eine Erfindung unseres Wirtschaftssystems – sie sind – wie die ganze Denkweise in diesem System – auf kurzfristigen Erfolg angelegt. Sie setzen einerseits immer wieder auf die Vergesslichkeit der Massen. Andererseits hat die PR – Kreativität mit den Jahren auch sehr gelitten. So wie die politischen Themen über neuen Inhalt anders gefasst werden müssen, so müssten auch deren ‚Vermarktungen‘ neue Weg finden.

Wählbare Politik sollte das Stadium der kleinkarierten taktischen Auseinandersetzungen überwinden. Da darf doch ruhig eine etwas längerfristige Denke Platz greifen. Dieser Anspruch findet sich mit Sicherheit unter dem Stichwort einer ‚Politik für unsere Enkel‘ in den politischen Programmen der meisten bürgerlichen Parteien – aber ganz klein geschrieben. In der politischen Praxis der Umsetzung wird dieser Anspruch dann schnell vergessen. Der perspektivlose Spruch „Uns geht es gut“ ist das Ergebnis einer solchen Vermittlungspraxis. Er klingt angesichts längerfristiger Perspektiven einfach als zu kurz gesprungen, inhaltslos und zementiert eine hochgradig egoistische Sichtweise. Die verfassungsmäßige Verpflichtung aufs Gemeinwohl klänge anders.

Wir müssen irgendwann von dem unbefriedigenden „Uns geht’s doch gut“ weg und uns hin zu den Fragestellungen unserer Enkel bewegen. Dazu sind Analysen erforderlich, die nicht aus der Feder von zweifelhaften Medien, PR-Abteilungen, Lobbyorganisationen oder Think Tanks stammen, sondern von einer (hoffentlich noch) unabhängigen Wissenschaft kommen. Deren Erkenntnisse sollten auch nicht durch die alltäglichen Korrumpierungen durch Drittmittelbeschaffungen geprägt sein.

Wenn man feststellt, dass die gegenwärtige Vorgehensweise im Wahlkampf nur Langweile auslöst und Desinteresse fördert, so sollte man sich insbesondere bei den kleineren Parteien überlegen, ob hier nicht ein neuer Ansatz Platz greifen soll. Die Partei, die sich gegenwärtig als Gewinner sieht, wird keine Anstalten unternehmen, diesen für sie äußerst angenehmen Zustand zu ändern. Ihre Strategie des „Uns geht es doch gut“ ist für ihre Zwecke plausibel, aber nützt der Gesellschaft wenig und steht einem Aufbruch überaus ablehnend gegenüber. Das ist die Schwachstelle von Frau Merkel und ihrer Partei. Wenn die kleinen Parteien nicht so ‚geil‘ aufs Mitregieren und mehr auf Veränderung und Vision gepolt wären, würden sie den Laden umkrempeln oder zumindest interessanter gestalten können. So aber wollen sie alle die zweifelhafte Chance nutzen, bei ‚Mutti‘ mitreden zu dürfen und machen sich freiwillig in ihrem Handeln komplett abhängig. Was für eine Vergeudung von Chancen!!

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Mehr Zentralismus wagen!

Mit dieser Überschrift hat Peter Bofinger (Mitglied des Sachverständigenrates) einen Artikel in der FAZ vom 12.8.2017 veröffentlicht, indem er aufgrund des vielfältigen Marktversagens die absolut vernünftige Frage aufwirft, ob die „Märkte“ aufgrund ihres häufigen Versagens die ihnen zugeschriebenen Aufgaben überhaupt gerecht werden können. Dabei führt er eine Reihe von Beispielen an und untermauert damit die Berechtigung seiner Fragestellung. (vgl. http://www.nachdenkseiten.de/?paged=3 ). Antworten gibt er keine.

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Wenige Tage später weist die FAZ auf eine Replik der verbleibenden vier (neoliberal orientierten) Mitglieder des Sachverständigenrates hin, ohne dass die eigentliche Replik im Wortlaut irgendwo auftaucht. In dieser Replik, so wird in dem Artikel dargestellt, werfen die Mitglieder Bofinger – verkürzt ausgedrückt – vor, sein Handwerkszeug nicht zu verstehen, ohne jedoch auf seine Argumente in irgend einer Weise einzugehen. Jens Berger hat in den Nachdenkseiten das Notwendige zusammen getragen und nachvollziehbar kommentiert.

Was mich immer wieder verwundert, ist der Stil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Man fragt sich ernsthaft, ob das noch irgendetwas mit Wissenschaft zu tun hat. Wissenschaft lebt vom kritischen Dialog, so habe ich das jedenfalls verstanden – aber mein Eindruck in fast 50 Jahren Beobachtung des ökonomischen Diskurses lässt mich immer mehr zu der Überzeugung kommen, dass Wirtschaftswissenschaft zu einer Religion verkommen ist: „Glauben macht seliger denn Wissen“. Als „Marktreligion“ verstanden, ist es dann auch nachvollziehbar, dass man Häretiker in einem kurzen Prozess und ohne ausreichende Gründe niedermacht. Die neoliberale Inquisition ist genauso gnadenlos und korrupt wie die kirchliche. So wie die Inquisition ein Machtinstrument der Kirche ist, so wirkt Inquisition auch im ökonomischen Umfeld. Nur die ‚Rechtgläubigen‘ kommen ins Himmelreich der Ökonomie. Und die ökonomischen Atheisten, die schlicht die Fähigkeiten des „Marktgottes“ anzweifeln, müssen zu Lebzeiten unter dem Bannstrahl der Inquisition leiden und dürfen wohl das neoliberale Walhalla der Ökonomie nicht betreten.

