Große Menschenzahlen müssen auf diese Weise kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden Gesellschaft zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem sozialen Verhalten und unserem ethischen Denken werden wir durch eine relativ geringe Zahl von Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden ziehen, welche das öffentliche Denken kontrollieren.“
Die Liebhaber von Verschwörungstheorien werden sich jetzt entspannt zurücklehnen und feststellen: „Haben wir das nicht schon immer gesagt!“ Aber Vorsicht – hier wird eine Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. Verschwörungen sind immer das Werk eines engen Kreises von wenigen Personen. Wenn alle davon wissen, ist die Verschwörung als solche unmöglich. Bernays baut hier keine Verschwörungstheorien auf, sondern beschreibt eine Tatsache, die viele von uns nicht so gerne hören. Wir glauben uns im Vollbesitz unserer intellektuellen Fähigkeiten und meinen deshalb auch einen unbeeinflusst freien Willen zu besitzen. Und dann gibt es nach Bernays Feststellung „Männer(…), von denen wir nie gehört haben“, „(…) die uns regieren, unseren Verstand formen, unseren Geschmack bilden, uns Ideen suggerieren“. Gemeint sind jene Propagandisten, die wir heute Public Relations-Manager nennen.
Ausgehend von einer demokratischen Gesellschaft war Bernays insoweit realistisch, indem er unterstellen konnte, dass diese „Männer“ (PR – Manager) keiner einheitlichen Ideologie folgen, sondern aufgrund der unterschiedlichen Ziele auch unterschiedlich Einfluss nehmen. Die Möglichkeit der Einseitigkeit der Einflussnahme wird nach Bernays begrenzt durch die bestehende Vielfalt der unterschiedlichen manipulativen Strömungen in einer demokratischen Gesellschaft. Ob diese Vorstellung als Regulativ ausreicht, erscheint angesichts der gegenwärtigen Entwicklung der Medienlandschaft aber als sehr fragwürdig.
Zu Zeiten von Bernays waren die Printmedien auf dem Höhepunkt ihrer Verbreitung, die Redaktionen voller festangestellter Redakteure, die sich im journalistischen Wettbewerb übten und die Zeitungen verdienten gutes Geld. Durch die Vielfalt, die journalistische Ethik und die wirtschaftliche Lage waren Voraussetzungen gegeben, dass die Medien die ihnen von Bernays zugedachte Rolle erfüllen konnten. Manipulation fand zweifelsohne statt – aber die Vielfalt der Meinungen in einer demokratischen Gesellschaft sollte jedem Interessierten die Möglichkeit an die Hand geben, die Manipulationsversuche als solche zu entlarven.
Was unterscheidet uns heute von der Situation in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts?
Ganz entscheidend die Fülle der Informationen, die nicht nur auf die Leser hereinbricht, sondern auch die Redaktionen in ihrer notwendigen Selektion vor nahezu unlösbare Aufgaben stellen. Die technischen Möglichkeiten haben gigantisch zugenommen. Rein quantitativ hat sich die Zahl der Informationen über weltweite Sachverhalte vervielfacht und bringt die Redaktionen an die Grenzen einer sinnvollen Verarbeitung.
Verstärkt wird dieser Trend durch den Zeitdruck, der auf der jeweiligen Nachricht lastet, um sie noch als aktuell verkaufen zu können. Waren zu Zeiten Bernays die Redaktionen noch in der Lage, die eingehenden Informationen zu sichten, zu bewerten und gegebenenfalls auch zu prüfen, so wird das in der heutigen Zeit immer fragwürdiger. Eine große Zahl von Informationen wird über Medien bereitgestellt, die auch Insider unter dem Druck der Aktualität nicht mehr beurteilen können.
Das Ganze bekommt seine besondere Würze durch die wirtschaftliche Lage der Zeitungsverlage. Seit Jahren spürt die Branche den Druck, der sich durch das Aufkommen der neuen Medien ergibt. Kaum eine Tageszeitung ist gegenwärtig noch in der Lage, Gewinne zu erwirtschaften. Diesen ökonomischen Druck leiten die Eigentümer an die Redaktionen weiter. Es wird ständig rationalisiert. Die Redaktionen sind geschrumpft und werden durch (billige) freie Mitarbeiter ersetzt, die von ihrer Aufgabe kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Man gewinnt auch den Eindruck, dass das journalistische Ethos erheblich leidet, weil unverändert die einfache Regel gilt: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ (Bert Brecht).
Die eingehenden Informationen wurden zu Bernays Zeiten schwerpunktmäßig im eigenen Hause gesichtet und bewertet. Diese Funktion ist längst ‚outgesourced‘. Heute übernehmen Agenturen („Männer, … von denen wir nie gehört haben…“) diese Aufgabe. Das Ergebnis ist ein Mangel an Vielfalt. Zudem rücken die Agenturen als „Monopolisten“ ihres Faches, was Auswahl und Präsentation betrifft, in den Fokus jener stets und immer vorhandenen PR-Manipulationsversuche. Dabei können sie sich nun auf wenige „Triggerpoints“ konzentrieren. Die Einflussnahme wird dadurch billiger und sicher auch effizienter.