Nach den Ausführungen der Medien haben wir ein Terrorismus-Problem, weil einige Irregeleitete ihre Religion missverstehen und keinem vernünftigen Argument zugänglich sind. In der ökonomischen Wissenschaften haben wir ein ähnliches Problem, nur sind die Mittel dort (noch) etwas zivilisierter: ob die neoliberalen Vertreter als irregeleitet bezeichnet werden können, bleibt abzuwarten – aber dass sie keinem vernünftigen Argument zugänglich sind, erschreckt den Beobachter schon. Irregeleitet sind sie insoweit als sie sich als Vertreter einer nicht begründbaren Marktreligion im Besitz der letzten ökonomischen Wahrheit wähnen und die Möglichkeit einer Weiterentwicklung des wirtschaftlichen Denkens kategorisch ausschließen wollen. Karl Popper warnte vor gut 50 Jahren die „offene Gesellschaft“ vor ihren Feinden. Der Neoliberalismus zählt heute ohne Frage zu ihren mächtigsten Feinden.

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Geplanter Verschleiß

Prof. Dr. Christian Kreiß hat schon 2014 ein Buch zum „Geplanten Verschleiß“ veröffentlicht. Es ist mir leider erst kürzlich über den Weg gelaufen. Trotz der drei Jahre, die das Buch im Markt ist, bleibt das Thema aktueller denn je. Es hat mit der „Diesel-Affäre“ zusätzliche Bedeutung erhalten. Ich will versuchen, das Lesen des Buches schmackhaft zu machen ohne den Inhalt auszubreiten.

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Der Begriff des geplanten Verschleißes ist mehrseitig. Anders als Kreiß stelle ich zum Verständnis der Zusammenhänge die Verschleißplanung dem geplanten Verschleiß gegenüber: Verschleißplanung ist eine technische Größe, die bei jedem größeren Produkt zu Anweisungen führt, wie und wann Service stattfinden und was dabei ausgewechselt werden sollte, um die Gebrauchsfähigkeit des Produktes möglichst lange zu erhalten. Das ist ein Vorgang, der von der (meist industriellen) Kundschaft grundsätzlich positiv beurteilt wird. Auch deshalb, weil der „Serviceplan“ (weitgehend) offengelegt wird und er damit in die Kaufentscheidung sinnvoll einfließen kann. Das ist die positive Seite, die insbesondere bei Geschäften B2B (Business to Business) Anwendung findet.

Der geplante Verschleiß dagegen ist ein ökonomisch dominierter Begriff. Die Methode des ‚Geplanter Verschleißes‘ bietet die Möglichkeit bei hohem Wettbewerb und ausgereizten Märkten zusätzliche Marge zu machen. Da sich der Umsatz nur schwer und sich nur mit hohen Kosten ausweiten lässt, ist der Hersteller insbesondere im B2C-Geschäft versucht, die Qualität seines Produktes bei gleichem Preis abzusenken, ohne dass der Kunde den Vorgang bemerkt. Durch die unbemerkte Herabsetzung der Qualität kann in erster Linie die Lebensdauer des Produktes verkürzt werden (Neukauf wird forciert). Oder die Reparaturfähigkeit des Produktes wird hochgradig spezialisiert oder gar unmöglich gemacht. (Serviceleistung oder Neukauf wird forciert). Das Ganze geschieht unter vorgehaltener Hand – der Kunde darf davon nichts wissen und wenn der frustrierte Kunde (oder die Verbraucherzentralen) die Hersteller darauf ansprechen, weisen sie den Vorwurf weit von sich.

In dem Buch von Christian Kreiß wird in zahllosen Beispielen deutlich, dass geplanter Verschleiß im B2C Geschäft (Business to Customer) tägliche Praxis ist, aber die Hersteller diese Tatsache einfach öffentlich nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Sie müssten gegenwärtig weniger rechtliche Sanktionen fürchten denn nachteilige Marktreaktionen. Kreiß bietet neben den vielen Beispielen auch ökonomische Zusammenhänge, die das Verhalten der Hersteller erklären, aber keinesfalls billigen. Die Erklärungen lassen die Haltung der Hersteller als lächerlich und naiv erscheinen. Aber auch Kreiß kann trotz des erdrückenden Materials leider nicht den justiziablen „Beweis“ des systematischen Kundenbetrugs führen. Hierzu müssten lt. Kreiß Gesetze geändert werden, und – so meine Meinung – darauf werden wir noch lange warten müssen. Es besteht jedoch eine kleine Chance, das sich die Hersteller, wie im Falle der ‚Diesel-Affäre‘ so unmöglich benehmen, dass eine größere Zahl der Kunden aus seinem Dauerschlaf aufwacht und der Politik Beine macht.

Kreiß enthält sich solcher Bemerkungen und analysiert sauber und nachvollziehbar. Sehr interessant ist sein Versuch, nach umfangreicher Analyse und Informationsaufbereitung, Maßnahmen vorzuschlagen, wie das Problem des ‚Geplanten Verschleißes‘ gelöst werden kann. Beim Lesen viel Vergnügen!

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Automobilindustrie – quo vadis

Es ist teilweise geradezu peinlich, welche Kommentare zum Dieselgipfel und zur Verantwortlichkeit der Automobilindustrie vorgebracht werden: Es sei sachlich richtig, dass die Automobilindustrie den Verbraucher betrogen hat, aber – und hier wird es dann peinlich – die Vorschriften, die die Politik erlassen hätten, wären ja auch lax gewesen, dass das jetzige Ergebnis niemanden verwundern darf. Das sind Verknüpfungen, die einen fassungslos machen:

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Wer hat Betrug begangen? Doch wohl die Automobilindustrie und nicht die Politik. Es gibt in jedem Gesetzeswerk Lücken und offene Stellen, aber deshalb ist niemand zum Betrug aufgerufen. Sich korrekt zu verhalten ist eine Frage der ethischen Haltung. Und sie kann mit nichts verrechnet werden, erst recht nicht mit Arbeitsplätzen (wie man ersten reflexartigen Reaktionen ablesen konnte).