Public Relations oder vereinfacht Propaganda ist immer der Versuch der Manipulation der Öffentlichkeit. Versuche können scheitern, wenn sie auf einen Personenkreis treffen, der dagegen weitgehend immun ist. Sie können auch scheitern, weil sie handwerklich von falschen Voraussetzungen ausgehen. Aber Bernays hat demonstriert, wie gut und leicht es möglich ist, Öffentlichkeit (als wesentliche Teile der Gesellschaft) zu beeinflussen. Öffentliche Manipulation hat dabei nie das Ganze im Fokus – es geht immer nur um eine qualifizierte Minderheit – der Rest sind Mitläufer. Der Brexit wurde als PR-Ansatz generalstabmäßig vorbereitet und hat gezeigt, dass dank skrupelloser Falschinformationen ein großer Teil der britischen Gesellschaft den Einflüsterungen gefolgt ist. Donald Trumps Wahlkampanie war eine durchorganisierte PR-Veranstaltung, die überaus erfolgreich war. Jeder, der Trump jetzt im täglichen Regierungsgeschäft über die Schulter schauen kann, muss erkennen, dass für diese Art von Persönlichkeit der kleine Mann und die „Abgehängten“, die ihn letztlich ins Weiße Haus gebeamt haben, völlig gleichgültig sind. Das zeigt, welch generalstabsmäßige PR-Planung dahinterstecken muss, um einen hochgradig narzisstischen Unternehmer glaubhaft mit den quasi sozialen Argumenten auszustatten, die seinen Erfolg herbeiführten. Er macht unverändert das große Geschäft und seine Partei benutzt ihn und lässt ihn zappeln, wenn er aus persönlicher Eitelkeit das im Wahlkampf versprochene gerne liefern will. Und wenn es darauf ankommt, lassen sie ihn abblitzen. Wenn man für die Unterprivilegierten und „Abgehängten“ politisch einen wirklichen Erfolg erzielen will, so ist die unternehmerisch-kapitalistische Haltung eines Donald Trump, der nur Gewinner kennt und akzeptiert, eher eine riesige Camouflage denn ernster Wille. Für diesen Kreis der Benachteiligten bräuchte es eigentlich einen sozialen Ansatz. Und nichts liegt diesem Präsidenten ferner als ein sozialer, gemeinschaftsbildender Gedanke. Also hat die Manipulationsmaschinerie dafür gesorgt, dass er als fürsorglich gilt. Ein riesiger, aber handwerklich gut gemachter Bluff! Was passiert, wenn die Leute merken, wie sie manipuliert wurden? Hier wird – wie üblich – die öffentliche Vergessenskurve Herrn Trump das Überleben sichern.
Wir dürfen unterstellen, dass auch in Deutschland vergleichbare PR-Kampanien (oder Manipulationsversuche) laufen. Nehmen wir nur die Diskussion um den G-20 Gipfel in Hamburg und lassen unsere Phantasie ein wenig freien Lauf:
Ein solches Treffen wird nicht nur politisch, sondern auch in Bezug auf PR (Public Relations) minutiös vorbereitet. Das Treffen findet statt zu einer Zeit, in der Deutschland anfängt, sich auf den Wahlkampfmodus einzustellen. Wenn hier also Frau Merkel punkten will, muss dieses Spektakel (mehr ist es leider nicht) so durchgeführt werden, dass sie als ‚Lichtgestalt‘ daraus hervorgeht. Angesichts der Teilnehmer und dem programmierten politischen Dissens ist das keine allzu große Herausforderung. Das Problem liegt darin, dass das Ergebnis des G-20 Gipfels im Vorfeld erkennbar überaus mager ausfallen wird. Also werden die PR-Manager darüber nachgedacht haben, wie sie große Teile der Öffentlichkeit von diesem Flopp ablenken können. Hier galt es wohl, einen neuen Brennpunkt zu schaffen, indem man den G-20-Gipfel in eine SPD-regierte Stadt (Hamburg) und dort in einem Hotspotbezirk (Schanzenviertel) legt, um sicherzustellen, dass es Randale gibt. Je mehr öffentliche Aufregung durch die Randale und den damit verbundenen Polizeieinsatz ausgelöst wird, umso leichter kann Frau Merkel in ihrer gewohnt sachlichen Art in Erscheinung treten und ohne es zu thematisieren, ihren Wahlkampf wenige Tage später als die große Politmanagerin eröffnen. Die Probleme bleiben in Hamburg und lassen der dortigen SPD-Führung ein knackiges Imageproblem und die Aufgabe, den innerstädtischen Frieden wieder herzustellen. Wenn es so gelaufen sein sollte, dann Hut ab – handwerklich exzellent inszeniert. Man fragt sich nur, warum die Hamburger Führungsriege so blauäugig war, um derart dämlich ins offenstehende Messer zu laufen. Vielleicht sollte man in Erwägung ziehen, das PR-Management der Stadt als zu wenig pfiffig abzulösen.
» weniger zeigen