Wer hat die laxen Vorschriften denn initiiert? Wer sitzt denn dauernd auf dem ’Schoß‘ der Politik und der Exekutive? Von wo kommen die „Experten“? Wir können doch beobachten, dass der Lobbyismus in Deutschland (und nicht nur dort) Blüten treibt, die nur noch Kopfschütteln auslösen können.

Man gewinnt den Eindruck, dass die Absprache im Rahmen der Lobbyisten besser funktioniert als die notwendige Absprache, wenn es darum geht, weiteren und wesentlichen Schaden von der Automobilindustrie abzuwenden. Der Schaden trifft ja nicht nur den Verbraucher. Der Schaden ist ein Vertrauensverlust ersten Ranges und er schadet zudem der internationalen Wertschätzung von „Made in Germany“. Das Einstecken von ungerechtfertigten Gewinnen ist offensichtlich leichter als die Erkenntnis, dass jetzt jedes Rumzicken die Sache nur noch schlimmer machen wird.

Man muss sich klar machen, die Automobilindustrie sieht sich in einer Art Götterdämmerung. Ihr Stern (nicht nur von Mercedes) droht zu sinken. Die Zahl der „Herausforderungen“ (um nicht von Problemen zu sprechen) hat sich schlagartig deutlich erhöht. Der Betrugsskandal ist dabei m.E. der überschaubarste Teil. Wenn jedes dritte Auto in den Export geht, dann bleiben rechnerisch zweidrittel in Deutschland. Der Deal mit den USA hat VW rd. 20 Mrd. Euro oder Dollar gekostet. (Die Denomination ist in der Presse oft nicht klar). Da hängt die Latte hoch, denn niemand wird verständlicherweise einer Lösung zustimmen wollen, die deutlich geringere Zahlungen pro PKW an deutsche Halter zur Folge haben wird. Das zehrt am Gewinn oder dreht ihn sogar in einen Verlust.

Gleichzeitig sieht sich die Autoindustrie einer wenig rosigen Zukunft gegenüber. Erstens: Die Aufforderung der Politik zu Forcierung der Entwicklung eines E-Mobils, obwohl völlig unklar ist, wie die Ladetechnik (eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des E-Mobils) funktionieren könnte. Was die Lösung des letzteren Problems für die Stromversorgungsinfrastruktur bedeutet, wird dabei noch gar nicht öffentlich diskutiert. Zweitens: die sich abzeichnende Technologie eines selbststeuernden Automobils wird die gesamte Automobilindustrie umkrempeln. Alles, was heute als werbliches Verkaufsargument ins Feld geführt wird (einschließlich der verbreiteten Haltung: freie Fahrt für freie Bürger), wird entfallen. Dem steuernden Algorithmus fehlen pubertäre Regungen und das Gefühl für Geschwindigkeitsrausch – er steuert das Auto mit der optimalen Geschwindigkeit, die dem Verkehr angepasst ist und bezieht die weit vorausliegende Straßenverkehrssituation in sein Kalkül ein. Viel teuer verkaufter Schnickschnack wird dem rationalen Verhalten des Computers zum Opfer fallen. Das Statussymbol Automobil verliert seine Faszination. Möglicherweise entfällt bei vielen sogar der Wunsch, ein Automobil zu besitzen, wenn man jederzeit per Smartphone für wenig Geld ein selbstfahrendes Taxi rufen kann. Drittens: Allein diese Kombination von E-Mobil (viel einfacher zu konstruieren und damit billiger zu bauen) und der Fähigkeit der Selbststeuerung wird das gesamte bestehende Mobilitätkonzept in Frage stellen. Einmal wird in den Ballungszentren mit Einführung der Technologie die Zahl der PKW drastisch abnehmen. Studien schätzen den PKW Verkehr in den Ballungszentren auf etwa 10 % des gegenwärtigen Fahrzeugdurchsatzes. Plötzlich stellen wir fest, dass die Straßen für ein Zehntel der PKW viel zu breit sind, die Parkplatzsituation entspannt sich grundlegend, weil die Mehrzahl der Selbstfahrer ‚auf Tour‘ sind und nicht wie die heutigen PKW 8 – 9 Stunden herumstehen und Platz beanspruchen. Die weiteren Folgen wie Feinstaubreduzierung, neue Grünflächen, wo vorher PKW geparkt haben, die Auswirkungen auf die Öffentlichen Personennahverkehrs u.s.w. führen hier zu weit.

Viertens: Die Digitalisierung wurde bisher noch nicht angesprochen. Sie wird die Produktionsstätten grundlegend verändern. Künftig werden bis zu 50 % (so erste Studien) der heutigen Belegschaft nicht mehr gebraucht. Die Digitalisierung trifft aber nicht nur die Automobilindustrie, sie zieht weitere Kreise.

Es muss auch klar sein, dass diese Veränderungen – wenn sie wie beschrieben eintreten – erst in etwa 20 Jahren (plus) realisiert werden können. Aber die geballte Ladung an schlechten Aussichten erfreut die heutige Automobilindustrie wenig und stellt deren bisheriges Geschäftsmodell vor gewaltige Veränderungen. Ob die schwerfälligen ‚Jumbos‘ dieser strukturellen Herausforderung gewachsen sind, darf ruhig bezweifelt werden. Große Tanker können effizient manövrieren, wenn es mehr oder weniger geradeaus geht. Wenn aber Untiefen auftreten, fehlt ihnen Einfallsreichtum, Inventionsfähigkeit, Reaktionsschnelligkeit und Wendigkeit. Die Vorstände führen sich manchmal auf wie kleine Götter, aber die Dämmerung droht, wenn sie nicht ganz schnell die richtigen Schritte einleiten. Dabei haben sie nur einen ‚Schuss‘ und der muss sitzen.

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Manipulation im Kleinen

Der Mensch glaubt sich im Vollbesitz seiner intellektuellen Fähigkeiten und die Ökonomie unterstützt diesen Glauben durch die Anwendung von Entscheidungsmodellen, die angeblich auf ‚rationalen‘ Grundlagen aufbauen. Parallel entwickelt die gleiche Ökonomie Strategien zur Manipulation von Kaufentscheidungen, die so gestrickt sind, dass das Hirn einen möglichst kleinen Anteil an der Kaufentscheidung hat.

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Also ist es offensichtlich mit der ‚Rationalität‘ nicht so weit her. In Wirklichkeit spielt die ‚Rationalität‘ oft erst dann eine Rolle, wenn es darum geht, eine Entscheidung postum zu rechtfertigen.

Rationales Verhalten setzt einen freien Willen voraus und dieser Wille muss dann auch noch durch den Intellekt geführt werden können. Schopenhauer hat dieses Wunschdenken ad absurdum geführt und die neuere Hirnforschung liegt auf der gleichen Linie. Nach Schopenhauer ist der Mensch im Allgemeinen triebgesteuert, d.h. die Emotionen oder das Nicht-Intellektuelle schlagen immer wieder durch. Das Ergebnis dieser eher emotionalen Entscheidungsform muss dann der Intellekt wieder gegenüber dem eigenen Selbstverständnis rechtfertigen bzw. zumindest erklären. Rationales Verhalten ist nicht unbedingt unsere Alltags-Stärke. Trotzdem pflegen und hätscheln wir diese Täuschung (dieses Missverständnis) und bieten damit ein Einfallstor für die sogenannten Manipulationen im Kleinen.

Wir folgen diesem falschen, aber weit verbreiteten Bild des Menschen ein wenig länger und akzeptieren vorerst seinen Wunsch als rationales, kopfgesteuertes Wesen verstanden zu werden. Dann müssen wir uns logischerweise mit dem Denken beschäftigen und uns fragen, wie das Denken in einer konkreten Umgebung vonstattengehen könnte.

Die intellektuellen Fähigkeiten sind unterschiedlich verteilt. Hier zu differenzieren, führt aber in die falsche Richtung. Wir unterstellen hier eine wie immer geartete durchschnittliche intellektuelle Ausstattung des Menschen. Denn die Vorstellung des Menschen als ein kopfgesteuertes Wesen gibt auch nicht mehr her.

Wie oder wann denken wir denn? Immer dann, wenn etwas unsere Aufmerksamkeit fesselt. Können wir mehrere Dinge gleichzeitig „denken“? Eher nicht – das sogenannte Multitasking erfolgt auf einer anderen Ebene. Können wir dann, wenn unsere Aufmerksamkeit gefesselt wird, unterstellen, dass der Rest der Welt (der gegenwärtig nicht unsere Aufmerksamkeit an sich zieht) stehen bleibt? Wohl nicht – das Denken hat also offensichtlich mehrere Ebenen. Einmal ist der Mensch dort im eigentlichen Denkmodus, wo seine Aufmerksamkeit zu diesem Zeitpunkt liegt. Es muss aber aufgrund der Tatsache, dass gewissermaßen im Hintergrund weitere Aktivitäten erfolgen, so etwas wie ‚Denkroutinen‘ geben. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit wenig konzentriert haben, dann nehmen wir viele Sachverhalte wahr, die in unserem Gesichtsfeld geschehen, ohne dass dadurch die Aufmerksamkeit herausgefordert wird und damit unser eigentlicher Denkmodus angeworfen wird. Unser Gehirn verarbeitet die Eindrücke wohl unbewusst und weitgehend routinemäßig.

Wie können Routinen entstehen? Es ist denkbar, dass der Mensch im Laufe seines Lebens eigene Routinen aufgrund seiner Lebenserfahrung aufbaut (ggfs. durch Nachdenken) oder – m.E. der vermutlich häufigere Weg – es werden Routinen im Rahmen von Kommunikation und gemeinsamen Handlungen einfach von anderen Menschen übernommen.

Routinen, die neu übernommen oder geschaffen wurden, haben häufig die Eigenschaft der Vorläufigkeit. Man kann sie deshalb als offene Routinen bezeichnen. Je älter der Mensch und seine vielen Denkroutinen werden, desto mehr neigt die Routine zur Geschlossenheit, d.h. konkret, der Mensch wird weniger bereit, die vorhandene Routine einer neuerlichen Überprüfung zu unterziehen. Er hat sie in sein Weltbild eingebaut und folgt ihr mehr oder weniger blind.

Wann immer der Mensch mit der Anwendung seiner Routinen sich weitgehend „richtig“ oder „situationsgerecht“ verhält, vermittelt ihm die Anwendung eine angenehme Emotion (Erfolg, Anerkennung, Zuwendung). Sie bestätigt auf der einen Seite die Routine und sie wird ein Stück weit geschlossener. Auf der anderen Seite wird die Routine unbewusst mit den Emotionen verknüpft und immer, wenn das Gefühl entsprechend angesprochen wird, tauchen die damit verknüpften Denkroutinen in unseren Hirnen auf. Das ganze Geschehen kann auch im eigentlichen „Denkmodus“ erfolgen. Dann hätte die Denkroutine die Chance, wieder offener, d.h. neugestaltet zu werden und dem neueren Erfahrungsstand des ‚Hirnträgers‘ angepasst zu werden. Über diese relativ enge Verknüpfung von Denken und Fühlen kommen wir wieder in das Fahrwasser von Schopenhauer, der uns eigentlich sagen will, dass wir zumindest im Rahmen unserer Routinen bevorzugt trieb- oder vielleicht besser emotionsgesteuert handeln.

Diese sehr kurze Umschreibung unserer täglichen intellektuellen ‚Arbeit‘ hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder überprüfbare Richtigkeit. Es ist mehr Common Sense und bietet eine holzschnittartige Grundlage, um sich der Manipulation im Kleinen zu nähern.

Manipulationsversuchen sind wir ständig ausgesetzt. Das ist im Grunde nichts kritisches, solange wir den größeren Teil der Versuche wahrnehmen und damit der Manipulation ggfs. Kontra geben können. Aber es gibt viele Einfallstore und trotz überdurchschnittlich intellektueller Ausstattung des Menschen sind manche Manipulationen deshalb so erfolgreich, weil sie eben gar nicht über das gut bewachte Tor des Intellekt einzudringen versuchen, sondern über die Emotion und über die damit verknüpften Routinen unmittelbar Zugang zu unserem Handeln finden.

Es beginnt schon damit, dass uns ständig eingeredet wird, unser Verhalten werde durch Rationalität bestimmt, zumindest in allen Fragen der Ökonomie – und das ist ein großer Teil unserer Lebenswirklichkeit. Denn nur dann, wenn man glaubt, rational unangreifbar zu sein, sind die Tore der Emotionen unbewacht und für jedermann, der den richtigen Trick kennt, ungehindert zugänglich. Das Marketing und die Public Relations spielen recht erfolgreich auf dieser Klaviatur.

Eine andere Form der Manipulation erfolgt dadurch, dass man die Belastung des durchschnittlichen Intellekts durch Stress und immer scheinbar neue Eindrücke so hoch schraubt, dass der Denkmodus als intellektuelle Abwehr gar nicht mehr zur Wirkung kommen kann. Denken erfordert Zeit (und ggfs. Muße). Alternativ übernehmen schwerpunktmäßig die Denkroutinen die Tagesarbeit und die sind wiederum eng mit den Emotionen verknüpft. Letztere sind leichter zu manipulieren als der Intellekt, der dann zur Intervention oft gar keine Chance mehr hat.

Man könnte sich jedoch der Belastung seiner Wahrnehmungen bewusst entziehen. Das hat aber i.d.R. zur Folge, dass die Quantität der sozialen Kontakte drastisch abnimmt und dadurch die davon gespeiste Emotion aus dem Gleichgewicht kommt. Ehe an sich versieht, taucht die Person wieder im Getümmel der verschiedenen Wahrnehmungen unter, um das ‚Feeling‘ einer scheinbaren sozialen Bedeutung wieder genießen zu können. Man müsste die Zeit haben und dann intellektuell die Chance erhalten, diesen Zusammenhang zu durchschauen. Das gelingt oft nur nach Jahren oder bei eintretender informationeller Erschöpfung.

Man könnte den Eindruck gewinnen, es muss Menschen geben, die ständig im Routinemodus leben, sofern man das als Leben bezeichnen will. Vielen Menschen droht offensichtlich die Fähigkeit verloren zu gehen, sich bewusst auszuklinken, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Sie sind nicht mehr in der Lage, einen geordneten Gedanken zu fassen, ihre Emotionen zu überdenken und damit eine gewisse Selbststeuerung jenseits der Routine aufzunehmen. Es verstärkt sich auch der Eindruck, dass die Fähigkeit zum selbstständigen Denken jenseits und außerhalb der Denkroutinen in unserer Gesellschaft abnimmt. Das würde bestätigen, dass die Denkroutinen, die letztlich auch durch einen komplexen Algorithmus beschrieben werden können, unser Leben zunehmend bestimmen. Der Bogen zu den Gedanken, die sich um die Digitalisierung ranken, ist dann schnell gespannt.

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Manipulation im Großen

Edward Bernays (1891 – 1955) wird lt. Wikipedia gerne mit folgenden Sätzen aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zitiert:

“Wir werden regiert, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gebildet, unsere Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist. …

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Große Menschenzahlen müssen auf diese Weise kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden Gesellschaft zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem sozialen Verhalten und unserem ethischen Denken werden wir durch eine relativ geringe Zahl von Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden ziehen, welche das öffentliche Denken kontrollieren.“

Die Liebhaber von Verschwörungstheorien werden sich jetzt entspannt zurücklehnen und feststellen: „Haben wir das nicht schon immer gesagt!“ Aber Vorsicht – hier wird eine Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. Verschwörungen sind immer das Werk eines engen Kreises von wenigen Personen. Wenn alle davon wissen, ist die Verschwörung als solche unmöglich. Bernays baut hier keine Verschwörungstheorien auf, sondern beschreibt eine Tatsache, die viele von uns nicht so gerne hören. Wir glauben uns im Vollbesitz unserer intellektuellen Fähigkeiten und meinen deshalb auch einen unbeeinflusst freien Willen zu besitzen. Und dann gibt es nach Bernays Feststellung  „Männer(…), von denen wir nie gehört haben“, „(…) die uns regieren, unseren Verstand formen, unseren Geschmack bilden, uns Ideen suggerieren“. Gemeint sind jene Propagandisten, die wir heute Public Relations-Manager nennen.

Ausgehend von einer demokratischen Gesellschaft war Bernays insoweit realistisch, indem er unterstellen konnte, dass diese „Männer“ (PR – Manager) keiner einheitlichen Ideologie folgen, sondern aufgrund der unterschiedlichen Ziele auch unterschiedlich Einfluss nehmen. Die Möglichkeit der Einseitigkeit der Einflussnahme wird nach Bernays begrenzt durch die bestehende Vielfalt der unterschiedlichen manipulativen Strömungen in einer demokratischen Gesellschaft. Ob diese Vorstellung als Regulativ ausreicht, erscheint angesichts der gegenwärtigen Entwicklung der Medienlandschaft aber als sehr fragwürdig.

Zu Zeiten von Bernays waren die Printmedien auf dem Höhepunkt ihrer Verbreitung, die Redaktionen voller festangestellter Redakteure, die sich im journalistischen Wettbewerb übten und die Zeitungen verdienten gutes Geld. Durch die Vielfalt, die journalistische Ethik und die wirtschaftliche Lage waren Voraussetzungen gegeben, dass die Medien die ihnen von Bernays zugedachte Rolle erfüllen konnten. Manipulation fand zweifelsohne statt – aber die Vielfalt der Meinungen in einer demokratischen Gesellschaft sollte jedem Interessierten die Möglichkeit an die Hand geben, die Manipulationsversuche als solche zu entlarven.

Was unterscheidet uns heute von der Situation in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts?

Ganz entscheidend die Fülle der Informationen, die nicht nur auf die Leser hereinbricht, sondern auch die Redaktionen in ihrer notwendigen Selektion vor nahezu unlösbare Aufgaben stellen. Die technischen Möglichkeiten haben gigantisch zugenommen. Rein quantitativ hat sich die Zahl der Informationen über weltweite Sachverhalte vervielfacht und bringt die Redaktionen an die Grenzen einer sinnvollen Verarbeitung.

Verstärkt wird dieser Trend durch den Zeitdruck, der auf der jeweiligen Nachricht lastet, um sie noch als aktuell verkaufen zu können. Waren zu Zeiten Bernays die Redaktionen noch in der Lage, die eingehenden Informationen zu sichten, zu bewerten und gegebenenfalls auch zu prüfen, so wird das in der heutigen Zeit immer fragwürdiger. Eine große Zahl von Informationen wird über Medien bereitgestellt, die auch Insider unter dem Druck der Aktualität nicht mehr beurteilen können.

Das Ganze bekommt seine besondere Würze durch die wirtschaftliche Lage der Zeitungsverlage. Seit Jahren spürt die Branche den Druck, der sich durch das Aufkommen der neuen Medien ergibt. Kaum eine Tageszeitung ist gegenwärtig noch in der Lage, Gewinne zu erwirtschaften. Diesen ökonomischen Druck leiten die Eigentümer an die Redaktionen weiter. Es wird ständig rationalisiert. Die Redaktionen sind geschrumpft und werden durch (billige) freie Mitarbeiter ersetzt, die von ihrer Aufgabe kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Man gewinnt auch den Eindruck, dass das journalistische Ethos erheblich leidet, weil unverändert die einfache Regel gilt: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ (Bert Brecht).

Die eingehenden Informationen wurden zu Bernays Zeiten schwerpunktmäßig im eigenen Hause gesichtet und bewertet. Diese Funktion ist längst ‚outgesourced‘. Heute übernehmen Agenturen („Männer, … von denen wir nie gehört haben…“) diese Aufgabe. Das Ergebnis ist ein Mangel an Vielfalt. Zudem rücken die Agenturen als „Monopolisten“ ihres Faches, was Auswahl und Präsentation betrifft, in den Fokus jener stets und immer vorhandenen PR-Manipulationsversuche. Dabei können sie sich nun auf wenige „Triggerpoints“ konzentrieren. Die Einflussnahme wird dadurch billiger und sicher auch effizienter.

Public Relations oder vereinfacht Propaganda ist immer der Versuch der Manipulation der Öffentlichkeit. Versuche können scheitern, wenn sie auf einen Personenkreis treffen, der dagegen weitgehend immun ist. Sie können auch scheitern, weil sie handwerklich von falschen Voraussetzungen ausgehen. Aber Bernays hat demonstriert, wie gut und leicht es möglich ist, Öffentlichkeit (als wesentliche Teile der Gesellschaft) zu beeinflussen. Öffentliche Manipulation hat dabei nie das Ganze im Fokus – es geht immer nur um eine qualifizierte Minderheit – der Rest sind Mitläufer. Der Brexit wurde als PR-Ansatz generalstabmäßig vorbereitet und hat gezeigt, dass dank skrupelloser Falschinformationen ein großer Teil der britischen Gesellschaft den Einflüsterungen gefolgt ist. Donald Trumps Wahlkampanie war eine durchorganisierte PR-Veranstaltung, die überaus erfolgreich war. Jeder, der Trump jetzt im täglichen Regierungsgeschäft über die Schulter schauen kann, muss erkennen, dass für diese Art von Persönlichkeit der kleine Mann und die „Abgehängten“, die ihn letztlich ins Weiße Haus gebeamt haben, völlig gleichgültig sind. Das zeigt, welch generalstabsmäßige PR-Planung dahinterstecken muss, um einen hochgradig narzisstischen Unternehmer glaubhaft mit den quasi sozialen Argumenten auszustatten, die seinen Erfolg herbeiführten. Er macht unverändert das große Geschäft und seine Partei benutzt ihn und lässt ihn zappeln, wenn er aus persönlicher Eitelkeit das im Wahlkampf versprochene gerne liefern will. Und wenn es darauf ankommt, lassen sie ihn abblitzen. Wenn man für die Unterprivilegierten und „Abgehängten“ politisch einen wirklichen Erfolg erzielen will, so ist die unternehmerisch-kapitalistische Haltung eines Donald Trump, der nur Gewinner kennt und akzeptiert, eher eine riesige Camouflage denn ernster Wille. Für diesen Kreis der Benachteiligten bräuchte es eigentlich einen sozialen Ansatz. Und nichts liegt diesem Präsidenten ferner als ein sozialer, gemeinschaftsbildender Gedanke. Also hat die Manipulationsmaschinerie dafür gesorgt, dass er als fürsorglich gilt. Ein riesiger, aber handwerklich gut gemachter Bluff! Was passiert, wenn die Leute merken, wie sie manipuliert wurden? Hier wird – wie üblich – die öffentliche Vergessenskurve Herrn Trump das Überleben sichern.

Wir dürfen unterstellen, dass auch in Deutschland vergleichbare PR-Kampanien (oder Manipulationsversuche) laufen. Nehmen wir nur die Diskussion um den G-20 Gipfel in Hamburg und lassen unsere Phantasie ein wenig freien Lauf:

Ein solches Treffen wird nicht nur politisch, sondern auch in Bezug auf PR (Public Relations) minutiös vorbereitet. Das Treffen findet statt zu einer Zeit, in der Deutschland anfängt, sich auf den Wahlkampfmodus einzustellen. Wenn hier also Frau Merkel punkten will, muss dieses Spektakel (mehr ist es leider nicht) so durchgeführt werden, dass sie als ‚Lichtgestalt‘ daraus hervorgeht. Angesichts der Teilnehmer und dem programmierten politischen Dissens ist das keine allzu große Herausforderung. Das Problem liegt darin, dass das Ergebnis des G-20 Gipfels im Vorfeld erkennbar überaus mager ausfallen wird. Also werden die PR-Manager darüber nachgedacht haben, wie sie große Teile der Öffentlichkeit von diesem Flopp ablenken können. Hier galt es wohl, einen neuen Brennpunkt zu schaffen, indem man den G-20-Gipfel in eine SPD-regierte Stadt (Hamburg) und dort in einem Hotspotbezirk (Schanzenviertel) legt, um sicherzustellen, dass es Randale gibt. Je mehr öffentliche Aufregung durch die Randale und den damit verbundenen Polizeieinsatz ausgelöst wird, umso leichter kann Frau Merkel in ihrer gewohnt sachlichen Art in Erscheinung treten und ohne es zu thematisieren, ihren Wahlkampf wenige Tage später als die große Politmanagerin eröffnen. Die Probleme bleiben in Hamburg und lassen der dortigen SPD-Führung ein knackiges Imageproblem und die Aufgabe, den innerstädtischen Frieden wieder herzustellen. Wenn es so gelaufen sein sollte, dann Hut ab – handwerklich exzellent inszeniert. Man fragt sich nur, warum die Hamburger Führungsriege so blauäugig war, um derart dämlich ins offenstehende Messer zu laufen. Vielleicht sollte man in Erwägung ziehen, das PR-Management der Stadt als zu wenig pfiffig abzulösen.

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Neoliberalismus und die ‚Sieben Todsünden‘ – ein Versuch

Man kann ein humanitäre Entwicklung auf mindestens zwei Wegen fördern: durch die systematische Unterstützung positiver Werte und Ziele oder aber durch die ausdrückliche Vermeidung ihrer Negation. Beide Wege sind heute gängige Praxis. Aber was geschieht, wenn man zu beobachten glaubt, dass der Mensch durch eine neoliberal geprägte Kultur strategisch gezielt auf die konsequente Verfolgung negativer Werte hin geprägt wird?

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Mit dem Aufkommen des Christentums hat die Kirche die griechischen Ideen zu den Tugenden über die ersten Jahrhunderte nach der Zeitenwende auf eine eher ‚negative‘ Weise umgesetzt. Da der Mensch aus der Sicht der Kirche schuldbeladen in diese Welt kommt und das Interesse der Kirche sich auf die Sicherung eines „gottgefälligen“ Lebens richtet, tat sie sich schwer, die griechischen Gedanken über die Tugenden direkt aufzugreifen. Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit als die profanen Kardinaltugenden der Griechen passten nicht so recht zu dem transzendenten Weltbild der Kirche.

Statt positiver Tugenden hat sie einen Gegenentwurf geschaffen: Unter dem Begriff der „sieben Todsünden“ wurden schon im frühen Mittelalter menschlich häufiger anzutreffende  negative Verhaltensweisen als mit einem ‚gottgefälligen‘ Leben unvereinbar gebrandmarkt. Eine nachhaltige Vermeidung der sieben Todsünden galt als ein hinreichend sicherer Weg zum kirchlichen Heil.

Die mit dem Konzept der ‚Todsünden‘ verbundenen alten Begriffe sind zeitbedingt ein wenig sperrig: Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit, Unmäßigkeit und Überdruss. Es gibt, ähnlich wie bei den altgriechischen Tugenden, Versuche, diese Begrifflichkeit zu modernisieren. Heute könnte man stattdessen die Begriffe  Selbstüberschätzung, Gier, Neid, Unbeherrschtheit, Schamlosigkeit, Maßlosigkeit und Gleichgültigkeit verwenden, um in etwa den gleichen Inhalt auszudrücken. Wer sich von diesen negativen Verhaltensweisen frei machen kann, nähert sich einer ‚gottgefälligen‘ Lebenshaltung und darf kirchlicher Vorstellung zufolge darauf vertrauen, dass dieses Bemühen bei der finalen Bewertung seines Lebens vermutlich wohlwollend in Betracht gezogen wird.

Alle sieben Verhaltensweisen werden auch aus der Sicht einer profanen (säkularen) Welt als existent anerkannt und schweren Herzens als oft unvermeidlich toleriert. Werden sie aber für unser Verhalten gezielt handlungsleitend, gewinnen diese Eigenschaften gemeinschaftsschädigenden Charakter. Jede Anstrengung der Menschen, ein solches Verhalten einzudämmen oder zu verhindern, dient einer humaneren und vielleicht auch friedlicheren Welt. Diese Anstrengungen gehen auf wichtige Teile unseres moralischen Erbes zurück, das sich die Menschheit durch leidvolle Erfahrung über die Jahrhunderte erworben hat.

Man ist nun versucht, diese moralischen Erwartungen am Kapitalismus zu spiegeln. Das ist eine häufig zu beobachtende Fehlinterpretation, weil Ursache und Wirkung nur scheinbar zusammenhängen. Es stehen nämlich ‚moralische‘ Aussagen gegen ‚systemische‘ Aussagen. Der Mensch verfügt über ein Bewusstsein und ist damit moralisch-ethischen Argumenten zugänglich. Der Kapitalismus ist im besten Fall ein System oder ein Algorithmus, eine menschengeschaffene Institution ohne eigenes Bewusstsein. Jede moralisch-ethische Verhaltensweise muss dem System vorgeschrieben werden, sonst passiert das, was wir heute im allgemeinen Politikgeschehen und insbesondere in der Wirtschaftspolitik häufig erfahren können: Das System wird verselbstständigt und dient der Abwehr begründet moralisch-ethischer Bedenken: „Der Markt ist beunruhigt … oder das Wachstum ist in Gefahr …“. Der moralisch-ethische Anspruch wird mit Hinweis auf mögliche  Systemfolgen zurückgewiesen. Und wir, die Wähler oder die Betroffenen, bemerken diesen Schwindel in den meisten Fällen nicht.

Mit dem System Kapitalismus in seiner politisch-ökonomischen Ausprägung des Neoliberalismus sind die oben angeführten ethisch-moralischen Betrachtungen nicht vereinbar. Eine ethisch-moralische Fragestellung hat in dessen Selbstverständnis keinen Platz. Dabei greifen die Vertreter des Neoliberalismus bevorzugt auf ein (zweifelsohne ethisches) Konzept zurück, das verkürzt zum Ausdruck bringt, dass alles, was der ‚Markt‘ zulässt, ethisch vertretbar sei. Dabei gewinnt der simple Marktmechanismus eine Bedeutung, die die Menschen sonst nur Göttern zubilligen würden. Zudem existiert der ‚Markt‘ nicht in der alltäglichen Wirklichkeit. Zumindest nicht so, wie er begrifflich in der Ideologie des Neoliberalismus verwendet wird. In den Augen seiner Anhänger unterstreicht seine quasi – ‚göttliche‘ Funktion nur dessen wachsende Bedeutung.

Den Kapitalismus prägen im Allgemeinen wenige zentrale Begriffe und Verhaltensweisen. Wenn man den ökonomischen Begriff Wachstum an den ‚Todsünden‘ spiegeln möchte, so schwankt man bei der Kategorisierung zwischen ‚Gier‘ und ‚Maßlosigkeit‘. Wachstum ist begrifflich so konstruiert, dass immer wieder mehr benötigt wird, um prozentual ein gleich bleibendes Ergebnis zu erzielen. Das verweist in erster Linie auf die ‚Gier‘. Angesichts der Endlichkeit des Planeten kommt sehr rasch auch die ’Maßlosigkeit‘ als weitere Kategorie ins Spiel. Die Ökonomie baut auf der fixen Idee immerwährenden Wachstums auf und leidet in diesem Zusammenhang wohl auch an grandioser ‚Selbstüberschätzung‘, weil Wachstum nur durch Ressourcenverbrauch dargestellt werden kann. Die Ressourcen sind aber endlich. Diese Tatsache wiederum stößt in der Ökonomie auf aktive ‚Gleichgültigkeit‘ wider besseren Wissens.

Den Zustand unseres Wirtschaftssystems kann man nur als Überflussgesellschaft beschreiben, der sich durch einen gezielt vorangetriebenen Konsumismus auszeichnet. Dieser pathologische Überkonsum ist aber nur darstellbar, wenn es gelingt, den Konsumenten zu überzeugen, dass er verglichen mit seinem Nachbarn ein signifikantes Identitätsdefizit aufweist, das permanent ‚Neid‘ hervorlocken soll, um dann jenen Konsum auszulösen, dessen Rationalität nicht mehr nachvollziehbar ist.

Als Spitze der Manipulation besitzen die Vertreter des Neoliberalismus die ungeheure ‚Schamlosigkeit‘, den Leuten einzureden, die negativen Eigenschaften wie Selbstüberschätzung, Gier, Neid, Unbeherrschtheit, Maßlosigkeit und Gleichgültigkeit seien so etwas wie alternativlos und selbstverständlich, weil das jene ‚Erfolgsfaktoren‘ seien, die zum Ziel einer neoliberalen Gesellschaft führen. Die Frage ist nur, was ist das Ziel: Wachstum oder Wohlstand. Wachstum dient in seiner monetären Ausprägung den Wenigen, Wohlstand oder Gemeinwohl ist auf Mehrheit angelegt. Gemeinwohl ist im Grundgesetz verankert. Wachstum findet dort bewusst keinen Niederschlag.

Das klingt doch überaus eindrucksvoll. Da wir aber schon festgestellt haben, dass der Kapitalismus und mit ihm auch der Neoliberalismus eine menschliche Systemschöpfung ist, die etwa 1750 durch die Entwicklung von Technologien ins Leben gerufen wurde, ist der Kreis geschlossen. Hinsichtlich der ‚verderbten‘, oben exemplarisch dargestellten Eigenschaften fällt uns Menschen dummerweise der Kapitalismus wieder auf die Füße. So wie wir die Götter der Religionen geschaffen haben, so haben wir auch die Religion des Kapitalismus geschaffen und bieten damit jedem in diesen Systemen  Handelnden eine wunderbare Exkulpationsstrategie – bei jeder Ungerechtigkeit, jeder Fehlentwicklung, bei jedem sozialen Missstand kann man auf das System verweisen, mit den Achseln zucken und zur Tagesordnung übergehen.  Dabei haben wir regelmäßig vergessen, dass wir es sind, die der Religion Kapitalismus und dem Marktgott seine Verbindlichkeit für unser Handeln zusprechen – es ist nur ein gottverdammtes dummes, zugegebenermaßen aber effizientes System, ohne Moral und Verstand. Wir sind es, die dem System die Intelligenz, seine Werte geben und seine Grenzen definieren müssen. Davon sind wir heute weiter entfernt denn je.

Nur der Mensch kann den Sinn der sogenannten „Todsünden“ für unser Zusammenleben verstehen und kann sich ihre intendierte säkulare Botschaft zu eigen machen. Das System tut stur immer nur, was dem System gemäß ist, ohne Wenn und Aber. Wir müssen dem System die Grenzen setzen (und nicht umgekehrt) und es in einer anderen Form nutzen, indem wir jene negativen Verhaltensweisen einfach nicht zulassen oder zumindest öffentlich brandmarken. Keiner soll sich herausreden können, er habe sich nicht ernsthaft bemüht. Das überfordert das ‚System‘, das kann nur der Mensch ausdrücken, wenn er willens ist, nicht die ‚systemkonforme‘ Ethik des Marktes zu übernehmen, sondern seine humanen Wesensmerkmale zu entwickeln. Das ist – zugegeben – eine Herkulesaufgabe.

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